Friedrich Hölderlin: Werke

Gedichte 1: Denkendorf, Maulbronn 1784-1788

Dankgedicht an die Lehrer
M. G.
Die Nacht
An M. B.
Der Unzufriedne
Der nächtliche Wanderer
Das Erinnern
Adramelech
Alexanders Rede an seine Soldaten...
Das menschliche Leben
Die Meinige
An Stella
An die Nachtigall
An meinen B.
Gedicht an die Herzogin Franzisca
Klagen An Stella
An meine Freundinnen
Mein Vorsaz
Auf einer Haide geschrieben
Die Unsterblichkeit der Seele
Der Lorbeer
Die Ehrsucht
Die Demuth
Die Stille
Schwärmerei
Der Kampf der Leidenschaft
Hero
Die Tek
Am Tage der Freundschaftsfeier
An Louise Nast
Komplett!

Gedichte 2: Tübingen, 1788-1795

Männerjubel
Die Bücher der Zeiten
An die Vollendung
Schwabens Mägdelein
Die heilige Bahn
Keppler
An Thills Grab
Gustav Adolf
Ende einer Gedichtfolge auf Gustav Adolf
Zornige Sehnsucht
An die Ruhe
An die Ehre
Einst und jezt
Die Weisheit des Traurers
Selbstquälerei
Burg Tübingen
Lied der Freundschaft Erste Fassung
Lied der Freundschaft Zweite Fassung
Lied der Liebe Erste Fassung
Lied der Liebe Zweite Fassung
An die Stille
Hymne an die Unsterblichkeit
Meine Genesung. An Lyda
Melodie. An Lyda
Hymne an den Genius Griechenlands
An Lyda
Hymne an die Göttin der Harmonie
Hymne an die Muse
Hymne an die Freiheit (1792)
Kanton Schweiz
Hymne an die Menschheit
Hymne an die Schönheit Erste Fassung
Hymne an die Schönheit Zweite Fassung
Hymne an die Freiheit (1793)
Hymne an die Freundschaft
Hymne an die Liebe
Hymne an den Genius der Jugend
An eine Rose
An Hiller
Dem Genius der Kühnheit
Griechenland. An St.
Komplett!

Gedichte 3: Waltershausen, Jena, Nürthingen, 1794-1795

An Neuffer Im März. 1794
Das Schiksaal
Freundeswunsch
Der Gott der Jugend
An die Natur
Komplett!

Gedichte 4: Frankfurt, 1796-1798

An die Unerkannte
An Herkules
Die Eichbäume
An den Früling
An den Aether
Der Wanderer
An einen Baum
An Diotima
Diotima Ältere Fassung
Diotima Mittlere Fassung
Diotima Jüngere Fassung
An die klugen Rathgeber
Der Jüngling an die klugen Rathgeber
Sömmerings Seelenorgan und das Publikum
Sömmerings Seelenorgan und die Deutschen
Gebet für die Unheilbaren
Guter Rath
Advocatus diaboli
Die Vortreflichen
Die beschreibende Poësie
Falsche Popularität
An Diotima Schönes Leben!
Diotima (Komm und besänftige mir...)
Einladung an Neuffer
Einladung. Seinem Freund Neuffer
An Neuffer (Brüderlich Herz!...)
Die Musse
Die Völker schwiegen, schlummerten...
Buonaparte
Empedokles
An die Parzen
Diotima (Du schweigst und duldest...)
An Ihren Genius
Abbitte
Stimme des Volks
Ehmals und jezt
Lebenslauf (1 Strophe)
Die Kürze
Die Liebenden
Menschenbeifall
Die Heimath (2 Strophen)
Der gute Glaube
Ihre Genesung (Deine Freundin, Natur!...)
Das Unverzeihliche
An die jungen Dichter
An die Deutschen
Die scheinheiligen Dichter
Dem Sonnengott
Sonnenuntergang
Sokrates und Alcibiades
An unsre großen Dichter
Vanini
Der Mensch (Kaum sproßten...)
Hyperions Schiksaalslied
Da ich ein Knabe war...
Komplett!

Gedichte 5: Homburg, 1798-1800

Achill
Meiner verehrungswürdigen Grosmutter
Götter wandelten einst...
Hört' ich die Warnenden izt...
Abschied
Emilie vor ihrem Brauttag
Die Launischen
Der Tod fürs Vaterland
Der Zeitgeist (Zu lang schon...)
Abendphantasie
Des Morgens
Der Main
Pros eauton
Sophokles
Der zürnende Dichter
Die Scherzhaften
Wurzel alles Übels
Mein Eigentum
Palinodie
An eine Fürstin von Dessau
Der Prinzessin Auguste von Homburg
Wohl geh' ich täglich...
Geh unter, schöne Sonne...
Friedensfeier
Komplett!

Gedichte 6: Späteste Gedichte, ab 1800

Freundschaft, Liebe...
Wenn aus der Ferne...
Auf den Tod eines Kindes
Der Ruhm
Auf die Geburt eines Kindes
Das angenehme dieser Welt
An Zimmern (Die Linien des Lebens...)
Wenn aus dem Himmel
An Zimmern (Von einem Menschen sag ich...)
Der Frühling (Wenn auf Gefilden...)
Der Mensch (Wer Gutes ehrt...)
Das fröhliche Leben
Der Spaziergang
Der Kirchhof
Die Zufriedenheit
Nicht alle Tage...
Aussicht (Wenn Menschen fröhlich sind...)
Dem gnädigsten Herrn von Lebret
Der Frühling (Wie seelig ists...)
Der Herbst (Die Sagen, die der Erde sich entfernen...)
Der Sommer (Das Erndtefeld erscheint...)
Der Frühling (Es kommt der neue Tag...)
Aussicht (Der off'ne Tag ist Menschen hell...)
Der Frühling (Die Sonne glänzt...)
Höheres Leben
Höhere Menschheit
Des Geistes Werden
Der Frühling (Der Mensch vergißt die Sorgen...)
Der Sommer (Wenn dann vorbei des Frühlings Blüthe schwindet...)
Der Winter (Wenn blaicher Schnee...)
Winter
Der Winter (Das Feld ist kahl...)
Der Sommer (Noch ist die Zeit des Jahrs...)
Der Frühling (Wenn neu das Licht...)
Der Herbst (Das glänzen der Natur...)
Der Sommer (Im Thale rinnt der Bach...)
Der Sommer (Die Tage gehn vorbei...)
Der Mensch (Wenn aus sich lebt...)
Der Winter (Wenn ungesehn...)
Der Winter (Wenn sich das Jahr geändert...)
Der Winter (Wenn sich der Tag des Jahrs...)
Griechenland (Wie Menschen sind...)
Der Frühling (Der Tag erwacht...)
Der Frühling (Die Sonne kehrt...)
Der Frühling (Wenn aus der Tiefe kommt...)
Der Zeitgeist (Die Menschen finden sich...)
Freundschafft
Die Aussicht (Wenn in die Ferne geht...)
Komplett!

Oden

Gesang des Deutschen
Der Frieden
An die Deutschen
Rousseau
Heidelberg
Die Götter
Der Nekar
Die Heimath
Die Liebe
Lebenslauf
Ihre Genesung
Der Abschied Erste Fassung
Der Abschied Zweite Fassung
Diotima (Du schweigst...)
Rükkehr in die Heimath
Noch in Arbeit!

Elegien

Elegie
Brod und Wein
Noch in Arbeit!

Einzelne Formen

Der Archipelagus
Die Entschlafenen
An Landauer
Lebensalter
Der Winkel von Hahrdt
Hälfte des Lebens
Noch in Arbeit!

Vaterländische Gesänge

Patmos Dem Landgrafen von Homburg
Andenken
Noch in Arbeit!

Hymnische Entwürfe

Noch in Arbeit!

Pläne und Bruchstücke

Noch in Arbeit!

Miscellanea (input: Alberto Pedrotti)

Heimkunft
Der Rhein
Heimat
Und wenig wissen...

Hyperion, Erster Band

Vorrede
Hyperion an Bellarmin I
Hyperion an Bellarmin II
Hyperion an Bellarmin III
Hyperion an Bellarmin IV
Hyperion an Bellarmin V
Hyperion an Bellarmin VI
Hyperion an Bellarmin VII
Hyperion an Bellarmin VIII
Hyperion an Bellarmin IX
Hyperion an Bellarmin X
Hyperion an Bellarmin XI
Komplett!

Hyperion, Zweiter Band

Hyperion an Bellarmin XII
Hyperion an Bellarmin XIII
Hyperion an Bellarmin XIV
Hyperion an Bellarmin XV
Hyperion an Bellarmin XVI
Hyperion an Bellarmin XVII
Hyperion an Bellarmin XVIII
Hyperion an Bellarmin XIX
Hyperion an Bellarmin XX
Hyperion an Bellarmin XXI
Hyperion an Bellarmin XXII
Hyperion an Bellarmin XXIII
Hyperion an Bellarmin XXIV
Hyperion an Bellarmin XXV
Hyperion an Bellarmin XXVI
Hyperion an Bellarmin XXVII
Hyperion an Bellarmin XXVIII
Hyperion an Bellarmin XXIX
Hyperion an Bellarmin XXX
Komplett!

Hyperion, Dritter Band

Hyperion an Bellarmin XXXI
Hyperion an Bellarmin XXXII
Hyperion an Bellarmin XXXIII
Hyperion an Bellarmin XXXIV
Hyperion an Bellarmin XXXV
Hyperion an Bellarmin XXXVI
Hyperion an Bellarmin XXXVII
Hyperion an Diotima XXXVIII
Hyperion an Diotima XXXIX
Hyperion an Diotima XL
Hyperion an Diotima XLI
Hyperion an Diotima XLII
Diotima an Hyperion XLIII
Hyperion an Diotima XLIV
Hyperion an Diotima XLV
Hyperion an Diotima XLVI
Diotima an Hyperion XLVII
Hyperion an Diotima XLVIII
Hyperion an Diotima IL
Hyperion an Diotima L
Hyperion an Diotima LI
Hyperion an Diotima LII
Komplett!

Hyperion, Vierter Band

Hyperion an Bellarmin LIII
Hyperion an Bellarmin LIV
Hyperion an Bellarmin LV
Hyperion an Bellarmin LVI
Noch in Arbeit!

Der Tod des Empedokles, Erster Akt

Erster Akt, Erster Auftritt
Erster Akt, Zweiter Auftritt
Erster Akt, Dritter Auftritt
Noch in Arbeit!

Der Tod des Empedokles, Zweiter Akt

Noch in Arbeit!

Briefe

An Susette Gontard
An N. Köstlin. Denkendorf, wohl Nov. 1785
An die Mutter. Denkendorf, Dez. 1785
An I. Nast. Maulbronn, Jan. 1787
An I. Nast. Maulbronn, Jan. 1787
An Hegel. Jena, 26. Januar 1795
An Neuffer. Homburg, 12. Nov. 1798
Noch in Arbeit!

Aufsätze

Prooemium in caput primum Epistolae ad Ebraeos
Über das Gesez der Freiheit
Urtheil und Seyn
Aus dem Entwurf zu dem Programm der Iduna
Bemerkung über Homer
Die Weisen aber...
Über die Parthien des Gedichts
Mischung der Dichtarten
Die Bedeutung der Tragödien
Von der Fabel der Alten
Daß der Mensch in der Welt...

Verzeichnis der Titel und Textanfänge

 

Dankgedicht an die Lehrer

Uns würdigte einst eurer Weißheit Wille,
Der Kirche Dienst auch uns zu weih'n,
Wer Brüder säumt, daß er die Schuld des Danks erfülle,
Die wir uns solcher Gnade freun?

Froh eilt der Wanderer, durch dunkle Wälder,
Durch Wüsten, die von Hize glühn,
Erblikt er nur von fern des Lands beglükte Felder,
Wo Ruh' und Friede blühn.

So können wir die frohe Bahn durcheilen,
Weil schon das hohe Ziel uns lacht,
Und der Bestimmung Sporn, ein Feind von trägen Weilen,
Uns froh und emsig macht.

Ja, dieses Glück, das, große Mäcenaten,
Ihr schenkt, soll nie ein träger Sinn,
Bey uns verdunkeln, nein! verehren Fleis und Thaten,
Und Tugend immerhin.

Euch aber kröne Ruhm und hohe Ehre,
Die dem Verdienste stets gebührt,
Und jeder künfftge Tag erhöhe und vermehre,
Den Glanz, der euch schon ziert.

Und was ist wohl für euch die schönste Krone?
Der Kirche und des Staates Wohl,
Stets eurer Sorgen Ziel. Wohlan, der Himmel lohne
Euch stets mit ihrem Wohl.
StA, Band 1, Seite 1.

 

M. G.

Herr! was bist du, was Menschenkinder?
Jehova du, wir schwache Sünder,
Und Engel sinds die, Herr, dir dienen,
Wo ewger Lohn, wo Seeligkeiten krönen.

Wir aber sind es, die gefallen,
Die sträflich deiner Güte Straalen
In Grim verwandelt, Heil verscherzet,
Durch das der Hölle Todt nicht schmerzet.

Und doch o Herr! erlaubst du Sündern,
Dein Heil zu sehn, wie Väter Kindern,
Ertheilst du deine Himmelsgaben,
Die uns, nach Gnade dürstend, laben.

Rufft dein Kind Abba, rufft es Vater,
So bist du Helffer, du Berather,
Wann Todt und Hölle tobend krachen,
So eilst als Vater du zu wachen.
StA, Band 1, Seite 2.

 

Die Nacht

Seyd gegrüßt, ihr zufluchtsvolle Schatten,
Ihr Fluren, die ihr einsam um mich ruht;
Du stiller Mond, du hörst, nicht wie Verläumder lauren,
Mein Herz, entzükt von deinem Perlenglanz.

Aus der Welt, wo tolle Thoren spotten,
Um leere Schattenbilder sich bemühn,
Flieht der zu euch, der nicht das schimmernde Getümmel,
Der eitlen Welt, nein! nur die Tugend liebt.

Nur bei dir empfindt auch hier die Seele;
Wie göttlich sie dereinst wird seyn,
Die Freude, deren falschem Schein so viel Altäre
So viele Opfer hier gewiedmet sind.

Weit hinauf, weit über euch, ihr Sterne,
Geht sie entzükt mit heilgem Seraphsflug;
Sieht über euch herab mit göttlich heilgem Blike,
Auf ihre Erd, da wo sie schlummernd ruht. ...

Goldner Schlaf, nur dessen Herz zufrieden
Wohlthätger Tugend wahre Freude kennt,
Nur der fühlt dich. -. Hier stellst du dürfftig schwache Arme
Die seine Hülfe suchen vor ihn hin.

Schnell fühlt er des armen Bruders Leiden;
Der arme weint, er weinet auch mit ihm;
Schon Trost genug! Doch spricht er, gab Gott seine Gaben
Nur mir? nein auch für andre lebe ich. -.

Nicht von Stolz, noch Eitelkeit getrieben,
Kleidt er den nakten dann, und sättigt den,
Dem blasse Hungersnoth sein schwach Gerippe zählet;
Und himmlisch wird sein fühlend Herz entzükt.

So ruht er, allein des Lasters Sclaven
Quält des Gewissens bange Donnerstimm,
Und Todesangst wälzt sie auf ihren weichen Lagern
Wo Wollust selber sich die Ruthe hält.
StA, Band 1, Seite 3.

 

An M. B.

O lächle fröhlich unschuldsvolle Freuden,
Ja, muntrer Knabe, freue dich,
Und unbekümmert, gleich dem Lamm auf Frühlings-Haiden,
Entwikeln deine Keime sich.

Nicht Sorgen und kein Heer von Leidenschafften
Strömt über deine Seele hin;
Du sahst noch nicht, wie tolle Thoren neidisch gafften,
Wann sie die Tugend sehen blühn.

Dich sucht noch nicht des kühnen Lästrers Zunge:
Erst lobt sie, doch ihr Schlangengifft
Verwandelt bald das Lob, das sie so glänzend sunge
In Tadel, welcher tödtlich trifft.

Du glaubst mir nicht, daß diese schöne Erde
So viele unzufriedne trägt,
Daß nicht der Welt, der dich der Schöpfer gab, Beschwerde,
Nur eigner Kummer Seufzen regt.

So folge ihr, du edle gute Seele,
Wohin dich nur die Tugend treibt,
Sprich; Welt! kein leerer Schatten ists, das ich mir wähle
Nur Weißheit, die mir ewig bleibt.
StA, Band 1, Seite 5.

 

Der Unzufriedne

                Horat. Deformis aegrimonia.

»Schiksaal! unglüksvolle Leiden
»Heist du Sterblichen die Freuden,
»Die die steile Laufbahn hat,
»Grausam rauben. Bange Thränen
»Die sich nach der Bahre sehnen,
»Zu erzwingen ist dein Rath.
StA, Band 1, Seite 6.

 

Der nächtliche Wanderer

Hu! der Kauz! wie er heult,
Wie sein Furchtgeschrei krächt
Erwürgen - ha! du hungerst nach erwürgtem Aas
Du naher Würger komme, komme.

Sieh! er lauscht, schnaubend Todt -
Ringsum schnarchet der Hauf
Des Mordes Hauf, er hörts, er hörts, im Traume hört'ers
Ich irre Würger, schlafe, schlafe.
StA, Band 1, Seite 7.

 

Das Erinnern

Viel, viel sind meiner Tage
Durch Sünd entweiht gesunken hinab
O, großer Richter frage
Nicht wie, o lasse ihr Grab
Erbarmende Vergessenheit
Laß, Vater der Barmherzigkeit
Das Blut des Sohns es deken.

Ach wenig sind der Tage
Mit Frömmigkeit gekrönt entflohn,
Sie sinds mein Engel, trage
Sie vor des Ewigen Thron,
Laß schimmern die geringe Zahl
Daß einsten mich des Richters Wahl
Zu seinen Frommen zähle.
StA, Band 1, Seite 8.

 

Adramelech

Adramelechs Grim erwachte des Höllenbewohners:
Hölle sinke tieffer hinab, Adramelech wütet
Staune Satan du verzweifle König der Hölle,
Nur Adramelech bleibt groß - entdek ich die grossen Entwürfe
Dann und meine Gedanken, die den Olympus beherrschen,
Seinen Rath vereiteln, wie werden die schwächere gaffen,
Satan wird vom Thron mit neidischem Stolze herabschaun,
Du Jehova sollst bald in deinem richtenden Grimme -
Dieses dein Israël soll dein Rachedonner zerschmettern,
Oder Mein Geist ist hin - verlohren des mächtigsten Kräffte.
So sprach er - und kehrte mit Wuth zur Hölle zurüke.
Sein verschlagener Stolz versammelte alle Gestalten,
Alle Schreken des Tods um sich her, um seines Regenten
Schrekenvolle Pracht an sich den Geistern zu zeigen.
Und so fuhr er ein, die zitternde Geister der Pforte
Öffneten ihre knarrende Thore weit auf, mit Erstaunen
Sahn sie seine schrekbare Wuth, mit flammendem Zorne
Wie nur selten Satan ergrimt, dekt' er die höllische Ränke
StA, Band 1, Seite 9.

 

Alexanders Rede an seine Soldaten bei Issus

Erhaben glänzend sieht, und wie ein Gott
Auf seine Schaaren Alexander hin,
Wo jeder Spieß dem weit zerstreuten Feind
Vereint durch gleichen Muth die Flucht empfiehlt.
Sein scharfer Heldenblik belebt das Heer,
Das jede drohende Gefahr vergißt.
Sein rasches Pferd, das Siegesfreude schnaubt,
Trägt ihn durch ihre Glieder; dan spricht er:
Ihr Macedonier, ihr deren Muth
Athen einst, das an Tapferkeit euch glich,
Unwissend schwacher Flucht, bezwang:
O tapfre Krieger, die ihr Philipps Thron
Bevestigtet, um auch mir treu zu seyn!
Es hob sich euer Schwerdt, ihr wart nicht mehr
Mit dichten Mauren, voll von Todt, umringt.
Erst fiel Böotien; die stärkste Stadt
Daraus (stark war der Mauren Wehr)
Auch sie fiel gänzlich unter euren Fuß. -
Und, Krieger, wie begierig waret ihr
Weit von dem Hellespont im Orient
Euch Siege zu bereiten; muthig flog
Die Zierde meines Reichs mir zu, um treu
Kein Schwerdt des Kriegs, und nicht Gefahr zu scheun.
Und nun, ihr tapfre Macedonier,
Hier ist der Sieg, hier eures Muths Triumph -
Der Sieg, der schon aus euren Augen blikt,
Wird des Tyrannen hartes Sclavenjoch,
Womit er all diß Volk despotisch plagt,
Zerreißen, und ihr, Freunde, werdet seyn
Und jedes Nahme, wie einst Hercules.
Seht, wie ein jedes Volk euch Sieger nennt,
Wie es gehorsam euern Arm verehrt,
Der keine Fesseln braucht; ein jeder dient
Euch willig. - Kinder, glaubts, kein Thracien,
Kein steinigtes Illyrien wird's seyn,
Nein! Bactra, und das schöne Indien,
Des Ganges Fluren sind der Sieger Siz:
Da ist der Lohn der Sieger Überfluß.
O! Helden! seht, wie euer schöner Sieg,
Wie er zu glänzen angefangen hat:
Seht euer Rüken, nie von Flucht beflekt,
Hat lauter Ruhmstrophäen hinter sich.
Und du, muthvolle Schaar von Griechenland,
Du wirst zu deinen Füßen ausgestrekt
Die Schößlinge von Xerxes Übermuth
Und all die grausame Verwüster sehn.
Dein Vaterland, dein Wonsiz - war er dein?
Wem war die Quelle deines Wanderers,
Wem deine Saat? - war sie des Schweißes Lohn,
Den ihrer Mutter Bau dich kostete? -
Sie sinds, durch ihre Menge fiel dein Volk;
Der Götter Hallen, welche du verehrst,
Und deren Heiligkeit nur sonst der Raub
Zum Schauer anderer antastete,
Die lagen da, verheert, von Blut besprizt,
Und von der Asche deiner Stadt bedekt.
Ihr, Söhne Thraciens, ihr deren Hand
Nur tapfre Waffen eures Sieges kennt,
Seht, wie der Feind von Gold belastet ist,
Euch, Brüder, ziert es besser, denen's nicht
Die Weichlichkeit als Sclaven geben wird,
Euch mahnts an euern Muth, an euren Sieg.
Geht, raubt den Memmen ihre Last, ihr Gold,
Bewohnt statt eurer nakten Hügel Eis
Und alt bemooste Felsen, eures Feinds
Vergnügenvoller Fluren Fruchtbarkeit.
StA, Band 1, Seite 10.

 

Das menschliche Leben

Menschen, Menschen! was ist euer Leben,
Eure Welt, die tränenvolle Welt,
Dieser Schauplaz, kann er Freuden geben,
Wo sich Trauern nicht dazu gesellt?
O! die Schatten, welche euch umschweben,
Die sind euer Freudenleben.

Tränen, fließt! o fließet, Mitleidstränen,
Taumel, Reue, Tugend, Spott der Welt,
Wiederkehr zu ihr, ein neues Sehnen,
Banges Seufzen, das die Leiden zählt,
Sind der armen Sterblichen Begleiter,
O, nur allzu wenig heiter!

Banger Schauer faßt die trübe Seele,
Wenn sie jene Thorenfreuden sieht,
Welt, Verführung, manches Guten Hölle,
Flieht von mir, auf ewig immer flieht!
Ja gewiß, schon manche gute Seele hat, betrogen,
Euer tödtend Gifft gesogen.

Wann der Sünde dann ihr Urtheil tönet,
Des Gewissens Schrekensreu sie lehrt,
Wie die Lasterbahn ihr Ende krönet,
Schmerz, der ihr Gebein versehrt!
Dann sieht das verirrte Herz zurüke;
Reue schluchzen seine Blike.

Und die Tugend bietet ihre Freuden
Gerne Mitleid lächelnd an,
Doch die Welt - bald streut sie ihre Leiden
Auch auf die zufrieden heitre Bahn:
Weil sie dem, der Tugendfreuden kennet,
Sein zufrieden Herz nicht gönnet.

Tausend mißgunstvolle Lästerungen
Sucht sie dann, daß ihr die Tugend gleicht;
Beißend spotten dann des Neides Zungen,
Bis die arme Unschuld ihnen weicht;
Kaum verflossen etlich Freudentage,
Sieh, so sinkt der Tugend Waage.

Etlich' Kämpfe - Tugend und Gewissen -
Nur noch schwach bewegen sie das Herz,
Wieder umgefallen! - und es fließen
Neue Tränen, neuer Schmerz!
O du Sünde, Dolch der edlen Seelen,
Muß denn jede dich erwählen?

Schwachheit, nur noch etlich' Augenblike,
So entfliehst du, und dann göttlich schön,
Wird der Geist verklärt, ein bess'res Glüke
Wird dann glänzender mein Auge sehn;
Bald umgiebt dich, unvollkommne Hülle,
Dunkle Nacht, des Grabes Stille.
StA, Band 1, Seite 13.

 

Die Meinige

Herr der Welten! der du deinen Menschen
Leuchten läßst so liebevoll dein Angesicht,
Lächle, Herr der Welten! auch des Betters Erdenwünschen,
O du weist es! sündig sind sie nicht.
Ich will betten für die lieben Meinen
Wie dein großer Sohn für seine Jünger bat -
O auch Er, er konnte Menschentränen weinen,
Wann er bettend für die Menschen vor dich trat -

Ja! in seinem Nahmen will ich betten,
Und du zürnst des Betters Erdewünschen nicht,
Ja! mit freiem, ofnem Herzen will ich vor dich tretten,
Sprechen will ich, wie dein Luther spricht. -
Bin ich gleich vor dir ein Wurm, ein Sünder -
Floß ja auch für mich das Blut von Golgatha -
O! ich glaube! Guter! Vater deiner Kinder!
Glaubend, glaubend trett' ich deinem Trone nah.

Meine Mutter! - o mit Freudentränen
Dank' ich großer Geber, lieber Vater! dir,
Mir o mir dem glüklichsten von tausend andern Söhnen
Ach die beste Mutter gabst du mir.
Gott! ich falle nieder mit Entzüken,
Welches ewig keine Menschenlippe spricht
Tränend kan ich aus dem Staube zu dir bliken -
Nimm es an das Opfer! mehr vermag ich nicht! -

Ach als einst in unsre stille Hütte
Furchtbarer! herab dein Todesengel kam,
Und den jammernden, den flehenden aus ihrer Mitte
Ewigteurer Vater! dich uns nahm;
Als am schröklich stillen Sterbebette
Meine Mutter sinnlos in dem Staube lag -
Wehe! noch erblik ich sie, die Jammerstätte,
Ewig schwebt vor mir der schwarze Sterbetag -

Ach! da warf ich mich zur Mutter nieder,
Heischerschluchzend blikte ich an ihr hinauf;
Plözlich bebt' ein heilger Schauer durch des Knaben Glieder,
Kindlich sprach ich - Lasten legt er auf,
Aber o! er hilft ja auch,der gute -
Hilft ja auch der gute, liebevolle Gott --
Amen! amen! noch erkenn ichs! deine Ruthe
Schläget väterlich! du hilfst in aller Noth!

O! so hilf, so hilf in trüben Tagen,
Guter, wie du bisher noch geholfen hast,
Vater! liebevoller Vater! hilf, o hilf ihr tragen
Meiner Mutter - jede Lebenslast.
Daß allein sie sorgt die Elternsorgen!
Einsam jede Schritte ihres Sohnes wägt!
Für die Kinder jeden Abend, jeden Morgen -
Ach! und oft ein Tränenopfer vor dich legt!

Daß sie in so manchen trüben Stunden
Über Witwenquäler in der Stille weint!
Und dann wieder aufgerissen bluten alle Wunden,
Jede Trau'rerinnrung sich vereint!
Daß sie aus den schwarzen Leichenzügen
Oft so schmerzlich hin nach seinem Grabe sieht!
Da zu sein wünscht, wo die Tränen all' versiegen,
Wo uns jede Sorge, jede Klage flieht.

O so hilf, so hilf in trüben Tagen,
Guter! wie du bisher noch geholfen hast!
Vater! liebevoller Vater! hilf, o hilf ihr tragen,
Sieh! sie weinet ! - jede Lebenslast.
Lohn' ihr einst am großen Weltenmorgen
All' die Sanftmuth, all' die treue Sorglichkeit,
All' die Kümmernisse, all' die Muttersorgen,
All' die Tränenopfer ihrer Einsamkeit.

Lohn' ihr noch in diesem Erdenleben
Alles, alles, was die Teure für uns that.
O! ich weiß es froh, du kanst, du wirst es geben
Wirst dereinst erfüllen, was ich bat.
Laß sie einst mit himmlisch hellem Blike
Wann um sie die Tochter - Söhne - Enkel stehn, -
Himmelan die Hände faltend, groß zurüke
Auf der Jahre schöne Stralenreihe sehn.

Wann sie dann entflammt im Dankgebette
Mit uns in den Silberloken vor dir kniet,
Und ein Engelschor herunter auf die heilge Stätte
Mit Entzüken in dem Auge sieht;
Gott! wie soll dich dann mein Lied erheben!
Halleluja! Halleluja! jauchz' ich dann;
Stürm aus meiner Harfe jubelnd Leben;
Heil dem grosen Geber! ruf ich himmelan.

Auch für meine Schwester laß mich flehen,
Gott! du weist es, wie sie meine Seele liebt,
Gott! du weist es, kennest ja die Herzen, hast gesehen,
Wie bei ihren Leiden sich mein Blik getrübt. -
Unter Rosen, wie in Dornengängen,
Leite jeden ihrer Tritte himmelan.
Laß die Leiden sie zur frommen Ruhe bringen,
Laß sie weise gehn auf heitrer Lebensbahn.

Laß sie früh das beste Theil erwählen,
Schreib ihrs tief in ihren unbefangnen Sinn,
Tief wie schön - die Himmelsblume blüht in jungen Seelen,
Christuslieb' und Gottesfurcht wie schön!
Zeig ihr deiner Weisheit reinre Wonne,
Wie sie hehrer deiner Wetter Schauernacht
Heller deinen Himmel, schöner deine Sonne,
Näher deinem Trone die Gestirne macht.

Wie sie in das Herz des Kämpfers Frieden,
Tränen in des bangen Dulders Auge giebt -
Wie dann keine Stürme mehr das stille Herz ermüden,
Keine Klage mehr die Seele trübt.
Wie sie frei einher geht im Getümmel,
Ihr vor keinem Spötter, keinem Hasser graut,
Wie ihr Auge, helleschimmernd, wie dein Himmel,
Schrökend dem Verführer in das Auge schaut.

Aber Gott! daß unter Frühlingskränzen
Oft das feine Laster seinen Stachel birgt -
Daß so oft die Schlange unter heitern Jugendtänzen
Wirbelt, und so schnell die Unschuld würgt -!
Schwester! Schwester! reine gute Seele!
Gottes Engel walte immer über dir!
Häng' dich nicht an diese Schlangenhöhle,
Unsers Bleibens ist - Gott seis gedankt! nicht hier.

Und mein Carl -- o! Himmelsaugenblike! -
O du Stunde stiller, frommer Seeligkeit! -
Wohl ist mir! ich denke mich in jene Zeit zurüke -
Gott! es war doch meine schönste Zeit.
(O daß wiederkehrten diese Tage!
O daß noch so unbewölkt des Jünglings Herz,
Noch so harmlos wäre, noch so frei von Klage,
Noch so ungetrübt von ungestümmem Schmerz!)

Guter Carl! - in jenen schönen Tagen
Saß ich einst mit dir am Nekkarstrand.
Fröhlich sahen wir die Welle an das Ufer schlagen,
Leiteten uns Bächlein durch den Sand.
Endlich sah ich auf. Im Abendschimmer
Stand der Strom. Ein heiliges Gefühl
Bebte mir durchs Herz; und plözlich scherzt' ich nimmer,
Plözlich stand ich ernster auf vom Knabenspiel.

Bebend lispelt' ich: wir wollen betten!
Schüchtern knieten wir in dem Gebüsche hin.
Einfalt, Unschuld wars, was unsre Knabenherzen redten -
Lieber Gott! die Stunde war so schön.
Wie der leise Laut dich Abba! nannte!
Wie die Knaben sich umarmten! himmelwärts
Ihre Hände strekten! wie es brandte -
Im Gelübde, oft zu betten - beeder Herz!

Nun, mein Vater! höre, was ich bitte;
Ruf ihm oft ins Herz, vor deinen Tron zu gehn;
Wann der Sturm einst droht, die Wooge rauscht um seine Tritte,
O so mahne ihn, zu dir zu flehn.
Wann im Kampf ihm einst die Arme sinken,
Bang nach Rettung seine Blike um sich sehn,
Die Vernunft verirrte Wünsche lenken;
O so mahne ihn dein Geist, zu dir zu flehn.

Wenn er einst mit unverdorbner Seele
Unter Menschen irret, wo Verderber spähn,
Und ihm süßlich scheint der Pesthauch dieser Schlangenhöhle,
O! so mahne ihn, zu dir zu flehn.
Gott! wir gehn auf schwerem, steilem Pfade,
Tausend fallen, wo noch zehen aufrecht stehn, -
Gott! so leite ihn mit deiner Gnade,
Mahn ihn oft durch deinen Geist, zu dir zu flehn.

O! und sie im frommen Silberhaare,
Der so heiß der Kinder Freudenträne rinnt
Die so groß zurükblikt auf so viele schöne Jahre,
Die so gut, so liebevoll mich Enkel nennt,
Die, o lieber Vater! deine Gnade
Führte durch so manches rauhe Distelnfeld,
Durch so manche dunkle Dornenpfade -
Die jezt froh die Palme hoft, die sie erhält -

Laß, o laß sie lange noch genießen
Ihrer Jahre lohnende Erinnerung,
Laß uns alle jeden Augenblik ihr süßen,
Streben, so wie sie, nach Heiligung.
Ohne diese wird dich niemand sehen,
Ohne diese trift uns dein Gericht;
Heilige mich! sonst muß ich draußen stehen,
Wann die Meinen schaunen dein heilig' Angesicht.

Ja! uns alle laß einander finden,
Wo mit Freuden erndten, die mit Tränen säen,
Wo wir mit Eloah unser Jubellied verbinden,
Ewig, ewig seelig vor dir stehn.
O! so ende bald, du Bahn der Leiden!
Rinne eilig, rinne eilig, Pilgerzeit!
Himmel! schon empfind' ich sie, die Freuden -
Deine - Wiedersehen froher Ewigkeit!
StA, Band 1, Seite 15.

 

An Stella

Du gute Stella! wähnest du mich beglükt,
 Wann ich im Thale still und verlassen, und
  Von dir vergessen wandle, wann in
   Flüchtigen Freuden dein Leben hinhüpft?

Schon oft, wenn meine Brüder, die Glükliche
 So harmlos schliefen, blikt ich hinauf, und fragt
  Im Geiste, ob ich glüklich seie -
   Bin ich ein glüklicher Jüngling, Stella?

Es streut der Schöpfer seeliges Lächeln oft
 In meine Tage, giebt mir der heiligen
  Empfindungen, der Freuden recht zu
   Handeln so viele, der gute Schöpfer:

Doch giebt es Wünsche, denen der Spötter höhnt -
 O Stella! du nicht! höhne dem Armen nicht! -
  Giebt unerfülte Wünsche -- Tugend,
   Hehre Gefährtin! du kennst die Wünsche.

Ach laß mich weinen! - nein! ich will heiter sein!
 Ist ja ein Ort, wo nimmer gewünscht wird, wo
  Der Sterbliche sein Schiksaal preiset, -
   Dort ist es, wo ich dich wiedersehe.

Und stürb' ich erst mit grauem gebeugtem Haupt
 Nach langem Sehnen, endlich erlößt zu sein,
  Und sähe dich als Pilger nimmer,
   Stella! so seh' ich dich jenseits wieder.
StA, Band 1, Seite 21.

 

An die Nachtigall

Dir flüstert's leise - Nachtigall! dir allein,
 Dir, süße Tränenwekerin! sagt es nur
  Die Saite. - Stellas wehmutsvoller
   Seufzer - es raubte mein Herz - dein Kehlchen -

Es klagte - o! es klagte - wie Stella ists.
 Starr sah' ich hin beim Seufzer, wie, als dein Lied
  Am liebevollsten schlug, am schönsten
   Aus der melodischen Kehle strömte.

Dann sah' ich auf, sah' bebend, ob Stellas Blik
 Mir lächle - ach! ich suche dich, Nachtigall!
  Und du verbirgst dich. - Wem, o Stella!
   Seufztest du? Sangest du mir, du süße?

Doch nein! doch nein! ich will es ja nicht, dein Lied,
 Von ferne will ich lauschen - o! singe dann!
  Die Seele schläft - und plözlich schlägt die
   Brust mir empor zum erhabnen Lorbeer.

O Stella! sag' es! sag' es! - ich bebe nicht! -
 Es tödtete die Wonne, geliebt zu sein,
  Den Schwärmer. - Aber tränend will ich
   Deinen beglükten Geliebten seegnen.
StA, Band 1, Seite 22.

 

An meinen B.

Freund! wo über das Thal schauerlich Wald und Fels
 Herhängt, wo das Gefild leise die Erms durchschleicht,
  Und das Reh des Gebürges
   Stolz an ihrem Gestade geht -

Wo im Knabengelok heiter und unschuldsvoll
 Wen'ge Stunden mir einst lächelnd vorüberflohn -
  Dort sind Hütten des Seegens,
   Freund! - du kennest die Hütten auch;

Dort am schattichten Hain wandelt Amalia.
 Seegne, seegne mein Lied, kränze die Harfe mir,
  Denn sie nannte den Nahmen
   Den, du weists, des Getümmels Ohr

Nicht zu kennen verdient. Stille, der Tugend nur
 Und der Freundschaft bekannt, wandelt die Gute dort.
  Liebes Mädchen, es trübe
   Nie dein himmlisches Auge sich.
StA, Band 1, Seite 23.

 

Gedicht,

   womit bei der höchstbeglükten Ankunft
      Ihro herzoglichen Durchlaucht
    der Frau Herzoginn von Würtemberg
                 Franzisca
          in dem Kloster Maulbronn,
  seine unterthänigste und tiefste Devotion
                 bezeugen,
 und sich Höchstdero Durchlaucht zu höchster
Huld und Gnaden unterthänigst empfelen wollte
           Joh. Christian Fridrich Hölderlin.

Lang wars der heiße inniggefühlte Wunsch 
 Des Jünglings, lange - ! oft der Gedank der Stund,
  Die feurig hinwiß zur Vollkommenheit -
   Wie ihm im Busen glühe die Ehrfurcht,

Dirs hinzusagen! Aber der deutscheren
 Gemüthseröfnung winkte mit zärtlichem -
  Mit ihrem Mutterblik die Sittsamkeit
   Stille zu stehn - dem strömenden Danke.

Du kommst - jezt winke gutgemeint immerhin
 Die Sittsamkeit! Die Lippe bebt nimmer mir!
  Franzisca ists, Franzisca! Ha, es bebt
   Nimmer die Lippe furchtsames Stammeln!

Weh' über dich, du Menschenfeind, grausamer
 Bedrüker du des Schwächeren neben dir!
  Dem's zu alltäglich ist vom Jammerblik,
   Von dem entblößten Hungergerippe

Erweicht zu werden - Schaue die liebende
 Erhalterin, wie ringsum sie Lächeln streut!
  Schon sank der Pilger dort der Grube zu;
   Wie er so ruhig jezt auf die Leiden

Zurükblikt? Dann du rettetest ihn, dann du,
 Franzisca, gossest Balsam ihm in die Wund! --
  Zu weit hab' ich den Mund schon aufgethan,
   Siehe die Lippe bebt, ich verstumme. --.

Es sags der Greis nur, welchem der Loorbeerlohn
 Am glänzendsten die Stirne umfließt! Es sei
  Franzisca ihm der lezte Erdgedank,
   Und er entsinke ruhig dem Stabe.

Und Carln die thät'ge Hände zu weihen, sei
 Des Mannes erster feurigster Trieb! und dann -
  Ists auch dem Jüngling dann gegönnt, für Carln
   Leb' er hienieden, leise zu denken?
StA, Band 1, Seite 24.

 

Klagen

          An Stella

Stella! ach! wir leiden viel! wann nur das Grab - 
 Komme! komme kühles Grab! nimm uns beide!
  Siehe Stellas Tränen, komme
   Kühles ruhiges Grab.

O ihr Menschen! o so gerne wollt' ich euch
 Alle lieben, warm und treu! oh ihr Menschen
  Sehet diese Stella haßt ihr!
   Gott vergebe es euch!

Reißt sie nur hinweg von mir! Quäler! ihr!
 Ich will schweigen - Gott - Gott wird reden
  Lebe wohl - ich sterbe bald - O
   Stella! Stella vergiß mich.

Viele Wonnenaugenblike gabst du mir -
 Vater, Vater! bebt' ich oft auf zum Ewgen
  Sieh' ich liebe sie so rein dein Auge
   Vater sieht ja mein Herz.

Stella! weinen werd' ich bis ans Grab um dich
 Weinen, Stella, du um mich - weinen! aber
  Am Gerichtstag will ichs sagen
   Vorm versammelten Erdkreis:

Diese sinds, die Stella quälten - aber nein!
 Gott im Himmel! nein! vergieb diesen Quälern
  Laß mich sterben - oder tragen
   Diese Leiden - mein Gott.
StA, Band 1, Seite 26.

 

An meine Freundinnen

Mädchen! die ihr mein Herz, die ihr mein Schiksaal kennt,
 Und das Auge, das oft Tränen im Thale weint
  In den Stunden des Elends -
   Diß mein traurendes Auge seht!

In der Stille der Nacht denket an euch mein Lied,
 Wo mein ewiger Gram jeglichen Stundenschlag
  Welcher näher mich bringt dem
   Trauten Grabe, mit Dank begrüßt.

Aber daß ich mein Herz redlich und treu, und rein
 Im Gewirre der Welt, unter den Lästerern
  Treu und rein es behielt, ist
   Himmelswonne dem Leidenden.

Mädchen! bleibet auch ihr redlich und rein und treu!
 Gute Seelen! Vieleicht wartet auf euch ein Loos,
  Das dem meinigen gleicht. Dann
   Stärkt im Leiden auch euch mein Trost.
StA, Band 1, Seite 27.

 

Mein Vorsaz

O Freunde! Freunde! die ihr so treu mich liebt!
 Was trübet meine einsame Blike so?
  Was zwingt mein armes Herz in diese
   Wolkenumnachtete Todtenstille?

Ich fliehe euren zärtlichen Händedruk,
 Den seelenvollen, seeligen Bruderkuß.
  O zürnt mir nicht, daß ich ihn fliehe!
   Schaut mir in's Innerste! Prüft und richtet! -

Ists heißer Durst nach Männervollkommenheit?
 Ists leises Geizen um Hekatombenlohn?
  Ists schwacher Schwung nach Pindars Flug? ists
   Kämpfendes Streben nach Klopstoksgröße?

Ach Freunde! welcher Winkel der Erde kan
 Mich deken, daß ich ewig in Nacht gehüllt
  Dort weine? Ich erreich' ihn nie den
   Weltenumeilenden Flug der Großen.

Doch nein! hinan den herrlichen Ehrenpfad!
 Hinan! hinan! im glühenden kühnen Traum
  Sie zu erreichen; muß ich einst auch
   Sterbend noch stammeln; vergeßt mich, Kinder!
StA, Band 1, Seite 28.

 

Auf einer Heide geschrieben

Wohl mir! daß ich den Schwarm der Thoren nimmer erblike,
Daß jezt unumwölkter der Blik zu den Lüften emporschaut,
Freier atmet die Brust, dann in den Mauren des Elends,
Und den Winkeln des Trugs. O! schöne, seelige Stunde!
Wie getrennte Geliebte nach langentbehrter Umarmung
In die Arme sich stürzen, so eilt' ich herauf auf die Haide,
Mir ein Fest zu bereiten auf meiner einsamen Haide.
Und ich habe sie wieder gefunden, die stille Freuden
Alle wieder gefunden, und meine schattigten Eichen
Stehn noch eben so königlich da, umdämmern die Haide
Noch in alten statlichen Reih'n die schattigten Eichen.
Jedesmal wandelt an meinen tausendjährigen Eichen
Mit entblößtem Haupt der Jäger vorüber, dann also
Heischet die ländliche Sage, denn unter den statlichen Reihen
Schlummern schon lange, gefallene Helden der eisernen Vorzeit.
Aber horch! was rauschet herauf im schwarzen Gebüsche?
Bleibe ferne! Störer des Sängers! - aber siehe,
Siehe! - wie herrlich! wie groß! ein hochgeweihetes Hirschheer
Wandelt langsam vorüber - hinab nach der Quelle des Thales. -
O! jezt kenn' ich mich wieder, der menschenhassende Trübsinn
Ist so ganz, so ganz aus meinem Herzen verschwunden.
Wär' ich doch ewig fern von diesen Mauren des Elends,
Diesen Mauren des Trugs! - Es blinken der Riesenpalläste
Schimmernde Dächer herauf, und die Spizen der alternden Türme
Wo so einzeln stehn die Buchen und Eichen; Es tönet
Dumpf vom Thale herauf das höfische Waagengerassel
Und der Huf der prangenden Rosse -- Höflinge! bleibet,
Bleibet immerhin in eurem Waagengerassel,
Bükt euch tief auf den Narrenbühnen der Riesenpalläste,
Bleibet immerhin! - Und ihr, ihr edlere, kommet!
Edle Greise und Männer, und edle Jünglinge, kommet!
Laßt uns Hütten baun - des ächten germanischen Mannsins
Und der Freundschaft Hütten auf meiner einsamen Haide.
StA, Band 1, Seite 29.

 

Die Unsterblichkeit der Seele

Da steh' ich auf dem Hügel, und schau' umher,
 Wie alles auflebt, alles empor sich dehnt,
  Und Hain und Flur, und Thal, und Hügel
   Jauchzet im herrlichen Morgenstrale.

O diese Nacht - da bebtet ihr, Schöpfungen!
 Da wekten nahe Donner die Schlummernde,
  Da schrekten im Gefilde grause
   Zakigte Blize die stille Schatten.

Jezt jauchzt die Erde, feiert im Perlenschmuk
 Den Sieg des Tages über das Graun der Nacht -
  Doch freut sich meine Seele schöner
   Denn sie besiegt der Vernichtung Grauen.

Denn - o ihr Himmel! Adams Geschlechte sinds,
 Die diese Erd' im niedrigen Schooße trägt -
  O betet an, Geschlechte Adams!
   Jauchzet mit Engeln, Geschlechte Adams!

O ihr seid schön, ihr herrliche Schöpfungen!
 Geschmükt mit Perlen blizet das Blumenfeld;
  Doch schöner ist des Menschen Seele,
   Wenn sie von euch sich zu Gott erhebet.

O, dich zu denken, die du aus Gottes Hand
 Erhaben über tausend Geschöpfe giengst,
  In deiner Klarheit dich zu denken,
   Wenn du zu Gott dich erhebst, o Seele!

Ha! diese Eiche - streket die stolze nicht
 Ihr Haupt empor, als stünde sie ewig so?
  Und drohte nicht Jehovas Donner,
   Niederzuschmettern die stolze Eiche?

Ha! diese Felsen - bliken die stolze nicht
 Hinab ins Thal, als blieben sie ewig so?
  Jahrhunderte - und an der Stelle
   Malmet der Wandrer zu Staub das Sandkorn.

Und meine Seele - wo ist dein Stachel, Todt?
 O beugt euch, Felsen! neiget euch ehrfurchtsvoll,
  Ihr stolze Eichen! - hörts und beugt euch!
   Ewig ist, ewig des Menschen Seele.

Mit grausem Zischen brauset der Sturm daher,
 Ich komme, spricht er, und das Gehölze kracht
  Und Türme wanken, Städte sinken,
   Länder zerschmettern, wenn ich ergrimme.

Doch - wandelt nicht in Schweigen der Winde Dräun?
 Macht nicht ein Tag die brausende atemlos?
  Ein Tag, ein Tag, an dem ein andrer
   Sturm der verwesten Gebeine sammelt.

Zum Himmel schäumt und wooget der Ozean
 In seinem Grimm, der Sonnen und Monde Heer
  Herab aus ihren Höh'n die stolze
   Niederzureißen in seine Tiefen.

Was bist du Erde? hadert der Ozean,
 Was bist du? strek' ich nicht, wie die Fittige
  Aufs Reh der Adler, meine Arme
   Über die Schwächliche aus? - Was bist du,

Wenn nicht zur Sonne seegnend mein Hauch sich hebt,
 Zu tränken dich mit Reegen und Morgenthau?
  Und wann er sich erhebt zu nahn in
   Mitternachtswolken, zu nah'n mit Donnern;

Ha! bebst du nicht, gebrechliche? bebst du nicht? -
 Und doch! vor jenem Tage verkriechet sich
  Das Meer, und seiner Woogen keine
   Tönt in die Jubel der Auferstehung.

Wie herrlich, Sonne! wandelst du nicht daher!
 Dein Kommen und dein Scheiden ist Wiederschein
  Vom Tron des Ewigen; wie götlich
   Blikst du herab auf die Menschenkinder.

Der Wilde gaft mit zitternden Wimpern dich
 O Heldin an, von heiligen Ahndungen
  Durchbebt, verhüllt er schnell sein Haupt und
   Nennet dich Gott, und erbaut dir Tempel.

Und doch, o Sonne! endet dereinst dein Lauf,
 Verlischt an jenem Tage dein hehres Licht.
  Doch wirbelt sie an jenem Tage
   Rauchend die Himmel hindurch, und schmettert.

O du Entzüken meiner Unsterblichkeit!
 O kehre du Entzüken! du stärkest mich!
  Daß ich nicht sinke, in dem Graun der
   Großen Vernichtungen nicht versinke.

Wenn all diß anhebt - fühle dich ganz, o Mensch!
 Da wirst du jauchzen, wo ist dein Stachel, Todt?
  Dann ewig ist sie - tönt es nach ihr
   Harfen des Himmels, des Menschen Seele.

O Seele! jezt schon bist du so wundervoll!
 Wer denkt dich aus? daß wann du zu Gott dich nahst
  Erhabne, mir im Auge blinket
   Deine Erhabenheit - daß du, Seele!

Wann auf die Flur das irrdische Auge blikt,
 So süß, so himmlisch dann dich in mir erhebst -
  Wer sah, was Geist an Körper bindt, wer
   Lauschte die Sprache der Seele mit den

Verwesungen? - O Seele schon jezt bist du
 So groß, so himmlisch, wann du von Erdentand
  Und Menschendruk entlediget in
   Großen Momenten zu deinem Urstof

Empor dich schwingst. Wie Schimmer Eloas Haupt
 Umschwebt der Umkreis deiner Gedanken dich
  Wie Edens goldne Ströme, reihen
   Deine Betrachtungen sich zusammen.

Und o! wie wirds einst werden, wann Erdentand
 Und Menschendruk auf ewig verschwunden ist,
  Wann ich an Gottes - Gottes Trone
   Bin, und die Klarheit des Höchsten schaue.

Und weg ihr Zweifel! quälendes Seelengift!
 Hinweg! der Seele Jubel ist Ewigkeit! -
  Und ist ers nicht, so mag noch heute
   Todt und Verderben des Lebens große

Geseze niedertrümmern; so mag der Sohn
 In seinem Elend Vater und Mutterherz
  Durchbohren; mag ums Brodt die Armuth
   Tempel bestehlen; so mag das Mitlaid

Zu Tigern fliehn, zu Schlangen Gerechtigkeit,
 Und Kannibalenrache des Kindes Brust
  Entflammen, und Banditentrug im
   Himmelsgewande der Unschuld wohnen.

Doch nein! der Seele Jubel ist Ewigkeit!
 Jehova sprachs! ihr Jubel ist Ewigkeit!
  Sein Wort ist ewig, wie sein Nahme,
   Ewig ist, ewig des Menschen Seele.

So singt ihr nach, ihr Menschengeschlechte! nach
 Myriaden Seelen singet den Jubel nach -
  Ich glaube meinem Gott, und schau' in
   Himmelsentzükungen meine Größe.
StA, Band 1, Seite 31.

 

Der Lorbeer

Dank dir! aus dem schnadernden Gedränge
Nahmst du mich, Vertraute! Einsamkeit!
Daß ich glühend von dem Lorbeer singe,
Dem so einzig sich mein Herz geweiht.

Euch zu folgen, Große! - Werd ichs können?
Wirds einst stärker, eures Jünglings Lied?
Soll ich in die Bahn, zum Ziel zu rennen,
Dem diß Auge so entgegenglüht?

Wann ein Klopstok in des Tempels Halle
Seinem Gott das Flammenopfer bringt
Und in seiner Psalmen Jubelschalle
Himmelan sich seine Seele schwingt -

Wann mein Yung in dunkeln Einsamkeiten
Rings versammelnd seine Todte wacht,
Himmlischer zu stimmen seine Saiten
Für Begeistrungen der Mitternacht --

Ha! der Wonne! ferne nur zu stehen
Lauschend ihres Liedes Flammenguß,
Ihres Geistes Schöpfungen zu sehen
Warlich! es ist Himmelsvorgenuß.

Nein! ich wolte nichts auf dieser Erden!
Dulden all' der Welt Verfolgungen
Jedes Drangsaal, jegliche Beschwerden,
All des Neiders bittre Schmähungen --

Lieber Gott! wie oft ich schwacher dachte,
Wie ichs tröstete das arme Herz
Wenn ich Nächte kummervoll durchwachte,
O so oft, so oft in meinem Schmerz,

Wann der Stolz verächtlich niederschaute,
Wann der Eitle meiner spottete,
Dem vor meinen Sittensprüchen graute,
Wenn oft selbst - mich floh - der Edlere;

O vieleicht, daß diese Bitterkeiten -
Dacht' ich - stärker bilden deinen Geist!
Daß die Stille höher deine Saiten
Stimmt, zu mänlichem Gesang dich reißt!

Aber still! Die goldne Bubenträume
Hört in ihrer Nacht die Zukunft nicht -
Schon so manche Früchte schöner Keime
Logen grausam mir ins Angesicht.
StA, Band 1, Seite 36.

 

Die Ehrsucht

Groser Nahme! - Millionenherzen
Lokt ins Elend der Sirenenton
Tausend Schwächen wimmern, tausend Schmerzen
Um der Ehrsucht eitlen Flittertron.

Seine schwarze, blutbeflekte Hände
Dünken dem Erobrer götlichschön -
Schwache morden scheint ihm keine Sünde,
Und er jauchzt auf seine Trümmer hin.

Um wie Könige zu pralen, schänden
Kleinre Wütriche ihr armes Land;
Und um feile Ordensbänder wenden
Räthe sich das Ruder aus der Hand.

Pfaffen spiegeln um Apostelehre
Ihren Narren schwarze Wunder vor
Um Mariasehre krächzen Nonnenchöre
Wahnsinn zum Marienbild empor.

Graue Sünder donnern, ihre Blöße
Wegzudonnern, rauh die Unschuld an;
Gott zu leugnen hält so oft für Größe,
Hält für Größe noch so oft - ein Mann.

Göttin in des Buben Mund zu heißen,
Giebt das Mädchen ihren Reiz zum Sold;
Mitzurasen in Verführerkraisen,
Wird der Bube früh ein Trunkenbold.

Doch es sträubet sich des Jünglings Rechte,
Länger sing' ich von den Thoren nicht.
Wisse! schwaches, niedriges Geschlechte!
Nahe steht der Narr am Bösewicht.
StA, Band 1, Seite 38.

 

Die Demuth

Hört, größre, edlere der Schwabensöhne!
Die ihr vor keinem Dominiksgesicht
Euch krümmet, welchen keine Dirnenträne
Das winzige, geschwächte Herzchen bricht.

Hört, größre, edlere der Schwabensöhne!
In welchen noch das Kleinod Freiheit pocht,
Die ihr euch keines reichen Ahnherrn Miene,
Und keiner Fürstenlaune unterjocht.

Geschlecht von oben! Vaterlandeskronen!
Nur euch bewahre Gott vor Übermuth!
O! Brüder! der Gedanke soll uns lohnen,
In Hermann braußte kein Despotenblut.

Beweinenswürdig ist des Stolzen Ende
Wann er die Grube seiner Größe gräbt,
Doch fürchterlich sind seine Henkershände,
Wann er sich glüklich über andre hebt.

Viel sind und schön des stillen Mannes Freuden,
Und stürmten auch auf ihn der Leiden viel,
Er blikt gen Himmel unter seinen Leiden,
Beneidet nie des Lachers Possenspiel.

Sein feurigster, sein erster Wunsch auf Erden
Ist allen, allen Menschen nüzlich sein,
Und wann sie froh durch seine Thaten werden,
Dann will der edle ihres Danks sich freun.

O! Demuth! laß uns all dich lieben,
Du bists, die uns zu einem Bund vereint,
In welchem gute Herzen nie sich trüben,
In welchem nie bedrängte Unschuld weint.

Drum größre, edlere der Schwabensöhne
Laßt Demuth, Demuth euer erstes sein,
Wie sehr das Herz nach Außenglanz sich sehne,
Laßt Demuth, Demuth euer erstes sein.

Vor allen, welchen Gott ein Herz gegeben
Das groß und königlich, und feurig ist
Die in Gefahren nur vor Freude beben,
Für Tugend selbst auf einem Blutgerüst,

Vor allen, allen, solche Schwabensöhne
O solche, Demuth, solche führe du
Aus jeder bäurischstolzen Narrenbühne
Den stillen Reihen jenes Bundes zu.
StA, Band 1, Seite 40.

 

Die Stille

Die du schon mein Knabenherz entzüktest,
Welcher schon die Knabenträne floß,
Die du früh dem Lärm der Thoren mich entrüktest,
Besser mich zu bilden, nahmst in Mutterschoos,

Dein, du Sanfte! Freundin aller Lieben!
Dein, du Immertreue! sei mein Lied!
Treu bist du in Sturm und Sonnenschein geblieben,
Bleibst mir treu, wenn einst mich alles, alles flieht.

Jene Ruhe - jene Himmelswonne -
O ich wußte nicht, wie mir geschah,
Wann so oft in stiller Pracht die Abendsonne
Durch den dunklen Wald zu mir heruntersah -

Du, o du nur hattest ausgegossen
Jene Ruhe in des Knaben Sinn,
Jene Himmelswonne ist aus dir geflossen,
Hehre Stille! holde Freudengeberin!

Dein war sie, die Träne, die im Haine
Auf den abgepflükten Erdbeerstraus
Mir entfiel - mit dir ging ich im Mondenscheine
Dann zurük ins liebe elterliche Haus.

Fernher sah ich schon die Kerzen flimmern,
Schon wars Suppenzeit - ich eilte nicht!
Spähte stillen Lächelns nach des Kirchhofs Wimmern
Nach dem dreigefüßten Roß am Hochgericht.

War ich endlich staubigt angekommen;
Theilt ich erst den welken Erdbeerstraus,
Rühmend, wie mit saurer Müh ich ihn bekommen,
Unter meine dankende Geschwister aus;

Nahm dann eilig, was vom Abendessen
An Kartoffeln mir noch übrig war,
Schlich mich in der Stille, wann ich satt gegessen,
Weg von meinem lustigen Geschwisterpaar.

O! in meines kleinen Stübchens Stille
War mir dann so über alles wohl,
Wie im Tempel, war mirs in der Nächte Hülle,
Wann so einsam von dem Thurm die Gloke scholl.

Alles schwieg, und schlief, ich wacht' alleine;
Endlich wiegte mich die Stille ein,
Und von meinem dunklen Erdbeerhaine
Träumt' ich, und vom Gang im stillen Mondenschein.

Als ich weggerissen von den Meinen
Aus dem lieben elterlichen Haus
Unter Fremde irrte, wo ich nimmer weinen
Durfte, in das bunte Weltgewirr' hinaus;

O wie pflegtest du den armen Jungen,
Teure, so mit Mutterzärtlichkeit,
Wann er sich im Weltgewirre müdgerungen,
In der lieben, wehmutsvollen Einsamkeit.

Als mir nach dem wärmern, vollern Herzen
Feuriger izt stürzte Jünglingsblut;
O! wie schweigtest du oft ungestümme Schmerzen,
Stärktest du den schwachen oft mit neuem Muth.

Jezt belausch' ich oft in deiner Hütte
Meinen Schlachtenstürmer Ossian,
Schwebe oft in schimmernder Seraphen Mitte
Mit dem Sänger Gottes, Klopstok, himmelan.

Gott! und wann durch stille Schattenheken
Mir mein Mädchen in die Arme fliegt,
Und die Hasel, ihre Liebenden zu deken,
Sorglich ihre grüne Zweige um uns schmiegt -

Wann im ganzen seegensvollen Thale
Alles dann so stille, stille ist,
Und die Freudenträne, hell im Abendstrale
Schweigend mir mein Mädchen von der Wange wischt -

Oder wann in friedlichen Gefilden
Mir mein Herzensfreund zur Seite geht,
Und mich ganz dem edlen Jüngling nachzubilden
Einzig vor der Seele der Gedanken steht -

Und wir bei den kleinen Kümmernissen
Uns so sorglich in die Augen sehn,
Wann so sparsam öfters, und so abgerissen
Uns die Worte von der ernsten Lippe gehn.

Schön, o schön sind sie! die stille Freuden,
Die der Thoren wilder Lärm nicht kennt,
Schöner noch die stille gottergebne Leiden,
Wann die fromme Träne von dem Auge rinnt.

Drum, wenn Stürme einst den Mann umgeben,
Nimmer ihn der Jugendsinn belebt,
Schwarze Unglükswolken drohend ihn umschweben,
Ihm die Sorge Furchen in die Stirne gräbt;

O so reiße ihn aus dem Getümmel,
Hülle ihn in deine Schatten ein,
O! in deinen Schatten, Teure! wohnt der Himmel
Ruhig wirds bei ihnen unter Stürmen sein.

Und wann einst nach tausend trüben Stunden
Sich mein graues Haupt zur Erde neigt,
Und das Herz sich mattgekämpft an tausend Wunden
Und des Lebens Last den schwachen Naken beugt:

O so leite mich mit deinem Stabe -
Harren will ich auf ihn hingebeugt,
Biß in dem willkommnen, ruhevollen Grabe
Aller Sturm, und aller Lärm der Thoren schweigt.
StA, Band 1, Seite 42.

 

Schwärmerei

Freunde! Freunde! wenn er heute käme
Heute mich aus unserm Bunde nähme
Jener lezte große Augenblik -
Wann der frohe Puls so plözlich stünde
Und verworren Freundesstimme tönte,
Und, ein Nebel, mich umschwebte, Erdenglük.

Ha! so plözlich lebewohl zu sagen
All den lieben schöndurchlebten Tagen -
Doch - ich glaube - nein! ich bebte nicht!
»Freunde! spräch' ich, dort auf jenen Höhen
»Werden wir uns alle wiedersehen,
»Freunde! wo ein schönrer Tag die Wolken bricht.

»Aber Stella! fern ist deine Hütte,
»Nahe rauschen schon des Würgers Tritte -
»Stella! meine Stella! weine nicht!
»Nur noch einmal möcht' ich sie umarmen,
»Sterben dann in meiner Stella Armen,
»Eile, Stella! eile, eh' das Auge bricht.

»Aber ferne, ferne deine Hütte
»Nahe rauschen schon des Würgers Tritte -
»Freunde! bringet meine Lieder ihr.
»Lieber Gott! ein großer Mann zu werden
»War oft mein Wunsch, mein Traum auf Erden
»Aber - Brüder - größre Rollen winken mir.

»Traurt ihr, Brüder! daß so weggeschwunden
»All' der Zukunft schöngeträumte Stunden
»Alle, alle meine Hofnungen!
»Daß die Erde meinen Leichnam deket
»Eh' ich mir ein Denkmal aufgesteket
»Und der Enkel nimmer denkt des Schlummernden.

»Daß er kalt an meinem Leichensteine
»Stehet, und des modernden Gebeine
»Keines Jünglings stiller Seegen grüßt,
»Daß auf meines Grabes Rosenheken
»Auf den Liljen, die den Moder deken
»Keines Mädchens herzergoßne Träne fließt.

»Daß von Männern, die vorüberwallen,
»Nicht die Worte in die Gruft erschallen,
»Jüngling! du entschlummertest zu früh!
»Daß den Kleinen keine Silbergreise
»Sagen an dem Ziel der Lebensreise,
»Kinder! mein und jenes Grab vergesset nie!

»Daß sie mir so grausam weggeschwunden,
»All der Zukunft langersehnte Stunden
»All der frohen Hofnung Seeligkeit,
»Daß die schönste Träume dieser Erden
»Hin sind, ewig niemals wahr zu werden,
»Hin die Träume von Unsterblichkeit.

»Aber weg! in diesem todten Herzen
»Bluten meiner armen Stella Schmerzen,
»Folge! folge mir, Verlassene!
»Wie du starr an meinem Grabe stehest
»Und um Tod, um Tod zum Himmel flehest!
»Stella! komm! es harret dein der Schlummernde.

»O an deiner Seite! o so ende,
»Jammerstand! vieleicht, daß unsre Hände
»Die Verwesung ineinander legt!
»Da wo keine schwarze Neider spähen
»Da wo keine Splitterrichter schmähen
»Träumen wir vieleicht, bis die Posaun' uns wekt.

»Sprechen wird an unserm Leichensteine
»Dann der Jüngling - schlummernde Gebeine!
»Liebe Todte! schön war euer Loos!
»Hand in Hand entfloht ihr eurem Kummer,
»Heilig ist der langverfolgten Schlummer
»In der kühlen Erde mütterlichem Schoos.

»Und mit Liljen und mit Rosenheken
»Wird das Mädchen unsern Hügel deken,
»Ahndungsvoll an unsern Gräbern stehn,
»Zu den Schlummernden hinab sich denken,
»Mit gefaltnen Händen niedersinken,
»Und um dieser Todten Loos zum Himmel flehn.

»Und von Vätern, die vorüberwallen
»Wird der Seegen über uns erschallen -
»Ruhet wohl! ihr seid der Ruhe werth!
»Gott! wie mags im Tod den Vätern bangen,
»Die ein Kind in Quälerhände zwangen,
»Ruhet wohl! ihr habt uns Zärtlichkeit gelehrt.
StA, Band 1, Seite 46.

 

Der Kampf der Leidenschaft

Ras' ich ewig? noch nicht ausgestritten
Ist der heiße Streit der Leidenschaft?
Hab' ich armer nicht genug gelitten?
Sie ist hin - ist hin - des Kämpfers Kraft.
Engelsauge! immer um mich schweben -
O warum? warum? du liebe Grausame!
Schone! schone! sieh! diß schwache Beben!
Weibertränen weint der Überwundene.

Weibertränen weinen? Weibertränen?
Wirklich? wein' ich wirklich, Zauberin?
Und diß Klopfen, dieses bange Sehnen
Ists um Luzias Umarmungen?
Nein! ich kann nicht! will nicht! diese Tränen
Stieß der Zorn ins Auge, sie vergoß der Grim;
O! mich schmelzen keine Mädchenmienen,
Nur der Freiheit braußte dieses Ungestümm.

Aber wie? dein Stolz hat sich betrogen,
Siehe! Lügen straft die Liebe mich;
Männergröße hat dein Herz gelogen,
Und im schwachen Kampf verkennst du dich.
Stolz verschmähst du alle Mädchenherzen,
Weil dir Luzia ihr großes Herz nicht giebt,
Kindisch heuchelst du verbißne Schmerzen
Armer Heuchler! weil dich Luzia nicht liebt.

Weh! sie kan, sie kan mich nimmer lieben,
Mir geraubt durch ein tyrannisch Joch,
Nur die Wunde noch ist mir geblieben,
Fühlst dus? Fühlst dus? Weib! die Wunde noch.
Ha! ein Abgrund droht vor meinen Sinnen -
Laß mich! laß mich! todesvolle Leidenschaft!
Höllenflamme? wilt du ewig brennen?
Schone! schone! sie ist hin, des Kämpfers Kraft.
StA, Band 1, Seite 49.

 

Hero

Lange schlummern ruhig all' die Meinen
Stille atmet durch die Mitternacht;
Auf dann! Hero! auf und laß das Weinen!
Dank euch, Götter! Heros Muth erwacht.
Fort ans Meer! ans Meer! es schäume die Welle,
Brause der Sturm mir nimmer ins Angesicht!
Fort ans Meer! ohn' ihn ist alles Hölle -
Liebe ängstet mich arme - Sturm und Welle nicht.

Ruhig will ich da hinüberlauschen
Wo sein Hütgen über Felsen hängt,
Rufen will ichs in der Wooge Rauschen,
Wie sein Zaudern seine Hero kränkt.
Ha! da wird er sich mutig von seinem Gestade
Stürzen, Posidaons Kraft ihm Liebe verleihn,
Lieb' ihn leiten des Meeres furchtbare Pfade,
Götter! wie wird - wie wird uns wieder sein?
               (sie komt ans Meer)

Aber Himmel! - wie hoch die Woogen schäumen!
So hätt' ich den Sturm mir nicht gedacht.
Weh! wie sie dräuend gegen mein Ufer sich bäumen!
Stärkt mich, Götter, in dieser ernsten Nacht! -
Nein! mir banget nicht um Tod und Leben -
Todt und Leben, wie das Schiksaal will!
Liebe besieget die Schreken, die um mich schweben
Schlangengezisch, und Skorpionen, und Löwengebrüll.

Jüngling! sieben solche Schrekennächte
Harr' ich deiner, zager Jüngling, schon,
Wenn mein Jüngling meiner Angst gedächte,
O! er spräch' Orkanen und Woogen Hohn.
Oder hätt' er den furchtbaren Eid gebrochen,
Spottet er meiner im Arm der Bulerinn -
Ha! so bin ich so leicht, so schön gerochen,
Leicht und schön gerochen - ich sterbe hier um ihn.

Aber weg von mir! du Donnergedanke!
Weg, das flüsterte mir die Hölle zu,
Daß mein Jüngling, mein Leander wanke,
Nein! Geliebter! bleibe, bleibe du!
Wann ich dich in diesen Woogen dächte,
Deinen Pfad so schröklich ungewiß,
Nein! ich will einsam durchirren die Schrekennächte,
Dein zu harren, Geliebter, ist ja schon so süß.

Aber horch! - o Himmel! - diese Töne -
Warlich! es waren des Sturmes Töne nicht -
Bist dus? - oder spielt die Narrenscene
Täuschend mit mir ein grausames Traumgesicht?
Götter! da ruft es ja wieder Hero! herüber,
Flüstert ja wieder die Stimme der Liebe mir her -
Auf! zu ihm, zu ihm in die Woogen hinüber,
Wenn er ermattete - auf dem Geliebten entgegen ins Meer.

Sieh! wie im Tanze, stürz ich zu dir vom Gestade,
Liebe soll mir Posidaons Kraft verleihn,
Liebe mich leiten des Meeres furchtbare Pfade -
Götter! Götter! wie wird uns wieder sein!
Kämpfend über den Woogen will ich ihn drüken,
Drüken an Brust und Lippe mit Todesgefahr,
Ha! und sink' ich, so träumet mein Entzüken
Noch im Abgrund fort, wie schön die Stunde war.

Aber Götter! was seh' ich? meinem Gestade
Schon so nahe? - Gesiegt! mein Held hat gesiegt!
Siehe! er schwebet verachtend die furchtbare Pfade
Mutig einher vom Meere gefällig gewiegt.
(freudig) Ha! er soll mich suchen - da will ich lauschen
Hinter diesem Felsen - (leise) Götter! wie schön!
Wie die weise Arme durch die Welle rauschen
Ach! so sehnend, so strebend nach Heros Ufer hin.

Aber Grauen des Orkus! Sterbegewimmer!
Grauen des Orkus! dort dem Felsen zu!
Wie? - so kenn ich diese Todentrümmer!
Wehe! wehe also siegtest du? -
Aber weg! ihr höllische Schrekengesichte!
Täuschende Furien! weg! er ist es nicht!
So zerschmettern nicht der Götter Gerichte -
    (sie hält ihre Leuchte über den Todten hin)
Aber dieses Lächeln auf dem Todengesicht -

Kenst dus? Hero! kenst dus? - Nimmer, nimmer
Spricht das tode Lächeln Liebe dir - (sie weint heftig)
Engelsauge! so ist erloschen dein Schimmer -
Bliktest einst so heiße Liebe mir.
Jüngling! erweken dich nicht der Geliebten Tränen?
Nicht die blutige Umarmungen?
Jüngling! Jüngling! diese Todesmienen -
Wehe! sie töden mich! wehe! diese Zukungen.

Und er dacht in seiner Todesstunde,
In der Kämpfe furchtbarstem noch dein -
Hero! stammelt' er noch mit sterbendem Munde -
Und so schröklich muß sein Ende sein?
Ha! und diese Liebe überleben -
Ohne diesen Toden in der Welt -
Weg! vor dem wird Hero nicht erbeben,
Der zu diesem Toden die Einsame geselt.

Wenig kurze schrökende Sekunden -
Und du sinkst an deines Jünglings Brust,
Und du hast ihn auf ewig wiedergefunden
Ewig umlächelt von hoher Elisiumslust --
            (Pause)
Ha! ich habe gesiegt! an des Orkus Pforte
Anzuklopfen - nein! ich bin nicht zu schwach!
Hero! Hero! rief er, Götterworte!
Stärkt mich! stärkt durchs dunkle mich! ich folge nach.
StA, Band 1, Seite 51.

 

Die Tek

Ah! so hab' ich noch die Traubenhügel erstiegen
Ehe der leuchtende Stral an der güldenen Ferne hinabsinkt.
Und wie wohl ist mir! Ich strek' im stolzen Gefühle -
Als umschlänge mein Arm das Unendliche - auf zu den Wolken
Meine gefaltete Hände, zu danken im edlen Gefühle
Daß er ein Herz mir gab, dem Schaffer der edlen Gefühle.
Mich mit den frohen zu freuen, zu schauen den herbstlichen Jubel,
Wie sie die köstliche Traube mit heiterstaunendem Blike
Über sich halten, und lange noch zaudern, die glänzende Beere
In des Kelterers Hände zu geben - wie der gerührte
Silberlokigte Greis an der abgeerndteten Rebe
Königlich froh zum herbstlichen Mahle sich sezt mit den Kleinen
O! und zu ihnen spricht aus der Fülle des dankenden Herzens
Kinder! am Seegen des Herrn ist alles, alles gelegen --
Mich mit den frohen zu freuen, zu schauen den herbstlichen Jubel
War ich herauf von den Hütten der gastlichen Freundschaft gegangen.
Aber siehe! allmächtig reißen mich hin in ernste Bewundrung
Gegenüber die waldigte Riesengebirge. - Laß mich vergessen
Laß mich deine Lust, du falbigte Rebe, vergessen,
Daß ich mit voller Seele sie schaue die Riesengebirge!
Ha! wie jenes so königlich über die Brüder emporragt!
Tek ist sein Nahme. Da klangen einst Harnische, Schwerder ertönten
Zwischen den moosigten Mauren der Fürsten und blinkende Helme.
Eisern waren und groß und bieder seine Bewohner.
Mit dem kommenden Tag stand über den moosigten Mauren
In der ehernen Rüstung der Fürst, sein Gebirge zu schauen.
Mein diß Riesengebirge - so stolz - so königlich herrlich -?
Sprach er mit ernsterer Stirne, mit hohem, denkendem Auge -
Mein die trozende Felsen? die tausendjährige Eichen?
Ha! und ich? - und ich? - bald wäre mein Harnisch gerostet
O! der Schande! mein Harnisch gerostet in diesem Gebirge.
Aber ich schwör' - ich schwör', ich meide mein Riesengebirge,
Fliehe mein Weib, verlasse das blaue redliche Auge,
Biß ich dreimal gesiegt im Kampfe des Bluts und der Ehre.
Trage mich mein Roß zu deutscher statlicher Fehde
Oder wider der Christenfeinde wütende Säbel -
Biß ich dreimal gesiegt, verlass' ich das stolze Gebirge.
Unerträglich! stärker als ich, die trozende Felsen,
Ewiger, als mein Nahme, die tausendjährige Eichen!
Biß ich dreimal gesiegt, verlass' ich das stolze Gebirge.
Und er gieng und schlug, der feurige Fürst des Gebirges.
Ja! so erheben die Seele, so reißen sie hin in Bewundrung
Diese felsigte Mitternachtswälder, so allerschütternd
Ist sie, die Stunde, da ganz es fühlen, dem Herzen vergönnt ist. -
Bringet ihn her, den frechen Spötter der heilsamen Wahrheit,
O! und kommet die Stunde, wie wird er staunen, und sprechen:
Warlich! ein Gott, ein Gott hat dieses Gebirge geschaffen.
Bringet sie her, des Auslands häßlich gekünstelte Affen
Bringet sie her, die hirnlos hüpfende Puppen, zu schauen
Dieses Riesengebirge so einfach schön, so erhaben;
O und kommet die Stunde, wie werden die Knaben erröten,
Daß sie Gottes herrlichstes Werk so elend verzerren. -
Bringet sie her der deutschen Biedersitte Verächter,
Übernachtet mit ihnen, wo Moder und Disteln die graue
Trümmer der fürstlichen Mauern, der stolzen Pforten bedeken,
Wo der Eule Geheul, und des Uhus Todtengewimmer
Ihnen entgegenruft aus schwarzen, sumpfigten Höhlen.
Wehe! wehe! so flüstern im Sturme die Geister der Vorzeit
Ausgetilget aus Suevia redliche biedere Sitte!
Ritterwort, und Rittergrus, und traulicher Handschlag! -
Laßt euch mahnen, Suevias Söhne! Die Trümmer der Vorzeit!
Laßt sie euch mahnen! Einst standen sie hoch, die gefallene Trümmer,
Aber ausgetilget ward der trauliche Handschlag,
Ausgetilget das eiserne Wort, da sanken sie gerne,
Gerne hin in den Staub, zu beweinen Suevias Söhne.
Laßt sie euch mahnen, Suevias Söhne! die Trümmer der Vorzeit!
Beben werden sie dann der Biedersitte Verächter,
Und noch lange sie seufzen, die fallverkündende Worte -
Ausgetilget aus Suevia redliche biedere Sitte!
Aber nein! nicht ausgetilget ist biedere Sitte
Nicht ganz ausgetilget aus Suevias friedlichen Landen --
O mein Thal! mein Tekbenachbartes Thal! - ich verlasse
Mein Gebirge, zu schauen im Tale die Hütten der Freundschaft.
Wie sie von Linden umkränzt bescheiden die rauchende Dächer
Aus den Fluren erheben, die Hütten der biederen Freundschaft.
O ihr, die ihr fern und nahe mich liebet, Geliebte!
Wär't ihr um mich, ich drükte so warm euch die Hände, Geliebte!
Jezt, o! jezt über all' den Lieblichkeiten des Abends.
Schellend kehren zurük von schattigten Triften die Heerden,
Und fürs dritte Gras der Wiesen, im Herbste noch fruchtbar,
Schneidend geklopfet ertönt des Mähers blinkende Sense.
Traulich summen benachbarte Abendgloken zusammen,
Und es spielet der fröliche Junge dem lauschenden Mädchen
Zwischen den Lippen mit Birnbaumblättern ein scherzendes Liedchen.
Hütten der Freundschaft, der Seegen des Herrn sei über euch allen!
Aber indessen hat mein hehres Riesengebirge
Sein gepriesenes Haupt in nächtliche Nebel verhüllet,
Und ich kehre zurük in die Hütten der biederen Freundschaft.
StA, Band 1, Seite 55.

 

Am Tage der Freundschaftsfeier

  Ihr Freunde! mein Wunsch ist Helden zu singen,
Meiner Harfe erster Laut,
Glaubt es, ihr Freunde!
Durchschleich' ich schon so stille mein Tal,
Flammt schon mein Auge nicht feuriger,
Meiner Harfe erster Laut
War Kriegergeschrei und Schlachtengetümmel.

  Ich sah, Brüder! ich sah
Im Schlachtengetümmel das Roß
Auf röchelnden Leichnamen stolpern,
Und zuken am sprudelnden Rumpf
Den grausen gespaltenen Schädel,
Und blizen und treffen das rauchende Schwerd,
Und dampfen und schmettern die Donnergeschüze,
Und Reuter hin auf Lanzen gebeugt
Mit grimmiger Miene Reuter sich stürzen
Und unbeweglich, wie eherne Mauren
Mit furchtbarer Stille
Und Todverhöhnender Ruhe
Den Reutern entgegen sich streken die Lanzen.

  Ich sah, Brüder! ich sah
Des kriegrischen Suezias eiserne Söhne
Geschlagen von Pultawas wütender Schlacht.
Kein wehe! sprachen die Krieger,
Von den blutiggebißnen Lippen
Ertönte kein Lebewohl -
Verstummet standen sie da
In wilder Verzweiflung da
Und blikten es an das rauchende Schwerd
Und schwangen es höher das rauchende Schwerd,
Und zielten - und zielten -
Und stießen es sich bitterlächelnd
In die wilde braußende Brust.

  Noch vieles will ich sehen,
Ha! vieles noch! vieles noch!
Noch sehen Gustavs Schwerdschlag
Noch sehen Eugenius Siegerfaust.

  Doch möcht ich, Brüder! zuvor
In euren Armen ausruh'n,
Dann schweb' ich wieder mutiger auf,
Zu sehen Gustavs Schwerdschlag,
Zu sehen Eugenius Siegerfaust.

  Willkommen, du! -
Und du! - Wilkommen!
Wir drei sinds?
Nun! so schließet die Halle.
Ihr staunt, mit Rosen bestreut
Die Tische zu sehen, und Weirauch
Am Fenster dampfend,
Und meine Laren -
Den Schatten meiner Stella,
Und Klopstoks Bild und Wielands, -
Mit Blumen umhängt zu sehen.

  Ich wolt' in meiner Halle Chöre versammeln
Von singenden rosichten Mädchen
Und kränzetragenden blühenden Knaben,
Und euch empfangen mit Saitenspiel,
Und Flötenklang, und Hörnern, und Hoboen.

  Doch - schwur ich nicht, ihr Freunde
Am Mahle bei unsers Fürsten Fest,
Nur Einen Tag mit Saitenspiel
Und Flötenklang, und Hörnern und Hoboen,
Mit Chören von singenden rosichten Mädchen,
Und kränzetragenden blühenden Knaben
Nur einen Tag zu feiren?

  Den Tag, an dem ein Weiser
Und biedere Jünglinge,
Und deutsche Mädchen
Zu meiner Harfe sprächen,
Du tönst uns Harfe lieblich ins Ohr,
Und hauchst uns Edelmuth,
Und hauchst uns Sanftmuth in die Seele.

  Aber heute, Brüder!
O, kommt in meine Arme!
Wir feiern das Fest
Der Freundschaft heute.

  Als jüngst zum erstenmal wieder
Der Mäher des Morgens die Wiese
Entkleidete, und der Heugeruch
Jezt wieder zum erstenmal
Durchdüftete mein Tal:

  Da war es Brüder!
O da war es!
Da schlossen wir unsern Bund
Den schönen, seeligen, ewigen Bund.

  Ihr hörtet so oft mich sprechen,
Wie lang' es mir werde
Bei diesem Geschlechte zu wohnen,
Ihr sahet den Lebensmüden
In den Stunden seiner Klage so oft.

  Da stürmt' ich hinaus in den Sturm
Da sah' ich aus der vorüberjagenden Wolke
Die Helden der eisernen Tage herunterschau'n.
Da rief' ich den Nahmen der Helden
In des hohlen Felsen finstres Geklüft,
Und siehe! der Helden Nahmen
Rief ernster mir zurük
Des hohlen Felsen finstres Geklüft.

  Da stolpert' ich hin auf dornigten Trümmern
Und drang durchs Schlehengebüsch in den alternden Turm
Und lehnte mich hin an die schwärzliche Wände
Und sprach mit schwärmendem Auge an ihm hinauf:

  Ihr Reste der Vorzeit!
Euch hat ein nervigter Arm gebaut,
Sonst hätte der Sturm die Wände gespalten
Der Winter den moosigten Wipfel gebeugt;
Da solten Greise um sich
Die Knaben und Mädchen versammlen
Und küssen die moosigte Schwelle,
Und sprechen - seid wie eure Väter!
Aber an euren steinernen Wänden
Rauschet dorrendes Gras herab,
In euren Wölbungen hangt
Zerrißnes Spinnengewebe -
Warum, ihr Reste der Vorzeit
Den Fäusten des Sturmes trozen, den Zähnen des Winters.

  O Brüder! Brüder!
Da weinte der Schwärmer blutige Tränen,
Auf die Disteln des Turmes,
Daß er vieleicht noch lange
Verweilen müsse unter diesem Geschlechte,
Da sah' er all' die Schande
Der weichlichen Teutonssöhne,
Und fluchte dem verderblichen Ausland,
Und fluchte den verdorbnen Affen des Auslands,
Und weinte blutige Tränen,
Daß er vieleicht noch lange
Verweilen müsse unter diesem Geschlechte.

  Doch siehe es kam
Der seelige Tag -
O Brüder in meine Arme! -
O Brüder, da schlossen wir unsern Bund,
Den schönen, seeligen, ewigen Bund.

  Da fand ich Herzen, -
Brüder in meine Arme! -
Da fand ich eure Herzen.

  Jezt wohn' ich gerne
Unter diesem Geschlechte,
Jezt werde der Thoren
Immer mehr! immer mehr!
Ich habe eure Herzen.

  Und nun - ich dachte bei mir
An jenem Tage,
Wann zum erstenmal wieder
Des Schnitters Sichel
Durch die goldene Ähren rauscht;
So feir' ich ihn, den seeligen Tag.

  Und nun - es rauschet zum erstenmal wieder
Des Schnitters Sichel durch die goldene Saat,
Jezt laßt uns feiren,
Laßt uns feiren
In meiner Halle den seeligen Tag.

  Es warten jezt in euren Armen
Der Freuden so viel' auf mich,l
O Brüder! Brüder!
Der edlen Freuden so viel.

  Und hab' ich dann ausgeruht
In euren Armen,
So schweb' ich mutiger auf,
Zu schauen Gustavs Schwerdschlag
Zu schauen Eugenius Siegerfaust.
StA, Band 1, Seite 58.

 

An Louise Nast

Laß sie drohen die Stürme, die Leiden
 Laß trennen - der Trennung Jahre
  Sie trennen uns nicht!
   Sie trennen uns nicht!
Denn mein bist du! Und über das Grab hinaus
 Soll sie dauren die unzertrennbare Liebe.

O! wenn's einst da ist
 Das große seelige Jenseits
  Wo die Krone dem leidenden Pilger
   Die Palme dem Sieger blinkt
Dann Freundin - lohnet auch Freundschaft -
 Auch Freundschaft - der Ewige.
StA, Band 1, Seite 64.

 

Männerjubel

Erhabne Tochter Gottes! Gerechtigkeit,
 Die du den Dreimalheilgen von Anbeginn
  Umstraltest, und umstralen wirst am
   Tage der ernsten Gerichtsposaune.

Und du, o Freiheit! heiliger Überrest
 Aus Edens Tagen! Perle der Redlichen!
  In deren Halle sich der Völker
   Kronen begrüßen, und Thaten schwören.

Und du, der Geisterkräfte gewaltigste!
 Du löwenstolze! Liebe des Vaterlands!
  Die du auf Mordgerüsten lächelst,
   Und in dem Blute gewälzt, noch siegest.

Wer wagts, zu türmen Riesengebirge sich,
 Zu schau'n den Anfang eurer Erhabenheit?
  Wer gründt der Tiefen tiefste aus, nach
   Euch sich zu beugen vor euch, Erhabne?

Und wir - o tönet, tönet den Jubel nach,
 Ihr ferne Glanzgefilde des Uranus!
  O beugt euch nieder, Orione!
   Beugt euch! wir sind der Erhabnen Söhne.

Es glimmt in uns ein Funke der Göttlichen;
 Und diesen Funken soll aus der Männerbrust
  Der Hölle Macht uns nicht entreißen!
   Hört es, Despotengerichte, hört es!

Ihn senkte seine Welt zu verherrlichen
 Der Gott der Götter Adams Geschlecht ins Herz,
  Deß preisen wir den Gott der Götter!
   Hört es, ihr Knechte des Lügners, hört es!

Was überwiegt die Wonne, der Herrlichen,
 Der Töchter Gottes würdiger Sohn zu sein?
  Den Stolz, in ihrem Heiligtum zu
   Wandeln, zu dulden um ihretwillen?

Und lärmten gleich dem hadernden Ozean
 Despotenflüche geifernd auf uns herab,
  Vergiftete das Schnauben ihrer
   Rache, wie Syrias Abendlüfte -

Und dräute tausendarmigter Pöbel, uns
 Zu würgen, tausendzüngigte Pfaffenwuth
  Mit Bann den Neuerern; es lachen
   Ihrer die Söhne der Töchter Gottes.

Und würden unsre Kinder vom Schwerdt verfolgt,
 Zu heulen über uns in der Finsterniß
  Des Wolfs, und mit dem Löwen seine
   Beute zu teilen, bei Kannibalen

Sich Väter, und im Sande von Afrika
 Das Gastrecht aufzusuchen, sie dulden gern,
  Verlachen eure Brutgerüste,
   Folgen den Vätern zu Schwerd und Folter.

Drum tönet, tönet, tönet den Jubel nach
 Ihr ferne Glanzgefilde des Uranus,
  Drum beugt euch nieder, Orione!
   Beugt euch! wir sind der Erhabnen Söhne.
StA, Band 1, Seite 67.

 

Die Bücher der Zeiten

Herr! Herr!
 Unterwunden hab' ich mich,
  Zu singen dir
   Bebenden Lobgesang.

Dort oben
 In all der Himmel höchstem Himmel,
  Hoch über dem Siriusstern,
   Hoch über Uranus Scheitel,

Wo von Anbeginn
 Wandelte der heilige Seraph
  Mit feirender, erbebender Anbetung
   Ums Heiligtum des Unnenbaren.

Da steht im Heiligtum ein Buch
 Und im Buche geschrieben
  All die Millionenreihen
   Menschentage -

Da steht geschrieben -
 Länderverwüstung und Völkerverheerung, 
 Und feindliches Kriegergemezel, 
 Und würgende Könige -
 Mit Ross' und Wagen, 
 Und Reuter und Waffen, 
 Und Scepter um sich her; 
 Und giftge Tyrannen, 
 Mit grimmigem Stachel, 
 Tief in der Unschuld Herz.
 Und schrökliche Fluthen
 Verschlingend die Frommen,
 Verschlingend die Sünder,
 Zerreißend die Häuser 
 Der Frommen, der Sünder. 
 Und fressende Feuer -
 Palläste und Thürme
 Mit ehernen Thoren,
 Gigantischen Mauern
 Zernichtend im Augenblik.
 Geöfnete Erden
 Mit schwefelndem Rachen
 Ins rauchende Dunkel
 Den Vater, die Kinder,
 Die Mutter, den Säugling,
 In Wehegeröchel
 Und Sterbegewinsel
 Hinuntergurgelnd. -.

Da steht geschrieben
 Vatermord! Brudermord!
 Säuglinge blaugewürgt!
 Greulich! Greulich!
 Um ein Linsengericht
 Därmzerfressendes Gift
 Dem guten, sicheren Freund gemischt. -.
 Hohlaugigte Krüppel
 Ihrer Onansschande
 Teuflische Opfer -.
 Kannibalen
 Von Menschenbraten gemästet-
 Nagend an Menschengebein, 
 Aus Menschenschädel saufend
 Rauchendes Menschenblut.
 Wütendes Schmerzgeschrei
 Der Geschlachteten über dem
 Bauchzerschlizenden Messer.
 Des Feindes Jauchzen
 Über dem Wohlgeruch,
 Welcher warm dampft
 Aus dem Eingeweid. -.

Da steht geschrieben-
 Die Verzweiflung schwarz
 Am Strik um Mitternacht
 Noch im quälenden Lebenskampf
 Die Seel - am höllenahnenden Augenblik.

Da steht geschrieben-
 Der Vater verlassend
 Weib und Kind im Hunger,
 Zustürzend im Taumel
 Dem lokenden süßlichen Lasterarm. -.
 Im Staub das Verdienst
 Zurük von der Ehre
 Ins Elend gestoßen
 Vom Betrüger-
 Im Lumpengewand
 Einher der Wanderer
 Bettelnahrung zu suchen
 Dem zerstümmelten Gliederbau.

Da steht geschrieben
 Des heitern, rosigen Mädchens
 Grabenaher Fieberkampf;
 Der Mutter Händeringen,
 Des donnergerührten Jünglings
 Wilde stume Betäubung.
               (Eine Pause im Gefühl.)

Furchtbarer, Furchtbarer!
 Das all, all im Buche geschrieben
  Furchtbarer, Furchtbarer!

Ha die Greuel des Erdgeschlechts!
 Richter! Richter!
  Warum vertilgt mit dem Flammenschwerdt
   All die Greuel von der Erde
    Der Todesengel nicht?

Gerechter sieh die Gerichte
 Treffen den Frommen den Sünder
  Die Fluthen die Feuer
   Die Erdegerichte all'.

Aber sieh ich schweige-
 Das sei dir Lobgesang!
  Du, der du lenkst
   Mit weiser weiser Allmachtshand
    Das bunte Zeitengewimmel.
                           (Wieder eine Pause)

Hallelujah, Hallelujah,
 Der da denkt
  Das bunte Zeitengewimmel
   Ist Liebe!!!
    Hörs Himmel und Erde!
     Unbegreiflich Liebe!

Es steht im Heiligtum ein Buch
 Und im Buche geschrieben
  All die Millionenreihen
   Menschentage - 

Da steht geschrieben
 Jesus Christus Creuzestod!
 Des Sohnes Gottes Creuzestod!
 Des Lamms auf dem Throne Creuzestod!
 Seelig zu machen alle Welt,
 Engelswonne zu geben
 Seinen Glaubigen. -.
 Der Seraphim, Cherubim
 Staunende Still
 Weit in den Himmelsgefilden umher -
 Des Harfenklangs Verstummen,
 Kaum athmend der Strom ums Heiligtum.
 Anbetung - Anbetung -
 Über des Sohnes Werk
 Welcher erlößt
 Ein gefallen Greuelgeschlecht.

Da steht geschrieben -
 Der gestorben ist,
 Jesus Christus,
 Abschüttelnd im Felsen den Tod!
 Heraus in der Gotteskraft Allgewalt!
 Und lebend - lebend -
 Zu ruffen dereinst dem Staub;
 Kommet wieder, Menschenkinder!
 Jezt tönt die Posaun'
 Ins unabsehliche Menschengewimmel
 Zum Richtstuhl hinan! Zum Richtstuhl!
 Zum Lohn, der aufstellt
 Der Gerechtigkeit Gleichgewicht!

  Jammerst du jezt noch, Frommer?
  Unter der Menschheit Druk?
  Und, Spötter, spottest du
  In tanzenden Freuden
  Noch des furchtbarn Richtstuhls?

Da steht geschrieben -
 Menschliches Riesenwerk
 Statlich einherzugehn
 Auf Meerestiefen!
 Oceanswanderer! Stürmebezwinger!
 Schnell mit der Winde Frohn
 Niegesehene Meere
 Ferne von Menschen und Land
 Mit stolzen brausenden Seegeln
 Und schaurlichen Masten durchkreuzend.
 Leviathanserleger
 Lachend des Eisgebürgs
 Weltenentdeker
 Niegedacht von Anbeginn.

Da steht geschrieben -
 Völkerseegen,
 Brods die Fülle,
 Lustgefilde
 Überall -
 Allweit Freude
 Niederströmend
 Von der guten
 Fürstenhand.
StA, Band 1, Seite 69.

 

An die Vollendung

Vollendung! Vollendung! -
O du der Geister heiliges Ziel!
Wann werd ich siegestrunken
Dich umfahen und ewig ruhn?

Und frei und groß
Entgegenlächeln der Heerschaar
Die zahllos aus den Welten
In den Schoos dir strömt?

Ach ferne, ferne von dir!
Mein göttlichster schönster Gedanke
War, wie der Welten
Fernstes Ende, ferne von dir!

Und fleugt auf des Sturmes Flügeln
Aeonen lang die Liebe dir zu,
Noch schmachtet sie ferne von dir,
Ach! ferne ferne von dir!

Doch küner gewaltiger
Unaufhaltbarer immer
Fleugt durch Myriaden Aeonen
Dir zu die glühende Liebe.

Voll hoher Einfalt
Einfältig still und groß
Rangen des Siegs gewiß
Rangen dir zu die Väter.

Ihre Hülle verschlang die Zeit
Verwest, zerstreut ist der Staub
Doch rang des Sieges gewiß
Der Funke Gottes, ihr Geist dir zu.

Sind sie eingegangen zu dir
Die da lebten im Anbeginn?
Ruhen, ruhen sie nun
Die frommen Väter?

Vollendung! Vollendung!
Der Geister heiliges Ziel!
Wann werd ich siegestrunken
Dich umfahen und ewig ruhn?
StA, Band 1, Seite 75.

 

Die heilige Bahn

Ist also diß die heilige Bahn?
 Herrlicher Blik - o trüge mich nicht!
  Diese geh' ich?? schwebend auf des Liedes
   Hoher fliegender Morgenwolke?

Und welch' ist jene? künstlich gebaut
 Eben hinaus mit Marmor beschränkt
  Prächtig gerad, gleich den Sonnenstralen -
   An der Pforte ein hoher Richtstuhl?

Ha! wie den Richtstuhl Purpur umfließt
 Und der Smaragd wie blendend er glänzt
  Und auf dem Stuhl, mit dem großen Scepter
   Aristoteles hinwärts blikend

Mit hellem scharfem Aug' auf des Lieds
 Feurigen Lauf - und jenes Gebirg'
  Eilt sie hinweg - muthig in die Thäler
   Stürzt sie, ungestüm, und ihr Boden

Ist wie des Nordens Flammengewölk
 Wallend vom Tritt des rennenden Gangs -
  Waffengeräusch rauschen seine Tritte
   Über alternde Wolkenfelsen.

Ha! sie ist heiß die heilige Bahn -
 Ach wie geübt der Große dort rennt
  Um ihn herum - wie da Staunen wimmelt
   Freunde - Vaterland - fernes Ausland.

Und ich um ihn mit Mükengesums
 Niedrig - im Staub - Nein Großer, das nicht.
  Muthig hinan! -! - Wanns nun da ist, voll ist
StA, Band 1, Seite 79.

 

Keppler

Unter den Sternen ergehet sich
 Mein Geist, die Gefilde des Uranus
  Überhin schwebt er und sinnt; einsam ist
   Und gewagt, ehernen Tritt heischet die Bahn.

Wandle mit Kraft, wie der Held, einher!
 Erhebe die Miene! doch nicht zu stolz,
  Denn es naht, siehe es naht, hoch herab
   Vom Gefild, wo der Triumf jubelt, der Mann,

Welcher den Denker in Albion,
 Den Späher des Himmels um Mitternacht
  Ins Gefild tiefern Beschauns leitete,
   Und voran leuchtend sich wagt' ins Labyrinth,

Daß der erhabenen Themse Stolz
 Im Geiste sich beugend vor seinem Grab,
  Ins Gefild würdigern Lohns nach ihm rief:
   »Du begannst, Suevias Sohn! wo es dem Blik

Aller Jahrtausende schwindelte;
 Und ha! ich vollende, was du begannst,
  Denn voran leuchtetest du, Herrlicher!
   Im Labyrinth, Stralen beschwurst du in die Nacht.

Möge verzehren des Lebens Mark
 Die Flamm' in der Brust - ich ereile dich,
  Ich vollends! denn sie ist groß, ernst und groß,
   Deine Bahn, höhnet des Golds, lohnet sich selbst.«

Wonne Walhallas! und ihn gebahr
 Mein Vaterland? ihn, den die Themse pries?
  Der zuerst ins Labyrinth Stralen schuf,
   Und den Pfad, hin an dem Pol, wies dem Gestirn.

Heklas Gedonner vergäß' ich so,
 Und, gieng' ich auf Ottern, ich bebte nicht
  In dem Stolz, daß er aus dir, Suevia!
   Sich erhub, unser der Dank Albions ist.

Mutter der Redlichen! Suevia!
 Du stille! dir jauchzen Aeonen zu,
  Du erzogst Männer des Lichts ohne Zal,
   Des Geschlechts Mund, das da kommt, huldiget dir.
StA, Band 1, Seite 81.

 

An Thills Grab

Der Leichenreihen wandelte still hinan,
 Und Fakelnschimmer schien' auf des Theuren Sarg,
  Und du, geliebte gute Mutter!
   Schautest entseelt aus der Jammerhütte,

Als ich ein schwacher stammelnder Knabe noch,
 O Vater! lieber Seeliger! dich verlohr,
  Da fühlt' ichs nicht, was du mir warst, doch
   Mißte dich bald der verlaßne Waise.

So weint' ich leisen Knabengefühles schon,
 Der Wehmuth Träne über dein traurig Loos,
  Doch jezt, o Thill! jezt fühl' ichs ernster,
   Schmerzender jezt über deinem Hügel,

Was hier im Grab den Redlichen Suevias
 Verwest, den himmelnahenden Einsamen.
  Und, o mein Thill! du ließst sie Waisen?
   Eiltest so frühe dahin, du guter?

Ihr stille Schatten seines Holunderbaums!
 Verbergt mich, daß kein Spötter die Tränen sieht
  Und lacht, wann ich geschmiegt an seinen
   Hügel die bebenden Wangen trokne.

O wohl dir! wohl dir, guter! du schläfst so sanft
 Im stillen Schatten deines Holunderbaums.
  Dein Monument ist er, und deine
   Lieder bewahren des Dorfes Greisen.

O daß auch mich dein Hügel umschattete,
 Und Hand in Hand wir schliefen, bis Erndte wird,
  Da schielten keine Vorurteile,
   Lachte kein Affe des stillen Pilgers.

O Thill! Ich zage, denn er ist dornenvoll,
 Und noch so fern der Pfad zur Vollkommenheit;
  Die Starken beugen ja ihr Haupt, wie
   Mag ihn erkämpfen der schwache Jüngling?

Doch nein! ich wag's! es streitet zur Seite ja
 Ein felsentreuer, muthiger Bruder mir.
  O freut euch, seelige Gebeine!
   Über dem Nahmen! Es ist - mein Neufer.
StA, Band 1, Seite 83.

 

Gustav Adolf

  Kommt, ihr Kinder von Teut!
Ihr Kinder von Teut! zum Thale der Schlacht
Entblößet die Häupter, ihr Kinder von Teut!
Und schauet nieder mit heiligem Blik!
Denn hier - hier starb der Mann,
Deß Thaten die Lande sah'n,
Und ihren Felsen geboten
Zu beugen die Scheitel den Thaten des Manns
Und ihren Hügeln geboten
Zu beugen ihr Haupt den Thaten des Manns;
Deß Thaten die Meere sah'n,
Und Woogen türmten,
Und Stürme beriefen
Zu donnern ein Lob den Thaten des Manns;
Entblößet die Häupter, ihr Kinder von Teut!
Denn hier - hier starb der Mann,
Des Nahme, wann einst
Des Ozeans Inseln sich küssen,
Und Kolumbens Welt Lusitanias Küsten umarmt,
Von fernen Völkern gepriesen,
Von fremden Zungen genannt,
Am heiligen Denkmal, im Herzen der Edlen
Noch ewig, wie Gottes Gestirne steht,
Entblößet die Häupter, ihr Kinder von Teut!
Und schauet nieder mit heiligem Blik!
Denn hier - starb - Gustav.

  Es lärmt im Thale die Schlacht
Die Siege zu krönen, die blutige Schlacht,
Und Heldenknie sanken, und Felsenherzen erbebten
Vor Gustav Adolfs Schwerdt,
Und Blut der Räuber floß,
Und Blut der Witwenmörder,
Und Blut der Schänder der Freiheit floß,
Und hinan im Blute der Räuber hinan
Stürzt', als ein Rachebliz des Rächers,
Mit seinen Treuen Gustaf hinan.
Er gedachte seiner Thaten,
Da flammte sein Auge von Götterlust,
Seiner Thaten vor Gott,
Und Himmelsruhe verklärte sein Angesicht
Und hinan, in seiner Himmelsruhe
Stürzt' an der Spize der Treuen Gustav hinan -
Doch wehe! unter den Treuen
Lauscht' ein Verräter;
Er dachte - der Verräter - den Höllengedanken,
Und - Gustav - sank.

   Ha! Verräter! Verräter!
   Daß in der Todesstunde dein Weib dich verdamme,
   Und wehe! über dich rufen deine Söhne,
   Und deine Enkel die That ins Ohr dir heulen,
   Bis deine Blike erstarren im Grauen des Meuchelmords,
   Und deine Seele flieht vor den Schreken der Ewigkeit.

Wir wollten seegnen
In deinem Thale, du Herrlicher!
Und schänden die heilige Stätte mit Fluch?
O Gustav! Gustav! vergieb,
Vergieb den Eifer der Deinen,
Und neige dich freundlich herab vom Gefilde des Lohns,
Zu den Stimmen des dankenden Lobgesangs.

   Dank dem Retter der Feiheit!
   Dem Richter der Witwenmörder!
   Dank dem Sieger bei Lipsia!
   Dank dem Sieger am Lechus!
   Dank dem Sieger im Todesthal!

Dank und Ruhm dem Bruder des Schwachen,
Dem gnadelächelnden Sieger!
Dank und Ruhm dem Erwäger des Rechts,
Dem Feind des Erobrers, dem Hasser des Stolzen,
Dem weichen Weiner an Tillys Grab!
Dank und Ruhm und Heil dem Schüzer des Frommen,
Dem Trokner der Märtyrerstränen,
Dem Steurer der Pfaffenwuth --

  O Gustav! Gustav!
Es verstummt der Seegen der Deinen,
Der Seegen des Ewigen lohnet dich nur,
Der donnernde Jubel des Weltgerichts.
StA, Band 1, Seite 85.

 

Ende einer Gedichtfolge auf Gustav Adolf

Erscholl von jeder Haide, jedem Hügel
Das Schrekengelärm gewapneter Wütriche her.
Doch wenig Stunden sann um Mitternacht der Held
Vollbrachte mit stürmender Hand, was er sann am geflügelten Tag,
Und ha! wo war er nun der Fremdlinge Grimm?
Die Racheblike, wie so bange rollten sie?
Der Rosse Schnauben hatt' in Röcheln sich gewandelt,
Zerrissen moderten im Blut des Flüchtlings
Die güldenen Paniere, Raben krächzten
Im leichenvollen Hinterhalt, und Angstgeheul
Erscholl von jeder Haide, jedem Hügel.
Verschlungen hatte sie der größre Strom.

  Der Tag des Weltgerichts - auch er! auch er!
Wird zeugen einst im Angesicht der Völker.
So spricht Jehovah: herrlich sei dein Lohn!
Sie schändeten zum blutbeflekten Greu'l
Die Fahne meines Reichs - die Lehre meines Mundes
Zur Menschenwürgerin, zur Brudermörderin.
Mit Henkersfäusten trieben sie vom Vaterland
Die Kinder meines Luters, die das Joch des Wahns
Vom Naken schüttelten, in Todeswüsten hin.
Da troknet' ihre Tränen Gustav ab,
Der Fromme baute Häuser meinen Irrenden.
Dein Lohn sei herrlich! du Geseegneter!
So spricht Jehovah, und die Myriaden
Versammleter erheben ihre Häupter
Und breiten ihre Arme gegen Gustav aus,
Und jubeln: Amen! herrlich ist sein Lohn.

     ---
O Gustav! Gustav! hast du dein Ohr geneigt
 Den Zeugen deiner Größe - du herrlicher!
  Und zürnst du nicht, und lächelst du im
   Arme der Helden zu uns herunter?

Verzeih, du Liebling Gottes! ich liebe dich! -
 Wann Donner rollen über mein trautes Thal,
  So denk' ich dein, und wenn der Obstbaum
   Freundlich den Apfel herunterreichet

So nenn' ich deinen Namen. Denn ringsum sieht
 Ein Denkmal deiner Thaten mein staunend Aug'.
  Und ha! wie wird diß Auge staunen,
   Führet mich förder hinauf zum Tempel,

Zum höchsten Tempel seiner Erhabenheit
 Mit wolkenlosem Muth die Begeisterung -
  Hinauf, wo es dem Tändler schwindelt,
   Wo der gebrechliche nie hinanklimmt!

Umdonnert, Meereswoogen! die einsame
 Gewagte Bahn! euch bebet die Saite nicht!
  Ertürmt euch, Felsen! ihr ermüdet
   Nicht den geflügelten Fuß des Sängers.

Nur daß ich nie der ernsten Bewundrung Lied
 Mit Tand entweihe - ferne von Gleisnerslob!
  Und seiner gottgesandten Thaten
   Keine vergesse - denn diß ist Lästrung!
StA, Band 1, Seite 88.

 

Zornige Sehnsucht

Ich duld' es nimmer! ewig und ewig so
 Die Knabenschritte, wie ein Gekerkerter
  Die kurzen vorgemeßnen Schritte
   Täglich zu wandeln, ich duld es nimmer!

Ists Menschenlooß - ists meines? ich trag es nicht
 Mich reizt der Lorber, - Ruhe beglükt mich nicht
  Gefahren zeugen Männerkräfte
   Leiden erheben die Brust des Jünglings.

Was bin ich dir, was bin ich mein Vaterland?
 Ein siecher Säugling, welchen mit tränendem
  Mit hofnungslosem Blik die Mutter
   In den gedultigen Armen schaukelt.

Mich tröstete das blinkende Kelchglas nie
 Mich nie der Blik der lächelnden Tändlerin,
  Soll ewig trauern mich umwolken?
   Ewig mich tödten die zornge Sehnsucht?

Was soll des Freundes traulicher Handschlag mir,
 Was mir des Frühlings freundlicher Morgengruß
  Was mir der Eiche Schatten? was der
   Blühenden Rebe, der Linde Düfte?

Beim grauen Mana! nimmer genieß ich dein
 Du Kelch der Freuden, blinktest du noch so schön
  Bis mir ein Männerwerk gelinget
   Bis ich ihn hasche, den ersten Lorbeer.

Der Schwur ist groß. Er zeuget im Auge mir
 Die Trän' und wohl mir wenn ihn Vollendung krönt
  Dann jauchz auch ich du Krais der Frohen,
   Dann o Natur, ist dein Lächeln Wonne.
StA, Band 1, Seite 90.

 

An die Ruhe

Vom Gruß des Hahns, vom Sichelgetön' erwekt,
 Gelobt' ich dir, Beglükerin! Lobgesang,
  Und siehe da, am heitern Mittag
   Schläget sie mir, der Begeist'rung Stunde.

Erquiklich, wie die heimische Ruhebank
 Im fernen Schlachtgetümmel dem Krieger deucht,
  Wenn die zerfleischten Arme sinken,
   Und der geschmetterte Stahl im Blut liegt -

So bist du, Ruhe! freundliche Trösterin!
 Du schenkest Riesenkraft dem Verachteten;
  Er höhnet Dominiksgesichtern,
   Höhnet der zischenden Natterzunge.

Im Veilchenthal, vom dämmernden Hain umbraust,
 Entschlummert er, von süßen Begeist'rungen
  Der Zukunft trunken, von der Unschuld
   Spielen im flatternden Flügelkleide.

Da weiht der Ruhe Zauber den Schlummernden,
 Mit Muth zu schwingen im Labyrinth sein Licht,
  Die Fahne rasch voranzutragen,
   Wo sich der Dünkel entgegenstemmet.

Auf springt er, wandelt ernster den Bach hinab
 Nach seiner Hütte. Siehe! das Götterwerk,
  Es keimet in der großen Seele.
   Wieder ein Lenz, - und es ist vollendet.

An jener Stätte bauet der Herrliche
 Dir, gottgesandte Ruhe! den Dankaltar.
  Dort harrt er, wonnelächlend, wie die
   Scheidende Sonne, des längern Schlummers.

Denn sieh', es wallt der Enkel zu seinem Grab,
 Voll hohen Schauers, wie zu des Weisen Grab,
  Des Herrlichen, der, von der Pappel
   Säuseln umweht, auf der Insel schlummert.
StA, Band 1, Seite 92.

 

An die Ehre

Einst war ich ruhig, schlummerte sorgenfrei
 Am stillen Moosquell, träumte von Stellas Kuß -
  Da riefst du, daß der Waldstrom stille
   Stand und erbebte, vom Eichenwipfel -

Auf sprang ich, fühlte taumelnd die Zauberkraft,
 Hin flog mein Athem, wo sie den Lieblingen
  Die schweisbetraufte Stirn im Haine
   Kühlend, die Eich und die Palme spendet.

Umdonnert Meereswoogen die einsame
 Gewagte Bahn! euch höhnet mein künes Herz,
  Ertürmt euch Felsen ihr ermüdet
   Nie den geflügelten Fuß des Sängers.

So rief ich - stürzt' im Zauber des Aufrufs hin -
 Doch ha! der Täuschung - wenige Schritte sinds!
  Bemerkbar kaum! und Hohn der Spötter,
   Freude der Feigen umzischt den Armen.

Ach! schlummert' ich am murmelnden Moosquell noch,
 Ach! träumt' ich noch von Stellas Umarmungen.
  Doch nein! bei Mana nein! auch Streben
   Ziert, auch der Schwächeren Schweis ist edel.
StA, Band 1, Seite 94.

 

Einst und jezt

Einst, tränend Auge! sahst du so hell empor!
 Einst schlugst du mir so ruhig, empörtes Herz!
  So, wie die Wallungen des Bächleins
   Wo die Forell' am Gestade hinschlüpft.

Einst in des Vaters Schoose, - des liebenden
 Geliebten Vaters - aber der Würger kam
  Wir weinten, flehten, doch der Würger
   Schnellte den Pfeil; und es sank die Stüze!

Ha! du gerechte Vorsicht! so bald begann
 Der Sturm, so bald? - Doch - straft mich des Undanks nicht,
  Ihr Stunden meiner Knabenfreude
   Stunden des Spiels und des Ruhelächelns!

Ich seh' euch wieder - herrlicher Augenblik!
 Da füttert' ich mein Hünchen, da pflanzt' ich Kohl
  Und Nelken - freute so des Frülings
   Mich und der Erndt', und des Herbstgewimmels.

Da sucht' ich Maienblümchen im Walde mir,
 Da wälzt' ich mich im duftenden Heu' umher,
  Da brokt' ich Milch mit Schnittern ein, da
   Schleudert' ich Schwärmer am Rebenberge.

Und o! wie warm, wie hieng ich so warm an euch
 Gespielen meiner Einfalt, wie stürmten wir
  In ofner Feldschlacht, lehrten uns den
   Strudel durchschwimmen, die Eich' ersteigen?

Jezt wandl' ich einsam an dem Gestade hin,
 Ach keine Seele keine für dieses Herz?
  Ihr frohen Reigen? Aber weh dir
   Sehnender Jüngling! sie gehn vorüber!

Zurük denn in die Zelle, Verachteter!
 Zurük zur Kummerstätte, wo schlaflos du
  So manche Mitternächte weintest
   Weintest im Durste nach Lieb' und Lorbeer.

Lebt wohl, ihr güldnen Stunden vergangner Zeit,
 Ihr lieben Kinderträume von Größ' und Ruhm,
  Lebt wohl, lebt wol ihr Spielgenossen,
   Weint um den Jüngling er ist verachtet!
StA, Band 1, Seite 95.

 

Die Weisheit des Traurers

Hinweg, ihr Wünsche! Quäler des Unverstands!
 Hinweg von dieser Stätte Vergänglichkeit!
  Ernst, wie das Grab, sei meine Seele!
   Heilig mein Sang, wie die Todtengloke!

Du, stille Weisheit! öfne dein Heiligtum.
 Laß, wie den Greis am Grabe Cecilias
  Mich lauschen deinen Göttersprüchen,
   Ehe der Todten Gericht sie donnert.

Da unbestochne Richterin richtest du
 Tirannenfeste, wo sich der Höflinge
  Entmanntes Heer zu Trug begeistert,
   Wo des geschändeten Römers Kehle

Die schweiserrungne Haabe des Pflügers stiehlt,
 Wo tolle Lust in güldnen Pokalen schäumt,
  Und ha! des Gräuels! an getürmten
   Silbergefäßen des Landes Mark klebt.

Halt ein! Tyrann! Es fähret des Würgers Pfeil
 Daher. Halt ein! es nahet der Rache Tag
  Daß er, wie Bliz die giftge Staude,
   Nieder den taumelnden Schädel schmett're.

Doch ach! am grimmen richtenden Saitenspiel
 Hinunter wankt die zitternde Rechte mir.
  In licht're Hallen, gute Göttin! -
   Wandle der Sturm sich in Haingeflüster!

Da schlingst du liebevoll um die Jammernde
 Am Grabe des Erwälten den Mutterarm,
  Vor Menschentrost dein Kind zu schüzen,
   Schenkest ihr Tränen, und lispelst leise

Vom Wiederseh'n vom seeligen Einst ins Herz -
 Da schläft in deiner Halle der Jammermann
  Dem Priesterhaß das Herz zerfleischet,
   Den ihr Gericht im Gewahrsam foltert,

Der blaiche Jüngling, der in des Herzens Durst
 Nach Ehre rastlos klomm auf der Felsenbahn
  Und ach umsonst! wie wandelt er so
   Ruhig umher in der stillen Halle.

Mit Brudersinn zu heitern den Kummerblik
 Der Kleinen Herz zu leiten am Gängelband,
  Sein Haus zu bau'n, sein Feld zu pflügen
   Wird ihm Beruf! und die Wünsche schweigen.

Verzeih der bangen Träne du Göttliche!
 Auch ich vieleicht! - zwar glühet im Busen mir
  Die Flamme rein und kün, und ewig -
   Aber zurük aus den Lorbeerhainen

Stieß unerweicht die Ehre den Traurenden
 So lang entflohn dem lachenden Knabenspiel
  Verhöhnend all' die Taumelfreuden
   Treu und [?]-[?] 1 mein Herz ihr huldigt.

Drum öfne du die Arme dem Traurenden
 Laß deines Labebechers mich oft und viel
  Und einzig kosten, nenne Sohn mich!
   Gürte mit Stolz mich, und Kraft und Warheit!

Denn viel der Stürme harren des Jünglings noch
 Der falschen Gruben viele des Wanderers,
  Sie alle wird dein Sohn besiegen
   So du mit stüzendem Arm ihn leitest.

1 Die Zeichen für 'Hebung' und 'Senkung' können leider nicht dargestellt werden.
StA, Band 1, Seite 97.

 

Selbstquälerei

Ich hasse mich! es ist ein ekles Ding
Des Menschen Herz, so kindischschwach, so stolz,
So freundlich wie Tobias Hündlein ist,
Und doch so hämisch wieder! weg! ich hasse mich!
So schwärmerisch wenn es des Dichters Flamme wärmt,
Und ha wenn sich ein freundeloser Junge
An unsre Seite schmiegt, so stolz so kalt!
So fromm, wenn uns des Lebens Sturm
Den Naken beugt,
StA, Band 1, Seite 100.

 

Burg Tübingen

Still und öde steht der Väter Veste,
Schwarz und moosbewachsen Pfort' und Turm,
Durch der Felsenwände trübe Reste
Saußt um Mitternacht der Wintersturm,
Dieser schaurigen Gemache Trümmer
Heischen sich umsonst ein Siegesmaal
Und des Schlachtgeräthes Heiligtümer
Schlummern Todesschlaf im Waffensaal.

Hier ertönen keine Festgesänge
Lobzupreisen Manas Heldenland
Keine Fahne weht im Siegsgepränge
Hochgehoben in des Kriegers Hand,
Keine Rosse wiehern in den Thoren
Bis die Edeln zum Turniere nah'n
Keine Doggen, treu, und auserkoren
Schmiegen sich den blanken Panzern an.

Bei des Hiefhorns schallendem Getöne
Zieht kein Fräulein in der Hirsche Thal,
Siegesdürstend gürten keine Söhne
Um die Lenden ihrer Väter Stahl,
Keine Mütter jauchzen von der Zinne
Ob der Knaben stolzer Wiederkehr,
Und den ersten Kuß verschämter Minne
Weihn der Narbe keine Bräute mer.

Aber schaurige Begeisterungen
Wekt die Riesin in des Enkels Brust
Sänge, die der Väter Mund gesungen
Zeugt der Wehmuth zauberische Lust,
Ferne von dem thörigen Gewühle,
Von dem Stolze der Gefallenen,
Dämmern niegeahndete Gefüle
In der Seele des Begeisterten.

Hier im Schatten grauer Felsenwände,
Von des Städters Bliken unentweiht,
Knüpfe Freundschaft deutsche Biederhände
Schwöre Liebe für die Ewigkeit,
Hier wo Heldenschatten niederrauschen
Traufe Vaterseegen auf den Sohn
Wo den Lieblingen die Geister lauschen
Spreche Freiheit den Tyrannen Hohn!

Hier verweine die verschloßne Zähre
Wer umsonst nach Menschenfreude ringt
Wen die Krone nicht der Bardenehre
Nicht des Liebchens Schwanenarm umschlingt,
Wer von Zweifeln one Rast gequälet,
Von des Irrtums peinigendem Loos,
Schlummerlose Mitternächte zählet,
Komme zu genesen in der Ruhe Schoos.

Aber wer des Bruders Fehle rüget
Mit der Schlangenzunge losem Spott
Wem für Adeltaten Gold genüget
Sei er Sclave oder Erdengott
Er entweihe nicht die heilge Reste
Die der Väter stolzer Fuß betratt,
Oder walle zitternd zu der Veste
Abzuschwören da der Schande Pfad.

Denn der Heldenkinder Herz zu stählen
Atmet Freiheit hier und Männermuth
In der Halle weilen Väterseelen
Sich zu freuen ob Thuiskons Blut,
Aber ha! den Spöttern und Tyrannen
Weht Entsezen ihr Verdammerspruch
Rache dräuend jagt er sie von dannen
Des Gewissens fürchterlicher Fluch.

Wohl mir! daß ich süßen Ernstes scheide,
Daß die Harfe schrekenlos ertönt
Daß ein Herz mir schlägt für Menschenfreude
Daß die Lippe nicht der Einfalt höhnt.
Süßen Ernstes will ich wiederkehren
Einzutrinken freien Männermuth
Bis umschimmert von den Geisterheeren
In Walhallas Schoos die Seele ruht.
StA, Band 1, Seite 101.

 

Lied der Freundschaft

Erste Fassung

Frei, wie Götter an dem Mahle,
Singen wir um die Pokale
Wo der edle Trank erglüht,
Voll von Schauern, ernst und stille,
In des Dunkels heil'ger Hülle
Singen wir der Freundschaft Lied.

Schwebt herab aus külen Lüften,
Schwebet aus den Schlummergrüften,
Helden der Vergangenheit!
Kommt in unsern Krais hernieder,
Staunt und sprecht: da ist sie wieder
Unsre deutsche Herzlichkeit.

Singe von ihr Jubellieder
Von der Wonne deutscher Brüder,
Chronos! in dem ew'gen Lauf;
Singe, Sohn der Afterzeiten!
Sing': Elysens Herrlichkeiten
Wog ein deutscher Handschlag auf.

Ha! der hohen Götterstunden!
Wann der Edle sich gefunden,
Der für unser Herz gehört;
So begeisternd zu den Höhen,
Die um uns, wie Riesen, stehen!
So des deutschen Jünglings werth!

Froher schlägt das Herz, und freier!
Reichet zu des Bundes Feier
Uns der Freund den Becher dar;
Ohne Freuden, ohne Leben
Erndtet' er Lyäus Reben
Als er ohne Freunde war.

Stärke, wenn Verläumder schreien
Warheit, wenn Despoten dräuen
Männermuth im Misgeschik,
Duldung, wenn die Schwachen sinken,
Liebe, Duldung, Wärme trinken
Freunde von des Freundes Blik.

Sanfter atmen Frülingslüfte,
Süßer sind der Linde Düfte,
Küliger der Eichenhain,
Wenn bekränzt mit jungen Rosen
Freunde bei den Bechern kosen
Freunde sich des Abends freu'n.

Brüder! laßt die Thoren sinnen,
Wie sie Fürstengunst gewinnen,
Häufig mögen Gut und Gold;
Lächelnd kans der Edle missen,
Sich geliebt, geliebt zu wissen
Diß ist seiner Thaten Sold.

Schmettert aus der trauten Halle
Auch die Auserwälten alle
In die Ferne das Geschik,
Wandelt er mit Schmerz beladen
Nun auf freundelosen Pfaden
Schwarzen Gram im bangen Blik;

Wankt er, wenn sich Wolken türmen,
Wankt er nun in Winterstürmen
Ohne Leiter, ohne Stab;
Lauscht er abgeblaicht und düster
Bangem Mitternachtsgeflüster
Ahndungsvoll am frischen Grab;

O da kehren all' die Stunden,
So in Freundesarm verschwunden,
Unter Schwüren, wahr, und warm,
All' umfaßt mit sanftem Sehnen
Seine Seele, süße Tränen
Schaffen Ruhe nach dem Harm.

Rauscht ihm dann des Todes Flügel;
Schläft er ruhig unter'm Hügel,
Wo sein Bund den Kranz ihm flicht;
In die Loken seiner Brüder
Säuselt noch sein Geist hernieder,
Lispelt leis: Vergeßt mich nicht!
StA, Band 1, Seite 110.

 

Lied der Freundschaft

Zweite Fassung

Wie der Held am Siegesmahle
Ruhen wir um die Pokale
Wo der edle Wein erglüht,
Feurig Arm in Arm geschlungen
Trunken von Begeisterungen
Singen wir der Freundschaft Lied.

Schwebt herab aus külen Lüften
Schwebet aus den Schlummergrüften
Helden der Vergangenheit!
Kommt in unsern Krais hernieder
Staunt und sprecht: da ist sie wieder
Unsre deutsche Herzlichkeit!

Uns ist Wonne, Gut und Leben
Für den Edlen hinzugeben,
Der für unser Herz gehört,
Der zu groß, in stolzen Reigen
Sich vor eitlem Tand zu beugen,
Gott und Vaterland nur ehrt.

Schon erhebt das Herz sich freier,
Wärmer reicht zur frohen Feier
Schon der Freund den Becher dar,
Ohne Freuden, ohne Leben
Kostet' er den Saft der Reben,
Als er ohne Freunde war.

Bruder! schleichen bang und trübe
Deine Tage? beugt der Liebe
Folterpein das Männerherz?
Stürzt im heißen Durst nach Ehre
Dir um Mitternacht die Zähre?
Bruder seegne deinen Schmerz!

Könten wir aus Götterhänden
Freuden dir und Leiden spenden
Ferne wärst du da von Harm
Weiser ist der Gott der Liebe
Sorgen giebt er bang und trübe,
Freunde giebt er treu und warm.

Stärke, wenn Verläumder schreien
Warheit, wenn Despoten dräuen,
Männermuth im Misgeschik
Duldung, wenn die Schwachen sinken
Liebe, Duldung, Wärme trinken
Freunde von des Freundes Blik.

Lieblich, wie der Sommerregen
Reich, wie er, an Erndteseegen
Wie die Perle klar und hell,
Still, wie Edens Ströme gleiten,
Endlos, wie die Ewigkeiten
Fleußt der Freundschaft Silberquell.

Drum, so wollen, eh die Freuden
Trennungen und Tode neiden
Wir im hehren Eichenhain
Oder unter Frülingsrosen
Wenn am Becher Weste kosen
Würdig uns der Freundschaft freu'n.

Rufet aus der trauten Halle
Auch die Auserwälten alle
In die Ferne das Geschik,
Bleibt, auf freundelosen Pfaden
Hinzugeh'n mit Schmerz beladen
Tränend Einer nur zurük.

Wankt er nun in Winterstürmen
Wankt er, wo sich Wolken türmen
Ohne Leiter, ohne Stab;
Lauscht er abgeblaicht und düster
Bangem Mitternachtsgeflüster
Ahndungsvoll am frischen Grab;

O da kehren all die Stunden
Lächelnd, wie sie hingeschwunden
Unter Schwüren, wahr und warm,
Still und sanft, wie Blumen sinken
Ruht er, bis die Väter winken
Dir, Erinnerung! im Arm.

Rauscht ihm dann des Todes Flügel,
Schläft er ruhig unter'm Hügel
Wo sein Bund den Kranz ihm flicht
In den Lokken seiner Brüder
Säuselt noch sein Geist hernieder
Lispelt leis: vergeßt mich nicht!
StA, Band 1, Seite 107.

 

Lied der Liebe

Erste Fassung

Engelfreuden ahndend wallen
Wir hinaus auf Gottes Flur
Wo die Jubel wiederhallen
In dem Tempel der Natur;
Heute soll kein Auge trübe,
Sorge nicht hienieden sein,
Jedes Wesen soll der Liebe
Wonniglich, wie wir, sich freu'n.

Singt den Jubel, Schwestern! Brüder!
Vestgeschlungen! Hand in Hand!
Singt das heiligste der Lieder
Von dem hohen Wesenband!
Steigt hinauf am Rebenhügel,
Blikt hinab ins Schattenthal!
Überall der Liebe Flügel,
Wonnerauschend überall!

Liebe lehrt das Lüftchen kosen
Mit den Blumen auf der Au,
Lokt zu jungen Frülingsrosen
Aus der Wolke Morgenthau
Liebe ziehet Well' an Welle
Freundlichmurmelnd näher hin,
Leitet aus der Kluft die Quelle
Sanft hinab ins Wiesengrün.

Berge knüpft mit eh'rner Kette
Liebe an das Firmament,
Donner ruft sie an die Stätte
Wo der Sand die Pflanze brennt,
Um die hehre Sonne leitet
Sie die treuen Sterne her,
Folgsam ihrem Winke gleitet
Jeder Strom ins weite Meer.

Liebe wallt in Wüsteneien,
Höhnt des Dursts im dürren Sand,
Sieget, wo Tyrannen dräuen,
Steigt hinab ins Todtenland;
Liebe trümmert Felsen nieder
Zaubert Paradiese hin,
Schaffet Erd und Himmel wieder
Göttlich, wie im Anbeginn.

Liebe schwingt den Seraphsflügel
Wo der Gott der Götter wohnt
Lohnt den Schweis am Felsenhügel
Wann der Richter einst belohnt,
Wann die Königsstühle trümmern,
Hin ist jede Scheidewand
Adelthaten heller schimmern
Reiner, denn der Krone Tand.

Mag uns jezt die Stunde schlagen
Jezt der lezte Othem weh'n!
Brüder! drüben wird es tagen,
Schwestern! dort ist Wiedersehn;
Jauchzt dem heiligsten der Triebe,
Die der Gott der Götter gab,
Brüder! Schwestern! jauchzt der Liebe!
Sie besieget Zeit und Grab!
StA, Band 1, Seite 110.

 

Lied der Liebe

Zweite Fassung

Engelfreuden ahndend, wallen
Wir hinaus auf Gottes Flur,
Daß von Jubel wiederhallen
Höh'n und Tiefen der Natur.
Heute soll kein Auge trübe,
Sorge nicht hienieden seyn,
Jedes Wesen soll der Liebe
Frei und froh, wie wir, sich weih'n!

Singt den Jubel, Schwestern, Brüder,
Fest geschlungen, Hand in Hand!
Hand in Hand das Lied der Lieder,
Seelig an der Liebe Band!
Steigt hinauf am Rebenhügel,
Blikt hinab ins Schattenthal!
Überall der Liebe Flügel,
Hold und herrlich überall!

Liebe lehrt das Lüftchen kosen
Mit den Blumen auf der Au,
Lokt zu jungen Frühlingsrosen
Aus der Wolke Morgenthau,
Liebe ziehet Well' an Welle
Freundlich murmelnd näher hin,
Leitet aus der Kluft die Quelle
Sanft hinab ins Wiesengrün.

Berge knüpft mit ehrner Kette
Liebe an das Firmament,
Donner ruft sie an die Stätte,
Wo der Sand die Pflanze brennt.
Um die hehre Sonne leitet
Sie die treuen Sterne her,
Folgsam ihrem Winke gleitet
Jeder Strom ins weite Meer.

Liebe schwingt den Seraphsflügel
Wo der Gott der Götter thront,
Lohnt die Thrän' am Felsenhügel,
Wann der Richter einst belohnt,
Wann die Königsstühle trümmern,
Hin ist jede Scheidewand,
Biedre Herzen heller schimmern
Reiner, denn der Krone Tand.

Laßt die Scheidestunde schlagen,
Laßt des Würgers Flügel wehn!
Brüder, drüben wird es tagen!
Schwestern, dort ist Wiedersehn!
Jauchzt dem Heiligsten der Triebe,
Den der Gott der Götter gab,
Brüder, Schwestern, jauchzt der Liebe,
Sie besieget Zeit und Grab!
StA, Band 1, Seite 112.

 

An die Stille

Dort im waldumkränzten Schattentale
Schlürft' ich, schlummernd unter'm Rosenstrauch
Trunkenheit aus deiner Götterschaale,
Angeweht von deinem Liebeshauch.
Sieh' es brent an deines Jünglings Wange
Heiß und glühend noch Begeisterung
Voll ist mir das Herz vom Lobgesange,
Und der Fittig heischet Adlerschwung.

Stieg ich künen Sinns zum Hades nieder
Wo kein Sterblicher dich noch ersah,
Schwänge sich das mutige Gefieder
Zum Orion auf, so wär'st du da;
Wie ins weite Meer die Ströme gleiten
Stürzen dir die Zeiten alle zu
In dem Schoos der alten Ewigkeiten,
In des Chaos Tiefen wohntest du.

In der Wüste dürrem Schrekgefilde,
Wo der Hungertod des Wallers harrt,
In der Stürme Land, wo schwarz und wilde
Das Gebirg' im kalten Panzer starrt,
In der Sommernacht, in Morgenlüften,
In den Hainen weht dein Schwestergruß,
Über schauerlichen Schlummergrüften
Stärkt die Lieblinge dein Götterkuß.

Ruhe fächelst du der Heldenseele
In der Halle, wann die Schlacht beginnt,
Hauchst Begeist'rung in der Felsenhöhle,
Wo um Mitternacht der Denker sinnt,
Schlummer träuf'st du auf die düstre Zelle,
Daß der Dulder seines Grams vergißt,
Lächelst traulich aus der Schattenquelle,
Wo den ersten Kuß das Mädchen küßt.

Ha! dir träuft die wonnetrunkne Zähre
Und Entzükung strömt in mein Gebein
Millionen bauen dir Altäre
Zürne nicht! auch dieses Herz ist dein!
Dort im Thale will ich Wonne trinken
Wiederkehren in die Schattenkluft,
Bis der Göttin Arme trauter winken,
Bis die Braut zum stillen Bunde ruft.

Keine Lauscher nah'n der Schlummerstätte,
Kül und schattig ists im Leichentuch,
Abgeschüttelt ist die Sclavenkette,
Maigesäusel wird Gewitterfluch;
Schöner rauscht die träge Fluth der Zeiten,
Rings umdüstert von der Sorgen Schwarm;
Wie ein Traum verfliegen Ewigkeiten
Schläft der Jüngling seiner Braut im Arm.
StA, Band 1, Seite 114.

 

Hymne an die Unsterblichkeit

Froh, als könnt' ich Schöpfungen beglüken,
Stolz, als huldigten die Sterne mir,
Fleugt, ins Stralenauge dir zu bliken,
Mit der Liebe Kraft mein Geist zu dir.
Schon erglüht dem wonnetrunknen Seher
Deiner Halle gold'nes Morgenroth,
Ha, und deinem Götterschoose näher
Höhnt die Siegesfahne Grab und Tod.

Mich umschimmern Orionenheere,
Stolz ertönet der Plejaden Gang.
Ha, sie wähnen, Ewigkeiten währe
Ihrer Pole wilder Donnerklang.
Majestätisch auf dem Flammenwagen
Durchs Gefild' der Unermeßlichkeit,
Seit das Chaos kreiste, fortgetragen,
Heischt sich Helios Unsterblichkeit.

Auch die Riesen dort im Gräberlande,
Felsgebirg' und Sturm und Ozean,
Wähnen endlos ihrer Schöpfung Bande,
Wurzelnd in dem ew'gen Weltenplan;
Doch es nahen die Vernichtungsstunden,
Wie des Siegers Klinge, schreklichschön. -
Erd' und Himmel ist dahin geschwunden,
Schnell, wie Blize kommen und vergeh'n.

Aber kehre, stralendes Gefieder,
Zu der Halle, wo das Leben wohnt!
Triumphire, triumphire wieder,
Siegesfahne, wo die Göttin thront!
Wenn die Pole schmettern, Sonnen sinken
In den Abgrund der Vergangenheit,
Wird die Seele Siegeswonne trinken,
Hocherhaben über Grab und Zeit.

Ach, wie oft in grausen Mitternächten,
Wenn die heiße Jammerthräne rann,
Wenn mit Gott und Schiksaal schon zu rechten
Der verzweiflungsvolle Mensch begann,
Bliktest du aus trüber Wolkenhülle
Tröstend nieder auf den Schmerzenssohn!
Drüben, riefst du liebevoll und stille,
Drüben harrt des Dulders schöner Lohn.

Müßte nicht der Mensch des Lebens fluchen,
Nicht die Tugend auf der Dornenbahn
Trost im Arme der Vernichtung suchen,
Täuschte sie ein lügenhafter Wahn?
Trümmern möchte der Natur Geseze
Menschenfreiheit, möcht' in blinder Wuth,
Wie die Reue die gestohlnen Schäze,
Niederschmettern ihr ererbtes Gut.

Aber nein, so wahr die Seele lebet,
Und ein Gott im Himmel oben ist,
Und ein Richter, dem die Hölle bebet,
Nein, Unsterblichkeit, du bist, du bist!
Mögen Spötter ihrer Schlangenzungen,
Zweifler ihres Flattersinns sich freu'n,
Der Unsterblichkeit Begeisterungen
Kann die freche Lüge nicht entweih'n.

Heil uns, Heil uns, wenn die freie Seele,
Traulich an die Führerin geschmiegt,
Treu dem hohen göttlichen Befehle,
Jede nied're Leidenschaft besiegt!
Wenn mit tiefem Ernst der Denker spähet
Und durch dich sein Wesen erst begreift,
Weil ihm Lebenslust vom Lande wehet,
Wo das Saamenkorn zur Erndte reift!

Wenn im Heiligtume alter Eichen
Männer um der Königin Altar
Sich die Bruderhand zum Bunde reichen,
Zu dem Bunde freudiger Gefar;
Wenn entzükt von ihren Götterküssen
Jeglicher, des schönsten Lorbeers werth,
Lieb' und Lorbeer ohne Gram zu missen
Zu dem Heil des Vaterlandes schwört!

Wenn die Starken den Despoten weken,
Ihn zu mahnen an das Menschenrecht,
Aus der Lüste Taumel ihn zu schreken,
Muth zu predigen dem feilen Knecht!
Wenn in todesvollen Schlachtgewittern,
Wo der Freiheit Heldenfahne weht,
Muthig, bis die müden Arme splittern,
Ruhmumstralter Sparter Phalanx steht!

Allgewaltig ist im Gräberthale,
Herrscherin, dein seegensvoller Lohn!
Aus der Zukunft zauberischer Schaale
Trinkt sich stolzen Muth der Erdensohn.
Hoffend endet er sein Erdenleben,
Um an deiner mütterlichen Hand
Siegestrunken einst empor zu schweben
In der Geister hohes Vaterland:

Wo der Tugend königliche Blume
Unbetastet von dem Wurme blüht,
Wo der Denker in dem Heiligtume
Hell und offen alle Tiefen sieht,
Wo auf Trümmern kein Tyrann mehr thronet,
Keine Fessel mehr die Seele bannt,
Wo den Heldentod die Palme lohnet,
Engelkuß den Tod fürs Vaterland.

Harret eine Weile, Orione!
Schweige, Donner der Plejadenbahn!
Hülle, Sonne, deine Stralenkrone,
Athme leiser, Sturm und Ozean!
Eilt zu feierlichen Huldigungen,
All ihr großen Schöpfungen der Zeit,
Denn, verloren in Begeisterungen,
Denkt der Seher der Unsterblichkeit!

Siehe! da verstummen Menschenlieder,
Wo der Seele Lust unnennbar ist,
Schüchtern sinkt des Lobgesangs Gefieder,
Wo der Endlichkeit der Geist vergißt.
Wann vor Gott sich einst die Geister sammeln,
Aufzujauchzen ob der Seele Sieg,
Mag Entzükungen der Seraph stammeln,
Wo die trunkne Menschenlippe schwieg.
StA, Band 1, Seite 116.

 

Meine Genesung

 An Lyda

Jede Blüthe war gefallen
Von dem Stamme; Muth und Kraft,
Fürder meine Bahn zu wallen,
War im Kampfe mir erschlafft;
Weggeschwunden Lust und Leben,
Früher Jahre stolze Ruh;
Meinem Grame hingegeben,
Wankt' ich still dem Grabe zu.

Himmel, wie das Herz vergebens
Oft nach edler Liebe rang,
Oft getäuscht des Erdelebens
Träum' und Hofnungen umschlang!
Ach, den Kummer abzuwenden,
Bat ich, freundliche Natur!
Oft von deinen Mutterhänden
Einen Tropfen Freude nur.

Ha, an deinem Göttermahle
Trink ich nun Vergessenheit,
In der vollen Zauberschaale
Reichst du Kraft und Süßigkeit.
In Entzükungen verloren
Staun' ich die Verwandlung an!
Flur und Hain ist neugeboren,
Göttlich stralt der Lenz heran. -

Daß ich wieder Kraft gewinne,
Frei wie einst und seelig bin,
Dank ich deinem Himmelssinne,
Lyda, süße Retterin!
Labung lächelte dem Müden,
Hohen Muth, wie du zufrieden,
Gut zu sein und groß wie du.

Stark in meiner Freuden Fülle
Wall ich fürder nun die Bahn,
Reizend in der Wolkenhülle
Flammt das ferne Ziel mich an.
Mags den Peinigern gelingen!
Mag die blaiche Sorge sich
Um die stille Klause schwingen!
Lyda! Lyda tröstet mich!
StA, Band 1, Seite 120.

 

Melodie

An Lyda

Lyda, siehe! zauberisch umwunden
Hält das All der Liebe Schöpferhand,
Erd' und Himmel wandeln treu verbunden,
Laut und Seele knüpft der Liebe Band.
Lüftchen säuseln, Donner rollen nieder -
Staune, Liebe! staun' und freue dich!
Seelen finden sich im Donner wieder,
Seelen kennen in dem Lüftchen sich.

Am Gesträuche lullt in Liebesträume
Süße Trunkenheit das Mädchen ein,
Haucht der Früling durch die Blüthenbäume,
Summen Abendsang die Käferlein;
Helden springen von der Schlummerstätte,
Grüßt sie brüderlich der Nachtorkan;
Hinzuschmettern die Tyrannenkette
Wallen sie die traute Schrekenbahn.

Wo der Todtenkranz am Grabe flüstert,
Wo der Wurm in schwarzen Wunden nagt,
Wo, vom grauen Felsenstrauch umdüstert,
Durch die Haide hin der Rabe klagt;
Wo die Lerch' im Thale froher Lieder,
Plätschernd die Forell' im Bache tanzt;
Tönt die Seele Sympathieen wieder,
Von der Liebe Zauber eingepflanzt.

Wo des Geiers Schrei des Raubs sich freuet,
Wo der Aar dem Felsennest entbraust,
Wo Gemäuer ächzend niederdräuet,
Wo der Wintersturm in Trümmern saust,
Wo die Wooge, vom Orkan bezwungen,
Wieder auf zum schwarzen Himmel tost,
Trinkt das Riesenherz Begeisterungen,
Von den Schmeicheltönen liebgekost.

Felsen zwingt zu trauten Mitgefühlen
Tausendstimmiger Naturgesang,
Aber süßer tönt von Saitenspielen
Allgewaltiger ihr Zauberklang;
Rascher pocht im angestammten Triebe,
Bang und süße, wie der jungen Braut,
Jeder Aderschlag, in trunkner Liebe
Find't das Herz den brüderlichen Laut.

Aus des Jammerers erstarrtem Blike
Loket Labetränen Flötenton,
Im Gedränge schwarzer Mißgeschike
Schafft die Schlachttrommete Siegeslohn,
Wie der Stürme Macht im Rosenstrauche,
Reißt dahin der Saiten Ungestümm,
Kosend huldiget dem Liebeshauche
Sanfter Melodie der Rache Grimm.

Reizender erglüht der Wangen Rose,
Flammenathem haucht der Purpurmund,
Hingebannt bei lispelndem Gekose
Schwört die Liebe den Vermählungsbund;
Niegesung'ne königliche Lieder
Sprossen in des Sängers Brust empor,
Stolzer schwebt des Hochgesangs Gefieder,
Rührt der Töne Reigentanz das Ohr;

Wie sie langsam erst am Hügel wallen,
Majestätisch dann wie Siegersgang,
Hochgehoben zu der Freude Hallen,
Liebe singen und Triumphgesang;
Dann durch Labyrinthe hingetragen
Fürder schleichen in dem Todesthal,
Bis die Nachtgefilde schöner tagen,
Bis Entzükung jauchzt am Göttermahl.

Ha! und wann mir in des Sanges Tönen
Näher meiner Liebe Seele schwebt,
Hingegossen in Entzükungstränen
Näher ihr des Sängers Seele bebt,
Wähn' ich nicht vom Körper losgebunden
Hinzujauchzen in der Geister Land? -
Lyda! Lyda! zauberisch umwunden
Hält das All der Liebe Schöpferhand.
StA, Band 1, Seite 122.

 

Hymne an den Genius Griechenlands

 Jubel! Jubel
Dir auf der Wolke!
Erstgeborner
Der hohen Natur!
Aus Kronos Halle
Schwebst du herab,
Zu neuen, geheiligten Schöpfungen
Hold und majestätisch herab.

 Ha! bei der Unsterblichen
Die dich gebahr,
Dir gleichet keiner
Unter den Brüdern
Den Völkerbeherrschern
Den Angebeteten allen!

 Dir sang in der Wiege den Weihgesang
Im blutenden Panzer die ernste Gefar
Zu gerechtem Siege reichte den Stahl
Die heilige Freiheit dir.
Von Freude glühten
Von zaubrischer Liebe deine Schläfe
Die goldgelokten Schläfe.

 Lange säumtest du unter den Göttern
Und dachtest der kommenden Wunder.
Vorüber schwebten wie silbern Gewölk
Am liebenden Auge dir
Die Geschlechter alle!
Die seeligen Geschlechter.

 Im Angesichte der Götter
Beschloß dein Mund
Auf Liebe dein Reich zu gründen.
Da staunten die Himmlischen alle.
Zu brüderlicher Umarmung,
Neigte sein königlich Haupt
Der Donnerer nieder zu dir.
Du gründest auf Liebe dein Reich.

 Du kommst und Orpheus Liebe
Schwebet empor zum Auge der Welt
Und Orpheus Liebe
Wallet nieder zum Acheron.
Du schwingest den Zauberstab,
Und Aphroditäs Gürtel ersieht
Der trunkene Mäonide.
Ha! Mäonide! wie du!
So liebte keiner, wie du;
Die Erd' und Ozean
Und die Riesengeister, die Helden der Erde
Umfaßte dein Herz!
Und die Himmel und alle die Himmlischen
Umfaßte dein Herz.
Auch die Blumen, die Bien' auf der Blume
Umfaßte liebend dein Herz! -

 Ach Ilion! Ilion!
Wie jammertest, hohe Gefallene, du
Im Blute der Kinder!
Nun bist du getröstet, dir scholl
Groß und warm wie sein Herz
Des Mäoniden Lied.

 Ha! bei der Unsterblichen
Die dich gebahr,
Dich, der du Orpheus Liebe,
Der du schuffest Homeros Gesang
StA, Band 1, Seite 125.

 

An Lyda

Trunken, wie im hellen Morgenstrale
Der Pilote seinen Ozean,
Wie die Seeligen Elysens Thale
Staunt' ich meiner Liebe Freuden an,
Thal' und Haine lachten neugeboren
Wo ich wallte trank ich Göttlichkeit
Ha! von ihr zum Liebling' auserkoren
Höhnt ich stolzen Muths Geschik und Zeit.

Stolzer ward und edler das Verlangen
Als mein Geist der Liebe Kraft erschwang,
Myriaden wähnt' ich zu umfangen
Wenn ich Liebe, trunken Liebe sang,
Wie der Frülingshimmel, weit und helle,
Wie die Perle schön und ungetrübt,
Rein und stille wie der Weisheit Quelle
War das Herz von ihr, von ihr geliebt.

Sieh! im Stolze hatt' ich oft geschworen,
Unvergänglich dieser Herzverein!
Lyda mir, zum Heile mir geboren
Lyda mein, wie meine Seele mein,
Aber neidisch tratt die Scheidestunde,
Treues Mädchen! zwischen mich und dich,
Nimmer, nimmer auf dem Erdenrunde,
Lyda! nahn die trauten Arme sich.

Stille wallst du nun am Rebenhügel
Wo ich dich und deinen Himmel fand,
Wo dein Auge, deiner Würde Spiegel
Mich allmächtig, ewig an dich band!
Schnell ist unser Früling hingeflogen!
O du Einzige! vergieb, vergieb!
Deinen Frieden hat sie dir entzogen
Meine Liebe, tränenvoll und trüb.

Als ich deinem Zauber hingegeben
Erd und Himmel über dir vergaß
Ach! so seelig in der Liebe Leben
Lyda! meine Lyda! dacht' ich das?
StA, Band 1, Seite 128.

 

Hymne an die Göttin der Harmonie

Urania, die glänzende Jungfrau, hält mit ihrem Zauber-
gürtel das Weltall in tobendem Entzüken zusammen.
                                  Ardinghello

Froh, als könnt' ich Schöpfungen beglüken,
Kün, als huldigten die Geister mir,
Nahet, in dein Heiligtum zu bliken,
Hocherhab'ne! meine Liebe dir;
Schon erglüht der wonnetrunkne Seher
Von den Ahndungen der Herrlichkeit,
Ha, und deinem Götterschoose näher
Höhnt des Siegers Fahne Grab und Zeit.

Tausendfältig, wie der Götter Wille,
Weht Begeisterung den Sänger an,
Unerschöpflich ist der Schönheit Fülle,
Grenzenlos der Hoheit Ozean.
Doch vor Allem hab ich dich erkoren,
Bebend, als ich ferne dich ersah,
Bebend hab ich Liebe dir geschworen,
Königin der Welt! Urania.

Was der Geister stolzestes Verlangen
In den Tiefen und den Höh'n erzielt,
Hab ich allzumal in dir empfangen,
Sint dich ahndend meine Seele fühlt.
Dir entsprossen Myriaden Leben,
Als die Stralen deines Angesichts,
Wendest du dein Angesicht, so beben
Und vergeh'n sie, und die Welt ist Nichts.

Thronend auf des alten Chaos Woogen,
Majestätisch lächelnd winktest du,
Und die wilden Elemente flogen
Liebend sich auf deine Winke zu.
Froh der seeligen Vermälungsstunde
Schlangen Wesen nun um Wesen sich,
In den Himmeln, auf dem Erdenrunde
Sahst du, Meisterin! im Bilde dich. -

Ausgegossen ist des Lebens Schaale,
Bächlein, Sonnen treten in die Bahn,
Liebetrunken schmiegen junge Thale
Sich den liebetrunknen Hügeln an:
Schön und stolz wie Göttersöhne hangen
Felsen an der mütterlichen Brust,
Von der Meere wildem Arm umfangen,
Bebt das Land in niegefühlter Lust.

Warm und leise wehen nun die Lüfte,
Liebend sinkt der holde Lenz ins Thal:
Haine sprossen an dem Felsgeklüfte,
Gras und Blumen zeugt der junge Stral.
Siehe, siehe, vom empörten Meere,
Von den Hügeln, von der Thale Schoos,
Winden sich die ungezälten Heere
Freudetaumelnder Geschöpfe los.

Aus den Hainen wallt ins Lenzgefilde
Himmlischschön der Göttin Sohn hervor,
Den zum königlichen Ebenbilde
Sie im Anbeginne sich erkor:
Sanftbegrüßt von Paradiesesdüften
Steht er wonniglichen Staunens da,
Und der Liebe großen Bund zu stiften,
Singt entgegen ihm Urania:

»Komm, o Sohn! der süßen Schöpfungsstunde
Auserwählter, komm und liebe mich!
Meine Küsse weihten dich zum Bunde,
Hauchten Geist von meinem Geist in dich. -
Meine Welt ist deiner Seele Spiegel,
Meine Welt, o Sohn! ist Harmonie,
Freue dich! Zum offenbaren Siegel
Meiner Liebe schuff ich dich und sie.

Trümmer ist der Wesen schöne Hülle,
Knüpft sie meiner Rechte Kraft nicht an.
Mir entströmt der Schönheit ew'ge Fülle,
Mir der Hoheit weiter Ozean.
Danke mir der zauberischen Liebe,
Mir der Freude stärkenden Genuß,
Deine Thränen, deine schönsten Triebe
Schuff, o Sohn! der schöpferische Kuß.

Herrlicher mein Bild in dir zu finden,
Haucht' ich Kräfte dir und Künheit ein,
Meines Reichs Geseze zu ergründen,
Schöpfer meiner Schöpfungen zu sein.
Nur im Schatten wirst du mich erspähen,
Aber liebe, liebe mich, o Sohn!
Drüben wirst du meine Klarheit sehen,
Drüben kosten deiner Liebe Lohn.«

Nun, o Geister! in der Göttin Namen,
Die uns schuff im Anbeginn der Zeit,
Uns, die Sprößlinge von ihrem Saamen,
Uns, die Erben ihrer Herrlichkeit,
Kommt zu feierlichen Huldigungen
Mit der Seele ganzer Götterkraft,
Mit der höchsten der Begeisterungen
Schwört vor ihr, die schuff und ewig schaft.

Frei und mächtig, wie des Meeres Welle,
Rein wie Bächlein in Elysium,
Sei der Dienst an ihres Tempels Schwelle,
Sei der Warheit hohes Priestertum.
Nieder, nieder mit verjährtem Wahne!
Stolzer Lüge Fluch und Untergang,
Ruhm der Weisheit unbeflekter Fahne,
Den Gerechten Ruhm und Siegsgesang!

Ha, der Lüge Quell - wie todt und trübe!
Kräftig ist der Weisheit Quell und süß!
Geister! Brüder! dieser Quell ist Liebe,
Ihn umgrünt der Freuden Paradieß.
Von des Erdelebens Tand geläutert,
Ahndet Götterlust der zarte Sinn,
Von der Liebe Labetrunk erheitert,
Naht die Seele sich der Schöpferin.

Geister! Brüder! unser Bund erglühe
Von der Liebe göttlicher Magie.
Unbegränzte, reine Liebe ziehe
Freundlich uns zur hohen Harmonie.
Sichtbar adle sie die treuen Söhne,
Schaff' in ihnen Ruhe, Muth und That,
Und der heiligen Entzükung Thräne,
Wenn Urania der Seele naht.

Siehe, Stolz und Hader ist vernichtet,
Trug ist nun und blinde Lüge stumm,
Streng' ist Licht und Finsterniß gesichtet,
Rein der Warheit stilles Heiligtum.
Unsrer Wünsche Kampf ist ausgerungen,
Himmelsruh errang der heiße Streit,
Und die priesterlichen Huldigungen
Lohnet göttliche Genügsamkeit.

Stark und seelig in der Liebe Leben
Staunen wir des Herzens Himmel an,
Schnell wie Seraphin im Fluge, schweben
Wir zur hohen Harmonie hinan.
Das vermag die Saite nicht zu künden,
Was Urania den Sehern ist,
Wenn von hinnen Nacht und Wolke schwinden,
Und in ihr die Seele sich vergißt.

Kommt den Jubelsang mit uns zu singen,
Denen Liebe gab die Schöpferin!
Millionen, kommt emporzuringen
Im Triumphe zu der Königin!
Erdengötter, werft die Kronen nieder!
Jubelt Millionen fern und nah!
Und ihr Orione hallt es wieder:
Heilig, heilig ist Urania!
StA, Band 1, Seite 130.

 

Hymne an die Muse

Schwach zu königlichem Feierliede,
Schloß ich lang genug geheim und stumm
Deine Freuden, hohe Pieride!
In des Herzens stilles Heiligtum;
Endlich, endlich soll die Saite künden,
Wie von Liebe mir die Seele glüht,
Unzertrennbarer den Bund zu binden,
Soll dir huldigen diß Feierlied.

Auf den Höh'n, am ernsten Felsenhange,
Wo so gerne mir die Thräne rann,
Säuselte die frühe Knabenwange
Schon dein zauberischer Othem an; - 
Bin ich, Himmlische, der Göttergnaden?
Königin der Geister, bin ich werth,
Daß mich oft, des Erdetands entladen,
Dein allmächtiges Umarmen ehrt? -

Ha! vermöcht' ich nun, dir nachzuringen,
Königin! in deiner Götterkraft
Deines Reiches Gränze zu erschwingen,
Auszusprechen, was dein Zauber schafft! -
Siehe! die geflügelten Aeonen
Hält gebieterisch dein Othem an,
Deinem Zauber huldigen Dämonen,
Staub und Aether ist dir unterthan.

Wo der Forscher Adlersblike beben,
Wo der Hofnung küner Flügel sinkt,
Keimet aus der Tiefe Lust und Leben,
Wenn die Schöpferin vom Throne winkt;
Seiner Früchte süßestes bereitet
Ihr der Wahrheit gränzenloses Land;
Und der Liebe schöne Quelle leitet
In der Weisheit Hain der Göttin Hand.

Was vergessen wallt an Lethes Strande,
Was der Enkel eitle Waare dekt,
Stralt heran im blendenden Gewande,
Freundlich von der Göttin auferwekt;
Was in Hütten und in Heldenstaaten
In der göttergleichen Väter Zeit
Große Seelen duldeten und thaten,
Lohnt die Muse mit Unsterblichkeit.

Sieh'! am Dornenstrauche keimt die Rose,
So des Lenzes holder Stral erglüht; -
In der Pieride Mutterschoose
Ist der Menschheit Adel aufgeblüht;
Auf des Wilden krausgelokte Wange
Drükt sie zauberisch den Götterkuß,
Und im ersten glühenden Gesange
Fühlt er staunend geistigen Genuß.

Liebend lächelt nun der Himmel nieder,
Leben athmen alle Schöpfungen,
Und im morgenröthlichen Gefieder
Nahen freundlich die Unsterblichen.
Heilige Begeisterung erbauet
In dem Haine nun ein Heiligtum,
Und im Todesvollen Kampfe schauet
Der Heroë nach Elysium.

Öde stehn und dürre die Gefilde,
Wo die Blüthen das Gesez erzwingt;
Aber wo in königlicher Milde
Ihren Zauberstab die Muse schwingt,
Blühen schwelgerisch und kün die Saaten,
Reifen, wie der Wandelsterne Lauf,
Schnell und herrlich Hofnungen und Thaten
Der Geschlechter zur Vollendung auf.

Laß der Wonne Zähre dir gefallen!
Laß die Seele des Begeisterten
In der Liebe Taumel überwallen!
Laß, o Göttin! laß mich huldigen! -
Siehe! die geflügelten Aeonen
Hält gebieterisch dein Othem an,
Deinem Zauber huldigen Dämonen -
Ewig bin auch ich dir unterthan.

Mag der Pöbel seinen Gözen zollen,
Mag, aus deinem Heiligtum verbannt
Deinen Lieblingen das Laster grollen,
Mag, in ihrer Schwäche Schmerz entbrannt,
Stolze Lüge deine Würde schänden,
Und dein Edelstes dem Staube weih'n,
Mag sie Blüthe mir und Kraft verschwenden,
Meine Liebe! - dieses Herz ist dein!

In der Liebe volle Lust zerflossen,
Höhnt das Herz der Zeiten trägen Lauf,
Stark und rein im Innersten genossen,
Wiegt der Augenblik Aeonen auf; -
Wehe! wem des Lebens schöner Morgen
Freude nicht und trunkne Liebe schafft,
Wem am Sklavenbande blaicher Sorgen
Zum Genusse Kraft und Muth erschlafft.

Deine Priester, hohe Pieride!
Schwingen frei und froh den Pilgerstab,
Mit der allgewaltigen Aegide
Lenkst du mütterlich die Sorgen ab;
Schäumend beut die zauberische Schaale
Die Natur den Auserkornen dar,
Trunken von der Schönheit Göttermahle
Höhnet Glük und Zeit die frohe Schaar.

Frei und muthig, wie im Siegesliede,
Wallen sie der edeln Geister Bahn,
Dein Umarmen, hohe Pieride!
Flammt zu königlichen Thaten an; -
Laßt die Miethlinge den Preis erspähen!
Laßt sie seufzend für die Tugenden,
Für den Schweis am Joche Lohn erflehen!
Muth und That ist Lohn den Edleren!

Ha! von ihr, von ihr emporgehoben
Blikt dem Ziele zu der trunkne Sinn -
Hör'es, Erd' und Himmel! wir geloben,
Ewig Priestertum der Königin!
Kommt zu süßem brüderlichem Bunde,
Denen sie den Adel anerschuf,
Millionen auf dem Erdenrunde!
Kommt zu neuem seeligem Beruf!

Ewig sei ergrauter Wahn vergessen!
Was der reinen Geister Aug' ermißt,
Hoffe nie die Spanne zu ermessen! -
Betet an, was schön und herrlich ist!
Kostet frei, was die Natur bereitet,
Folgt der Pieride treuen Hand,
Geht, wohin die reine Liebe leitet,
Liebt und sterbt für Freund und Vaterland!
StA, Band 1, Seite 135.

 

Hymne an die Freiheit (1792)

Wie den Aar im grauen Felsenhange
Wildes Sehnen zu der Sterne Bahn,
Flammt zu majestätischem Gesange
Meiner Freuden Ungestümm mich an;
Ha! das neue niegenoss'ne Leben
Schaffet neuen glühenden Entschluß!
Über Wahn und Stolz emporzuschweben,
Süßer unaussprechlicher Genuß!

Sint dem Staube mich ihr Arm entrissen,
Schlägt das Herz so kün und seelig ihr;
Angeflammt von ihren Götterküssen
Glühet noch die heiße Wange mir;
Jeder Laut von ihrem Zaubermunde
Adelt noch den neugeschaff'nen Sinn -
Hört, o Geister! meiner Göttin Kunde,
Hört, und huldiget der Herrscherin!

»Als die Liebe noch im Schäferkleide
Mit der Unschuld unter Blumen gieng,
Und der Erdensohn in Ruh' und Freude
Der Natur am Mutterbusen hieng,
Nicht der Übermuth auf Richterstühlen
Blind und fürchterlich das Band zerriß;
Tauscht' ich gerne mit der Götter Spielen
Meiner Kinder stilles Paradiß.

Liebe rief die jugendlichen Triebe
Schöpferisch zu hoher stiller That,
Jeden Keim entfaltete der Liebe
Wärm' und Licht zu schwelgerischer Saat;
Deine Flügel, hohe Liebe! trugen
Lächelnd nieder die Olympier;
Jubeltöne klangen - Herzen schlugen
An der Götter Busen göttlicher.

Freundlich bot der Freuden süße Fülle
Meinen Lieblingen die Unschuld dar;
Unverkennbar in der schönen Hülle
Wußte Tugend nicht, wie schön sie war;
Friedlich hausten in der Blumenhügel
Kühlem Schatten die Genügsamen -
Ach! des Haders und der Sorge Flügel
Rauschte ferne von den Glüklichen.

Wehe nun! - mein Paradieß erbebte!
Fluch verhieß der Elemente Wut!
Und der Nächte schwarzem Schoos' entschwebte
Mit des Geiers Blik der Übermuth;
Wehe! weinend floh' ich mit der Liebe
Mit der Unschuld in die Himmel hin -
Welke, Blume! rief ich ernst und trübe,
Welke, nimmer, nimmer aufzublüh'n!

Kek erhub sich des Gesezes Ruthe,
Nachzubilden, was die Liebe schuf;
Ach! gegeißelt von dem Übermuthe
Fühlte keiner göttlichen Beruf;
Vor dem Geist in schwarzen Ungewittern,
Vor dem Racheschwerdte des Gerichts
Lernte so der blinde Sklave zittern,
Fröhnt' und starb im Schreken seines Nichts.

Kehret nun zu Lieb' und Treue wieder -
Ach! es zieht zu langentbehrter Lust
Unbezwinglich mich die Liebe nieder -
Kinder! kehret an die Mutterbrust!
Ewig sei vergessen und vernichtet,
Was ich zürnend vor den Göttern schwur;
Liebe hat den langen Zwist geschlichtet,
Herrschet wieder! Herrscher der Natur!«

Froh und göttlichgroß ist deine Kunde,
Königin! dich preise Kraft und That!
Schon beginnt die neue Schöpfungsstunde,
Schon entkeimt die seegenschwang're Saat:
Majestätisch, wie die Wandelsterne,
Neuerwacht am off'nen Ozean,
Stralst du uns in königlicher Ferne,
Freies kommendes Jahrhundert! an.

Staunend kennt der große Stamm sich wieder,
Millionen knüpft der Liebe Band;
Glühend steh'n, und stolz, die neuen Brüder,
Stehn und dulden für das Vaterland;
Wie der Epheu, treu und sanft umwunden,
Zu der Eiche stolzen Höh'n hinauf,
Schwingen, ewig brüderlich verbunden,
Nun am Helden Tausende sich auf.

Nimmer beugt, vom Übermuth belogen,
Sich die freie Seele grauem Wahn;
Von der Muse zarter Hand erzogen
Schmiegt sie kün an Göttlichkeit sich an;
Götter führt in brüderlicher Hülle
Ihr die zauberische Muse zu,
Und gestärkt in reiner Freuden Fülle,
Kostet sie der Götter stolze Ruh!

Froh verhöhnt das königliche Leben
Deine Taumel, niedre feige Lust!
Der Vollendung Ahndungen erheben
Über Glük und Zeit die stolze Brust. -
Ha! getilget ist die alte Schande!
Neuerkauft das angestammte Gut!
In dem Staube modern alle Bande,
Und zur Hölle flieht der Übermuth!

Dann am süßen heißerrungnen Ziele,
Wenn der Erndte großer Tag beginnt,
Wenn verödet die Tirannenstühle,
Die Tirannenknechte Moder sind,
Wenn im Heldenbunde meiner Brüder
Deutsches Blut und deutsche Liebe glüht;
Dann, o Himmelstochter! sing' ich wieder,
Singe sterbend dir das lezte Lied.
StA, Band 1, Seite 139.

 

Kanton Schweiz

An meinen lieben Hiller

  Hier, in ermüdender Ruh', im bittersüßen Verlangen,
Da zu sein, wo mein Herz, und jeder beßre Gedank' ist,
Reichet doch Erinnerung mir den zaubrischen Becher
Schäumend und voll, und hoher Genuß der kehrenden Bilder
Wekt die schlummernden Fittige mir zu trautem Gesange.

  Bruder! dir gab ein Gott der Liebe göttlichen Funken,
Zarten geläuterten Sinn, zu erspäh'n, was herrlich und schön ist;
Stolzer Freiheit glühet dein Herz, und kindlicher Einfalt -
Bruder! komm' und koste mit mir des zaubrischen Bechers.

  Dort, wo der Abendstral die Westgewölke vergüldet,
Dorthin wende den Blik, und weine die Thräne der Sehnsucht!
Ach! dort wandelten wir! dort flog und schwelgte das Auge
Unter den Herrlichkeiten umher! - wie dehnte der Busen
Diesen Himmel zu fassen, sich aus! - wie brannte die Wange
Süß von Morgenlüften gekühlt, als unter Gesängen
Zürch den Scheidenden schwand im sanfthingleitenden Boote!
Lieber! wie drüktest du mir die heiße zitternde Rechte,
Sahst so glühend und ernst mich an im donnernden Rheinsturz!
Aber seelig, wie du, o Tag am Quelle der Freiheit!
Festlich, wie du, sank keiner auf uns vom rosigen Himmel.

  Ahndung schwellte das Herz. Schon war des feiernden Klosters
Ernste Gloke verhallt. Schon schwanden die friedlichen Hütten
Rund an Blumenhügeln umher, am rollenden Giesbach,
Unter Fichten im Thal, wo dem Ahn in heiliger Urzeit
Füglich däuchte der Grund zum Erbe genügsamer Enkel.
Schaurig und kühl empfieng uns die Nacht in ewigen Wäldern,
Und wir klommen hinauf am furchtbarherrlichen Haken.
Nächtlicher immer wards und enger im Riesengebürge.
Jäher herunter hieng der Pfad zu den einsamen Wallern.
Dicht zur Rechten donnert hinab der zürnende Waldstrom:
Nur sein Donner berauscht den Sinn. Die schäumenden Woogen
Birgt uns Felsengesträuch, und modernde Tannen am Abhang,
Vom Orkane gestürzt. - Nun tagte die Nacht am Gebirge
Schaurig und wundersam, wie Heldengeister am Lego,
Wälzten sich kämpfende Wolken heran auf scheeiger Haide.
Sturm und Frost entschwebte der Kluft. Vom Sturme getragen
Schrie und stürzte der Aar, die Beut' im Thale zu haschen.
Und der Wolken Hülle zerriß, und im ehernen Panzer
Kam die Riesin heran, die majestätische Myten.
Staunend wandelten wir vorüber. - Ihr Väter der Freien!
Heilige Schaar! nun schau'n wir hinab, hinab, und erfüllt ist
Was der Ahndungen künste versprach, was süße Begeist'rung
Einst mich lehrt' im Knabengewande, gedacht' ich des hohen
Hirten in Mamre's Hain' und der schönen Tochter von Laban,
Ach! es kehrt so warm in die Brust; - Arkadiens Friede
Köstlicher, unerkannter, und du, allheilige Einfalt,
Wie so anders blüht in eurem Strale die Freude! -
Vor entweihendem Prunk, vor Stolz und knechtischer Sitte
Von den ewigen Wächtern geschirmt, den Riesengebirgen,
Lachte das heilige Thal uns an, die Quelle der Freiheit.
Freundlich winkte der See vom fernen Lager; die Schreken
Seiner Arme verbarg die schwarze Kluft im Gebirge:
Freundlicher sahn aus der Tiefe herauf, in blühende Zweige
Reizend verhüllt, und kindlichfroh der jauchzenden Heerde
Und des tiefen Grases umher, die friedsamen Hütten.
Und wir eilten hinab in Liebe; kosteten lächelnd
Auf dem Pfade des Sauerklees, und erfrischender Ampfer,
Bis der begeisternde Sohn der schwarzen italischen Traube
Uns mit Lächeln gereicht in der herzerfreuenden Hütte
Neues Leben in uns gebahr, und die schäumenden Gläser
Unter Jubelgesang erklangen, zur Ehre der Freiheit.
Lieber! wie war uns da! - bei solchem Mahle begehret
Nichts auf Erden die Brust, und alle Kräfte gedeihen.

  Lieber! er schwand so schnell, der köstliche Tag; in der kühlen
Dämmerung schieden wir; an den Heiligtümern der Freiheit
Wallten wir dann vorbei in frommer seeliger Stille,
Faßten sie tief in's Herz, und seegneten sie, und schieden!

  Lebt dann wol, ihr Glüklichen dort! im friedsamen Thale
Lebe wol, du Stätte des Schwurs! dir jauchz'ten die Sterne,
Als in heiliger Nacht der ernste Bund dich besuchte.
Herrlich Gebirg! wo der blaiche Tyrann den Knechten vergebens,
Zahm und schmeichlerisch Muth gebot - zu gewaltig erhub sich
Wider den Troz die gerechte, die unerbittliche Rache -
Lebe wol, du herrlich Gebirg. Dich schmükte der Freien
Opferblut - es wehrte der Thräne der einsame Vater.
Schlummre sanft, du Heldengebein! o schliefen auch wir dort
Deinen eisernen Schlaf, dem Vaterlande geopfert,
Walthers Gesellen und Tells, im schönen Kampfe der Freiheit!

  Könnt' ich dein vergessen, o Land, der göttlichen Freiheit!
Froher wär' ich; zu oft befällt die glühende Schaam mich,
Und der Kummer, gedenk' ich dein, und der heiligen Kämpfer.
Ach! da lächelt Himmel und Erd' in fröhlicher Liebe
Mir umsonst, umsonst der Brüder forschendes Auge.
Doch ich vergesse dich nicht! ich hoff' und harre des Tages,
Wo in erfreuende That sich Schaam und Kummer verwandelt.
StA, Band 1, Seite 143.

 

Hymne an die Menschheit

Les bornes du possible dans les choses morales sont moins étroites, que
nous ne pensons. Ce sont nos foiblesses, nos vices, nos préjugés, qui les
rétrécissent. Les ames basses ne croient point aux grands hommes: de
vils esclaves sourient d' un air moqueur à ce mot de liberté.
                                                  J.J. Rousseau

Die ernste Stunde hat geschlagen;
Mein Herz gebeut; erkoren ist die Bahn!
Die Wolke fleucht, und neue Sterne tagen,
Und Hesperidenwonne lacht mich an!
Vertroknet ist der Liebe stille Zähre,
Für dich geweint, mein brüderlich Geschlecht!
Ich opfre dir; bei deiner Väter Ehre!
Beim nahen Heil! das Opfer ist gerecht.

Schon wölbt zu reinerem Genusse
Dem Auge sich der Schönheit Heiligtum;
Wir kosten oft, von ihrem Mutterkusse
Geläutert und gestärkt, Elysium;
Des Schaffens süße Lust, wie sie, zu fülen,
Belauscht sie kün der zartgewebte Sinn,
Und magisch tönt von unserm Saitenspielen
Die Melodie der ernsten Meisterin.

Schon lernen wir das Band der Sterne,
Der Liebe Stimme männlicher versteh'n,
Wir reichen uns die Bruderrechte gerne,
Mit Heereskraft der Geister Bahn zu geh'n;
Schon höhnen wir des Stolzes Ungebärde,
Die Scheidewand, von Flittern aufgebaut,
Und an des Pflügers unentweihtem Heerde
Wird sich die Menschheit wieder angetraut.

Schon fülen an der Freiheit Fahnen
Sich Jünglinge, wie Götter, gut und groß,
Und, ha! die stolzen Wüstlinge zu mahnen,
Bricht jede Kraft von Bann und Kette los;
Schon schwingt er kün und zürnend das Gefieder,
Der Warheit unbesiegter Genius,
Schon trägt der Aar des Rächers Blize nieder,
Und donnert laut, und kündet Siegsgenuß.

So wahr, von Giften unbetastet,
Elysens Blüthe zur Vollendung eilt,
Der Heldinnen, der Sonnen keine rastet,
Und Orellana nicht im Sturze weilt!
Was unsre Lieb' und Siegeskraft begonnen,
Gedeih't zu üppiger Vollkommenheit;
Der Enkel Heer geneußt der Erndte Wonnen;
Uns lohnt die Palme der Unsterblichkeit.

Hinunter dann mit deinen Thaten,
Mit deinen Hofnungen, o Gegenwart!
Von Schweis bethaut, entkeimten unsre Saaten!
Hinunter dann, wo Ruh' der Kämpfer harrt!
Schon geh't verherrlichter aus unsern Grüften
Die Glorie der Endlichkeit hervor;
Auf Gräbern hier Elysium zu stiften,
Ringt neue Kraft zu Göttlichem empor.

In Melodie den Geist zu wiegen,
Ertönet nun der Saite Zauber nur;
Der Tugend winkt zu gleichen Meisterzügen
Die Grazie der göttlichen Natur;
In Fülle schweben lesbische Gebilde,
Begeisterung, vom Seegenshorne dir!
Und in der Schönheit weitem Lustgefilde
Verhöhnt das Leben knechtische Begier.

Gestärkt von hoher Lieb' ermüden
Im Fluge nun die jungen Aare nie,
Zum Himmel führt die neuen Tyndariden
Der Freundschaft allgewaltige Magie;
Veredelt schmiegt an thatenvoller Greise
Begeisterung des Jünglings Flamme sich;
Sein Herz bewahrt der lieben Väter Weise,
Wird kün, wie sie, und froh und brüderlich.

Er hat sein Element gefunden,
Das Götterglük, sich eig'ner Kraft zu freu'n;
Den Räubern ist das Vaterland entwunden,
Ist ewig nun, wie seine Seele, sein!
Kein eitel Ziel entstellt die Göttertriebe,
Ihm winkt umsonst der Wollust Zauberhand;
Sein höchster Stolz und seine wärmste Liebe,
Sein Tod, sein Himmel ist das Vaterland.

Zum Bruder hat er dich erkoren,
Geheiliget von deiner Lippe Kuß
Unwandelbare Liebe dir geschworen,
Der Warheit unbesiegter Genius!
Emporgereift in deinem Himmelslichte,
Stralt furchtbarherrliche Gerechtigkeit,
Und hohe Ruh' vom Heldenangesichte -
Zum Herrscher ist der Gott in uns geweih't.

So jubelt, Siegsbegeisterungen!
Die keine Lipp' in keiner Wonne sang;
Wir ahndeten - und endlich ist gelungen,
Was in Aeonen keiner Kraft gelang -
Vom Grab' ersteh'n der alten Väter Heere,
Der königlichen Enkel sich zu freu'n;
Die Himmel kündigen des Staubes Ehre,
Und zur Vollendung geht die Menschheit ein.
StA, Band 1, Seite 146.

 

Hymne an die Schönheit

Erste Fassung

Hab ich vor der Götter Ohren
Zauberische Muse, dir
Lieb und Treue nicht geschworen?
Sankst du nicht in Lust verloren
Glühend in die Arme mir? -
Ha! so wall' ich one Zagen
Durch die Liebe froh und kün,
Lächelnd zu den Höhen hin
Wo die lezten Nächte tagen,
Wo der Sonnen lezte schien.

Waltend über Orionen,
Wo der Sterne Klang verhallt,
Lächelt, opfernden Dämonen
Mit der Liebe Blik zu lonen
Schönheit in der Urgestalt;
Dort dem hohen Götterglanze
Der Gebieterin zu nah'n,
Flammet Lieb' und Stolz mich an,
Denn mit hellem Siegeskranze
Lonet sie die küne Bahn.

Reinere Begeisterungen
Trinkt die freie Seele schon,
Meines Lebens Peinigungen
Hat die neue Lust verschlungen,
Nacht und Wolke sind entflohn;
Wann im schrekenden Gerichte
Schnell der Welten Axe bricht
Hier erbebt die Liebe nicht,
Wo von ihrem Angesichte
Lieb' und Göttergröße spricht.

Stiegst du so zur Erde nieder,
Hohe süße Zauberin!
Ha! der Staub erwachte wieder
Und des Kummers morsche Glieder
Hüpften üppig vor dir hin;
Von der Liebe Blik betroffen
Bebt' und küßte brüderlich
Groll und wilder Haader sich,
Wie der Himmel, hell und offen
Grüßten Wahn und Irre dich.

Schon im grünen Erdenrunde
Schmekt ich hohen Vorgenuß
Bebend dir am Göttermunde
Trank ich früh der Weihestunde
Süßen mütterlichen Kuß;
Fremde meinem Kindersinne
Folgte mir zu Wies' und Wald
Die arkadische Gestalt.
Ha! und staunend ward ich inne
Ihres Zaubers Allgewalt.

In den Tiefen und den Höhen
Der erfreuenden Natur
Fand' ich, Wonne zu erspähen
Von der Holdin ausersehen
Liebetrunken ihre Spur;
Wo das Thal der Blumenhügel
Freundlich in die Arme schloß,
Wo die Quelle niederfloß
In den klaren Wasserspiegel
Fand ich Spuren, hold und groß!

Glühend an der Purpurwange
Sanft berürt vom Lokenhaar
Von der Lippe, süß und bange
Bebend in dem Liebesdrange
Vom geschloßnen Augenpaar, -
In der hohen Meisterzüge
Wonniglicher Harmonie
In der Stimme Melodie
Fand, verrathen ihrem Siege
Fand die trunkne Seele Sie.
StA, Band 1, Seite 149.

 

Hymne an die Schönheit

Zweite Fassung

Die Natur in ihren schönen Formen spricht figürlich zu uns,
und die Auslegungsgabe ihrer Chiffernschrift ist uns im mo-
ralischen Gefühl verliehen.
                             Kant

Hat vor aller Götter Ohren
Zauberische Muse! dir
Treue bis zu Orkus Thoren
Meine Seele nicht geschworen?
Lachte nicht dein Auge mir?
Ha! so wall' ich ohne Beben,
Durch die Liebe froh und kün,
Zu den ernsten Höhen hin,
Wo in ewig jungem Leben
Kränze für den Sänger blüh'n.

Waltend über Orionen,
Wo der Pole Klang verhallt,
Lacht vollendeter Dämonen
Priesterlichen Dienst zu lohnen,
Schönheit in der Urgestalt;
Dort im Glanze mich zu sonnen,
Dort der Schöpferin zu nah'n,
Flammet stolzer Wunsch mich an,
Denn mit hohen Siegeswonnen
Lohnet sie die küne Bahn.

Reinere Begeisterungen
Trinkt die freie Seele schon;
Meines Lebens Peinigungen
Hat die neue Lust verschlungen,
Nacht und Wolke sind entfloh'n;
Wenn im schrekenden Gerichte
Schnell der Welten Axe bricht -
Hier erblaicht die Freude nicht,
Wo von ihrem Angesichte
Lieb' und stille Größe spricht.

Stiegst du so zur Erde nieder,
Königin im Lichtgewand'!
Ha! der Staub erwachte wieder,
Und des Kummers morsch Gefieder
Schwänge sich in's Jubelland;
Durch der Liebe Blik genesen
Freut' und küßte brüderlich
Groll und wilder Hader sich;
Jubelnd fühlten alle Wesen
Auf erhöhter Stuffe dich.

Schon im grünen Erdenrunde
Schmekt' ich hohen Vorgenuß;
Bebend dir am Göttermunde,
Trank ich früh der Weihestunde
Süßen mütterlichen Kuß;
Fremde meinem Kindersinne
Folgte mir zu Wies' und Wald
Die arkadische Gestalt -
Ha! und staunend ward ich inne
Ihres Zaubers Allgewalt.

In den Tiefen und den Höhen
Ihrer Tochter, der Natur,
Fand ich, Wonne zu erspähen
Von der Holdin ausersehen,
Rein und trunken ihre Spur;
Wo das Thal der Tannenhügel
Freundlich in die Arme schloß,
Wo die Quelle niederfloß
In dem blauen Wasserspiegel,
Fühlt' ich seelig mich und groß. -

Lächle, Grazie der Wange!
Götterauge, rein und mild!
Leihe, daß er leb' und prange
Deinen Adel dem Gesange,
Meiner Antiphile Bild. -
Mutter! dich erspäht der Söhne
Küne Liebe fern und nah;
Schon im holden Schleier sah,
Schon in Antiphilens Schöne
Kannt' ich dich, Urania!

Siehe! mild, wie du, erlaben
Sinn und Herz dem Endlichen,
Über Preis und Lohn erhaben,
Deiner Priester Wundergaben,
Deiner Söhne Schöpfungen;
Ha! mit tausend Huldigungen
Glühend, wie sich Jachus freut,
Kost' ich eurer Göttlichkeit,
Söhne der Begeisterungen!
Kost' und jauchze Trunkenheit.

Schaar, zu künem Ziel' erkoren!
Still und mächtig Priestertum!
Lieblinge! von euch beschworen,
Blüht im Kreise güldner Horen,
Wo ihr wallt, Elysium; -
O! so lindert, ihr Geweihten!
Der gedrükten Brüder Last!
Seid der Tyrannei verhaßt!
Kostet eurer Seeligkeiten!
Darbet, wo der Schmeichler praßt!

Ha! die schönsten Keim' entfalten
In der Priester Dienste sich; -
Freuden, welche nie veralten,
Lächeln, wo die Götter walten -
Diese Freuden ahndet' ich!
Hier im Glanze mich zu sonnen,
Hier der Schöpferin zu nah'n,
Flammte stolzer Wunsch mich an,
Und mit hohen Siegeswonnen
Lohnet sie die küne Bahn.

Feiert, wie an Hochaltären
Dieser Geister lichte Schaar,
Brüder! bringt der Liebe Zähren,
Bringt, die Göttliche zu ehren,
Muth und That zum Opfer dar!
Huldiget! von diesem Trone
Donnert ewig kein Gericht,
Ihres Reiches süße Pflicht
Kündet sie im Muttertone -
Hört! die Götterstimme spricht:

»Mahnt im seeligen Genieße,
Mahnet nicht, am Innern sie
Nachzubilden, jede süße
Stelle meiner Paradiese,
Jede Weltenharmonie?
Mein ist, wem des Bildes Adel
Zauberisch das Herz verschönt,
Daß er niedre Gier verhöhnt,
Und im Leben ohne Tadel
Reine Götterlust ersehnt.

Was im eisernen Gebiete
Mühsam das Gesez erzwingt,
Reift, wie Hesperidenblüthe,
Schnell zu wandelloser Güte,
So mein Stral an's Innre dringt;
Knechte, vom Gesez gedungen,
Heischen ihrer Mühe Lohn;
Meiner Gottheit großen Sohn
Lohnt der treuen Huldigungen,
Lohnt der Liebe Wonne schon.

Rein, wie diese Sterne klingen,
Wie melodisch himmelwärts
Auf der künen Freude Schwingen
Süße Preisgesänge dringen,
Naht sich mir des Sohnes Herz:
Schöner blüht der Liebe Rose!
Ewig ist die Klage stumm!
Aus des Geistes Heiligtum',
Und, Natur! in deinem Schoose
Lächelt ihm Elysium.«
StA, Band 1, Seite 152.

 

Hymne an die Freiheit

Wonne säng' ich an des Orkus Thoren,
Und die Schatten lehrt' ich Trunkenheit,
Denn ich sah', vor tausenden erkohren,
Meiner Göttin ganze Göttlichkeit;
Wie nach dumpfer Nacht im Purpurscheine
Der Pilote seinen Ozean,
Wie die Seeligen Elysens Haine,
Staun' ich dich geliebtes Wunder! an.

Ehrerbietig senkten ihre Flügel,
Ihres Raubs vergessen, Falk und Aar,
Und getreu dem diamantnen Zügel
Schritt vor ihr ein trozig Löwenpaar;
Jugendliche wilde Ströme standen,
Wie mein Herz, vor banger Wonne stumm;
Selbst die kühnen Boreasse schwanden,
Und die Erde ward zum Heiligtum.

Ha! zum Lohne treuer Huldigungen
Bot die Königin die Rechte mir,
Und von zauberischer Kraft durchdrungen
Jauchzte Sinn und Herz verschönert ihr;
Was sie sprach, die Richterin der Kronen,
Ewig tönts in dieser Seele nach,
Ewig in der Schöpfung Regionen -
Hört, o Geister, was die Mutter sprach!

»Taumelnd in des alten Chaos Woogen,
Froh und wild, wie Evans Priesterin,
Von der Jugend kühner Lust betrogen,
Nannt' ich mich der Freiheit Königin;
Doch es winkte der Vernichtungsstunde
Zügelloser Elemente Streit;
Da berief zu brüderlichem Bunde
Mein Gesez die Unermeßlichkeit.«

»Mein Gesez, es tödtet zartes Leben,
Kühnen Muth, und bunte Freude nicht,
Jedem ward der Liebe Recht gegeben,
Jedes übt der Liebe süße Pflicht;
Froh und stolz im ungestörten Gange
Wandelt Riesenkraft die weite Bahn,
Sicher schmiegt in süßem Liebesdrange
Schwächeres der großen Welt sich an.«

»Kann ein Riese meinen Aar entmannen?
Hält ein Gott die stolzen Donner auf?
Kann Tyrannenspruch die Meere bannen?
Hemmt Tyrannenspruch der Sterne Lauf? -
Unentweiht von selbsterwählten Gözen,
Unzerbrüchlich ihrem Bunde treu,
Treu der Liebe seeligen Gesezen,
Lebt die Welt ihr heilig Leben frei.«

»Mit gerechter Herrlichkeit zufrieden
Flammt Orions helle Rüstung nie
Auf die brüderlichen Tyndariden,
Selbst der Löwe grüßt in Liebe sie;
Froh des Götterlooses, zu erfreuen,
Lächelt Helios in süßer Ruh
Junges Leben, üppiges Gedeihen
Dem geliebten Erdenrunde zu.«

»Unentweiht von selbsterwählten Gözen,
Unzerbrüchlich ihrem Bunde treu,
Treu der Liebe seeligen Gesezen,
Lebt die Welt ihr heilig Leben frei;
Einer, Einer nur ist abgefallen,
Ist gezeichnet mit der Hölle Schmach;
Stark genug, die schönste Bahn zu wallen,
Kriecht der Mensch am trägen Joche nach.«

»Ach! er war das göttlichste der Wesen,
Zürn' ihm nicht, getreuere Natur!
Wunderbar und herrlich zu genesen
Trägt er noch der Heldenstärke Spur; -
Eil', o eile, neue Schöpfungsstunde,
Lächle nieder, süße güldne Zeit!
Und im schöner'n, unverlezten Bunde,
Feire dich die Unermeßlichkeit.«

Nun, o Brüder! wird die Stunde säumen?
Brüder! um der tausend Jammernden,
Um der Enkel, die der Schande keimen,
Um der königlichen Hofnungen,
Um der Güter, so die Seele füllen,
Um der angestammten Göttermacht,
Brüder ach! um unsrer Liebe willen
Könige der Endlichkeit, erwacht! -

Gott der Zeiten! in der Schwüle fächeln
Kühlend deine Tröstungen uns an;
Süße rosige Gesichte lächeln
Uns so gern auf öder Dornenbahn;
Wenn der Schatten väterlicher Ehre,
Wenn der Freiheit lezter Rest zerfällt,
Weint mein Herz der Trennung bittre Zähre
Und entflieht in seine schön're Welt.

Was zum Raube sich die Zeit erkohren,
Morgen steht's in neuer Blüthe da;
Aus Zerstörung wird der Lenz gebohren,
Aus den Fluthen stieg Urania;
Wenn ihr Haupt die blaichen Sterne neigen,
Stralt Hyperion im Heldenlauf -
Modert, Knechte! freie Tage steigen
Lächelnd über euern Gräbern auf.

Lange war zu Minos ernsten Hallen
Weinend die Gerechtigkeit entfloh'n -
Sieh! in mütterlichem Wohlgefallen
Küßt sie nun den treuen Erdensohn;
Ha! der göttlichen Catone Manen
Triumphiren in Elysium,
Zahllos weh'n der Tugend stolze Fahnen,
Heere lohnt des Ruhmes Heiligtum.

Aus der guten Götter Schoose regnet
Trägem Stolze nimmermehr Gewinn,
Ceres heilige Gefilde segnet
Freundlicher die braune Schnitterin,
Lauter tönt am heißen Rebenhügel,
Muthiger des Winzers Jubelruf,
Unentheiligt von der Sorge Flügel
Blüht und lächelt, was die Freude schuf.

Aus den Himmeln steigt die Liebe nieder,
Männermuth, und hoher Sinn gedeiht,
Und du bringst die Göttertage wieder,
Kind der Einfalt! süße Trauligkeit!
Treue gilt! und Freundesretter fallen,
Majestätisch, wie die Ceder fällt,
Und des Vaterlandes Rächer wallen
Im Triumphe nach der bessern Welt.

Lange schon vom engen Haus umschlossen,
Schlummre dann im Frieden mein Gebein! -
Hab' ich doch der Hofnung Kelch genossen,
Mich gelabt am holden Dämmerschein!
Ha! und dort in wolkenloser Ferne,
Winkt auch mir der Freiheit heilig Ziel!
Dort, mit euch, ihr königlichen Sterne,
Klinge festlicher mein Saitenspiel!
StA, Band 1, Seite 157.

 

Hymne an die Freundschaft

An Neuffer und Magenau

Rings in schwesterlicher Stille
Lauscht die blühende Natur;
Aus des künen Herzens Fülle
Tönt des Bundes Stimme nur;
Leise rauscht's im Eichenhaine
Nie gefühlte Lüfte weh'n,
Wo in höhrem Sternenscheine
Wir das ernste Fest begeh'n.

Ha! in süßem Wohlgefallen
Säuselt hier der Väter Schaar,
Abgeschiedne Freunde wallen
Lächelnd um den Moosaltar;
Und der hellen Tyndariden
Brüderliches Auge lacht
Froh wie wir in deinem Frieden,
Schöne feierliche Nacht!

Heiliger und reiner tönte
Dieser Herzen Jubel nie,
Unter Schwur und Kuß verschönte,
Freundschaft! deine Milde sie;
Zürne nicht der Wonne Zähren!
Laß, o laß uns huldigen,
Schönste von Olympos Heeren,
Krone der Unsterblichen!

Als der Geister Wunsch gelungen,
Und gereift die Stunde war,
Da von Ares Arm' umschlungen,
Cytherea dich gebar;
Als die Heldin ohne Tadel
Nun der Erde Sohn so nah',
Staunend in des Vaters Adel,
In der Mutter Gürtel sah';

Da begann zu Sonnenhöhen
Nie versuchten Adlerflug,
Was von Göttern ausersehen
Kraft und Lieb' im Busen trug;
Stolzer hub des Sieges Flügel,
Rosiger der Friede sich;
Jauchzend um die Blumenhügel
Grüßte Gram und Sorge dich.

Blutend trug die Siegesfahne,
In der Stürme Donner schwamm
Durch die wilden Ozeane,
Wer aus deinem Schoose kam;
Deiner Riesen Wehre klangen
Bis hinab zur alten Nacht -
Ha! des Orkus Thore sprangen,
Zitternd deiner Zaubermacht!

Trunken, wie von Hebe's Schaale,
Kos'ten sie in süßer Rast
Am ersehnten Opfermahle
Nach der schwülen Tage Last;
Göttern glich der Freunde Rächer,
Wenn die stolze Zähre sank
In den vollen Labebecher,
Den er seinem Siege trank.

Liebend stieg die Muse nieder,
Als sie in Arkadia
Dich im göttlichen Gefieder
Schwebend um die Schäfer sah';
Mutter! Herz und Lippe brannten,
Feierten im Liede dich,
Und am süßen Laute kannten
Jubelnd deine Söhne sich. -

Ha! in deinem Schoose schwindet
Jede Sorg' und fremde Lust;
Nur in deinem Himmel findet
Sättigung die wilde Brust;
Frommen Kindersinnes wiegen
Sich im Schoose der Natur -
Über Stolz und Lüge siegen
Deine Auserwählten nur. -

Dank, o milde Seegensrechte!
Für die Wonn' und Heiligkeit,
Für der hohen Bundesnächte
Süße küne Trunkenheit;
Für des Trostes Melodien,
Für der Hofnung Labetrank,
Für die tausend Liebesmühen
Weinenden entflammten Dank!

Siehe, Frücht' und Äste fallen,
Felsen stürzt der Zeitenfluß;
Freundlich winkt zu Minos Hallen
Bald der stille Genius;
Doch es lebe, was hienieden
Schönes, göttliches verblüht,
Hier, o Brüder! Tyndariden!
Wo die reine Flamme glüh't. -

Ha! die frohen Geister ringen
Zur Unendlichkeit hinan,
Tiefer ahndungsvoller dringen
Wir in diesen Ozean!
Hin zu deiner Wonne schweben
Wir aus Sturm und Dämmerung,
Du, der Myriaden Leben
Heilig Ziel! Vereinigung!

Wo in seiner Siegesfeier
Götterlust der Geist genießt,
Süßer, heiliger und freier
Seel' in Seele sich ergießt,
Wo in's Meer die Ströme rinnen,
Singen bei der Pole Klang
Schönster einst Triumphgesang.
StA, Band 1, Seite 162.

 

Hymne an die Liebe

Froh der süßen Augenwaide
Wallen wir auf grüner Flur;
Unser Priestertum ist Freude,
Unser Tempel die Natur; -
Heute soll kein Auge trübe,
Sorge nicht hienieden sein!
Jedes Wesen soll der Liebe,
Frei und froh, wie wir, sich freu'n!

Höhnt im Stolze, Schwestern, Brüder!
Höhnt der scheuen Knechte Tand!
Jubelt kün das Lied der Lieder,
Vestgeschlungen Hand in Hand!
Steigt hinauf ins weite Thal!
Überall der Liebe Flügel,
Hold und herrlich überall!

Liebe bringt zu jungen Rosen
Morgenthau von hoher Luft,
Lehrt die warmen Lüfte kosen
In der Maienblume Duft;
Um die Orione leitet
Sie die treuen Erden her,
Folgsam ihrem Winke, gleitet
Jeder Strom in's weite Meer;

An die wilden Berge reihet
Sie die sanften Thäler an,
Die entbrannte Sonn' erfreuet
Sie im stillen Ozean;
Siehe! mit der Erde gattet
Sich des Himmels heil'ge Lust,
Von den Wettern überschattet
Bebt entzükt der Mutter Brust.

Liebe wallt durch Ozeane,
Höhnt der dürren Wüste Sand,
Blutet an der Siegesfahne
Jauchzend für das Vaterland;
Liebe trümmert Felsen nieder,
Zaubert Paradiese hin -
Lächelnd kehrt die Unschuld wieder,
Göttlichere Lenze blüh'n.

Mächtig durch die Liebe, winden
Von der Fessel wir uns los,
Und die trunknen Geister schwinden
Zu den Sternen, frei und groß!
Unter Schwur und Kuß vergessen
Wir die träge Fluth der Zeit,
Und die Seele naht vermessen
Deiner Lust, Unendlichkeit!
StA, Band 1, Seite 166.

 

Hymne an den Genius der Jugend

Heil! das schlummernde Gefieder
Ist zu neuem Flug' erwacht,
Triumphirend fühl' ich wieder
Lieb' und stolze Geistesmacht;
Siehe! deiner Himmelsflamme,
Deiner Freud' und Stärke voll,
Herrscher in der Götter Stamme!
Sei der künen Liebe Zoll.

Ha! der brüderlichen Milde,
So von deiner Stirne spricht!
Solch' harmonisches Gebilde
Waidete kein Auge nicht;
Wie um ihn die Aare schweben,
Wie die Lok' im Fluge weht! -
Wo im ungemeßnen Leben
Lebt so süße Majestät?

Lächelnd sah' der Holde nieder
Auf die winterliche Flur,
Und sie lebt und liebet wieder
Die entschlummerte Natur;
Um die Hügel und die Thale
Jauchz' ich nun im Vollgenuß,
Über deinem Freudenmahle,
Königlicher Genius!

Ha! wie diese Götteraue
Wieder lächelt und gedeiht!
Alles, was ich fühl' und schaue,
Eine Lieb' und Seeligkeit!
Felsen hat der Falk' erschwungen,
Sich, wie dieses Herz, zu freu'n,
Und, von gleicher Kraft durchdrungen,
Strebt und rauscht der Eichenhain.

Unter liebendem Gekose
Schmieget Well' an Welle sich;
Liebend fühlt die süße Rose,
Fühlt die heil'ge Myrthe dich;
Tausend frohe Leben winden
Schüchtern sich um Tellus Brust,
Und dem blauen Aether künden
Tausend Jubel deine Lust.

Doch des Herzens schöne Flamme,
Die mir deine Huld verlieh,
Herrscher in der Götter Stamme!
Süßer, stolzer fühl' ich sie;
Deine Frülinge verblühten,
Manch' Geliebtes welkte dir; -
Wie vor Jahren sie erglühten,
Glühen Herz und Stirne mir.

O! du lohnst die stille Bitte
Noch mit innigem Genuß,
Leitest noch des Pilgers Tritte
Zu der Freude Götterkuß;
Mit der Balsamtropfe kühlen
Hofnungen die Wunde doch,
Süße Täuschungen umspielen
Doch die dürren Pfade noch.

Jedem Adel hingegeben,
Jeder lesbischen Gestalt,
Huldiget das trunkne Leben
Noch der Schönheit Allgewalt;
Thörig hab' ich oft gerungen,
Dennoch herrscht zu höchster Lust,
Herrscht zu süßen Peinigungen
Liebe noch, in dieser Brust.

An der alten Thaten Heere
Waidet noch das Auge sich.
Ha! der großen Väter Ehre
Spornet noch zum Ziele mich;
Rastlos, bis in Plutons Hallen
Meiner Sorgen schönste ruht,
Die erkorne Bahn zu wallen,
Fühl' ich Stärke noch und Muth.

Wo die Nektarkelche glühen,
Seiner Siege Zeus genießt,
Und sein Aar, von Melodien
Süß berauscht, das Auge schließt,
Wo, mit heil'gem Laub' umwunden,
Der Heroen Schaar sich freut,
Fühlt noch oft, von dir entbunden,
Meine Seele Göttlichkeit.

Preis, o Schönster der Dämonen!
Preis dir, Herrscher der Natur!
Auch der Götter Regionen
Blüh'n durch deine Milde nur;
Trübte sich in heil'gem Zorne
Je dein stralend Angesicht -
Ha! sie tränken aus dem Borne
Ew'ger Lust und Schöne nicht!

Eos, glühend vom Genusse,
Durch die Liebe schön und groß,
Wände sich von Tithons Kusse
Alternd und verkümmert los;
Der in königlicher Eile
Lächelnd durch den Aether wallt,
Phoebus trauert' um die Pfeile,
Um die Künheit und Gestalt.

Träg zu lieben, und zu hassen,
Ganz, von ihrer Siegeslust,
Ihrer wilden Kraft verlassen,
Schlummert' Ares stolze Brust;
Ha! den Todesbecher tränke
Selbst des Donnergottes Macht! -
Erd' und Firmament versänke
Wimmernd in des Chaos Nacht.

Doch in nahmenlosen Wonnen
Feiern ewig Welten dich,
In der Jugend Stralen sonnen
Ewig alle Geister sich; -
Mag des Herzens Gluth erkalten,
Mag im langen Kampfe mir
Jede süße Kraft veralten,
Neuverschönt erwacht sie dir!
StA, Band 1, Seite 168.

 

An eine Rose

Ewig trägt im Mutterschoose,
Süße Königin der Flur!
Dich und mich die stille, große,
Allbelebende Natur;
Röschen! unser Schmuk veraltet,
Stürm' entblättern dich und mich,
Doch der ewge Keim entfaltet
Bald zu neuer Blüthe sich.
StA, Band 1, Seite 172.

 

An Hiller

  Du lebtest, Freund! - Wer nicht die köstliche
Reliquie des Paradieses, nicht
Der Liebe goldne königliche Frucht,
Wie du, auf seinem Lebenswege brach,
Wem nie im Kreise freier Jünglinge
In süßem Ernst der Freundschaft trunkne Zähre
Hinab ins Blut der heil'gen Rebe rann,
Wer nicht, wie du, aus dem begeisternden
Dem ewigvollen Becher der Natur
Sich Muth und Kraft, und Lieb' und Freude trank,
Der lebte nie, und wenn sich ein Jahrhundert,
Wie ein Last, auf seiner Schulter häuft. -
Du lebtest, Freund! es blüht nur wenigen
Des Lebens Morgen, wie er dir geblüht;
Du fandest Herzen, dir an Einfalt, dir
An edlem Stolze gleich; es sproßten dir
Viel schöne Blüthen der Geselligkeit;
Auch adelte die innigere Lust,
Die Tochter weiser Einsamkeit, dein Herz;
Für jeden Reiz der Hügel und der Thale,
Für jede Grazien des Frülings ward
Ein offnes unumwölktes Auge dir.

  Dich, Glüklicher, umfieng die Riesentochter
Der schaffenden Natur, Helvetia;
Wo frei und stark, der alte, stolze Rhein
Vom Fels hinunter donnert, standest du
Und jubeltest ins herrliche Getümmel.
Wo Fels und Wald ein holdes zauberisches
Arkadien umschließt, wo himmelhoch Gebirg,
Deß tausendjähr'gen Scheitel ew'ger Schnee,
Wie Silberhaar des Greisen Stirne, kränzt,
Umschwebt von Wetterwolken und von Adlern,
Sich unabsehbar in die Ferne dehnt,
Wo Tells und Walthers heiliges Gebein
Der unentweihten freundlichen Natur
Im Schoose schläft, und manches Helden Staub
Vom leisen Abendwind emporgeweht,
Des Sennen sorgenfreies Dach umwallt,
Dort fühltest du, was groß und göttlich ist,
Von seeligen Entwürfen glühte dir,
Von tausend goldnen Träumen deine Brust;
Und als du nun vom lieben heilgen Lande
Der Einfalt und der freien Künste schiedst,
Da wölkt freilich sich die Stirne dir,
Doch schuff dir bald mit ihrem Zauberstaabe
Manch seelig Stündchen die Erinnerung.

  Wohl ernster schlägt sie nun, die Scheidestunde;
Denn ach! sie mahnt, die unerbittliche,
Daß unser liebstes welkt, daß ew'ge Jugend
Nur drüben im Elysium gedeiht;
Sie wirft uns auseinander, Herzensfreund!
Wie Mast und Seegel vom zerriss'nen Schiffe
Im wilden Ocean der Sturm zerstreut.
Vieleicht indeß uns andre nah und ferne
Der unerforschten Pepromene Wink
Durch Steppen oder Paradiese führt,
Fliegst du der jungen seeligeren Welt
Auf deiner Philadelphier Gestaden
Voll frohen Muths im fernen Meere zu;
Vieleicht, daß auch ein süßes Zauberband
Ans abgelebte feste Land dich fesselt!
Denn traun! ein Räthsel ist des Menschen Herz!
Oft flammt der Wunsch, unendlich fortzuwandern,
Unwiderstehlich herrlich in uns auf;
Oft däucht uns auch im engbeschränkten Kreise
Ein Freund, ein Hüttchen, und ein liebes Weib
Zu aller Wünsche Sättigung genug. -
Doch werfe, wie sie will, die Scheidestunde
Die Herzen, die sich lieben, auseinander!
Es scheuet ja der Freundschaft heil'ger Fels
Die träge Zeit, und auch die Ferne nicht.
Wir kennen uns, du Theurer! - Lebe wohl!
StA, Band 1, Seite 173.

 

Dem Genius der Kühnheit

Eine Hymne

Wer bist du? wie zur Beute, breitet
Das Unermeßliche vor dir sich aus,
Du Herrlicher! mein Saitenspiel geleitet
Dich auch hinab in Plutons dunkles Haus;
So flogen auf Ortygias Gestaden,
Indeß der Lieder Sturm die Wolken brach,
Dem Rebengott die taumelnden Mänaden
In wilder Lust durch Hain und Klüfte nach.

Einst war, wie mir, der stille Funken
Zu freier heitrer Flamme dir erwacht,
Du braustest so, von junger Freude trunken,
Voll Übermuths durch deiner Wälder Nacht,
Als von der Meisterin, der Noth, geleitet,
Dein ungewohnter Arm die Keule schwang,
Und drohend sich, vom ersten Feind erbeutet,
Die Löwenhaut um deine Schulter schlang. -

Wie nun in jugendlichem Kriege
Heroënkraft mit der Natur sich maß!
Ach! wie der Geist vom wunderbaren Siege
Berauscht, der armen Sterblichkeit vergaß!
Die stolzen Jünglinge! die kühnen!
Sie legten froh dem Tyger Fesseln an,
Sie bändigten, von staunenden Delphinen
Umtanzt, den königlichen Ozean.

Oft hör' ich deine Wehre rauschen,
Du Genius der Kühnen! und die Lust,
Den Wundern deines Heldenvolks zu lauschen,
Sie stärkt mir oft die lebensmüde Brust;
Doch weilst du freundlicher um stille Laren,
Wo eine Welt der Künstler kühn belebt,
Wo um die Majestät des Unsichtbaren
Ein edler Geist der Dichtung Schleier webt.

Den Geist des Alls, und seine Fülle
Begrüßte Mäons Sohn auf heil'ger Spur,
Sie stand vor ihm, mit abgelegter Hülle,
Voll Ernstes da, die ewige Natur;
Er rief sie kühn vom dunklen Geisterlande,
Und lächelnd trat, in aller Freuden Chor,
Entzükender im menschlichen Gewande
Die nahmenlose Königin hervor.

Er sah die dämmernden Gebiete,
Wohin das Herz in banger Lust begehrt,
Er streuete der Hofnung süße Blüthe
Ins Labyrinth, wo keiner wiederkehrt,
Dort glänzte nun in mildem Rosenlichte
Der Lieb' und Ruh' ein lächelnd Heiligtum,
Er pflanzte dort der Hesperiden Früchte,
Dort stillt die Sorgen nun Elysium.

Doch schreklich war, du Gott der Kühnen!
Dein heilig Wort, wenn unter Nacht und Schlaf
Verkündiger des ew'gen Lichts erschienen,
Und den Betrug der Warheit Flamme traf;
Wie seinen Bliz aus hohen Wetternächten
Der Donnerer auf bange Thale streut,
So zeigtest du entarteten Geschlechten
Der Riesen Sturz, der Völker Sterblichkeit.

Du wogst mit strenggerechter Schaale,
Wenn mit der Toge du das Schwerd vertauscht,
Du sprachst, sie wankten, die Sardanapale,
Vom Taumelkelche deines Zorns berauscht;
Es schrökt' umsonst mit ihrem Tygergrimme
Dein Tribunal die alte Finsterniß,
Du hörtest ernst der Unschuld leise Stimme,
Und opfertest der heil'gen Nemesis.

Verlaß mit deinem Götterschilde,
Verlaß, o du der Kühnen Genius!
Die Unschuld nie. Gewinne dir und bilde
Das Herz der Jünglinge mit Siegsgenuß!
O säume nicht! ermahne, strafe, siege!
Und sichre stets der Warheit Majestät,
Bis aus der Zeit geheimnißvoller Wiege
Des Himmels Kind, der ew'ge Friede geht.
StA, Band 1, Seite 176.

 

Griechenland

An St.

Hätt' ich dich im Schatten der Platanen,
Wo durch Blumen der Cephissus rann,
Wo die Jünglinge sich Ruhm ersannen,
Wo die Herzen Sokrates gewann,
Wo Aspasia durch Myrthen wallte,
Wo der brüderlichen Freude Ruf
Aus der lärmenden Agora schallte,
Wo mein Plato Paradiese schuf,

Wo den Frühling Festgesänge würzten,
Wo die Ströme der Begeisterung
Von Minervens heil'gem Berge stürzten -
Der Beschüzerin zur Huldigung -
Wo in tausend süßen Dichterstunden,
Wie ein Göttertraum, das Alter schwand,
Hätt' ich da, Geliebter! dich gefunden,
Wie vor Jahren dieses Herz dich fand;

Ach! wie anders hätt' ich dich umschlungen! -
Marathons Heroën sängst du mir,
Und die schönste der Begeisterungen
Lächelte vom trunknen Auge dir,
Deine Brust verjüngten Siegsgefühle,
Deinen Geist, vom Lorbeerzweig umspielt,
Drükte nicht des Lebens stumpfe Schwüle,
Die so karg der Hauch der Freude kühlt.

Ist der Stern der Liebe dir verschwunden?
Und der Jugend holdes Rosenlicht?
Ach! umtanzt von Hellas goldnen Stunden,
Fühltest du die Flucht der Jahre nicht,
Ewig, wie der Vesta Flamme, glühte
Muth und Liebe dort in jeder Brust,
Wie die Frucht der Hesperiden, blühte
Ewig dort der Jugend stolze Lust.

Ach! es hätt' in jenen bessern Tagen
Nicht umsonst so brüderlich und gros
Für das Volk dein liebend Herz geschlagen,
Dem so gern der Freude Zähre floß! -
Harre nun! sie kömmt gewiß die Stunde,
Die das Göttliche vom Kerker trennt -
Stirb! du suchst auf diesem Erdenrunde,
Edler Geist! umsonst dein Element.

Attika, die Heldin, ist gefallen;
Wo die alten Göttersöhne ruhn,
Im Ruin der schönen Marmorhallen
Steht der Kranich einsam trauernd nun;
Lächelnd kehrt der holde Frühling nieder,
Doch er findet seine Brüder nie
In Ilissus heilgem Thale wieder -
Unter Schutt und Dornen schlummern sie.

Mich verlangt ins ferne Land hinüber
Nach Alcäus und Anakreon,
Und ich schlief' im engen Hause lieber,
Bei den Heiligen in Marathon;
Ach! es sei die lezte meiner Thränen,
Die dem lieben Griechenlande rann,
Laßt, o Parzen, laßt die Scheere tönen,
Denn mein Herz gehört den Todten an!
StA, Band 1, Seite 179.

 

An Neuffer

Im Merz. 1794

Noch kehrt in mich der süße Früling wieder,
Noch altert nicht mein kindischfrölich Herz,
Noch rinnt vom Auge mir der Thau der Liebe nieder,
Noch lebt in mir der Hofnung Lust und Schmerz.

Noch tröstet mich mit süßer Augenwaide
Der blaue Himmel und die grüne Flur,
Mir reicht die Göttliche den Taumelkelch der Freude,
Die jugendliche freundliche Natur.

Getrost! es ist der Schmerzen werth, diß Leben,
So lang uns Armen Gottes Sonne scheint,
Und Bilder beßrer Zeit um unsre Seele schweben,
Und ach! mit uns ein freundlich Auge weint.
StA, Band 1, Seite 183.

 

Das Schiksaal

          Proskunountes  thn  eimarmenhn,  sojoi..
                                  Aeschylus

Als von des Friedens heil'gen Thalen,
Wo sich die Liebe Kränze wand,
Hinüber zu den Göttermahlen
Des goldnen Alters Zauber schwand,
Als nun des Schiksaals eh'rne Rechte,
Die große Meisterin, die Noth,
Dem übermächtigen Geschlechte
Den langen, bittern Kampf gebot;

Da sprang er aus der Mutter Wiege,
Da fand er sie, die schöne Spur
Zu seiner Tugend schwerem Siege,
Der Sohn der heiligen Natur;
Der hohen Geister höchste Gaabe,
Der Tugend Löwenkraft begann
Im Siege, den ein Götterknabe
Den Ungeheuern abgewann.

Es kann die Lust der goldnen Erndte
Im Sonnenbrande nur gedeih'n;
Und nur in seinem Blute lernte
Der Kämpfer, frei und stolz zu sein;
Triumph! die Paradiese schwanden,
Wie Flammen aus der Wolke Schoos,
Wie Sonnen aus dem Chaos, wanden
Aus Stürmen sich Heroën los.

Der Noth ist jede Lust entsprossen,
Und unter Schmerzen nur gedeiht
Das Liebste, was mein Herz genossen,
Der holde Reiz der Menschlichkeit;
So stieg, in tiefer Fluth erzogen,
Wohin kein sterblich Auge sah,
Stilllächelnd aus den schwarzen Woogen
In stolzer Blüte Cypria.

Durch Noth vereiniget, beschwuren
Vom Jugendtraume süß berauscht
Den Todesbund die Dioskuren,
Und Schwerd und Lanze ward getauscht;
In ihres Herzens Jubel eilten
Sie, wie ein Adlerpaar, zum Streit,
Wie Löwen ihre Beute, theilten
Die Liebenden Unsterblichkeit.-

Die Klagen lehrt die Noth verachten,
Beschämt und ruhmlos läßt sie nicht
Die Kraft der Jünglinge verschmachten,
Giebt Muth der Brust, dem Geiste Licht;
Der Greise Faust verjüngt sie wieder;
Sie kömmt, wie Gottes Bliz, heran,
Und trümmert Felsenberge nieder,
Und wallt auf Riesen ihre Bahn.

Mit ihrem heil'gen Wetterschlage,
Mit Unerbittlichkeit vollbringt
Die Noth an Einem großen Tage,
Was kaum Jahrhunderten gelingt;
Und wenn in ihren Ungewittern
Selbst ein Elysium vergeht,
Und Welten ihrem Donner zittern -
Was groß und göttlich ist, besteht.-

O du, Gespielin der Kolossen,
O weise, zürnende Natur,
Was je ein Riesenherz beschlossen,
Es keimt' in deiner Schule nur.
Wohl ist Arkadien entflohen;
Des Lebens beßre Frucht gedeiht
Durch sie, die Mutter der Heroën,
Die eherne Nothwendigkeit. -

Für meines Lebens goldnen Morgen
Sei Dank, o Pepromene, dir!
Ein Saitenspiel und süße Sorgen
Und Träum' und Thränen gabst du mir;
Die Flammen und die Stürme schonten
Mein jugendlich Elysium,
Und Ruh' und stille Liebe thronten
In meines Herzens Heiligtum.

Es reife von des Mittags Flamme,
Es reife nun vom Kampf und Schmerz
Die Blüth' am gränzenlosen Stamme,
Wie Sprosse Gottes, dieses Herz!
Beflügelt von dem Sturm, erschwinge
Mein Geist des Lebens höchste Lust,
Der Tugend Siegeslust verjünge
Bei kargem Glüke mir die Brust!

Im heiligsten der Stürme falle
Zusammen meine Kerkerwand,
Und herrlicher und freier walle
Mein Geist in's unbekannte Land!
Hier blutet oft der Adler Schwinge;
Auch drüben warte Kampf und Schmerz!
Bis an der Sonnen lezte ringe,
Genährt vom Siege, dieses Herz.
StA, Band 1, Seite 184.

 

Freundeswunsch

AN ROSINE ST.-

Wenn vom Früling rund umschlungen,
Von des Morgens Hauch umweht,
Trunken nach Erinnerungen
Meine wache Seele späht,
Wenn, wie einst am fernen Heerde,
Mir so süß die Sonne blinkt,
Und ihr Stral ins Herz der Erde,
Und der Erdenkinder dringt;

Wenn umdämmert von der Weide,
Wo der Bach vorüber rinnt,
Tief bewegt von Leid und Freude
Meine Seele träumt, und sinnt,
Wenn im Haine Geister säuseln,
Wenn im Mondenschimmer sich
Kaum die stillen Teiche kräuseln,
Schau ich oft und grüße dich.

Edles Herz, du bist der Sterne
Und der schönen Erde werth,
Bist deß werth, so viel die ferne
Nahe Mutter dir bescheert.
Sieh, mit deiner Liebe lieben
Schöner die Erwählten nur;
Denn du bist ihr treu geblieben,
Deiner Mutter, der Natur!

Der Gesang der Haine schalle
Froh, wie du, um deinen Pfad;
Sanft bewegt vom Weste, walle,
Wie dein friedlich Herz, die Saat.
Deine liebste Blüthe regne,
Wo du wandelst, auf die Flur,
Wo dein Auge weilt, begegne
Dir das Lächeln der Natur.

Oft im stillen Tannenhaine
Webe dir ums Angesicht
Seine zauberische reine
Glorie das Abendlicht!
Deines Herzens Sorge wiege
Drauf die Nacht in süße Ruh,
Und die freie Seele fliege
Liebend den Gestirnen zu.
StA, Band 1, Seite 187.

 

Der Gott der Jugend

Gehn dir im Dämmerlichte,
Wenn in der Sommernacht
Für seelige Gesichte
Dein liebend Auge wacht,
Noch oft der Freunde Manen
Und, wie der Sterne Chor,
Die Geister der Titanen
Des Altertums empor;

Wird da, wo sich im Schönen
Das Göttliche verhüllt,
Noch oft das tiefe Sehnen
Der Liebe dir gestillt;
Belohnt des Herzens Mühen
Der Ruhe Vorgefühl,
Und tönt von Melodien
Der Seele Saitenspiel;

So such' im stillsten Thale
Den blüthenreichsten Hain,
Und gieß' aus goldner Schaale
Den frohen Opferwein!
Noch lächelt unveraltet
Des Herzens Früling dir,
Der Gott der Jugend waltet
Noch über dir und mir.

Wie unter Tiburs Bäumen,
Wenn da der Dichter saß,
Und unter Götterträumen
Der Jahre Flucht vergaß,
Wenn ihn die Ulme külte,
Und wenn sie stolz und froh
Um Silberblüthen spielte,
Die Fluth des Anio;

Und wie um Platons Hallen,
Wenn durch der Haine Grün,
Begrüßt von Nachtigallen,
Der Stern der Liebe schien,
Wenn alle Lüfte schliefen,
Und, sanft bewegt vom Schwan,
Cephissus durch Oliven
Und Myrthensträuche rann;

So schön ist's noch hienieden!
Auch unser Herz erfuhr
Das Leben und den Frieden
Der freundlichen Natur;
Noch blüht des Himmels Schöne,
Noch mischen brüderlich
In unsers Herzens Töne
Des Frülings Laute sich.

Drum such' im stillsten Thale
Den düftereichsten Hain,
Und gieß' aus goldner Schaale
Den frohen Opferwein,
Noch lächelt unveraltet
Das Bild der Erde dir,
Der Gott der Jugend waltet
Noch über dir und mir.
StA, Band 1, Seite 189.

 

An die Natur

Da ich noch um deinen Schleier spielte,
Noch an dir, wie eine Blüthe hieng,
Noch dein Herz in jedem Laute fühlte,
Der mein zärtlichbebend Herz umfieng,
Da ich noch mit Glauben und mit Sehnen
Reich, wie du, vor deinem Bilde stand,
Eine Stelle noch für meine Thränen,
Eine Welt für meine Liebe fand,

Da zur Sonne noch mein Herz sich wandte,
Als vernähme seine Töne sie,
Und die Sterne seine Brüder nannte
Und den Frühling Gottes Melodie,
Da im Hauche, der den Hain bewegte,
Noch dein Geist, dein Geist der Freude sich
In des Herzens stiller Welle regte,
Da umfiengen goldne Tage mich.

Wenn im Thale, wo der Quell mich kühlte,
Wo der jugendlichen Sträuche Grün
Um die stillen Felsenwände spielte
Und der Aether durch die Zweige schien,
Wenn ich da, von Blüthen übergossen,
Still und trunken ihren Othem trank
Und zu mir, von Licht und Glanz umflossen,
Aus den Höh'n die goldne Wolke sank -

Wenn ich fern auf nakter Haide wallte,
Wo aus dämmernder Geklüfte Schoos
Der Titanensang der Ströme schallte
Und die Nacht der Wolken mich umschloß,
Wenn der Sturm mit seinen Wetterwoogen
Mir vorüber durch die Berge fuhr
Und des Himmels Flammen mich umflogen,
Da erschienst du, Seele der Natur!

Oft verlor ich da mit trunknen Thränen
Liebend, wie nach langer Irre sich
In den Ozean die Ströme sehnen,
Schöne Welt! in deiner Fülle mich;
Ach! da stürzt' ich mit den Wesen allen
Freudig aus der Einsamkeit der Zeit,
Wie ein Pilger in des Vaters Hallen,
In die Arme der Unendlichkeit. -

Seid gesegnet, goldne Kinderträume,
Ihr verbargt des Lebens Armuth mir,
Ihr erzogt des Herzens gute Keime,
Was ich nie erringe, schenktet ihr!
O Natur! an deiner Schönheit Lichte,
Ohne Müh' und Zwang entfalteten
Sich der Liebe königliche Früchte,
Wie die Erndten in Arkadien.

Todt ist nun, die mich erzog und stillte,
Todt ist nun die jugendliche Welt,
Diese Brust, die einst ein Himmel füllte,
Todt und dürftig, wie ein Stoppelfeld;
Ach! es singt der Frühling meinen Sorgen
Noch, wie einst, ein freundlich tröstend Lied,
Aber hin ist meines Lebens Morgen,
Meines Herzens Frühling ist verblüht.

Ewig muß die liebste Liebe darben,
Was wir lieben, ist ein Schatten nur,
Da der Jugend goldne Träume starben,
Starb für mich die freundliche Natur;
Das erfuhrst du nicht in frohen Tagen,
Daß so ferne dir die Heimath liegt,
Armes Herz, du wirst sie nie erfragen,
Wenn dir nicht ein Traum von ihr genügt.
StA, Band 1, Seite 191.

 

An die Unerkannte

Kennst du sie, die seelig, wie die Sterne,
Von des Lebens dunkler Wooge ferne
Wandellos in stiller Schöne lebt,
Die des Herzens löwenkühne Siege
Des Gedankens fesselfreie Flüge,
Wie der Tag den Adler, überschwebt?

Die uns trift mit ihren Mittagsstrahlen
Uns entflammt mit ihren Idealen,
Wie vom Himmel, uns Gebote schikt
Die die Weisen nach dem Wege fragen,
Stumm und ernst, wie von dem Sturm verschlagen
Nach dem Orient der Schiffer blikt?

Die das Beste giebt aus schöner Fülle
Wenn aus ihr die Riesenkraft der Wille
Und der Geist sein stilles Urtheil nimmt,
Die dem Lebensliede seine Weise,
Die das Maas der Ruhe, wie dem Fleiße
Durch den Mittler unsern Geist bestimmt?

Die, wenn uns des Lebens Leere tödtet
Magisch uns die welken Schläfe röthet,
Uns mit Hofnungen das Herz verjüngt,
Die den Dulder, den der Sturm zertrümmert,
Den sein fernes Ithaka bekümmert,
In Alcinous Gefilde bringt?

Kennst du sie, die uns mit Lorbeerkronen
Mit der Freude beßrer Regionen
Ehe wir zu Grabe gehn, vergilt
Die der Liebe göttlichstes Verlangen,
Die das schönste, was wir angefangen,
Mühelos im Augenblik erfüllt?

Die der Kindheit Wiederkehr beschleunigt,
Die den Halbgott, unsern Geist, vereinigt
Mit den Göttern, die er kühn verstößt,
Die des Schiksaals eh'rne Schlüsse mildert,
Und im Kampfe, wenn das Herz verwildert,
Uns besänftigend den Harnisch löst?

Die das Eine, das im Raum der Sterne,
Das du suchst in aller Zeiten Ferne
Unter Stürmen, auf verwegner Fahrt,
Das kein sterblicher Verstand ersonnen,
Keine, keine Tugend noch gewonnen,
Die des Friedens goldne Frucht bewahrt?
StA, Band 1, Seite 197.

 

An Herkules

In der Kindheit Schlaf begraben
Lag ich, wie das Erz im Schacht;
Dank, mein Herkules! den Knaben
Hast zum Manne du gemacht,
Reif bin ich zum Königssize
Und mir brechen stark und groß
Thaten, wie Kronions Blize,
Aus der Jugend Wolke los.

Wie der Adler seine Jungen,
Wenn der Funk' im Auge klimmt,
Auf die kühnen Wanderungen
In den frohen Aether nimmt,
Nimmst du aus der Kinderwiege,
Von der Mutter Tisch' und Haus
In die Flamme deiner Kriege,
Hoher Halbgott mich hinaus.

Wähntest du, dein Kämpferwagen
Rolle mir umsonst ins Ohr?
Jede Last, die du getragen,
Hub die Seele mir empor,
Zwar der Schüler mußte zahlen;
Schmerzlich brannten, stolzes Licht
Mir im Busen deine Stralen,
Aber sie verzehrten nicht.

Wenn für deines Schiksaals Woogen
Hohe Götterkräfte dich,
Kühner Schwimmer! auferzogen,
Was erzog dem Siege mich?
Was berief den Vaterlosen,
Der in dunkler Halle saß,
Zu dem Göttlichen und Großen,
Daß er kühn an dir sich maß?

Was ergriff und zog vom Schwarme
Der Gespielen mich hervor?
Was bewog des Bäumchens Arme
Nach des Aethers Tag empor?
Freundlich nahm des jungen Lebens
Keines Gärtners Hand sich an,
Aber kraft des eignen Strebens
Blikt und wuchs ich himmelan.

Sohn Kronions! an die Seite
Tret' ich nun erröthend dir,
Der Olymp ist deine Beute;
Komm und theile sie mit mir!
Sterblich bin ich zwar geboren,
Dennoch hat Unsterblichkeit
Meine Seele sich geschworen,
Und sie hält, was sie gebeut.
StA, Band 1, Seite 199.

 

Die Eichbäume

Aus den Gärten komm' ich zu euch, ihr Söhne des Berges!
Aus den Gärten, da lebt die Natur geduldig und häuslich,
Pflegend und wieder gepflegt mit dem fleißigen Menschen zusammen.
Aber ihr, ihr Herrlichen! steht, wie ein Volk von Titanen
In der zahmeren Welt und gehört nur euch und dem Himmel,
Der euch nährt' und erzog und der Erde, die euch geboren.
Keiner von euch ist noch in die Schule der Menschen gegangen,
Und ihr drängt euch fröhlich und frei, aus der kräftigen Wurzel,
Unter einander herauf und ergreift, wie der Adler die Beute,
Mit gewaltigem Arme den Raum, und gegen die Wolken
Ist euch heiter und groß die sonnige Krone gerichtet.
Eine Welt ist jeder von euch, wie die Sterne des Himmels
Lebt ihr, jeder ein Gott, in freiem Bunde zusammen.
Könnt' ich die Knechtschaft nur erdulden, ich neidete nimmer
Diesen Wald und schmiegte mich gern ans gesellige Leben.
Fesselte nur nicht mehr ans gesellige Leben das Herz mich,
Das von Liebe nicht läßt, wie gern würd' ich unter euch wohnen!
StA, Band 1, Seite 201.

 

An den Früling

Wangen sah' ich verblühn, und die Kraft der Arme veralten


Du mein Herz! noch alterst du nicht; wie Luna den Liebling
Wekte des Himmels Kind, die Freude vom Schlafe dich wieder;
Denn Sie erwacht mit mir zu neuer, glühender Jugend
Meine Schwester, die süße Natur, und meine geliebten
Thale lächeln mich an, und meine geliebteren Haine,
Voll erfreulichen Vogelgesangs, und scherzender Lüfte
Jauchzen in wilder Lust der freundlichen Gruß mir entgegen.
Der du Herzen verjüngst, und Fluren, heiliger Früling
Heil dir! Erstgeborner der Zeit! erquikender Früling
Erstgeborner im Schoose der Zeit! Gewaltiger! Heil dir
Heil! die Fessel zerriß, und tönt dir Feiergesänge,
Daß die Gestad' erbeben, der Strom; wir Jünglinge taumeln
Jauchzen hinaus wo der Strom dich preißt, wir enthüllen du Holder
Deinem Liebeshauche die glühende Brust, und stürzen hinunter
In den Strom, und jauchzen mit ihm, und nennen dich Bruder.


  Bruder! wie tanzt so schön, mit tausendfältiger Freude
Ach! und tausendfältiger Lieb' im lächelnden Aether
Deine Erde dahin, seit aus Elysiums Thalen
Du mit dem Zauberstab ihr nahtest, himmlischer Jüngling!
Sahn wir nicht, wie sie freundlicher nun den stolzen Geliebten
Grüßt', den heiligen Tag, wenn er kün vom Siege der Schatten
Über die Berge flammt! wie sie sanfterrötend im Schleier
Silberner Düfte verhüllt, in süßen Erwartungen aufblikt,
Biß sie glühet von ihm, und ihre friedlichen Kinder
Alle, Blumen und Hain', und Staaten und sprossende Reben,


  Schlummre, schlummre nun, mit deinen friedlichen Kindern
Mutter Erde! denn Helios hat die glühenden Rosse
Längst zur Ruhe gelenkt, und die freundlichen Helden des Himmels
Perseus dort, und Herkules dort sie wallen in stiller
Liebe vorbei, und leise durchstreift der flüsternde Nachthauch
Deine fröliche Saat, und die fernher tönenden Bäche
Lispeln Schlummergesänge darein,
StA, Band 1, Seite 202.

 

An den Aether

  Treu und freundlich, wie du, erzog der Götter und Menschen
Keiner, o Vater Aether! mich auf; noch ehe die Mutter
In die Arme mich nahm und ihre Brüste mich tränkten,
Faßtest du zärtlich mich an und gossest himmlischen Trank mir,
Mir den heiligen Othem zuerst in den keimenden Busen.

  Nicht von irrdischer Kost gedeihen einzig die Wesen,
Aber du nährst sie all' mit deinem Nektar, o Vater!
Und es drängt sich und rinnt aus deiner ewigen Fülle
Die beseelende Luft durch alle Röhren des Lebens.
Darum lieben die Wesen dich auch und ringen und streben
Unaufhörlich hinauf nach dir in freudigem Wachstum.

  Himmlischer! sucht nicht dich mit ihren Augen die Pflanze,
Strekt nach dir die schüchternen Arme der niedrige Strauch nicht?
Daß er dich finde, zerbricht der gefangene Saame die Hülse,
Daß er belebt von dir in deiner Welle sich bade,
Schüttelt der Wald den Schnee, wie ein überlästig Gewand ab.
Auch die Fische kommen herauf und hüpfen verlangend
Über die glänzende Fläche des Stroms, als begehrten auch diese
Aus der Wiege zu dir; auch den edeln Thieren der Erde
Wird zum Fluge der Schritt, wenn oft das gewaltige Sehnen
Die geheime Liebe zu dir sie ergreift, sie hinaufzieht.

  Stolz verachtet den Boden das Roß, wie gebogener Stahl strebt
In die Höhe sein Hals, mit der Hufe berührt es den Sand kaum.
Wie zum Scherze, berührt der Fuß der Hirsche den Grashalm,
Hüpft, wie ein Zephyr, über den Bach, der reißend hinabschäumt,
Hin und wieder und schweift kaum sichtbar durch die Gebüsche.

  Aber des Aethers Lieblinge, sie, die glüklichen Vögel
Wohnen und spielen vergnügt in der ewigen Halle des Vaters!
Raums genug ist für alle. Der Pfad ist keinem bezeichnet,
Und es regen sich frei im Hauße die Großen und Kleinen.
Über dem Haupte frolokken sie mir und es sehnt sich auch mein Herz
Wunderbar zu ihnen hinauf; wie die freundliche Heimath
Winkt es von oben herab und auf die Gipfel der Alpen
Möcht' ich wandern und rufen von da dem eilenden Adler,
Daß er, wie einst in die Arme des Zeus den seeligen Knaben,
Aus der Gefangenschaft in des Aethers Halle mich trage.

  Thöricht treiben wir uns umher; wie die irrende Rebe,
Wenn ihr Stab gebricht, woran zum Himmel sie aufwächst,
Breiten wir über dem Boden uns aus und suchen und wandern
Durch die Zonen der Erd', o Vater Aether! vergebens,
Denn es treibt uns die Lust in deinen Gärten zu wohnen.
In die Meersfluth werfen wir uns, in den freieren Ebnen
Uns zu sättigen, und es umspielt die unendliche Wooge
Unsern Kiel, es freut sich das Herz an den Kräften des Meergotts.
Dennoch genügt ihm nicht; denn der tiefere Ozean reizt uns,
Wo die leichtere Welle sich regt - o wer dort an jene
Goldnen Küsten das wandernde Schiff zu treiben vermöchte!

  Aber indeß ich hinauf in die dämmernde Ferne mich sehne,
Wo du fremde Gestad' umfängst mit der bläulichen Wooge,
Kömmst du säuselnd herab von des Fruchtbaums blühenden Wipfeln,
Vater Aether! und sänftigest selbst das strebende Herz mir,
Und ich lebe nun gern, wie zuvor, mit den Blumen der Erde.
StA, Band 1, Seite 204.

 

Der Wanderer

Einsam stand ich und sah in die Afrikanischen dürren
  Ebnen hinaus; vom Olymp reegnete Feuer herab.
Fernhin schlich das haagre Gebirg, wie ein wandelnd Gerippe,
  Hohl und einsam und kahl blikt' aus der Höhe sein Haupt.
Ach! nicht sprang, mit erfrischendem Grün der schattende Wald hier
  In die säuselnde Luft üppig und herrlich empor,
Bäche stürzten hier nicht in melodischem Fall vom Gebirge,
  Durch das blühende Thal schlingend den silbernen Strom,
Keiner Heerde vergieng am plätschernden Brunnen der Mittag,
  Freundlich aus Bäumen hervor blikte kein wirthliches Dach.
Unter dem Strauche saß ein ernster Vogel gesanglos,
  Ängstig und eilend flohn wandernde Störche vorbei.
Nicht um Wasser rief ich dich an, Natur! in der Wüste,
  Wasser bewahrte mir treulich das fromme Kameel.
Um der Haine Gesang, um Gestalten und Farben des Lebens
  Bat ich, vom lieblichen Glanz heimischer Fluren verwöhnt.
Aber ich bat umsonst; du erschienst mir feurig und herrlich,
  Aber ich hatte dich einst göttlicher, schöner gesehn.

Auch den Eispol hab' ich besucht; wie ein starrendes Chaos
  Thürmte das Meer sich da schröklich zum Himmel empor.
Todt in der Hülse von Schnee schlief hier das gefesselte Leben,
  Und der eiserne Schlaf harrte des Tages umsonst.
Ach! nicht schlang um die Erde den wärmenden Arm der Olymp hier
  Wie Pygmalions Arm um die Geliebte sich schlang.
Hier bewegt' er ihr nicht mit dem Sonnenblike den Busen,
  Und in Reegen und Thau sprach er nicht freundlich zu ihr.
Mutter Erde! rief ich, du bist zur Witwe geworden,
  Dürftig und kinderlos lebst du in langsamer Zeit.
StA, Band 1, Seite 206.

 

An einen Baum

                                     und die ewigen Bahnen
  Lächelnd über uns hin zögen die Herrscher der Welt,
Sonne und Mond und Sterne, und auch die Blize der Wolken
  Spielten, des Augenbliks feurige Kinder, um uns,
Aber in unsrem Innern, ein Bild der Fürsten des Himmels,
  Wandelte neidlos der Gott unserer Liebe dahin,
Und er mischte den Duft, die reine, heilige Seele,
  Die, von des Frühlinges silberner Stunde genährt,
Oft überströmte, hinaus in's glänzende Meer des Tages,
  Und in das Abendroth und in die Woogen der Nacht,
Ach! wir lebten so frei im innig unendlichen Leben,
  Unbekümmert und still, selber ein seeliger Traum,
Jezt uns selber genug und jezt in's Weite verfliegend,
  Aber im Innersten doch immer lebendig und eins.
Glüklicher Baum! wie lange, wie lange könnt' ich noch singen
  Und vergehen im Blik auf dein erbebendes Haupt,
Aber siehe! dort regt sich's, es wandeln in Schleiern die Jungfrau'n
  Und wer weiß es, vieleicht wäre mein Mädchen dabei;
Laß mich, laß mich, ich muß - lebwohl! es reißt mich in's Leben,
  Daß ich im kindischen Gang folge der lieblichen Spur,
Aber du Guter, dich will, dich will ich nimmer vergessen,
  Ewig bist du und bleibst meiner Geliebtesten Bild.
Und käm' einmal ein Tag, wo sie die meinige wäre
  O! dann ruht' ich mit ihr, unter dir, Freundlicher, aus
Und du zürnetest nicht, du gössest Schatten und Düfte
  Und ein rauschendes Lied über die Glüklichen aus.
StA, Band 1, Seite 209.

 

An Diotima

Komm und siehe die Freude um uns; in kühlenden Lüften
        Fliegen die Zweige des Hains,
Wie die Loken im Tanz'; und wie auf tönender Leier
        Ein erfreulicher Geist
Spielt mit Reegen und Sonnenschein auf der Erde der Himmel
        Wie in liebendem Streit
Über dem Saitenspiel' ein tausendfältig Gewimmel
        Flüchtiger Töne sich regt,
Wandelt Schatten und Licht in süßmelodischem Wechsel
        Über die Berge dahin.
Leise berührte der Himmel zuvor mit der silbernen Tropfe
        Seinen Bruder den Strom
Nah ist er nun, nun schüttet er ganz, die köstliche Fülle
        Die er am Herzen trug
Über den Hain und den Strom, und

Und das Grünen des Hains, und des Himmels Bild in dem Strome
        Dämmert und schwindet vor uns
Und des einsamen Berges Haupt mit den Hütten und Felsen
        Die er im Schoose verbirgt,
Und die Hügel, die um ihn her, wie Lämmer, gelagert
        Und in blühend Gesträuch
Wie in zarte Wolle gehüllt, sich nähren von klaren
        Kühlenden Quellen des Bergs,
Und das dampfende Thal mit seinen Saaten und Blumen,
        Und der Garten vor uns
Nah und fernes entweicht, verliert sich in froher Verwirrung
        Und die Sonne verlischt.
Aber vorübergerauscht sind nun die Fluthen des Himmels
        Und geläutert, verjüngt
Geht mit den seeligen Kindern hervor die Erd' aus dem Bade.
        Froher lebendiger
Glänzt im Haine das Grün, und goldner funkeln die Blumen,

Weiß, wie die Heerde, die in den Strom, der Schäfer geworfen,

StA, Band 1, Seite 210.

 

Diotima

Bruchstücke einer älteren Fassung

Lange todt und tiefverschlossen,
Grüßt mein Herz die schöne Welt,
Seine Zweige blühn und sprossen,
Neu von Lebenskraft geschwellt;
O! ich kehre noch in's Leben,
Wie heraus in Luft und Licht,
Meiner Blumen seelig Streben
Aus der dürren Hülse bricht.

Die ihr meine Klage kanntet,
Die ihr liebezürnend oft
Meines Sinnes Fehle nanntet
Und geduldet und gehoft,
Eure Noth ist aus, ihr Lieben!
Und das Dornenbett ist leer,
Und ihr kennt den immertrüben
Kranken Weinenden nicht mehr.

Wie so anders ist's geworden!
Alles was ich haßt und mied,
Stimmt in freundlichen Akkorden
Nun in meines Lebens Lied,
Und mit jedem Stundenschlage
Werd ich wunderbar gemahnt
An der Kindheit goldne Tage,
Seit ich dieses Eine fand.

Diotima! seelig Wesen!
Herrliche, durch die mein Geist
Von des Lebens Angst genesen
Götterjugend sich verheißt!
Unser Himmel wird bestehen,
Unergründlich sich verwandt
Hat, noch eh' wir uns gesehen
Unser Wesen sich gekannt.

Da ich noch in Kinderträumen
Friedlich wie der blaue Tag,
Unter meines Gartens Bäumen
Auf der warmen Erde lag,
Da mein erst Gefühl sich regte,
Da zum erstenmale sich
Göttliches in mir bewegte,
Säuselte dein Geist um mich.

Ach und da mein schöner Friede
Wie ein Saitenspiel, zerriß,
Da von Haß und Liebe müde
Mich mein guter Geist verließ,
Kamst du, wie vom Himmel nieder
Und es gab mein einzig Glük
Meines Sinnes Wohllaut wieder
Mir ein Traum von dir zurük.

Da ich flehend mich vergebens
An der Wesen kleinstes hieng,
Durch den Sonnenschein des Lebens
Einsam, wie ein Blinder, gieng,
Oft vor treuem Angesichte
Stand und keine Deutung fand,
Darbend vor des Himmels Lichte,
Vor der Mutter Erde stand,

Lieblich Bild mit deinem Strale
Drangst du da in meine Nacht!
Neu an meinem Ideale
Neu und stark war ich erwacht;
Dich zu finden, warf ich wieder
Warf ich meinen trägen Kahn
Von dem todten Porte nieder
In den blauen Ozean. -

Nun ich habe dich gefunden!
Schöner, als ich ahndend sah
In der Liebe Feierstunden,
Hohe Gute! bist du da;
O der armen Phantasien!
Dieses Eine bildest nur
Du in deinen Harmonien
Frohvollendete Natur!

Wie auf schwanker Halme Bogen
Sich die trunkne Biene wiegt,
Hin und wieder angezogen
Taumelnd hin und wieder fliegt,
Wankt und weilt vor diesem Bilde



Hab', ins tiefste Herz getroffen,
Oft um Schonung sie gefleht,
Wenn so klar und heilig offen
Mir ihr eigner Himmel steht,
Wenn die Schlaken, die mich kümmern,
Dieses Engelsauge sieht,
Wenn vor meines Friedens Trümmern
Dieser Unschuld Blume blüht;

Habe, wenn in reicher Stille
Wenn in einem Blik und Laut
Seine Ruhe, seine Fülle
Mir ihr Genius vertraut,
Wenn ihr Geist, der mich begeistert,
An der hohen Stirne tagt,
Von Bewundrung übermeistert,
Zürnend ihr mein Nichts geklagt.

Aber, wie in zarten Zweigen,
Liebend oft von mir belauscht,
Traulich durch der Haine Schweigen
Mir ein Gott vorüberrauscht,
So umfängt ihr himmlisch Wesen
Auch im Kinderspiele mich,
Und in süßem Zauber lösen
Freudig meine Bande sich.
StA, Band 1, Seite 212.

 

Diotima

Mittlere Fassung

Lange todt und tiefverschlossen,
Grüßt mein Herz die schöne Welt;
Seine Zweige blühn und sprossen,
Neu von Lebenskraft geschwellt;
O! ich kehre noch in's Leben,
Wie heraus in Luft und Licht
Meiner Blumen seelig Streben
Aus der dürren Hülse bricht.

Wie so anders ists geworden!
Alles, was ich haßt' und mied,
Stimmt in freundlichen Akkorden
Nun in meines Lebens Lied,
Und mit jedem Stundenschlage
Werd' ich wunderbar gemahnt
An der Kindheit goldne Tage,
Seit ich dieses Eine fand.

Diotima! seelig Wesen!
Herrliche, durch die mein Geist,
Von des Lebens Angst genesen,
Götterjugend sich verheißt!
Unser Himmel wird bestehen,
Unergründlich sich verwandt,
Hat sich, eh wir uns gesehen,
Unser Innerstes gekannt.

Da ich noch in Kinderträumen,
Friedlich, wie der blaue Tag,
Unter meines Gartens Bäumen
Auf der warmen Erde lag,
Und in leiser Lust und Schöne
Meines Herzens Mai begann,
Säuselte, wie Zephirstöne,
Diotimas Geist mich an.

Ach! und da, wie eine Sage,
Mir des Lebens Schöne schwand,
Da ich vor des Himmels Tage
Darbend, wie ein Blinder, stand,
Da die Last der Zeit mich beugte,
Und mein Leben, kalt und blaich,
Sehnend schon hinab sich neigte
In der Schatten stummes Reich;

Da, da kam vom Ideale,
Wie vom Himmel, Muth und Macht,
Du erscheinst mit deinem Strahle,
Götterbild! in meiner Nacht;
Dich zu finden, warf ich wieder,
Warf ich den entschlafnen Kahn
Von dem todten Porte nieder
In den blauen Ocean. -

Nun! ich habe dich gefunden,
Schöner, als ich ahndend sah
In der Liebe Feierstunden,
Hohe! Gute! bist du da;
O der armen Phantasien!
Dieses Eine bildest nur
Du, in ew'gen Harmonien
Frohvollendete Natur!

Wie die Seeligen dort oben,
Wo hinauf die Freude flieht,
Wo, des Daseyns überhoben,
Wandellose Schöne blüht,
Wie melodisch bei des alten
Chaos Zwist Urania,
Steht sie, göttlich rein erhalten,
Im Ruin der Zeiten da.

Unter tausend Huldigungen
Hat mein Geist, beschämt, besiegt,
Sie zu fassen schon gerungen,
Die sein Kühnstes überfliegt.
Sonnengluth und Frühlingsmilde,
Streit und Frieden wechselt hier
Vor dem schönen Engelsbilde
In des Busens Tiefe mir.

Viel der heil'gen Herzensthränen
Hab' ich schon vor ihr geweint,
Hab' in allen Lebenstönen
Mit der Holden mich vereint,
Hab', ins tiefste Herz getroffen,
Oft um Schonung sie gefleht,
Wenn so klar und heilig offen
Mir ihr eigner Himmel steht;

Habe, wenn in reicher Stille,
Wenn in einem Blik und Laut
Seine Ruhe,seine Fülle
Mir ihr Genius vertraut,
Wenn der Gott, der mich begeistert,
Mir an ihrer Stirne tagt,
Von Bewundrung übermeistert,
Zürnend ihr mein Nichts geklagt;

Dann umfängt ihr himmlisch Wesen
Süß im Kinderspiele mich,
Und in ihrem Zauber lösen
Freudig meine Bande sich;
Hin ist dann mein dürftig Streben,
Hin des Kampfes lezte Spur,
Und ins volle Götterleben
Tritt die sterbliche Natur.

Da, wo keine Macht auf Erden,
Keines Gottes Wink uns trennt,
Wo wir Eins und Alles werden,
Das ist nun mein Element;
Wo wir Noth und Zeit vergessen,
Und den kärglichen Gewinn
Nimmer mit der Spanne messen,
Da, da weiß ich, daß ich bin.

Wie der Stern der Tyndariden,
Der in lichter Majestät
Seine Bahn, wie wir, zufrieden
Dort in dunkler Höhe geht,
Wie er in die Meereswoogen,
Wo die schöne Ruhe winkt,
Von des Himmels steilem Bogen
Klar und groß hinuntersinkt:

O Begeisterung, so finden
Wir in dir ein seelig Grab,
Tief in deine Woogen schwinden,
Still frohlokend, wir hinab,
Bis der Hore Ruf wir hören
Und, mit neuem Stolz erwacht,
Wie die Sterne wieder kehren
In des Lebens kurze Nacht.
StA, Band 1, Seite 216.

 

Diotima

Jüngere Fassung

Leuchtest du wie vormals nieder,
Goldner Tag! und sprossen mir
Des Gesanges Blumen wieder
Lebenathmend auf zu dir?
Wie so anders ist's geworden!
Manches, was ich trauernd mied,
Stimmt in freundlichen Akkorden
Nun in meiner Freude Lied,
Und mit jedem Stundenschlage
Werd' ich wunderbar gemahnt
An der Kindheit stille Tage,
Seit ich Sie, die Eine, fand.

Diotima! edles Leben!
Schwester, heilig mir verwandt!
Eh' ich dir die Hand gegeben,
Hab' ich ferne dich gekannt.
Damals schon, da ich in Träumen,
Mir entlokt vom heitern Tag,
Unter meines Gartens Bäumen,
Ein zufriedner Knabe lag,
Da in leiser Lust und Schöne
Meiner Seele Mai begann,
Säuselte, wie Zephirstöne,
Göttliche! dein Geist mich an.

Ach! und da, wie eine Sage,
Jeder frohe Gott mir schwand,
Da ich vor des Himmels Tage
Darbend, wie ein Blinder, stand,
Da die Last der Zeit mich beugte,
Und mein Leben, kalt und blaich,
Sehnend schon hinab sich neigte
In der Todten stummes Reich:
Wünscht' ich öfters noch, dem blinden
Wanderer, dies Eine mir,
Meines Herzens Bild zu finden
Bei den Schatten oder hier.

Nun! ich habe dich gefunden!
Schöner, als ich ahndend sah,
Hoffend in den Feierstunden,
Holde Muse! bist du da;
Von den Himmlischen dort oben,
Wo hinauf die Freude flieht,
Wo des Alterns überhoben,
Immerheitre Schöne blüht,
Scheinst Du mir herabgestiegen,
Götterbotin! weiltest du
Nun in gütigem Genügen
Bei dem Sänger immerzu.

Sommerglut und Frühlingsmilde,
Streit und Frieden wechselt hier
Vor dem stillen Götterbilde
Wunderbar im Busen mir;
Zürnend unter Huldigungen
Hab' ich oft, beschämt, besiegt,
Sie zu fassen, schon gerungen,
Die mein Kühnstes überfliegt;
Unzufrieden im Gewinne,
Hab' ich stolz darob geweint,
Daß zu herrlich meinem Sinne
Und zu mächtig sie erscheint.

Ach! an deine stille Schöne,
Seelig holdes Angesicht!
Herz! an deine Himmelstöne
Ist gewohnt das meine nicht;
Aber deine Melodien
Heitern mählig mir den Sinn,
Daß die trüben Träme fliehen,
Und ich selbst ein andrer bin;
Bin ich dazu denn erkoren?
Ich zu deiner hohen Ruh,
So zu Licht und Lust geboren,
Göttlichglükliche! wie du? -

Wie dein Vater und der meine,
Der in heitrer Majestät
Über seinem Eichenhaine
Dort in lichter Höhe geht,
Wie er in die Meereswoogen,
Wo die kühle Tiefe blaut,
Steigend  von des Himmels Bogen,
Klar und still herunterschaut:
So will ich aus Götterhöhen,
Neu geweiht in schön'rem Glük,
Froh zu singen und zu sehen,
Nun zu Sterblichen zurük.
StA, Band 1, Seite 220.

 

An die klugen Rathgeber

Ich sollte nicht im Lebensfelder ringen,
So lang mein Herz nach höchster Schöne strebt,
Ich soll mein Schwanenlied am Grabe singen,
Wo ihr so gern lebendig uns begräbt?
O! schonet mein und laßt das rege Streben,
Bis seine Fluth in's fernste Meer sich stürzt,
Laßt immerhin, ihr Ärzte, laßt mich leben,
So lang die Parze nicht die Bahn verkürzt.

Des Weins Gewächs verschmäht die kühlen Thale,
Hesperiens beglükter Garten bringt
Die goldnen Früchte nur im heißen Strahle,
Der, wie ein Pfeil, in's Herz der Erde dringt;
Was warnt ihr dann, wenn stolz und ungeschändet
Des Menschen Herz von kühnem Zorn entbrennt,
Was nimmt ihr ihm, der nur im Kampf vollendet,
Ihr Weichlinge, sein glühend Element?

Er hat das Schwerdt zum Spiele nicht genommen,
Der Richter, der die alte Nacht verdammt,
Er ist zum Schlafe nicht herabgekommen,
Der reine Geist, der aus dem Aether stammt;
Er strahlt heran, er schrökt, wie Meteore,
Befreit und bändigt, ohne Ruh' und Sold,
Bis, wiederkehrend durch des Himmels Thore,
Sein Kämpferwagen im Triumphe rollt.

Und ihr, ihr wollt des Rächers Arme lähmen,
Dem Geiste, der mit Götterrecht gebeut,
Bedeutet ihr, sich knechtisch zu bequemen,
Nach eures Pöbels Unerbittlichkeit?
Das Irrhaus wählt ihr euch zum Tribunale,
Dem soll der Herrliche sich unterzieh'n,
Den Gott in uns, den macht ihr zum Scandale,
Und sezt den Wurm zum König über ihn. -

Sonst ward der Schwärmer doch ans Kreuz geschlagen,
Und oft in edlem Löwengrimme rang
Der Mensch an donnernden Entscheidungstagen,
Bis Glük und Wuth das kühne Recht bezwang;
Ach! wie die Sonne, sank zur Ruhe nieder
Wer unter Kampf ein herrlich Werk begann,
Er sank und morgenrötlich hub er wieder
In seinen Lieblingen zu leuchten an.

Jezt blüht die neue Kunst, das Herz zu morden,
Zum Todesdolch in meuchlerischer Hand
Ist nun der Rath des klugen Manns geworden,
Und furchtbar, wie ein Scherge, der Verstand;
Bekehrt von euch zu feiger Ruhe, findet
Der Geist der Jünglinge sein schmählich Grab,
Ach! ruhmlos in die Nebelnächte schwindet
Aus heitrer Luft manch schöner Stern hinab.

Umsonst, wenn auch der Geister Erste fallen,
Die starken Tugenden, wie Wachs, vergehn,
Das Schöne muß aus diesen Kämpfen allen,
Aus dieser Nacht der Tage Tag entstehn;
Begräbt sie nur, ihr Todten, eure Todten!
Indeß ihr noch die Leichenfakel hält,
Geschiehet schon, wie unser Herz geboten,
Bricht schon herein die neue beßre Welt.
StA, Band 1, Seite 223.

 

Der Jüngling an die klugen Rathgeber

Ich sollte ruhn? Ich soll die Liebe zwingen,
Die feurigfroh nach hoher Schöne strebt?
Ich soll mein Schwanenlied am Grabe singen,
Wo ihr so gern lebendig uns begräbt?
O schonet mein! Allmächtig fortgezogen,
Muß immerhin des Lebens frische Fluth
Mit Ungedult im engen Bette woogen,
Bis sie im heimatlichen Meere ruht.

Des Weins Gewächs verschmäht die kühlen Thale,
Hesperiens beglükter Garten bringt
Die goldnen Früchte nur im heißen Strale,
Der, wie ein Pfeil, ins Herz der Erde dringt.
Was sänftiget ihr dann, wenn in den Ketten
Der ehrnen Zeit die Seele mir entbrennt,
Was immer ihr mir, den nur die Kämpfe retten,
Ihr Weichlinge! mein glühend Element?

Das Leben ist zum Tode nicht erkoren,
Zum Schlafe nicht der Gott, der uns entflammt,
Zum Joch' ist nicht der Herrliche geboren,
Der Genius, der aus dem Aether stammt;
Er kommt herab; er taucht sich, wie zum Bade,
In des Jahrhunderts Strom und glüklich raubt
Auf eine Zeit den Schwimmer die Najade,
Doch hebt er heitrer bald sein leuchtend Haupt.

Darum laßt die Lust, das Große zu verderben,
Und geht und sprecht von eurem Glüke nicht!
Pflanzt keinen Cedernbaum in eure Scherben!
Nimmt keinen Geist in eure Söldnerspflicht!
Versucht es nicht, das Sonnenroß zu lähmen!
Laßt immerhin den Sternen ihre Bahn!
Und mir, mir rathet nicht, mich zu bequemen,
Und macht mich nicht den Knechten unterthan.

Und könnt ihr ja das Schöne nicht ertragen,
So führt den Krieg mit offner Kraft und That!
Sonst ward der Schwärmer doch ans Kreuz geschlagen,
Jezt mordet ihn der sanfte kluge Rath;
Wie manchen habt ihr herrlich zubereitet
Fürs Reich der Noth! wie oft auf euern Sand
Den hoffnungsfrohen Steuermann verleitet
Auf kühner Fahrt in's warme Morgenland!

Umsonst! mich hält die dürre Zeit vergebens,
Und mein Jahrhundert ist mir Züchtigung;
Ich sehne mich in's grüne Feld des Lebens
Und in den Himmel der Begeisterung;
Begrabt sie nur, ihr Todten, eure Todten,
Und preist das Menschenwerk und scheltet nur!
Doch reift in mir, so wie mein Herz geboten,
Die schöne, die lebendige Natur.
StA, Band 1, Seite 225.

 

Gebet für die Unheilbaren

Eil, o zaudernde Zeit, sie ans Ungereimte zu führen,
  Anders belehrest du sie nie wie verständig sie sind.
Eile, verderbe sie ganz, und führ' ans furchtbare Nichts sie,
  Anders glauben sie dir nie, wie verdorben sie sind.
Diese Thoren bekehren sich nie, wenn ihnen nicht schwindelt,
  Diese          sich nie, wenn sie Verwesung nicht sehn.
StA, Band 1, Seite 228.

 

Guter Rath

Hast du Verstand und ein Herz, so zeige nur eines von beiden,
  Beides verdammen sie dir, zeigest du beides zugleich.
StA, Band 1, Seite 229.

 

Advocatus diaboli

Tief im Herzen haß ich den Troß der Despoten und Pfaffen
  Aber noch mehr das Genie, macht es gemein sich damit.
StA, Band 1, Seite 229.

 

Die Vortreflichen

Lieben Brüder! versucht es nur nicht, vortreflich zu werden
  Ehrt das Schiksaal und tragts, Stümper auf Erden zu seyn
Denn ist Einmal der Kopf voran, so folget der Schweif auch
  Und die klassische Zeit deutscher Poëten ist aus.
StA, Band 1, Seite 229.

 

Die beschreibende Poësie

Wißt! Apoll ist der Gott der Zeitungsschreiber geworden
  Und sein Mann ist, wer ihm treulich das Factum erzählt.
StA, Band 1, Seite 229.

 

Falsche Popularität

O der Menschenkenner! er stellt sich kindisch mit Kindern
  Aber der Baum und das Kind suchet, was über ihm ist.
StA, Band 1, Seite 229.

 

An Diotima

Schönes Leben! du lebst, wie die zarten Blüthen im Winter,
  In der gealterten Welt blühst du verschlossen, allein.
Liebend strebst du hinaus, dich zu sonnen am Lichte des Frühlings,
  Zu erwarmen an ihr suchst du die Jugend der Welt.
Deine Sonne, die schönere Zeit, ist untergegangen
  Und in frostiger Nacht zanken Orkane sich nun.
StA, Band 1, Seite 230.

 

Diotima

Komm und besänftige mir, die du einst Elemente versöhntest
  Wonne der himmlischen Muse das Chaos der Zeit,
Ordne den tobenden Kampf mit Friedenstönen des Himmels
  Bis in der sterblichen Brust sich das entzweite vereint,
Bis der Menschen alte Natur die ruhige große,
  Aus der gährenden Zeit, mächtig und heiter sich hebt.
Kehr' in die dürftigen Herzen des Volks, lebendige Schönheit!
  Kehr an den gastlichen Tisch, kehr in die Tempel zurük!
Denn Diotima lebt, wie die zarten Blüthen im Winter,
  Reich an eigenem Geist sucht sie die Sonne doch auch.
Aber die Sonne des Geists, die schönere Welt ist hinunter
  Und in frostiger Nacht zanken Orkane sich nur.
StA, Band 1, Seite 231.

 

Einladung an Neuffer

Dein Morgen, Bruder, gieng so schön hervor,
So herrlich schimmerte dein Morgenrot -
Und doch - und doch besiegt ein schwarzer Sturm
Das hehre Licht - und wälzet schrekenvoll
Den grimmen Donner auf dein sichres Haupt!
O Bruder! Bruder! daß dein Bild so wahr
So schreklich wahr des Lebens Wechsel deutet!
Daß Disteln hinter Blumengängen lauern -
Und Jammer auf die Rosenwange schielt!
Und blaicher Tod in Jünglingsadern schleicht,
Und bange Trennung treuer Freunde Loos
Und edler Herzen Schiksaal Druk und Kummer ist!
Da baun wir Plane, träumen so entzükt
Vom nahen Ziel - und plözlich zukt
Ein Bliz herab, und öfnet uns die Augen!
Du frägst warum diß all'? - aus heller Laune.
Ich sah' im Geist sich deine Stirne wölken,
In deiner Eingezogenheit - da gieng
Ich trüben Bliks hinab zu meinem Nekar
Und sah' in seine Woogen, bis mir schwindelte -
Und kehrte still und voll der dunklen Zukunft,
Und voll des Schiksaals, welches unsrer wartet,
Zurük - und sezte mich, und also ward
Die - freilich nicht erbauliche - Tirade
Vom ungewissen Wechsel unsers Lebens.
Doch - komme du - du scherze mir Tiraden
Und Ahndungen der Zukunft von der Stirne weg,
O komm - es harret dein ein eigen Dekelglas -
Stiefmütterlich soll warlich nicht mein Fäßchen sein.
Und findst du schon kein Städtermahl, so würzet es
Doch meine Freundschaft, und der Meinen guter Wille.
StA, Band 1, Seite 232.

 

Einladung

seinem Freund Neuffer

  Dein Morgen, Bruder, gieng so schön hervor, 
Ein heitres Frühroth glänzte dir entgegen,
Den wonnevollsten Lebenstag verheißend.
Die Musen weihten dich zu ihrem Priester,
Die Liebe kränzte dir das Haupt mit Rosen,
Und goß die reinsten Freuden in dein Herz.
Wer war wie du beglükt? Das Schiksaal hat
Es anders nun gemacht; ein schwarzer Sturm
Verschlang des Tages Licht; der Donner rollte
Und traf dein sichres Haupt; im Grabe liegt,
Was du geliebt; dein Eden ist vernichtet.

  O Bruder, Bruder, daß dein Schiksaal mir
So schreklichwahr des Lebens Wechsel deutet!
Daß Disteln hinter Blumengängen lauern,
Daß gift'ger Tod in Jugendadern schleicht,
Daß bittre Trennung selbst den Freunden oft
Den armen Trost versagt, den Schmerz zu theilen!
Da bau'n wir Plane, träumen so entzükt
Vom nahen Ziel, und plözlich, plözlich zukt
Ein Bliz herab, und öfnet uns das Grab.
Ich sah im Geist dein Leiden all. Da gieng
Ich trüben Bliks hinab am Maingestade,
Sah in die Woogen, bis mir schwindelte,
Und kehrte still und voll der dunkeln Zukunft,
Und voll des Schiksaals, welches unser wartet,
Beim Untergang der Sonn' in meine Klause.

  O Bruder, komm nach jahrelanger Trennung
An meine Brust! Vieleicht gelingt es uns
Noch einen jener schönen Abende,
Die wir so oft am Herzen der Natur
Mit reinem Sinn und mit Gesang gefeiert,
Zurük zu zaubern, und noch einmal froh
Hinein zu schauen in das Leben! Komm,
Es wartet dein ein eigen Dekelglas,
Stiefmütterlich soll nicht mein Fäßchen fließen.
Es wartet dein ein freundliches Gemach,
Wo unsre Herzen liebend sich ergießen!
Komm, eh der Herbst der Gärten Schmuk verderbt,
Bevor die schönen Tage von uns eilen,
Und laß durch Freundschaft uns des Herzens Wunden heilen.
StA, Band 1, Seite 233.

 

An Neuffer

Brüderlich Herz! ich komme zu dir, wie der thauende Morgen
  Schließe du, wie der Kelch zärtlicher Blumen dich auf
Einen Himmel empfängst du, der Freude goldene Wolke
  Rieselt in eilenden freundlichen Tönen herab.
Freund! ich kenne mich nicht, ich kenne nimmer den Menschen,
  Und es schämet der Geist aller Gedanken sich nun.
Fassen wollt' er auch sie, wie er faßt die Dinge der Erde
  Fassen
Aber ein Schwindel ergriff ihn süß, und die ewige Veste
  Seiner Gedanken stürzt'
StA, Band 1, Seite 235.

 

Die Musse

  Sorglos schlummert die Brust und es ruhn die strengen Gedanken.
Auf die Wiese geh' ich hinaus, wo das Gras aus der Wurzel
Frisch, wie die Quelle mir keimt, wo die liebliche Lippe der Blume
Mir sich öffnet und stumm mit süßem Othem mich anhaucht,
Und an tausend Zweigen des Hains, wie an brennenden Kerzen
Mir das Flämmchen des Lebens glänzt, die röthliche Blüthe,
Wo im sonnigen Quell die zufriednen Fische sich regen,
Wo die Schwalbe das Nest mit den thörigen Jungen umflattert,
Und die Schmetterlinge sich freun und die Bienen, da wandl' ich
Mitten in ihrer Lust; ich steh im friedlichen Felde
Wie ein liebender Ulmbaum da, und wie Reben und Trauben
Schlingen sich rund um mich die süßen Spiele des Lebens.

  Oder schau ich hinauf zum Berge, der mit Gewölken
Sich die Scheitel umkränzt und die düstern Loken im Winde
Schüttelt, und wenn er mich trägt auf seiner kräftigen Schulter,
Wenn die leichtere Luft mir alle Sinne bezaubert
Und das unendliche Thal, wie eine farbige Wolke
Unter mir liegt, da werd' ich zum Adler, und ledig des Bodens
Wechselt mein Leben im All der Natur wie Nomaden den Wohnort.
Und nun führt mich der Pfad zurük ins Leben der Menschen,
Fernher dämmert die Stadt, wie eine eherne Rüstung
Gegen die Macht des Gewittergotts und der Menschen geschmiedet,
Majestätisch herauf, und ringsum ruhen die Dörfchen;
Und die Dächer umhüllt, vom Abendlichte geröthet
Freundlich der häußliche Rauch; es ruhn die sorglich umzäunten
Gärten, es schlummert der Pflug auf den gesonderten Feldern.

  Aber ins Mondlicht steigen herauf die zerbrochenen Säulen
Und die Tempelthore, die einst der Furchtbare traf, der geheime
Geist der Unruh, der in der Brust der Erd' und der Menschen
Zürnet und gährt, der Unbezwungne, der alte Erobrer
Der die Städte, wie Lämmer, zerreißt, der einst den Olympus
Stürmte, der in den Bergen sich regt, und Flammen herauswirft,
Der die Wälder entwurzelt und durch den Ozean hinfährt
Und die Schiffe zerschlägt und doch in der ewigen Ordnung
Niemals irre dich macht, auf der Tafel deiner Geseze
Keine Sylbe verwischt, der auch dein Sohn, o Natur, ist
Mit dem Geiste der Ruh' aus Einem Schoose geboren. -

  Hab' ich zu Hauße dann, wo die Bäume das Fenster umsäuseln
Und die Luft mit dem Lichte mir spielt, von menschlichem Leben
Ein erzählendes Blatt zu gutem Ende gelesen:
Leben! Leben der Welt! du liegst wie ein heiliger Wald da,
Sprech ich dann, und es nehme die Axt, wer will dich zu ebnen,
Glüklich wohn' ich in dir.
StA, Band 1, Seite 236.

 

Die Völker schwiegen, schlummerten...

   Die Völker schwiegen, schlummerten, da sahe
Das Schiksaal, daß sie nicht entschliefen und es kam
Der unerbittliche, der furchtbare
Sohn der Natur, der alte Geist der Unruh.
Der regte sich, wie Feuer, das im Herzen
Der Erde gährt, das wie den reifen Obstbaum
Die alten Städte schüttelt, das die Berge
Zerreißt, und die Eichen hinabschlingt und die Felsen.

  Und Heere tobten, wie die kochende See.
Und wie ein Meergott, herrscht' und waltete
Manch großer Geist im kochenden Getümmel.
Manch feurig Blut zerran im Todesfeld
Und jeder Wunsch und jede Menschenkraft
Vertobt auf Einer da, auf ungeheurer Wahlstatt
Wo von dem blauen Rheine bis zur Tyber
Die unaufhaltsame die jahrelange Schlacht
In wilder Ordnung sich umherbewegte.
Es spielt' ein kühnes Spiel in dieser Zeit
Mit allen Sterblichen das mächtge Schiksaal.



Und blinken goldne Früchte wieder dir
Wie heitre holde Sterne, durch die kühle Nacht
Der Pomeranzenwälder in Italien.
StA, Band 1, Seite 238.

 

Buonaparte

Heilige Gefäße sind die Dichter,
 Worinn des Lebens Wein, der Geist
  Der Helden sich aufbewahrt,

Aber der Geist dieses Jünglings
 Der schnelle, müßt' er es nicht zersprengen
  Wo es ihn fassen wollte, das Gefäß?

Der Dichter laß ihn unberührt wie den Geist der Natur,
 An solchem Stoffe wird zum Knaben der Meister.

Er kann im Gedichte nicht leben und bleiben,
 Er lebt und bleibt in der Welt.
StA, Band 1, Seite 239.

 

Empedokles

Das Leben suchst du, suchst, und es quillt und glänzt
 Ein göttlich Feuer tief aus der Erde dir,
  Und du in schauderndem Verlangen
   Wirfst dich hinab, in des Aetna Flammen.

So schmelzt' im Weine Perlen der Übermuth
 Der Königin; und mochte sie doch! hättst du
  Nur deinen Reichtum nicht, o Dichter
   Hin in den gährenden Kelch geopfert!

Doch heilig bist du mir, wie der Erde Macht,
 Die dich hinwegnahm, kühner Getödteter!
  Und folgen möcht' ich in die Tiefe,
   Hielte die Liebe mich nicht, dem Helden.
StA, Band 1, Seite 240.

 

An die Parzen

Nur Einen Sommer gönnt, ihr Gewaltigen!
  Und einen Herbst zu reifem Gesange mir,
    Daß williger mein Herz, vom süßen
      Spiele gesättiget, dann mir sterbe.

Die Seele, der im Leben ihr göttlich Recht
  Nicht ward, sie ruht auch drunten im Orkus nicht;
    Doch ist mir einst das Heil'ge, das am
      Herzen mir liegt, das Gedicht gelungen,

Willkommen dann, o Stille der Schattenwelt!
  Zufrieden bin ich, wenn auch mein Saitenspiel
    Mich nicht hinab geleitet; Einmal
      Lebt ich, wie Götter, und mehr bedarfs nicht.
StA, Band 1, Seite 241.

 

Diotima

Du schweigst und duldest, und sie versteh'n dich nicht,
 Du heilig Leben! welkest hinweg und schweigst,
  Denn ach, vergebens bei Barbaren
   Suchst du die Deinen im Sonnenlichte,

Die zärtlichgroßen Seelen, die nimmer sind!
 Doch eilt die Zeit. Noch siehet mein sterblich Lied
  Den Tag, der, Diotima! nächst den
   Göttern mit Helden dich nennt, und dir gleicht.
StA, Band 1, Seite 242.

 

An Ihren Genius

Send' ihr Blumen und Frücht' aus nieversiegender Fülle,
  Send' ihr, freundlicher Geist, ewige Jungend herab!
Hüll' in deine Wonnen sie ein und laß sie die Zeit nicht
  Sehn, wo einsam und fremd sie, die Athenerin, lebt,
Bis sie im Lande der Seeligen einst die fröhlichen Schwestern,
  Die zu Phidias Zeit herrschten und liebten, umfängt.
StA, Band 1, Seite 243.

 

Abbitte

Heilig Wesen! gestört hab' ich die goldene
 Götterruhe dir oft, und der geheimeren,
  Tiefern Schmerzen des Lebens
   Hast du manche gelernt von mir.

O vergiß es, vergieb! gleich dem Gewölke dort
 Vor dem friedlichen Mond, geh' ich dahin, und du
  Ruhst und glänzest in deiner
   Schöne wieder, du süßes Licht!
StA, Band 1, Seite 244.

 

Stimme des Volks

Du seiest Gottes Stimme, so ahndet' ich
 In heil'ger Jugend; ja, und ich sag' es noch. -
  Um meine Weisheit unbekümmert
   Rauschen die Wasser doch auch, und dennoch

Hör' ich sie gern, und öfters bewegen sie
 Und stärken mir das Herz, die gewaltigen;
  Und meine Bahn nicht, aber richtig
   Wandeln in's Meer sie die Bahn hinunter.
StA, Band 1, Seite 245.

 

Ehmals und jezt

In jüngern Tagen war ich des Morgens froh,
 Des Abends weint' ich; jezt, da ich älter bin,
  Beginn ich zweifelnd meinen Tag, doch
   Heilig und heiter ist mir sein Ende.
StA, Band 1, Seite 246.

 

Lebenslauf

Hoch auf strebte mein Geist, aber die Liebe zog
 Schön ihn nieder; das Laid beugt ihn gewaltiger;
  So durchlauf ich des Lebens
   Bogen und kehre, woher ich kam.
StA, Band 1, Seite 247.

 

Die Kürze

»Warum bist du so kurz? liebst du, wie vormals, denn
  »Nun nicht mehr den Gesang? fandst du, als Jüngling, doch,
    »In den Tagen der Hoffnung,
      »Wenn du sangest, das Ende nie!

Wie mein Glük, ist mein Lied. - Willst du im Abendroth
  Froh dich baden? hinweg ists! und die Erd' ist kalt,
    Und der Vogel der Nacht schwirrt
      Unbequem vor das Auge dir.
StA, Band 1, Seite 248.

 

Die Liebenden

Trennen wollten wir uns, wähnten es gut und klug;
  Da wir's thaten, warum schrökt' uns, wie Mord, die That?
   Ach! wir kennen uns wenig,
    Denn es waltet ein Gott in uns.
StA, Band 1, Seite 249.

 

Menschenbeifall

Ist nicht heilig mein Herz, schöneren Lebens voll,
 Seit ich liebe? warum achtetet ihr mich mehr,
  Da ich stolzer und wilder,
   Wortereicher und leerer war?

Ach! der Menge gefällt, was auf den Marktplaz taugt,
 Und es ehret der Knecht nur den Gewaltsamen;
  An das Göttliche glauben
    Die allein, die es selber sind.
StA, Band 1, Seite 250.

 

Die Heimath

Froh kehrt der Schiffer heim an den stillen Strom
 Von fernen Inseln, wo er geerndtet hat;
  Wohl möcht' auch ich zur Heimath wieder;
   Aber was hab' ich, wie Laid, geerndtet? -

Ihr holden Ufer, die ihr mich auferzogt,
 Stillt ihr der Liebe Laiden? ach! gebt ihr mir,
  Ihr Wälder meiner Kindheit, wann ich
   Komme, die Ruhe noch Einmal wieder?
StA, Band 1, Seite 251.

 

Der gute Glaube

Schönes Leben! du liegst krank, und das Herz ist mir
 Müd vom Weinen und schon dämmert die Furcht in mir,
  Doch, doch kann ich nicht glauben,
   Daß du sterbest, so lang du liebst.
StA, Band 1, Seite 252.

 

Ihre Genesung

Deine Freundin, Natur! leidet und schläft und du
 Allbelebende, säumst? ach! und ihr heilt sie nicht,
  Mächt'ge Lüfte des Aethers,
   Nicht ihr Quellen des Sonnenlichts?

Alle Blumen der Erd', alle die fröhlichen,
 Schönen Früchte des Hains, heitern sie alle nicht
  Dieses Leben, ihr Götter!
   Das ihr selber in Lieb' erzogt? -

Ach! schon athmet und tönt heilige Lebenslust
 Ihr im reizenden Wort wieder wie sonst und schon
  Glänzt das Auge des Lieblings
   Freundlichoffen, Natur! dich an.
StA, Band 1, Seite 253.

 

Das Unverzeihliche

Wenn ihr Freunde vergeßt, wenn ihr den Künstler höhnt,
 Und den tieferen Geist klein und gemein versteht,
  Gott vergiebt es, doch stört nur
   Nie den Frieden der Liebenden.
StA, Band 1, Seite 254.

 

An die jungen Dichter

Lieben Brüder! es reift unsere Kunst vieleicht,
 Da, dem Jünglinge gleich, lange sie schon gegährt,
  Bald zur Stille der Schönheit;
   Seid nur fromm, wie der Grieche war!

Liebt die Götter und denkt freundlich der Sterblichen!
 Haßt den Rausch, wie den Frost! lehrt und beschreibet nicht!
  Wenn der Meister euch ängstigt,
   Fragt die große Natur um Rath.
StA, Band 1, Seite 255.

 

An die Deutschen

Spottet ja nicht des Kinds, wenn es mit Peitsch' und Sporn
 Auf dem Rosse von Holz muthig und groß sich dünkt,
  Denn, ihr Deutschen, auch ihr seyd
   Thatenarm und gedankenvoll.

Oder kömmt, wie der Stral aus dem Gewölke kömmt,
 Aus Gedanken die That? Leben die Bücher bald?
  O ihr Lieben, so nimmt mich,
   Daß ich büße die Lästerung.
StA, Band 1, Seite 256.

 

Die scheinheiligen Dichter

Ihr kalten Heuchler, sprecht von den Göttern nicht!
 Ihr habt Verstand! ihr glaubt nicht an Helios,
  Noch an den Donnerer und Meergott;
   Todt ist die Erde, wer mag ihr danken? -

Getrost ihr Götter! zieret ihr doch das Lied,
 Wenn schon aus euren Nahmen die Seele schwand,
  Und ist ein großes Wort vonnöthen,
   Mutter Natur! so gedenkt man deiner.
StA, Band 1, Seite 257.

 

Dem Sonnengott

Wo bist du? trunken dämmert die Seele mir
 Von aller deiner Wonne; denn eben ists,
  Daß ich gesehn, wie, müde seiner
   Fahrt, der entzükende Götterjüngling

Die jungen Loken badet' im Goldgewölk';
 Und jezt noch blikt mein Auge von selbst nach ihm;
  Doch fern ist er zu frommen Völkern,
   Die ihn noch ehren, hinweggegangen.

Dich lieb' ich, Erde! trauerst du doch mit mir!
 Und unsre Trauer wandelt, wie Kinderschmerz,
  In Schlummer sich, und wie die Winde
   Flattern und flüstern im Saitenspiele,

Bis ihm des Meisters Finger den schönern Ton
 Entlokt, so spielen Nebel und Träum' um uns,
  Bis der Geliebte wiederkömt und
   Leben und Geist sich in uns entzündet.
StA, Band 1, Seite 258.

 

Sonnenuntergang

Wo bist du? trunken dämmert die Seele mir
  Von aller deiner Wonne; denn eben ist's,
    Daß ich gelauscht, wie, goldner Töne
      Voll, der entzükende Sonnenjüngling

Sein Abendlied auf himmlischer Leyer spielt';
  Es tönten rings die Wälder und Hügel nach.
    Doch fern ist er zu frommen Völkern,
      Die ihn noch ehren, hinweggegangen.
StA, Band 1, Seite 259.

 

Sokrates und Alcibiades

»Warum huldigest du, heiliger Sokrates,
 »Diesem Jünglinge stets? kennest du Größers nicht?
  »Warum siehet mit Liebe,
   »Wie auf Götter, dein Aug' auf ihn?

Wer das Tiefste gedacht, liebt das Lebendigste,
 Hohe Jugend versteht, wer in die Welt geblikt
  Und es neigen die Weisen
   Oft am Ende zu Schönem sich.
StA, Band 1, Seite 260.

 

An unsre grossen Dichter

Des Ganges Ufer hörten des Freudengotts
 Triumph, als allerobernd vom Indus her
  Der junge Bacchus kam, mit heilgem
   Weine vom Schlafe die Völker wekend.

O wekt, ihr Dichter! wekt sie vom Schlummer auch,
 Die jezt noch schlafen, gebt die Geseze, gebt
  Uns Leben, siegt, Heroën! ihr nur
   Habt der Eroberung Recht, wie Bacchus.
StA, Band 1, Seite 261.

 

Vanini

Den Gottverächter schalten sie dich? mit Fluch
 Beschwerten sie dein Herz dir und banden dich
  Und übergaben dich den Flammen,
   Heiliger Mann! o warum nicht kamst du

Vom Himmel her in Flammen zurük, das Haupt
 Der Lästerer zu treffen und riefst dem Sturm;
  Daß er die Asche der Barbaren
   Fort aus der Erd', aus der Heimath werfe!

Doch die du lebend liebtest, die dich empfieng,
 Den Sterbenden, die heil'ge Natur vergißt
  Der Menschen Thun und deine Feinde
   Kehrten, wie du, in den alten Frieden.
StA, Band 1, Seite 262.

 

Der Mensch

Kaum sproßten aus den Wassern, o Erde, dir
 Der jungen Berge Gipfel und dufteten
  Lustathmend, immergrüner Haine
   Voll, in des Oceans grauer Wildniß

Die ersten holden Inseln; und freudig sah
 Des Sonnengottes Auge die Neulinge
  Die Pflanzen, seiner ew'gen Jugend
   Lächelnde Kinder, aus dir geboren.

Da auf der Inseln schönster, wo immerhin
 Den Hain in zarter Ruhe die Luft umfloß,
  Lag unter Trauben einst, nach lauer
   Nacht, in der dämmernden Morgenstunde

Geboren, Mutter Erde! dein schönstes Kind;-
 Und auf zum Vater Helios sieht bekannt
  Der Knab', und wacht und wählt die süßen
   Beere versuchend, die heil'ge Rebe

Zur Amme sich; und bald ist er groß; ihn scheun
 Die Thiere, denn ein anderer ist, wie sie
  Der Mensch; nicht dir und nicht dem Vater
   Gleicht er, denn kühn ist in ihm und einzig

Des Vaters hohe Seele mit deiner Lust,
 O Erd'! und deiner Trauer von je vereint;
  Der Göttermutter, der Natur, der
   Allesumfassenden möcht' er gleichen!

Ach! darum treibt ihn, Erde! vom Herzen dir
 Sein Übermuth, und deine Geschenke sind
  Umsonst und deine zarten Bande;
   Sucht er ein Besseres doch, der Wilde!

Von seines Ufers duftender Wiese muß
 Ins blüthenlose Wasser hinaus der Mensch,
  Und glänzt auch, wie die Sternenacht, von
   Goldenen Früchten sein Hain, doch gräbt er

Sich Höhlen in den Bergen und späht im Schacht
 Von seines Vaters heiterem Lichte fern,
  Dem Sonnengott auch ungetreu, der
   Knechte nicht liebt und der Sorge spottet.

Denn freier athmen Vögel des Walds, wenn schon
 Des Menschen Brust sich herrlicher hebt, und der
  Die dunkle Zukunft sieht, er muß auch
   Sehen den Tod und allein ihn fürchten.

Und Waffen wider alle, die athmen, trägt
 In ewigbangem Stolze der Mensch; im Zwist
  Verzehrt er sich und seines Friedens
   Blume, die zärtliche, blüht nicht lange.

Ist er von allen Lebensgenossen nicht
 Der seeligste? Doch tiefer und reißender
  Ergreift das Schiksaal, allausgleichend,
   Auch die entzündbare Brust dem Starken.
StA, Band 1, Seite 263.

 

Hyperions Schiksaalslied

Ihr wandelt droben im Licht
 Auf weichem Boden, seelige Genien!
  Glänzende Götterlüfte
   Rühren euch leicht,
    Wie die Finger der Künstlerin
     Heilige Saiten.

Schiksaallos, wie der schlafende
 Säugling, athmen die Himmlischen;
  Keusch bewahrt
   In bescheidener Knospe,
    Blühet ewig
     Ihnen der Geist,
      Und die seeligen Augen
       Bliken in stiller
        Ewiger Klarheit.

Doch uns ist gegeben,
 Auf keiner Stätte zu ruhn,
  Es schwinden, es fallen
   Die leidenden Menschen
    Blindlings von einer
     Stunde zur andern,
      Wie Wasser von Klippe
       Zu Klippe geworfen,
        Jahr lang ins Ungewisse hinab.
StA, Band 1, Seite 265.

 

Da ich ein Knabe war...

Da ich ein Knabe war,
 Rettet' ein Gott mich oft
  Vom Geschrei und der Ruthe der Menschen,
   Da spielt' ich sicher und gut
    Mit den Blumen des Hains,
     Und die Lüftchen des Himmels
      Spielten mit mir.

Und wie du das Herz
Der Pflanzen erfreust,
Wenn sie entgegen dir
Die zarten Arme streken,

So hast du mein Herz erfreut
Vater Helios! und, wie Endymion,
War ich dein Liebling,
Heilige Luna!

Oh all ihr treuen
Freundlichen Götter!
Daß ihr wüßtet,
Wie euch meine Seele geliebt!

Zwar damals rieff ich noch nicht
Euch mit Nahmen, auch ihr
Nanntet mich nie, wie die Menschen sich nennen
Als kennten sie sich.

Doch kannt' ich euch besser,
Als ich je die Menschen gekannt,
Ich verstand die Stille des Aethers
Der Menschen Worte verstand ich nie.

Mich erzog der Wohllaut
Des säuselnden Hains
Und lieben lernt' ich
Unter den Blumen.

Im Arme der Götter wuchs ich groß.
StA, Band 1, Seite 266.

 

Achill

Herrlicher Göttersohn! da du die Geliebte verloren,
  Giengst du ans Meergestaad, weintest hinaus in die Fluth,
Weheklagend hinab verlangt' in den heiligen Abgrund,
  In die Stille dein Herz, wo, von der Schiffe Gelärm
Fern, tief unter den Woogen, in friedlicher Grotte die blaue
  Thetis wohnte, die dich schüzte, die Göttin des Meers.
Mutter war dem Jünglinge sie, die mächtige Göttin,
  Hatte den Knaben einst liebend, am Felsengestaad
Seiner Insel, gesäugt, mit dem kräftigen Liede der Welle
  Und im stärkenden Bad' ihn zum Heroën genährt.
Und die Mutter vernahm die Weheklage des Jünglings,
  Stieg vom Grunde der See, trauernd, wie Wölkchen, herauf,
Stillte mit zärtlichem Umfangen die Schmerzen des Lieblings,
  Und er hörte, wie sie schmeichelnd zu helfen versprach.

Göttersohn! o wär ich, wie du, so könnt' ich vertraulich
  Einem der Himmlischen klagen mein heimliches Laid.
Sehen soll ich es nicht, soll tragen die Schmach, als gehört ich
  Nimmer zu ihr, die doch meiner mit Thränen gedenkt.
Gute Götter! doch hört ihr jegliches Flehen des Menschen,
  Ach! und innig und fromm liebt' ich dich heiliges Licht,
Seit ich lebe, dich Erd' und deine Quellen und Wälder,
  Vater Aether und dich fühlte zu sehnend und rein
Dieses Herz - o sänftiget mir, ihr Guten, mein Laiden,
  Daß die Seele mir nicht allzu frühe verstummt,
Daß ich lebe und euch, ihr hohen himmlischen Mächte,
  Noch am fliehenden Tag danke mit frommem Gesang,
Danke für voriges Gut, für Freuden vergangener Jugend,
  Und dann nehmet zu euch gütig den Einsamen auf.
StA, Band 1, Seite 271.

 

Meiner verehrungswürdigen Grosmutter

Zu ihrem 72sten Geburtstag

Vieles hast du erlebt, du theure Mutter! und ruhst nun
  Glüklich, von Fernen und Nah'n liebend beim Namen genannt,
Mir auch herzlich geehrt in des Alters silberner Krone
  Unter den Kindern, die dir reifen und wachsen und blühn.
Langes Leben hat dir die sanfte Seele gewonnen
  Und die Hofnung, die dich freundlich in Leiden geführt.
Denn zufrieden bist du und fromm, wie die Mutter, die einst den
  Besten der Menschen, den Freund unserer Erde gebahr. -
Ach! sie wissen es nicht, wie der Hohe wandelt im Volke,
  Und vergessen ist fast, was der Lebendige war.
Wenige kennen ihn doch und oft erscheinet erheiternd
  Mitten in stürmischer Zeit ihnen das himmlische Bild.
Allversöhnend und still mit den armen Sterblichen gieng er,
  Dieser einzige Mann, göttlich im Geiste, dahin.
Keines der Lebenden war aus seiner Seele geschlossen
  Und die Leiden der Welt trug er an liebender Brust.
Mit dem Tode befreundet er sich, im Nahmen der andern
  Gieng er aus Schmerzen und Müh' siegend zum Vater zurük.
Und du kennest ihn auch, du theure Mutter! und wandelst
  Glaubend und duldend und still ihm, dem Erhabenen, nach.
Sieh! es haben mich selbst verjüngt die kindlichen Worte,
  Und es rinnen, wie einst, Thränen vom Auge mir noch;
Und ich denke zurük an längst vergangene Tage,
  Und die Heimath erfreut wieder mein einsam Gemüth,
Und das Haus, wo ich einst bei deinen Seegnungen aufwuchs,
  Wo, von Liebe genährt, schneller der Knabe gedieh.
Ach! wie dacht' ich dann oft, du solltest meiner dich freuen,
  Wann ich ferne mich sah wirkend in offener Welt.
Manches hab' ich versucht und geträumt und habe die Brust mir
  Wund gerungen indeß, aber ihr heilet sie mir,
O ihr Lieben! und lange, wie du, o Mutter! zu leben
  Will ich lernen; es ist ruhig das Alter und fromm.
Kommen will ich zu dir; dann seegne den Enkel noch Einmal,
  Daß dir halte der Mann, was er, als Knabe, gelobt.
StA, Band 1, Seite 272.

 

Götter wandelten einst...

Götter wandelten einst bei Menschen, die herrlichen Musen
  Und der Jüngling, Apoll, heilend, begeisternd wie du.
Und du bist mir, wie sie, als hätte der Seeligen Einer
  Mich ins Leben gesandt, geh ich, es wandelt das Bild
Meiner Heldin mit mir, wo ich duld' und bilde, mit Liebe
  Bis in den Tod, denn diß lernt' ich und hab' ich von ihr.

Laß uns leben, o du mit der ich leide, mit der ich
  Innig und glaubig und treu ringe nach schönerer Zeit.
Sind doch wirs! und wüßten sie noch in kommenden Jahren
  Von uns beiden, wenn einst wieder der Genius gilt,
Sprächen sie: es schuffen sich einst die Einsamen liebend
  Nur von Göttern gekannt ihre geheimere Welt.
Denn die Sterbliches nur besorgt, es empfängt sie die Erde
  Aber näher zum Licht wandern, zum Aether hinauf
Sie, die inniger Liebe treu, und göttlichem Geiste
  Hoffend und duldend und still über das Schiksaal gesiegt.
StA, Band 1, Seite 274.

 

Hört' ich die Warnenden izt...

Hört' ich die Warnenden izt, sie lächelten meiner und dächten,
  Früher anheim uns fiel, weil er uns scheute, der Thor.
Und sie achtetens keinen Gewinn,

Singt, o singet mir nur, unglükweissagend, ihr Furchtbarn
  Schiksaalsgötter das Lied immer und immer ums Ohr
Euer bin ich zulezt, ich weiß es, doch will zuvor ich
  Mir gehören und mir Leben erbeuten und Ruhm.
StA, Band 1, Seite 275.

 

Abschied

Wenn ich sterbe mit Schmach, wenn an den Frechen nicht
  Meine Seele sich rächt, wenn ich hinunter bin
    Von des Genius Feinden
      Überwunden, ins feige Grab,

Dann vergiß mich, o dann rette vom Untergang
  Meinen Nahmen auch du, gütiges Herz! nicht mehr
    Dann erröthe, die du mir
      Hold gewesen, doch eher nicht!

Aber weiß ich es nicht? Wehe! du liebender
  Schuzgeist! ferne von dir spielen zerreißend bald
    Auf den Saiten des Herzens
      Alle Geister des Todes mir.

O so blaiche dich denn Loke der muthigen
  Jugend! heute noch, du lieber als morgen mir,



              hier wo am einsamen
  Scheidewege der Schmerz mich,
    Mich der Tödtende niederwirft.
StA, Band 1, Seite 276.

 

Emilie vor ihrem Brauttag

          EMILIE AN KLARA

    Ich bin im Walde mit dem Vater draus 
Gewesen, diesen Abend, auf dem Pfade,
Du kennest ihn, vom vor'gen Frühlinge.
Es blühten wilde Rosen nebenan,
Und von der Felswand überschattet' uns 
Der Eichenbüsche sonnenhelles Grün;
Und oben durch der Buchen Dunkel quillt 
Das klare flüchtige Gewässer nieder.
Wie oft, du Liebe! stand ich dort und sah 
Ihm nach aus seiner Bäume Dämmerung 
Hinunter in die Ferne, wo zum Bach'
Es wird, zum Strome, sehnte mich mit ihm 
Hinaus - wer weiß, wohin?

                             Das hast du oft 
Mir vorgeworfen, daß ich immerhin 
Abwesend bin mit meinem Sinne, hast
Mirs oft gesagt, ich habe bei den Menschen 
Kein friedlich Bleiben nicht, verschwende 
Die Seele an die Lüfte, lieblos sei
Ich öfters bei den Meinen. Gott! ich lieblos?

    Wohl mag es freudig seyn und schön, zu bleiben, 
Zu ruhn in einer lieben Gegenwart,
Wenn eine große Seele, die wir kennen,
Vertraulich nahe wartet über uns,
Sich um uns schließt, daß wir, die Heimathlosen, 
Doch wissen, wo wir wohnen.

                             Gute! Treue! 
Dorch hast du recht. Bist du denn nicht mir eigen? 
Und hab' ich ihn den theuern Vater nicht,
Den Heiligjugendlichen, Vielerfahrnen,
Der, wie ein stiller Gott auf dunkler Wolke, 
Verborgenwirkend über seiner Welt
mit freiem Auge ruht, und wenn er schon
Ein Höhers weiß, und ich des Mannes Geist
Nur ahnen kann, doch ehrt er liebend mich, 
Und nennt mich seine Freude, ja! und oft
Giebt eine neue Seele mir sein Wort.

    Dann möcht' ich wohl den Seegen, den er gab, 
Mit einem, das ich liebte, gerne theilen,
Und bin allein - ach! ehmals war ichs nicht!

    Mein Eduard! mein Bruder! denkst du sein 
Und denkst du noch der frommen Abende, 
Wenn wir im Garten oft zusammensaßen
Nach schönem Sommertage, wenn die Luft 
Um unsre Stille freundlich athmete,
Und über uns des Aethers Blumen glänzten; 
Wenn von den Alten er, den Hohen, uns 
Erzählte, wie in Freude sie und Freiheit 
Aufstrebten seine Meister; tönender
Hub dann aus seiner Brust die Stimme sich, 
Und zürnend war und liebend oft voll Thränen 
Das Auge meinem Stolzen; ach! den lezten 
Der Abende, wie nun, da Großes ihm 
Bevorstand, ruhiger der Jüngling war,
Noch mit Gesängen, die wir gerne hörten,
Und mit der Zithar uns die Trauernden 
Vergnügt'!

               Ich seh ihn immer, wie er gieng.
Nie war er schöner, kühn, die Seele glänzt' 
Ihm auf der Stirne, dann voll Andacht trat
Er vor den alten Vater. Kann ich Glük
Von dir empfangen, sprach er, heil'ger Mann! 
So wünsche lieber mir das größte, denn
Ein anders, und betroffen schien der Vater. 
Wenns seyn soll, wünsch' ich dirs, antwortet' er. 
Ich stand beiseit, und wehemüthig sah
Der Scheidende mich an und rief mich laut; 
Mir bebt' es durch die Glieder, und er hielt 
Mich  zärtlich vest, in seinen Armen stärkte
Der Starke mir das Herz, und da ich aufsah 
Nach meinem Lieben, war er fortgeeilt.

    »Ein edel Volk ist hier auf Korsika;
Schrieb freudig er im lezten Briefe mir,
»Wie wenn ein zahmer Hirsch zum Walde kehrt 
»Und seine Brüder trift, so bin ich hier,
»Und mir bewegt im Männerkriege sich
»Die Brust, daß ich von allem Weh genese.

    »Wie lebst du, theure Seele! und der Vater? 
»Hier unter frohem Himmel, wo zu schnell 
»Die Frühlinge nicht altern, und der Herbst 
»Aus lauer Luft dir goldne Früchte streut, 
»Auf dieser guten Insel werden wir
»Uns wiedersehen; diß ist meine Hofnung.

    »Ich lobe mir den Feldherrn. Oft im Traum' 
»Hab' ich ihn fast gesehen, wie er ist,
»Mein Paoli, noch eh' er freundlich mich 
»Empfieng und zärtlich vorzog, wie der Vater 
»Den Jüngstgebornen, der es mehr bedarf.

    »Und schämen muß ich vor den andern mich, 
»Den furchtbarstillen, ernsten Jünglingen.
»Sie dünken traurig dir bei Ruh und Spiel; 
»Unscheinbar sind sie, wie die Nachtigall, 
»Wenn von Gesang sie ruht; am Ehrentag' 
»Erkennst du sie. Ein eigen Leben ists! - 
»Wenn mit der Sonne wir, mit heil'gem Lied' 
»Heraufgehn übern Hügel, und die Fahnen
»Ins Thal hinab im Morgenwinde wehn,
»Und drunten auf der Ebne fernher sich,
»Ein gährend Element, entgegen uns
»Die Menge regt und treibt, da fühlen wir 
»Frohlokender, wie wir uns herrlich lieben; 
»Denn unter unsern Zelten und auf Woogen 
»Der Schlacht begegnet uns der Gott, der uns 
»Zusammenhält.

                  Wir thun, was sich gebührt, 
»Und führen wohl das edle Werk hinaus. 
»Dann küßt ihr noch den heimatlichen Boden, 
»Den trauernden, und kommt und lebt mit uns 
»Emilie! -Wie wirds dem alten Vater 
»Gefallen, bei den Lebenden noch Einmal 
»Zum Jüngling aufzuleben und zu ruhn
»In unentweihter Erde, wenn er stirbt.

    »Denkst du des tröstenden Gesanges noch, 
»Emilie, den seiner theuern Stadt
»In ihrem Fall der stille Römer sang,
»Noch hab' ich einiges davon im Sinne.

    »Klagt nicht mehr! kommt in neues Land! so sagt' er. 
»Der Ocean, der die Gefild' umschweift,
»Erwartet uns. Wir suchen seelige
»Gefilde, reiche Inseln, wo der Boden
»Noch ungepflügt die Früchte jährlich giebt,
»Und unbeschnitten noch der Weinstok blüht,
»Wo der Olivenzweig nach Wunsche wächst,
»Und ihren Baum die Feige keimend schmükt,
»Wo Honig rinnt aus hohler Eich' und leicht 
»Gewässer rauscht von Bergeshöhn. - Noch manches 
»Bewundern werden wir die Glüklichen. -
»Es sparte für ein frommes Volk Saturnus Sohn
»Diß Ufer auf, da er die goldne Zeit
»Mit Erze mischte. - Lebe wohl, du Liebe!

    Der Edle fiel des Tags darauf im Treffen 
Mit seiner Liebsten Einem, ruht mit ihm 
In Einem Grab'.

                In deinem Schoose ruht 
Er, schönes Korsika! und deine Wälder 
Umschatten ihn, und deine Lüfte wehn
Am milden Herbsttag freundlich über ihm, 
Dein Abendlicht vergoldet seinen Hügel.

    Ach! dorthin möcht' ich wohl, doch hälf es nicht. 
Ich sucht' ihn, so wie hier. Ich würde fast
Dort weniger, wie hier, mich sein entwöhnen.
So wuchs ich auf mit ihm, und weinen muß ich 
Und lächeln, deuk' ich, wie mirs ehmals oft 
Beschwerlich ward, dem Wilden nachzukommen, 
Wenn nirgend er beim Spiele bleiben wollte.
Nun bist du dennoch fort und lässest mich
Allein, du Lieber! und ich habe nun
Kein Bleiben auch, und meine Augen sehn
Das Gegenwärtige nicht mehr, o Gott!
Und mit Phantomen peiniget und tröstet
Nun meine Seele sich, die einsame.
Das weißt du, gutes Mädchen! nicht, wie sehr 
Ich unvernünftig bin. Ich will dirs all' 
Erzählen. Morgen! Mich besucht doch immer 
Der süße Schlaf, und wie die Kinder bin ich, 
Die besser schlummern, wenn sie ausgeweint.


        EMILIE AN KLARA

    Der Vater schwieg im Laide tagelang,
Da ers erfuhr; und scheuen mußt' ich mich,
Mein Weh ihn sehn zu lassen; lieber gieng
Ich dann hinaus zum Hügel und das Herz 
Gewöhnte mir zum freien Himmel sich.
Ich tadelt' oft ein wenig mich darüber,
Daß nirgend mehr im Hauße mirs gefiel.
Vergnügt mit allem war ich ehmals da,
Und leicht war alles mir. Nun ängstigt' es
Mich oft; noch trieb ich mein Geschäft, doch leblos, 
Bis in die Seele stumm in meiner Trauer.

    Es war, wie in der Schattenwelt, im Hauße. 
Der stille Vater und das stumme Kind!

    Wir wollen fort auf eine Reise, Tochter! 
Sagt' eines Tags mein Vater, und wir giengen, 
Und kamen dann zu dir. In diesem Land',
An deines Nekars friedlichschönen Ufern,
Da dämmert' eine stille Freude mir
Zum erstenmale wieder auf. Wie oft
Im Abendlichte stand ich auf dem Hügel
Mit dir, und sah das grüne Thal hinauf,
Wo zwischen Bergen, da die Rebe wächst,
An manchem Dorf vorüber, durch die Wiesen 
Zu uns herab, von luft'ger Weid' umkränzt,
Das goldne ruhige Gewässer wallte! 
Mir bleibt die Stelle lieb, wo ich gelebt.

    Ihr heiterfreien Ebenen des Mains,
Ihr reichen, blühenden! wo nahe bald
Der frohe Strom, des stolzen Vaters Liebling, 
Mit offnem Arm' ihn grüßt, den alten Rhein!

    Auch ihr! Sie sind wie Freunde mir geworden, 
Und aus der Seele mir vergehen soll
Kein frommer Dank, und trag' ich Laid im Busen, 
So soll mir auch die Freude lebend bleiben.

    Erzählen wollt' ich dir, doch hell ist nie 
Das Auge mir, wenn dessen ich gedenke. 
Vor seinen kindischen, geliebten Träumen 
Bebt immer mir das Herz.

                       Wir reisten dann 
Hinein in andre Gegenden, ins Land
Des Varusthals, dort bei den dunkeln Schatten 
Der wilden heil'gen Berge lebten wir,
Die Sommertage durch, und sprachen gern
Von Helden, die daselbst gewohnt, und Göttern.

    Noch giengen wir des Tages, ehe wir 
Vom Orte schieden, in den Eichenwald
Des herrlichen Gebirgs hinaus, und standen 
In kühler Luft auf hoher Haide nun.

    »Hier unten in dem Thale schlafen sie 
»Zusammen, sprach mein Vater, lange schon 
»Die Römer mit den Deutschen, und es haben 
»Die Freigebornen sich, die stolzen, stillen, 
»Im Tode mit den Welteroberern
»Versöhnt, und Großes ist und Größeres 
»Zusammen in der Erde Schoos gefallen. 
»Wo seid ihr, meine Todten all? Es lebt 
»Der Menschengenius, der Sprache Gott, 
»Der alte Braga noch, und Hertha grünt 
»Noch immer ihren Kindern, und Walhalla 
»Blaut über uns, der heimatliche Himmel; 
»Doch euch, ihr Heldenbilder, find' ich nicht.

    Ich sah hinab und leise schauerte 
Mein Herz, und bei den Starken war mein Sinn, 
Den Guten, die hier unten vormals lebten.

    Izt stand ein Jüngling, der, uns ungesehn, 
Am einsamen Gebüsch beiseit gesessen, 
Nicht ferne von mir auf. 0 Vater! mußt' 
Ich rufen, das ist Eduard! - Du bist 
Nicht klug, mein Kind! erwiedert' er und sah 
Den Jüngling an; es mocht' ihn wohl auch treffen, 
Er faßte schnell mich bei der Hand und zog 
Mich weiter. Einmal mußt' ich noch mich umsehn. 
Derselbe wars und nicht derselbe! Stolz und groß, 
Voll Macht war die Gestalt, wie des Verlornen, 
Und Aug und Stirn' und Loke; schärfer blikt' 
Er nur, und um die seelenvolle Miene 
War, wie ein Schleier, ihm ein stiller Ernst 
Gebreitet. Und er sah mich an. Es war, 
Als sagt' er, gehe nur auch du, so geht 
Mir alles hin, doch duld' ich aus und bleibe. 

    Wir reisten noch desselben Abends ab, 
Und langsamtraurig fuhr der Wagen weiter 
Und weiter durchs unwegsame Gebirg. 
Es wechselten in Nebel und in Reegen 
Der Bäum' und des Gebüsches dunkle Bilder 
Im Walde nebenan. Der Vater schlief,
In dumpfem Schmerze träumt' ich hin, und kaum
Nur eben noch, die lange Zeit zu zählen,
War mir die Seele wach.

                      Ein schöner Strom
Erwekt' ein wenig mir das Aug; es standen
Im breiten Boot die Schiffer am Gestad;
Die Pferde traten folgsam in die Fähre,
Und ruhig schifften wir. Erheitert war
Die Nacht, und auf die Wellen leuchtet'
Und Hütten, wo der fromme Landmann schlief,
Aus blauer Luft das stille Mondlicht nieder;
Und alles dünkte friedlich mir und sorglos,
In Schlaf gesungen von des Himmels Sternen.

    Und ich sollt' ohne Ruhe seyn von nun an,
Verloren ohne Hofnung mir an Fremdes
Die Seele meiner Jugend! Ach! ich fühlt'
Es izt, wie es geworden war mit mir.
Dem Adler gleich, der in der Wolke fliegt,
Erschien und schwand mir aus dem Auge wieder,
Und wieder mir des hohen Fremdlings Bild,
Daß mir das Herz erbebt' und ich umsonst
Mich fassen wollte. Schliefst du gut, mein Kind!
Begrüßte nun der gute Vater mich,
Und gerne wollt' ich auch ein Wort ihm sagen.
Die Thränen doch erstikten mir die Stimme,
Und in den Strom hinunter mußt' ich sehn,
Und wußte nicht, wo ich mein Angesicht
Verbergen sollte.

              Glükliche! die du
Diß nie erfahren, überhebe mein
Dich nicht. Auch du, und wer von allen mag
Sein eigen bleiben unter dieser Sonne? 
Oft meint' ich schon, wir leben nur, zu sterben, 
Uns opfernd hinzugeben für ein Anders. 
O schön zu sterben, edel sich zu opfern, 
Und nicht so fruchtlos, so vergebens, Liebe! 
Das mag die Ruhe der Unsterblichen 
Dem Menschen seyn.

                Bedaure du mich nur!
Doch tadeln, Gute, sollst du mir es nicht!
Nennst du sie Schatten, jene, die ich liebe?
Da ich kein Kind mehr war, da ich ins Leben
Erwachte, da aufs neu mein Auge sich
Dem Himmel öffnet' und dem Licht, da schlug
Mein Herz dem Schönen; und ich fand es nah;
Wie soll ichs nennen, nun es nicht mehr ist
Für mich? O laßt! Ich kann die Todten lieben,
Die Fernen; und die Zeit bezwingt mich nicht.
Mein oder nicht! du bist doch schön, ich diene
Nicht Eitlem, was der Stunde nur gefällt,
Dem Täglichen gehör ich nicht; es ist
Ein anders, was ich lieb'; unsterblich
Ist was du bist, und du bedarfst nicht meiner,
Damit du groß und gut und liebenswürdig
Und herrlich seist, du edler Genius!

    Laßt nur mich stolz in meinem Laide seyn, 
Und zürnen, wenn ich ihn verläugnen soll; 
Bin ich doch sonst geduldig, und nicht oft 
Aus meinem Munde kömmt ein Männerwort. 
Demüthigt michs doch schon genug, daß ich 
Was ich dir lang verborgen, nun gesagt.

    Wie dank' ich dir, du Liebe, daß du mir 
Vertrauen abgewonnen, daß ich dir 
Mein still Geheimniß endlich ausgesprochen.

    Ich bin nun ruhiger - wie nenn' ichs dir? 
Und an die schönen Tage denk ich, wenn ich oft 
Hinausgieng mit dem Bruder, und wir oben 
Auf unserm Hügel beieinander saßen, 
Und ich den Lieben bei den Händen hielt, 
Und mirs gefallen ließ am offnen Feld' 
Und an der Straß', und ins Gewölb' hinauf 
Des grünen Ahorns staunt', an dem wir lagen. 
Ein Sehnen war in mir, doch war ich still. 
Es blühten uns der ersten Hofnung Tage,
Die Tage des Erwachens.

                    Holde Dämmerung! 
So schön ists, wenn die gütige Natur 
Ins Leben lokt ihr Kind. Es singen nur 
Den Schlummersang am Abend unsre Mütter. 
Sie brauchen nie das Morgenlied zu singen. 
Diß singt die andre Mutter uns, die gute, 
Die wunderbare, die uns Lebenslust 
In unsern Busen athmet, uns mit süßen 
Verheißungen erwekt.

     	          Wie ist mir, Liebe!
Ich kann an Jugend heute nur, und nur 
An Jugend denken.

                  Sieh! ein heitrer Tag
Ists eben auch. Seit frühem Morgen siz' ich
Am lieben Fenster. und es wehn die Lüfte,
Die zärtlichen, herein, mir blikt das Licht 
Durch meine Bäume, die zu nahe mir 
Gewachsen sind, und mählig mit den Blüthen 
Das ferne Land verhüllen, daß ich mich 
Bescheiden muß, und hie und da noch kaum 
Hinaus mich find' aus diesem freundlichen 
Gefängniß; und es fliegen über ihnen 
Die Schwalben und die Lerchen, und es singen 
Die Stunde durch genug die Nachtigallen, 
Und wie sie heißen all die Lieblinge 
Der schönen Jahrszeit; eigne Nahmen möcht' 
Ich ihnen geben, und den Blumen auch, 
Den stillen, die aus dunklem Beete duften, 
Zu mir herauf wie junge Sterne glänzend.

    Und wie es lebt und glüklich ist im Wachstum, 
Und seiner Reife sich entgegen freut!

    Es findet jedes seine Stelle doch, 
Sein Haus, die Speise, die das Herz ihm sättigt, 
Und jedes seegnest du mit eignem Seegen, 
Natur! und giebst dich ihnen zum Geschäfft, 
Und trägst und nährst zu ihrer Blüthenfreud' 
Und ihrer Frucht sie fort, du gütige!

    Und klagtest du doch öfters, trauernd Herz! 
Vergaßest mir den Glauben, danktest nicht, 
Und dachtest nicht, wenn dir dein Thun zu wenig 
Bedeuten wollt', es sei ein frommes Opfer, 
Das du, wie andre, vor das Leben bringest,
Wohlmeinend, wie der Lerche Lied, das sie 
Den Lüften singt, den freudegebenden -

    Nun geh' ich noch hinaus und hohle Blumen 
Dem Vater aus dem Feld', und bind' ihm sie
In Einen Straus, die drunten in dem Garten, 
Und die der Bach erzog; ich will's schon richten, 
Daß ihm's gefallen soll. Und dir? dir bring' ich 
Genug des Neuen. Da ist's immer anders. 
Izt blühn die Weiden; izt vergolden sich 
Die Wiesen; izt beginnt der Buche Grün, 
Und izt der Eiche - nun! leb wohl indessen!


          EMILIE AN KLARA

    Ihr Himmlischen! das war er. Kannst du mir 
Es glauben? - Beste! - wärst du bei mir! - Er! 
Der Hohe, der Gefürchtete, Geliebte! - 
Mein bebend Herz, hast du so viel gewollt?

    Da gieng ich so zurük mit meinen Blumen, 
Sah auf den Pfad, den abendröthlichen, 
In meiner Stille nieder, und es schlief 
Mir sanft im Busen das Vergangene, 
Ein kindlich Hoffen athmete mir auf; 
Wie wenn uns zwischen süßem Schlaf und Wachen 
Die Augen halb geöffnet sind, so war 
Ich Blinde. Sieh! da stand er vor mir mein 
Heroë und ich Arme war, wie todt, 
Und ihm, dem Brüderlichen, überglänzte 
Das Angesicht, wie einem Gott, die Freude.

    »Emilie!« - das war sein frommer Gruß. 
Ach! alles Sehnen wekte mir und all 
Das liebe Leiden, so ich eingewiegt,
Der goldne Ton des Jünglings wieder auf! 
Nicht aufsehn durft' ich! keine Sylbe durft' 
Ich sagen! O, was hätt' ich ihm gesagt!

    Was wein' ich denn, du Gute? - laß mich nur! 
Nun darf ich ja, nun ists so thöricht nimmer, 
Und schön ists, wenn der Schmerz mit seiner Schwester 
Der Wonne sich versöhnt, noch eh' er weggeht.

    O Wiedersehn! das ist noch mehr, du Liebe!
Als wenn die Bäume wieder blühn, und Quellen
Von neuem fröhlich rauschen -

	Ja! ich hab' 
Ihn oft gesucht und ernstlich oft es mir 
Versagt, doch wollt' ich sein Gedächtniß ehren.

    Die Bilder der Gespielen, die mit mir 
Auf grüner Erd' in stummer Kindheit saßen, 
Sie dämmern ja um meine Seele mir, 
Und dieser edle Schatte, sollt' er nicht? 
Das Herz im Busen, das unsterbliche, 
Kann nicht vergessen, sieh! und öfters bringt 
Ein guter Genius die Liebenden 
Zusammen, daß ein neuer Tag beginnt, 
Und ihren Mai die Seele wieder feiert.

    O wunderbar ist mir! auch er! - daß du 
Hinunter mußtest, Lieber! ehe dir 
Das deine ward, und dich die frohe Braut 
Zum Männerruhme seegnete! Doch starbst 
Du schön, und oft hab' ich gehört, es fallen 
Die Lieblinge des Himmels früh, damit 
Sie sterblich Glük und Laid und Alter nicht 
Erfahren. Nimmermehr vergeß ich dich, 
Und ehren soll er dich. Dein Bild will ich 
Ihm zeigen, wenn er kömmt; und wenn der Stolze 
Sich dann verwundert, daß er sich bei mir 
Gefunden, sag' ich ihm, es sei ein Andrer, 
Und den er lieben müsse. O, er wirds!

    Da schrieb er mir. Ja! theures Herz! er ists,
Den ich gesucht. Wie dieser Jüngling mich
Demüthiget und hebt! Nun! lies es nur!
»So bist du's wieder, und ich habe dich 
»Gegrüßt, gefunden, habe dich noch Einmal
»In deiner frommen Ruh gestört, du Kind
»Des Himmels! - Nein Emilie! du kanntest
»Mich ja. Ich kann nicht fragen. Wir sind's,
»Die Längstverwandten, die der Gott getraut,
»Und bleiben wird es, wie die Sonne droben.
»Ich bin voll Freude, schöne Seele! bin
»Der neuen Melodieen ungewohnt.
»Es ist ein anders Lied, als jenes, so
»Dem Jünglinge die Parze lehrend singt
»Bis ihm, wie Wohllaut, ihre Weise tönt;
»Dann gönnt sie ihm, du Friedliche! von dir
»Den süßern Ton, den liebsten, einzigen
»Zu hören. Mein? o sieh! du wirst in Lust
»Die Mühe mir und was mein Herz gebeut,
»Du wirst es all in heil'ge Liebe wandeln.
»Und hab' ich mit Unmöglichem gerungen,
»Und mir die Brust zu Treu und Ruh gehärtet,
»Du wärmest sie mit frommer Hofnung mir,
»Daß sie vertrauter mit dem Siege schlägt.
»Und wenn das Urbild, das, wie Morgenlicht,
»Mir aus des Lebens dunkler Wolke stieg,
»Das himmlische mir schwindet, seh ich Dich,
»Und eine schöne Götterbotinn, mahnst
»Du lächelnd mich an meinen Phöbus wieder;
»Und wenn ich zürne, sänftigest du mich.
»Dein Schüler bin ich dann, und lausch' und lerne.
»Von deinem Munde nehm' ich, Zauberinn,
»Des überredens süße Gaabe mir,
»Daß sie die Geister freundlich mir bezwingt,
»Und wenn ich ferne war von dir, und wund
»Und müd dir wiederkehre, heilst du mich
»Und singst in Ruhe mich, du holde Muse!

    »Emilie! daß wir uns wiedersahn! 
»Daß wir uns einst gefunden, und du nun 
»Mich nimmer fliehst und nahe bist! Zu gern, 
»Zu gern entwich dein stolzes Bild dem Wandrer,
»Das zarte, reine, da du ferne warst, 
»Du Heiligschönes! Doch ich sah dich oft, 
»Wenn ich des Tags allein die Pfade gieng, 
»Und Abends in der fremden Hütte schwieg.

    »O heute! grüße, wenn du willst, den Vater! 
»Ich kenn' ihn wohl; auch meinen Nahmen kennt er; 
»Und seiner Freunde Freund bin ich. Ich wußte nicht, 
»Daß er es war, da wir zuerst einander 
»Begegneten, und lang erfuhr ichs nicht. 
»Bald grüß ich schöner dich. - Armenion.


           EMILIE AN KLARA

    Er woll' ihn morgen sprechen, sagte mir 
Mein Vater, morgen! und er schien nicht freundlich. 
Nun siz ich hier und meine Augen ruhn 
Und schlummern nicht - ach! schämen muß ich mich, 
Es dir zu klagen - will ich stille werden, 
So regt ein Laut mich auf; ich sinn und bitte, 
Und weiß nicht, was? und sagen möcht' ich viel,
Doch ist die Seele stumm - o fragen möcht' ich 
Die sorgenfreien Bäume hier, die Stralen 
Der Nacht und ihre Schatten, wie es nun
Mir endlich werden wird.

	Zu still ists mir 
In dieser schönen Nacht, und ihre Lüfte 
Sind mir nicht hold, wie sonst. Die Thörin! 
So lang er ferne war, so liebt' ich ihn;
Nun bin ich kalt, und zag' und zürne mir 
Und andern. - Auch die Worte, so ich dir 
In dieser bösen Stunde schreibe, lieb' 
Ich nicht, und was ich sonst von ihm geschrieben, 
Unleidlich ist es mir. Was ist es denn? 
Ich wünsche fast, ich hätt' ihn nie gesehn. 
Mein Friede war doch schöner. Theures Herz! 
Ich bin betrübt, und anders, denn ichs war,
Da ich um den Verlornen trauerte. 
Ich bin es nimmer, nein! ich bin es nicht. 
Ich bin nicht gut, und seellos bin ich auch. 
Mich läßt die Furcht, die häßliche, nicht ruhn.

    O daß der goldne Tag die Ruhe mir, 
Mein eigen Leben wiederbrächt'! -

	                         Ich will
Geduldig seyn, und wenn der Vater ihn 
Nicht ehrt, mir ihn versagt, den Theuren, 
So schweig' ich lieber, und es soll mir nicht 
Zu sehr die Seele kränken; kann ich still 
Ihn ehren doch, und bleiben, wie ich bin.


           EMILIE AN KLARA

    Nun muß ich lächeln über alles Schlimme, 
Was ich die vor'ge Nacht geträumt; und hab' 
Ich dir es gar geschrieben? Anders bin 
Ich izt gesinnt.

    Er kam und mir frohlokte 
Das Herz, wie er herab die Straße gieng, 
Und mir das Volk den fremden Herrlichen 
Bestaunt'! und lobend über ihn geheim 
Die Nachbarn sich besprachen, und er izt 
Den Knaben, der an ihm vorübergieng, 
Nach meinem Hauße fragt'; ich sahe nicht 
Hinaus, ich konnt', an meinem Tische sizend, 
Ihn ohne Scheue sehn - wie red' ich viel?
Und da er nun herauf die Treppe kam, 
Und ich die Tritte hört' und seine Thüre 
Mein Vater öffnete, sie draußen sich 
Stillschweigend grüßten, daß ich nicht 
Ein Wort vernehmen konnt', ich Unvernünft'ge 
Wie ward mir bange wieder? Und sie blieben 
Nicht kurze Zeit allein im andern Zimmer, 
Daß ich es länger nicht erdulden konnt', 
Und dacht': ich könnte wohl den Vater fragen
Um diß und jenes, was ich wissen mußte. 
Dann hätt' ichs wohl gesehn in ihren Augen, 
Wie mir es werden sollte. Doch ich kam 
Bis an die Schwelle nur, gieng lieber doch 
In meinen Garten, wo die Pflanzen sonst, 
In andrer Zeit, die Stunde mir gekürzt.

    Und fröhlich glänzten, von des Morgens Thau
Gesättiget, im frischen Lichte sie 
Ins Auge mir, wie liebend sich das Kind 
An die betrübte Mutter drängt, so waren 
Die Blumen und die Blüthen um mich rings, 
Und schöne Pforten wölbten über mir 
Die Bäume.

           Doch ich konnt' es izt nicht achten,
Nur ernster ward und schwerer nur, und bänger
Das Herz mir Armen immer, und ich sollte 
Wie eine Dienerinn von ferne lauschen, 
Ob sie vieleicht mich riefen, diese Männer. 
Ich wollte nun auch nimmer um mich sehn, 
Und barg in meiner Laube mich und weinte, 
Und hielt die Hände vor das Auge mir.

    Da hört' ich sanft des Vaters Stimme nah' 
Und lächelnd traten, da ich noch die Thränen 
Mir troknete, die beiden in die Laube: 
»Hast du dich so geängstiget, mein Kind! 
»Und zürnst du, sprach der Vater, daß ich erst 
»Vor mich den edeln Gast behalten wollt'? 
»Ihn hast du nun. Er mag die Zürnende 
»Mit mir versöhnen, wenn ich Unrecht that.

    So sprach er; und wir reichten alle drei
Die Händ' einander, und der Vater sah
Mit stiller Freud' uns an -

                         »Ein Treflicher 
»Ist dein geworden, Tochter! sprach er izt, 
»Und dein, o Sohn! diß heiligliebend Weib. 
»Ein freudig Wunder, daß die alten Augen 
»Mir übergehen, seid ihr mir, und blüht, 
»Wie eine seltne Blume mir, ihr Beiden!

    »Denn nicht gelingt es immerhin den Menschen, 
»Das Ihrige zu finden. Großes Glük 
»Zu tragen und zu opfern giebt der Gott 
»Den Einen, weniger gegeben ist 
»Den Andern; aber hoffend leben sie.

    »Zwei Genien geleiten auf und ab 
»Uns Lebende, die Hofnung und der Dank.
»Mit Einsamen und Armen wandelt jene, 
»Die Immerwache; dieser führt aus Wonne 
»Die Glüklichen des Weges freundlich weiter, 
»Vor bösem Schiksaal sie bewahrend. Oft, 
»Wenn er entfloh, erhuben sich zu sehr 
»Die Freudigen, und rächend traf sie bald 
»Das ungebetne Weh.

                     Doch gerne theilt
»Das freie Herz von seinen Freuden aus,
»Der Sonne gleich, die liebend ihre Stralen
»An ihrem Tag' aus goldner Fülle giebt;
»Und um die Guten dämmert oft und glänzt
»Ein Kreis voll Licht und Lust, so lang sie leben.

    »O Frühling meiner Kinder, blühe nun,
»Und altre nicht zu bald, und reife schön!

    So sprach der gute Vater. Vieles wollt' 
Er wohl noch sagen, denn die Seele war 
Ihm aufgegangen; aber Worte fehlten ihm.

    Er gab ihn mir und seegnet' uns und gieng
Hinweg.

         Ihr Himmelslüfte, die ihr oft
Mich tröstend angeweht, nun athmetet
Ihr heiligend um unser goldnes Glük!

    Wie anders wars, wie anders, da mit ihm
Dem Liebenden, dem Freudigen ich izt
Ich Freudige zu unsrer Mutter auf,
Zur schönen Sonne sah! nun dämmert' es
Im Auge nicht, wie sonst im sehnenden,
Nun grüßt' ich helle dich, du stolzes Licht!

Und lächelnd weiltest du, und kamst und schmüktest
Den Lieben mir, und kränztest ihm mit Rosen
Die Schläfe, Freundliches!

                        Und meine Bäume,
Sie streuten auch ein hold Geschenk herab,
Zu meinem Fest, vom überfluß der Blüthen!

    Da gieng ich sonst; ach! zu den Pflanzen flüchtet' 
Ich oft mein Herz, bei ihnen weilt' ich oft 
Und hieng an ihnen; dennoch ruht' ich nie, 
Und meine Seele war nicht gegenwärtig.

    Wie eine Quelle, wenn die jugendliche 
Dem heimathlichen Berge nun entwich, 
Die Pfade bebend sucht, und flieht und zögert, 
Und durch die Wiesen irrt und bleiben möcht', 
Und sehnend, hoffend immer doch enteilt: 
So war ich; aber liebend hat der stolze, 
Der schöne Strom die flüchtige genommen, 
Und ruhig wall' ich nun, wohin der sichre 
Mich bringen will, hinab am heitern Ufer.
StA, Band 1, Seite 277-297.

 

Die Launischen

Hör' ich ferne nur her, wenn ich für mich geklagt,
 Saitenspiel und Gesang, schweigt mir das Herz doch gleich;
  Bald auch bin ich verwandelt,
   Blinkst du, purpurner Wein! mich an

Unter Schatten des Walds, wo die gewaltige
 Mittagssonne mir sanft über dem Laube glänzt;
  Ruhig siz' ich daselbst, wenn
   Zürnend schwerer Belaidigung

Ich im Felde geirrt - Zürnen zu gerne doch
 Deine Dichter, Natur! trauern und weinen leicht,
  Die Beglükten; wie Kinder,
   Die zu zärtlich die Mutter hält,

Sind sie mürrisch und voll herrischen Eigensinns;
 Wandeln still sie des Wegs, irret Geringes doch
  Bald sie wieder; sie reißen
   Aus dem Gleise sich sträubend dir.

Doch du rührest sie kaum, Liebende! freundlich an,
 Sind sie friedlich und fromm; fröhlich gehorchen sie;
  Du lenkst, Meisterinn! sie mit
   Weichem Zügel, wohin du willst.

StA, Band 1, Seite 298.

 

Der Tod fürs Vaterland

Du kömmst, o Schlacht! schon woogen die Jünglinge
 Hinab von ihren Hügeln, hinab in's Thal,
  Wo kek herauf die Würger dringen,
   Sicher der Kunst und des Arms, doch sichrer

Kömmt über sie die Seele der Jünglinge,
 Denn die Gerechten schlagen, wie Zauberer,
  Und ihre Vaterlandsgesänge
   Lähmen die Kniee den Ehrelosen.

O nimmt mich, nimmt mich mit in die Reihen auf,
 Damit ich einst nicht sterbe gemeinen Tods!
  Umsonst zu sterben, lieb' ich nicht, doch
   Lieb' ich, zu fallen am Opferhügel

Für's Vaterland, zu bluten des Herzens Blut
 Für's Vaterland - und bald ist's gescheh'n! Zu euch
  Ihr Theuern! komm' ich, die mich leben
   Lehrten und sterben, zu euch hinunter!

Wie oft im Lichte dürstet' ich euch zu seh'n,
 Ihr Helden und ihr Dichter aus alter Zeit!
  Nun grüßt ihr freundlich den geringen
   Fremdling und brüderlich ist's hier unten;

Und Siegesboten kommen herab: Die Schlacht
 Ist unser! Lebe droben, o Vaterland,
  Und zähle nicht die Todten! Dir ist,
   Liebes! nicht Einer zu viel gefallen.
StA, Band 1, Seite 299.

 

Der Zeitgeist

Zu lang schon waltest über dem Haupte mir
 Du in der dunkeln Wolke, du Gott der Zeit!
  Zu wild, zu bang ist's ringsum, und es
   Trümmert und wankt ja, wohin ich blike.

Ach! wie ein Knabe, seh' ich zu Boden oft,
 Such' in der Höhle Rettung von dir, und möcht'
  Ich Blöder, eine Stelle finden,
   Alleserschütt'rer! wo du nicht wärest.

Lass' endlich, Vater! offenen Aug's mich dir
 Begegnen! hast denn du nicht zuerst den Geist
  Mit deinem Stral aus mir gewekt? mich
   Herrlich an's Leben gebracht, o Vater! -

Wohl keimt aus jungen Reben uns heil'ge Kraft;
 In milder Luft begegnet den Sterblichen,
  Und wenn sie still im Haine wandeln,
   Heiternd ein Gott; doch allmächt'ger wekst du

Die reine Seele Jünglingen auf, und lehrst
 Die Alten weise Künste; der Schlimme nur
  Wird schlimmer, daß er bälder ende,
   Wenn du, Erschütterer! ihn ergreiffest.
StA, Band 1, Seite 300.

 

Abendphantasie

Vor seiner Hütte ruhig im Schatten sizt
  Der Pflüger, dem Genügsamen raucht sein Heerd.
    Gastfreundlich tönt dem Wanderer im
      Friedlichen Dorfe die Abendgloke.

Wohl kehren izt die Schiffer zum Hafen auch,
  In fernen Städten, fröhlich verrauscht des Markts
    Geschäfft'ger Lärm; in stiller Laube
      Glänzt das gesellige Mahl den Freunden.

Wohin denn ich? Es leben die Sterblichen
  Von Lohn und Arbeit; wechselnd in Müh' und Ruh'
    Ist alles freudig; warum schläft denn
      Nimmer nur mir in der Brust der Stachel?

Am Abendhimmel blühet ein Frühling auf;
  Unzählig blühn die Rosen und ruhig scheint
    Die goldne Welt; o dorthin nimmt mich
      Purpurne Wolken! und möge droben

In Licht und Luft zerrinnen mir Lieb' und Laid! -
  Doch, wie verscheucht von thöriger Bitte, flieht
    Der Zauber; dunkel wirds und einsam
      Unter dem Himmel, wie immer, bin ich -

Komm du nun, sanfter Schlummer! zu viel begehrt
  Das Herz; doch endlich, Jugend! verglühst du ja,
    Du ruhelose, träumerische!
      Friedlich und heiter ist dann das Alter.
StA, Band 1, Seite 301.

 

Des Morgens

Vom Thaue glänzt der Rasen; beweglicher
 Eilt schon die wache Quelle; die Buche neigt
  Ihr schwankes Haupt und im Geblätter
   Rauscht es und schimmert; und um die grauen

Gewölke streifen röthliche Flammen dort,
 Verkündende, sie wallen geräuschlos auf;
  Wie Fluthen am Gestade, woogen
   Höher und höher die Wandelbaren.

Komm nun, o komm, und eile mir nicht zu schnell,
 Du goldner Tag, zum Gipfel des Himmels fort!
  Denn offner fliegt, vertrauter dir mein
   Auge, du Freudiger! zu, so lang du

In deiner Schöne jugendlich blikst und noch
 Zu herrlich nicht, zu stolz mir geworden bist;
  Du möchtest immer eilen, könnt ich,
   Göttlicher Wandrer, mit dir! - doch lächelst

Des frohen Übermüthigen du, daß er
 Dir gleichen möchte; seegne mir lieber dann
  Mein sterblich Thun und heitre wieder
   Gütiger! heute den stillen Pfad mir.
StA, Band 1, Seite 302.

 

Der Main

Wohl manches Land der lebenden Erde möcht'
 Ich sehn, und öfters über die Berg' enteilt
  Das Herz mir, und die Wünsche wandern
   Über das Meer, zu den Ufern, die mir

Vor andern, so ich kenne, gepriesen sind;
 Doch lieb ist in der Ferne nicht Eines mir,
  Wie jenes, wo die Göttersöhne
   Schlafen, das trauernde Land der Griechen.

Ach! einmal dort an Suniums Küste möcht'
 Ich landen, deine Säulen, Olympion!
  Erfragen, dort, noch eh der Nordsturm
   Hin in den Schutt der Athenertempel

Und ihrer Götterbilder auch dich begräbt;
 Denn lang schon einsam stehst du, o Stolz der Welt,
  Die nicht mehr ist! - und o ihr schönen
   Inseln Ioniens, wo die Lüfte

Vom Meere kühl an warme Gestade wehn,
 Wenn unter kräft'ger Sonne die Traube reift,
  Ach! wo ein goldner Herbst dem armen
   Volk in Gesänge die Seufzer wandelt,

Wenn die Betrübten izt ihr Limonenwald
 Und ihr Granatbaum, purpurner Äpfel voll
  Und süßer Wein und Pauk' und Zithar
   Zum labyrintischen Tanze ladet -

Zu euch vieleicht, ihr Inseln! geräth noch einst
 Ein heimathloser Sänger; denn wandern muß
  Von Fremden er zu Fremden, und die
   Erde, die freie, sie muß ja leider!

Statt Vaterlands ihm dienen, so lang er lebt,
 Und wenn er stirbt - doch nimmer vergeß ich dich,
  So fern ich wandre, schöner Main! und
   Deine Gestade, die vielbeglükten.

Gastfreundlich nahmst du Stolzer! bei dir mich auf
 Und heitertest das Auge dem Fremdlinge,
  Und still hingleitende Gesänge
   Lehrtest du mich und geräuschlos Leben.

O ruhig mit den Sternen, du Glüklicher!
 Wallst du von deinem Morgen zum Abend fort,
  Dem Bruder zu, dem Rhein; und dann mit
   Ihm in den Ocean freudig nieder!
StA, Band 1, Seite 303.

 

Sophokles

Viele versuchten umsonst das Freudigste freudig zu sagen
  Hier spricht endlich es mir, hier in der Trauer sich aus.
StA, Band 1, Seite 305.

 

Der zürnende Dichter

Fürchtet den Dichter nicht, wenn er edel zürnet, sein Buchstab
  Tödtet, aber es macht Geister lebendig der Geist.
StA, Band 1, Seite 305.

 

Die Scherzhaften

Immer spielt ihr und scherzt? ihr müßt! o Freunde! mir geht diß
  In die Seele, denn diß müssen Verzweifelte nur.
StA, Band 1, Seite 305.

 

Wurzel alles Übels

Einig zu seyn, ist göttlich und gut; woher ist die Sucht denn
  Unter den Menschen, daß nur Einer und Eines nur sei?
StA, Band 1, Seite 305.

 

Mein Eigentum

In seiner Fülle ruhet der Herbsttag nun,
 Geläutert ist die Traub und der Hain ist roth
  Vom Obst, wenn schon der holden Blüthen
   Manche der Erde zum Danke fielen.

Und rings im Felde, wo ich den Pfad hinaus
 Den stillen wandle, ist den Zufriedenen
  Ihr Gut gereift und viel der frohen
   Mühe gewähret der Reichtum ihnen.

Vom Himmel bliket zu den Geschäfftigen
 Durch ihre Bäume milde das Licht herab,
  Die Freude theilend, denn es wuchs durch
   Hände der Menschen allein die Frucht nicht.

Und leuchtest du, o Goldnes, auch mir, und wehst
 Auch du mir wieder, Lüftchen, als seegnetest
  Du eine Freude mir, wie einst, und
   Irrst, wie um Glükliche, mir am Busen?

Einst war ichs, doch wie Rosen, vergänglich war
 Das fromme Leben, ach! und es mahnen noch,
  Die blühend mir geblieben sind, die
   Holden Gestirne zu oft mich dessen.

Beglükt, wer, ruhig liebend ein frommes Weib,
 Am eignen Heerd in rühmlicher Heimath lebt,
  Es leuchtet über vestem Boden
   Schöner dem sicheren Mann sein Himmel.

Denn, wie die Pflanze, wurzelt auf eignem Grund
 Sie nicht, verglüht die Seele des Sterblichen,
  Der mit dem Tageslichte nur, ein
   Armer, auf heiliger Erde wandelt.

Zu mächtig ach! ihr himmlischen Höhen zieht
 Ihr mich empor, bei Stürmen, am heitern Tag
  Fühl ich verzehrend euch im Busen
   Wechseln, ihr wandelnden Götterkräfte.

Doch heute laß mich stille den trauten Pfad
 Zum Haine gehn, dem golden die Wipfel schmükt
  Sein sterbend Laub, und kränzt auch mir die
   Stirne, ihr holden Erinnerungen!

Und daß mir auch zu retten mein sterblich Herz,
 Wie andern eine bleibende Stätte sei,
  Und heimathlos die Seele mir nicht
   Über das Leben hinweg sich sehne,

Sei du, Gesang, mein freundlich Asyl! sei du
 Beglükender! mit sorgender Liebe mir
  Gepflegt, der Garten, wo ich, wandelnd
   Unter den Blüthen, den immerjungen,

In sichrer Einfalt wohne, wenn draußen mir
 Mit ihren Wellen allen die mächtge Zeit
  Die Wandelbare fern rauscht und die
   Stillere Sonne mein Wirken fördert.

Ihr seegnet gütig über den Sterblichen
 Ihr Himmelskräfte! jedem sein Eigentum,
  O seegnet meines auch und daß zu
   Frühe die Parze den Traum nicht ende.
StA, Band 1, Seite 306.

 

Palinodie

Was dämmert um mich, Erde! dein freundlich Grün?
 Was wehst du wieder, Lüftchen, wie einst, mich an?
  In allen Wipfeln rauschts, 


Was wekt ihr mir die Seele? was regt ihr mir
 Vergangnes auf, ihr Guten! o schonet mein
  Und laßt sie ruhn, die Asche meiner
   Freuden, ihr spottetet nur! o wandelt,

Ihr schiksaallosen Götter, vorbei und blüht
 In eurer Jugend über den Alternden
  Und wollt ihr zu den Sterblichen euch
   Gerne gesellen, so blühn der Jungfraun

Euch viel, der jungen Helden, und schöner spielt
 Der Morgen um die Wange der Glüklichen
  Denn um ein trübes Aug' und lieblich
   Tönen die Sänge der Mühelosen.

Ach! vormals rauschte leicht des Gesanges Quell
 Auch mir vom Busen, da noch die Freude mir
  Die himmlische vom Auge glänzte


Versöhnung o Versöhnung, ihr gütigen
 Ihr immergleichen Götter und haltet ein
  Weil ihr die reinen Quellen liebt
StA, Band 1, Seite 308.

 

An eine Fürstin von Dessau

Aus stillem Hauße senden die Götter oft
 Auf kurze Zeit zu Fremden die Lieblinge
  Damit, erinnert, sich am edlen
   Bilde der Sterblichen Herz erfreue.

So kommst du aus Luisiums Hainen auch
 Aus heiliger Schwelle dort, wo geräuschlos rings
  Die Lüfte sind und friedlich um dein
   Dach die geselligen Bäume spielen,

Aus deines Tempels Freuden, o Priesterin!
 Zu uns, wenn schon die Wolke das Haupt uns beugt
  Und längst ein göttlich Ungewitter
   Über dem Haupt uns wandelt.

O theuer warst du, Priesterin! da du dort
 Im Stillen göttlich Feuer behütetest,
  Doch theurer heute, da du Zeiten
   Unter den Zeitlichen seegnend feierst.

Denn wo die Reinen wandeln, vernehmlicher
 Ist da der Geist, und offen und heiter blühn
  Des Lebens dämmernde Gestalten
   Da, wo ein sicheres Licht erscheinet.

Und wie auf dunkler Wolke der schweigende
 Der schöne Bogen blühet, ein Zeichen ist
  Er künftger Zeit, ein Angedenken
   Seeliger Tage, die einst gewesen,

So ist dein Leben, heilige Fremdlingin!
 Wenn du Vergangnes über Italiens
  Zerbrochnen Säulen, wenn du neues
   Grünen aus stürmischer Zeit betrachtest.
StA, Band 1, Seite 309.

 

Der Prinzessin Auguste von Homburg

            Den 28ten Nov. 1799

Noch freundlichzögernd scheidet vom Auge dir
 Das Jahr, und in hesperischer Milde glänzt
  Der Winterhimmel über deinen
   Gärten, den dichtrischen, immergrünen.

Und da ich deines Festes gedacht' und sann,
 Was ich dir dankend reichte, da weilten noch
  Am Pfade Blumen, daß sie dir zur
   Blühenden Krone, du Edle, würden.

Doch Andres beut dir, Größeres, hoher Geist!
 Die festlichere Zeit, denn es hallt hinab
  Am Berge das Gewitter, sieh! und
   Klar, wie die ruhigen Sterne, gehen

Aus langem Zweifel reine Gestalten auf;
 So dünkt es mir; und einsam, o Fürstin! ist
  Das Herz der Freigebornen wohl nicht
   Länger im eigenen Glük; denn würdig

Gesellt im Lorbeer ihm der Heroë sich,
 Der schöngereifte, ächte; die Weisen auch,
  Die Unsern sind es werth; sie bliken
   Still aus der Höhe des Lebens, die ernsten Alten.

Geringe dünkt der träumende Sänger sich,
 Und Kindern gleich am müßigen Saitenspiel,
  Wenn ihn der Edlen Glük, wenn ihn die
   That und der Ernst der Gewalt'gen aufwekt.

Doch herrlicht mir dein Nahme das Lied; dein Fest
 Augusta! durft' ich feiern; Beruf ist mirs,
  Zu rühmen Höhers, darum gab die
   Sprache der Gott und den Dank ins Herz mir.

O daß von diesem freudigen Tage mir
 Auch meine Zeit beginne, daß endlich auch
  Mir ein Gesang in deinen Hainen,
   Edle! gedeihe, der deiner werth sei.
StA, Band 1, Seite 311.

 

Wohl geh' ich täglich...

Wohl geh' ich täglich andere Pfade, bald
 Ins grüne Laub im Walde, zur Quelle bald,
  Zum Felsen, wo die Rosen blühen,
   Blike vom Hügel ins Land, doch nirgend

Du Holde, nirgend find ich im Lichte dich
 Und in die Lüfte schwinden die Worte mir
  Die frommen, die bei dir ich ehmals


Ja, ferne bist du, seeliges Angesicht!
 Und deines Lebens Wohllaut verhallt von mir
  Nicht mehr belauscht, und ach! wo seid ihr
   Zaubergesänge, die einst das Herz mir

Besänftiget mit Ruhe der Himmlischen?
 Wie lang ist's! o wie lange! der Jüngling ist
  Gealtert, selbst die Erde, die mir
   Damals gelächelt, ist anders worden.

Leb immer wohl! es scheidet und kehrt zu dir
 Die Seele jeden Tag, und es weint um dich
  Das Auge, daß es helle wieder
   Dort wo du säumest, hinüberblike.
StA, Band 1, Seite 313.

 

Geh unter, schöne Sonne...

Geh unter, schöne Sonne, sie achteten
 Nur wenig dein, sie kannten dich, Heilge, nicht,
  Denn mühelos und stille bist du
   Über den mühsamen aufgegangen.

Mir gehst du freundlich unter und auf, o Licht!
 Und wohl erkennt mein Auge dich, herrliches!
  Denn göttlich stille ehren lernt' ich
   Da Diotima den Sinn mir heilte.

O du des Himmels Botin! wie lauscht ich dir!
 Dir, Diotima! Liebe! wie sah von dir
  Zum goldnen Tage dieses Auge
   Glänzend und dankend empor. Da rauschten

Lebendiger die Quellen, es athmeten
 Der dunkeln Erde Blüthen mich liebend an,
  Und lächelnd über Silberwolken
   Neigte sich seegnend herab der Aether.
StA, Band 1, Seite 314.

 

Friedensfeier

  Ich bitte dieses Blatt nur gutmüthig zu lesen. So wird 
es sicher nicht unfaßlich, noch weniger anstößig seyn. 
Sollten aber dennoch einige eine solche Sprache zu wenig 
konventionell finden, so muß ich ihnen gestehen: ich 
kann nicht anders. An einem schönen Tage läßt sich ja 
fast jede Sangart hören, und die Natur, wovon es her ist, 
nimmts auch wieder.
  Der Verfasser gedenkt dem Publikum eine ganze 
Sammlung von dergleichen Blättern vorzulegen, und 
dieses soll irgend eine Probe seyn davon. 


  Der himmlischen, still wiederklingenden,
Der ruhigwandelnden Töne voll,
Und gelüftet ist der altgebaute,
Seeliggewohnte Saal; um grüne Teppiche duftet
Die Freudenwolk' und weithinglänzend stehn,
Gereiftester Früchte voll und goldbekränzter Kelche,
Wohlangeordnet, eine prächtige Reihe,
Zur Seite da und dort aufsteigend über dem
Geebneten Boden die Tische.
Denn ferne kommend haben
Hieher, zur Abendstunde,
Sich liebende Gäste beschieden.

  Und dämmernden Auges denk' ich schon,
Vom ernsten Tagwerk lächelnd,
Ihn selbst zu sehn, den Fürsten des Fests.
Doch wenn du schon dein Ausland gern verläugnest,
Und als vom langen Heldenzuge müd,
Dein Auge senkst, vergessen, leichtbeschattet,
Und Freundesgestalt annimmst, du Allbekannter, doch
Beugt fast die Knie das Hohe. Nichts vor dir,
Nur Eines weiß ich, Sterbliches bist du nicht.
Ein Weiser mag mir manches erhellen; wo aber
Ein Gott noch auch erscheint,
Da ist doch andere Klarheit.

  Von heute aber nicht, nicht unverkündet ist er;
Und einer, der nicht Fluth noch Flamme gescheuet,
Erstaunet, da es stille worden, umsonst nicht, jezt,
Da Herrschaft nirgend ist zu sehn bei Geistern und Menschen.
Das ist, sie hören das Werk,
Längst vorbereitend, von Morgen nach Abend, jezt erst,
Denn unermeßlich braußt, in der Tiefe verhallend,
Des Donnerers Echo, das tausendjährige Wetter,
Zu schlafen, übertönt von Friedenslauten, hinunter.
Ihr aber, theuergewordne, o ihr Tage der Unschuld,
Ihr bringt auch heute das Fest, ihr Lieben! und es blüht
Rings abendlich der Geist in dieser Stille;
Und rathen muß ich, und wäre silbergrau
Die Loke, o ihr Freunde!
Für Kränze zu sorgen und Mahl, jezt ewigen Jünglingen ähnlich.

  Und manchen möcht' ich laden, aber o du,
Der freundlichernst den Menschen zugethan,
Dort unter syrischer Palme,
Wo nahe lag die Stadt, am Brunnen gerne war;
Das Kornfeld rauschte rings, still athmete die Kühlung
Vom Schatten des geweiheten Gebirges,
Und die lieben Freunde, das treue Gewölk,
Umschatteten dich auch, damit der heiligkühne
Durch Wildniß mild dein Stral zu Menschen kam, o Jüngling!
Ach! aber dunkler umschattete, mitten im Wort, dich
Furchtbarentscheidend ein tödtlich Verhängniß. So ist schnell
Vergänglich alles Himmlische; aber umsonst nicht;

  Denn schonend rührt des Maases allzeit kundig
Nur einen Augenblik die Wohnungen der Menschen
Ein Gott an, unversehn, und keiner weiß es, wenn?
Auch darf alsdann das Freche drüber gehn,
Und kommen muß zum heilgen Ort das Wilde
Von Enden fern, übt rauhbetastend den Wahn,
Und trift daran ein Schiksaal, aber Dank,
Nie folgt der gleich hernach dem gottgegebnen Geschenke;
Tiefprüfend ist es zu fassen.
Auch wär' uns, sparte der Gebende nicht
Schon längst vom Seegen des Heerds
Uns Gipfel und Boden entzündet.

  Des Göttlichen aber empfiengen wir
Doch viel. Es ward die Flamm' uns
In die Hände gegeben, und Ufer und Meersfluth.
Viel mehr, denn menschlicher Weise
Sind jene mit uns, die fremden Kräfte, vertrauet.
Und es lehret Gestirn dich, das
Vor Augen dir ist, doch nimmer kannst du ihm gleichen.
Vom Alllebendigen aber, von dem
Viel Freuden sind und Gesänge,
Ist einer ein Sohn, ein Ruhigmächtiger ist er,
Und nun erkennen wir ihn,
Nun, da wir kennen den Vater
Und Feiertage zu halten
Der hohe, der Geist
Der Welt sich zu Menschen geneigt hat.

  Denn längst war der zum Herrn der Zeit zu groß
Und weit aus reichte sein Feld, wann hats ihn aber erschöpfet?
Einmal mag aber ein Gott auch Tagewerk erwählen,
Gleich Sterblichen und theilen alles Schiksaal.
Schiksaalgesez ist diß, daß Alle sich erfahren,
Daß, wenn die Stille kehrt, auch eine Sprache sei.
Wo aber wirkt der Geist, sind wir auch mit, und streiten,
Was wohl das Beste sei. So dünkt mir jezt das Beste,
Wenn nun vollendet sein Bild und fertig ist der Meister,
Und selbst verklärt davon aus seiner Werkstatt tritt,
Der stille Gott der Zeit und nur der Liebe Gesez,
Das schönausgleichende gilt von hier an bis zum Himmel.

  Viel hat von Morgen an,
Seit ein Gespräch wir sind und hören voneinander,
Erfahren der Mensch; bald sind wir aber Gesang.
Und das Zeitbild, das der große Geist entfaltet,
Ein Zeichen liegts vor uns, daß zwischen ihm und andern
Ein Bündniß zwischen ihm und andern Mächten ist.
Nicht er allein, die Unerzeugten, Ew'gen
Sind kennbar alle daran, gleichwie auch an den Pflanzen
Die Mutter Erde sich und Licht und Luft sich kennet.
Zulezt ist aber doch, ihr heiligen Mächte, für euch
Das Liebeszeichen, das Zeugniß
Daß ihrs noch seiet, der Festtag,

  Der Allversammelnde, wo Himmlische nicht
Im Wunder offenbar, noch ungesehn im Wetter,
Wo aber bei Gesang gastfreundlich untereinander
In Chören gegenwärtig, eine heilige Zahl
Die Seeligen in jeglicher Weise
Beisammen sind, und ihr Geliebtestes auch,
An dem sie hängen, nicht fehlt; denn darum rief ich
Zum Gastmahl, das bereitet ist,
Dich, Unvergeßlicher, dich, zum Abend der Zeit,
O Jüngling, dich zum Fürsten des Festes; und eher legt
Sich schlafen unser Geschlecht nicht,
Bis ihr Verheißenen all,
All ihr Unsterblichen, uns
Von eurem Himmel zu sagen.
Da seid in unserem Hauße.

  Leichtathmende Lüfte
Verkünden euch schon,
Euch kündet das rauchende Thal
Und der Boden, der vom Wetter noch dröhnet,
Doch Hoffnung röthet die Wangen,
Und vor der Thüre des Haußes
Sizt Mutter und Kind,
Und schauet den Frieden
Und wenige scheinen zu sterben
Es hält ein Ahnen die Seele,
Vom goldnen Lichte gesendet,
Hält ein Versprechen die Ältesten auf.

  Wohl sind die Würze des Lebens,
Von oben bereitet und auch
Hinausgeführet, die Mühen.
Denn Alles gefällt jezt,
Einfältiges aber
Am meisten, denn die langgesuchte,
Die goldne Frucht,
Uraltem Stamm
In schütternden Stürmen entfallen,
Dann aber, als liebstes Gut, vom heiligen Schiksaal selbst,
Mit zärtlichen Waffen umschüzt,
Die Gestalt der Himmlischen ist es.

  Wie die Löwin, hast du geklagt,
O Mutter, da du sie,
Natur, die Kinder verloren.
Denn es stahl sie, Allzuliebende, dir
Dein Feind, da du ihn fast
Wie die eigenen Söhne genommen,
Und Satyren die Götter gesellt hast.
So hast du manches gebaut,
Und manches begraben,
Denn es haßt dich, was
Du, vor der Zeit
Allkräftige, zum Lichte gezogen.
Nun kennest, nun lässest du diß;
Denn gerne fühllos ruht,
Bis daß es reift, furchtsamgeschäfftiges drunten.

 

Freundschaft, Liebe...

Freundschaft, Liebe, Kirch und Heilige, Kreuze, Bilder,
Altar und Kanzel und Musik. Es tönet ihm die Predigt.
Die Kinderlehre scheint nach Tisch ein schlummernd müßig
Gespräch für Mann und Kind und Jungfraun, fromme Frauen;
Hernach geht er, der Herr, der Burgersmann und Künstler
Auf Feldern froh umher und heimatlichen Auen,
Die Jugend geht betrachtend auch.
StA, Band 2, Seite 261.

 

Wenn aus der Ferne...

Wenn aus der Ferne, da wir geschieden sind,
 Ich dir noch kennbar bin, die Vergangenheit
  O du Theilhaber meiner Leiden!
   Einiges Gute bezeichnen dir kann,

So sage, wie erwartet die Freundin dich?
 In jenen Gärten, da nach entsezlicher
  Und dunkler Zeit wir uns gefunden?
   Hier an den Strömen der heiligen Urwelt.

Das muß ich sagen, einiges Gutes war
 In deinen Bliken, als in den Fernen du
  Dich einmal fröhlich umgesehen
   Immer verschlossener Mensch, mit finstrem

Aussehn. Wie flossen Stunden dahin, wie still
 War meine Seele über der Wahrheit, daß
  Ich so getrennt gewesen wäre?
   Ja! ich gestand es, ich war die deine.

Wahrhafftig! wie du alles Bekannte mir
 In mein Gedächtniß bringen und schreiben willst,
  Mit Briefen, so ergeht es mir auch
   Daß ich Vergangenes alles sage.

Wars Frühling? war es Sommer? die Nachtigall
 Mit süßem Liede lebte mit Vögeln, die
  Nicht ferne waren im Gebüsche
   Und mit Gerüchen umgaben Bäum' uns.

Die klaren Gänge, niedres Gesträuch und Sand
 Auf dem wir traten, machten erfreulicher
  Und lieblicher die Hyacinthe
   Oder die Tulpe, Viole, Nelke.

Um Wänd und Mauern grünte der Epheu, grünt'
 Ein seelig Dunkel hoher Alleeen. Offt
  Des Abends, Morgens waren dort wir
   Redeten manches und sahn uns froh an.

In meinen Armen lebte der Jüngling auf,
 Der, noch verlassen, aus den Gefilden kam,
  Die er mir wies, mit einer Schwermuth,
   Aber die Nahmen der seltnen Orte

Und alles Schöne hatt' er behalten, das
 An seeligen Gestaden, auch mir sehr werth
  Im heimatlichen Lande blühet
   Oder verborgen, aus hoher Aussicht,

Allwo das Meer auch einer beschauen kann,
 Doch keiner seyn will. Nehme vorlieb, und denk
  An die, die noch vergnügt ist, darum,
   Weil der entzükende Tag uns anschien,

Der mit Geständniß oder der Hände Druck
 Anhub, der uns vereinet. Ach! wehe mir!
  Es waren schöne Tage. Aber
   Traurige Dämmerung folgte nachher.

Du seiest so allein in der schönen Welt,
 Behauptest du mir immer, Geliebter! das
  Weist aber du nicht,
StA, Band 2, Seite 262.

 

Auf den Tod eines Kindes

Die Schönheit ist den Kindern eigen,
Ist Gottes Ebenbild vieleicht, -
Ihr Eigentum ist Ruh und Schweigen,
Das Engeln auch zum Lob gereicht.
StA, Band 2, Seite 264.

 

Der Ruhm

Es knüpft an Gott der Wohllaut, der geleitet
Ein sehr berühmtes Ohr, denn wunderbar
Ist ein berühmtes Leben groß und klar,
Es geht der Mensch zu Fuße oder reitet.

Der Erde Freuden, Freundlichkeit und Güter,
Der Garten, Baum, der Weinberg mit dem Hüter,
Sie scheinen mir ein Wiederglanz des Himmels,
Gewähret von dem Geist den Söhnen des Gewimmels. -

Wenn Einer ist mit Gütern reich beglüket,
Wenn Obst den Garten ihm, und Gold ausschmüket
Die Wohnung und das Haus, was mag er haben
Noch mehr in dieser Welt, sein Herz zu laben?
StA, Band 2, Seite 265.

 

Auf die Geburt eines Kindes

Wie wird des Himmels Vater schauen
Mit Freude das erwachs'ne Kind,
Gehend auf blumenreichen Auen,
Mit andern, welche lieb ihm sind.

Indessen freue dich des Lebens,
Aus einer guten Seele kommt
Die Schönheit herrlichen Bestrebens,
Göttlicher Grund dir mehr noch frommt.
StA, Band 2, Seite 266.

 

Das angenehme dieser Welt...

Das Angenehme dieser Welt hab' ich genossen,
Die Jugendstunden sind, wie lang! wie lang! verflossen,
April und Mai und Julius sind ferne,
Ich bin nichts mehr, ich lebe nicht mehr gerne!
StA, Band 2, Seite 267.

 

An Zimmern

Die Linien des Lebens sind verschieden
Wie Wege sind, und wie der Berge Gränzen.
Was hier wir sind, kan dort ein Gott ergänzen
Mit Harmonien und ewigem Lohn und Frieden.
StA, Band 2, Seite 268.

 

Wenn aus dem Himmel...

Wenn aus dem Himmel hellere Wonne sich
 Herabgießt, eine Freude den Menschen kommt,
  Daß sie sich wundern über manches
   Sichtbares, Höheres, Angenehmes:

Wie tönet lieblich heilger Gesang dazu!
 Wie lacht das Herz in Liedern die Wahrheit an,
  Daß Freudigkeit an einem Bildniß -
   Über dem Stege beginnen Schaafe

Den Zug, der fast in dämmernde Wälder geht.
 Die Wiesen aber, welche mit lautrem Grün
  Bedekt sind, sind wie jene Haide,
   Welche gewöhnlicher Weise nah ist

Dem dunkeln Walde. Da, auf den Wiesen auch
 Verweilen diese Schaafe. Die Gipfel, die
  Umher sind, nakte Höhen sind mit
   Eichen bedeket und seltnen Tannen.

Da, wo des Stromes regsame Wellen sind,
 Daß einer, der vorüber des Weges kommt,
  Froh hinschaut, da erhebt der Berge
   Sanfte Gestalt und der Weinberg hoch sich.

Zwar gehn die Treppen unter den Reben hoch
 Herunter, wo der Obstbaum blühend darüber steht
  Und Duft an wilden Heken weilet,
   Wo die verborgenen Veilchen sprossen;

Gewässer aber rieseln herab, und sanft
 Ist hörbar dort ein Rauschen den ganzen Tag;
  Die Orte aber in der Gegend
   Ruhen und schweigen den Nachmittag durch.
StA, Band 2, Seite 269.

 

An Zimmern

Von einem Menschen sag ich, wenn der ist gut
 Und weise, was bedarf er? Ist irgend eins
  Das einer Seele gnüget? ist ein Halm, ist
   Eine gereifteste Reb' auf Erden

Gewachsen, die ihn nähre? Der Sinn ist deß
 Also . Ein Freund ist oft die Geliebte, viel
  Die Kunst. O Theurer, dir sag ich die Wahrheit.
   Dädalus Geist und des Walds ist deiner.
StA, Band 2, Seite 271.

 

Der Frühling

Wenn auf Gefilden neues Entzüken keimt
 Und sich die Ansicht wieder verschönt und sich
  An Bergen, wo die Bäume grünen,
   Hellere Lüfte, Gewölke zeigen,

O! welche Freude haben die Menschen! froh
 Gehn an Gestaden Einsame, Ruh und Lust
  Und Wonne der Gesundheit blühet,
   Freundliches Lachen ist auch nicht ferne.
StA, Band 2, Seite 272.

 

Der Mensch

Wer Gutes ehrt, er macht sich keinen Schaden,
Er hält sich hoch, er lebt den Menschen nicht vergebens,
Er kennt den Werth, den Nuzzen solchen Lebens,
Er traut dem Bessern sich, er geht auf Seegenspfaden.
                                     Hölderlin.
StA, Band 2, Seite 273.

 

Das fröhliche Leben

Wenn ich auf die Wiese komme,
Wenn ich auf dem Felde jezt,
Bin ich noch der Zahme, Fromme
Wie von Dornen unverlezt.
Mein Gewand in Winden wehet,
Wie der Geist mir lustig fragt,
Worinn Inneres bestehet,
Bis Auflösung diesem tagt.

O vor diesem sanften Bilde,
Wo die grünen Bäume stehn,
Wie vor einer Schenke Schilde
Kann ich kaum vorübergehn.
Denn die Ruh an stillen Tagen
Dünkt entschieden treflich mir,
Dieses mußt du gar nicht fragen,
Wenn ich soll antworten dir.

Aber zu dem schönen Bache
Such' ich einen Lustweg wohl,
Der, als wie in dem Gemache,
Schleicht durch's Ufer wild und hohl,
Wo der Steg darüber gehet,
Geht's den schönen Wald hinauf,
Wo der Wind den Steg umwehet,
Sieht das Auge fröhlich auf.

Droben auf des Hügels Gipfel
Siz' ich manchen Nachmittag,
Wenn der Wind umsaust die Wipfel,
Bei des Thurmes Glokenschlag,
Und Betrachtung giebt dem Herzen
Frieden, wie das Bild auch ist,
Und Beruhigung den Schmerzen,
Welche reimt Verstand und List.

Holde Landschaft! wo die Straße
Mitten durch sehr eben geht,
Wo der Mond aufsteigt, der blasse,
Wenn der Abendwind entsteht,
Wo die Natur sehr einfältig,
Wo die Berg' erhaben stehn,
Geh' ich heim zulezt, haushältig,
Dort nach goldnem Wein zu sehn.
StA, Band 2, Seite 274.

 

Der Spaziergang

Ihr Wälder schön an der Seite,
Am grünen Abhang gemahlt,
Wo ich umher mich leite,
Durch süße Ruhe bezahlt
Für jeden Stachel im Herzen,
Wenn dunkel mir ist der Sinn,
Den Kunst und Sinnen hat Schmerzen
Gekostet von Anbeginn.
Ihr lieblichen Bilder im Thale,
Zum Beispiel Gärten und Raum,
Und dann der Steg der schmale,
Der Bach zu sehen kaum,
Wie schön aus heiterer Ferne
Glänzt Einem das herrliche Bild
Der Landschaft, die ich gerne
Besuch' in Witterung mild.
Die Gottheit freundlich geleitet
Uns erstlich mit Blau,
Hernach mit Wolken bereitet,
Gebildet wölbig und grau,
Mit sengenden Blizen und Rollen
Des Donners, mit Reiz des Gefilds,
Mit Schönheit, die gequollen
Vom Quell ursprünglichen Bilds.
StA, Band 2, Seite 276.

 

Der Kirchhof

Du stiller Ort, der grünt mit jungem Grase,
Da liegen Mann und Frau, und Kreuze stehn,
Wohin hinaus geleitet Freunde gehn,
Wo Fenster sind glänzend mit hellem Glase.

Wenn glänzt an dir des Himmels hohe Leuchte
Des Mittags, wann der Frühling dort oft weilt,
Wenn geistige Wolke dort, die graue, feuchte
Wenn sanft der Tag vorbei mit Schönheit eilt!

Wie still ist's nicht an jener grauen Mauer,
Wo drüber her ein Baum mit Früchten hängt;
Mit schwarzen thauigen, und Laub voll Trauer,
Die Früchte aber sind sehr schön gedrängt.

Dort in der Kirch' ist eine dunkle Stille
Und der Altar ist auch in dieser Nacht geringe,
Noch sind darin einige schöne Dinge,
Im Sommer aber singt auf Feldern manche Grille.

Wenn Einer dort Reden des Pfarrherrn hört,
Indeß die Schaar der Freunde steht daneben,
Die mit dem Todten sind, welch eignes Leben
Und welcher Geist, und fromm seyn ungestört.
StA, Band 2, Seite 277.

 

Die Zufriedenheit

Wenn aus dem Leben kann ein Mensch sich finden,
Und das begreifen, wie das Leben sich empfindet,
So ist es gut; wer aus Gefahr sich windet,
Ist wie ein Mensch, der kommt aus Sturm' und Winden.

Doch besser ists, die Schönheit auch zu kennen,
Einrichtung, die Erhabenheit des ganzen Lebens,
Wenn Freude kommt aus Mühe des Bestrebens,
Und wie die Güter all' in dieser Zeit sich nennen.

Der Baum, der grünt, die Gipfel von Gezweigen,
Die Blumen, die des Stammes Rind' umgeben,
Sind aus der göttlichen Natur, sie sind ein Leben,
Weil über dieses sich des Himmels Lüfte neigen.

Wenn aber mich neugier'ge Menschen fragen,
Was dieses sei, sich für Empfindung wagen,
Was die Bestimmung sei, das Höchste, das Gewinnen,
So sag' ich, das ist es, das Leben, wie das Sinnen.

Wen die Natur gewöhnlich, ruhig machet,
Er mahnet mich, den Menschen froh zu leben,
Warum? die Klarheit ist's, vor der auch Weise beben,
Die Freudigkeit ist schön, wenn alles scherzt und lachet.

Der Männer Ernst, der Sieg und die Gefahren,
Sie kommen aus Gebildetheit, und aus Gewahren,
Es geb' ein Ziel; das Hohe von den Besten
Erkennt sich an dem Seyn, und schönen Überresten.

Sie selber aber sind, wie Auserwählte,
Von ihnen ist das Neue, das Erzählte,
Die Wirklichkeit der Thaten geht nicht unter,
Wie Sterne glänzen, giebts ein Leben groß und munter.

Das Leben ist aus Thaten und verwegen,
Ein hohes Ziel, gehaltener's Bewegen,
Der Gang und Schritt, doch Seeligkeit aus Tugend
Und großer Ernst, und dennoch lautre Jugend.

Die Reu, und die Vergangenheit in diesem Leben
Sind ein verschiednes Seyn, die Eine glüket
Zu Ruhm und Ruh', und allem, was entrüket,
Zu hohen Regionen, die gegeben;

Die Andre führt zu Quaal, und bittern Schmerzen
Wenn Menschen untergehn, die mit dem Leben scherzen,
Und das Gebild' und Antliz sich verwandelt
Von Einem, der nicht gut und schön gehandelt.

Die Sichtbarkeit lebendiger Gestalt, das Währen
In dieser Zeit, wie Menschen sich ernähren,
Ist fast ein Zwist, der lebet der Empfindung,
Der andre strebt nach Mühen und Erfindung.
StA, Band 2, Seite 278.

 

Nicht alle Tage...

Nicht alle Tage nennet die schönsten der,
 Der sich zurüksehnt unter die Freuden wo
  Ihn Freunde liebten wo die Menschen
   Über dem Jüngling mit Gunst verweilten.
StA, Band 2, Seite 280.

 

Aussicht

Wenn Menschen fröhlich sind, ist dieses vom Gemüthe,
Und aus dem Wohlergehn, doch aus dem Felde kommet,
Zu schaun der Bäume Wuchs, die angenehme Blüthe,
Da Frucht der Erndte noch den Menschen wächst und frommet.

Gebirg umgiebt das Feld, vom Himmel hoch entstehet
Die Dämmerung und Luft, der Ebnen sanfte Wege
Sind in den Feldern fern, und über Wasser gehet
Der Mensch zu Örtern dort die kühn erhöhten Stege.

Erinnerung ist auch dem Menschen in den Worten,
Und der Zusammenhang der Menschen gilt die Tage
Des Lebens durch zum Guten in den Orten,
Doch zu sich selber macht der Mensch des Wissens Frage.

Die Aussicht scheint Ermunterung, der Mensch erfreuet
Am Nuzen sich, mit Tagen dann erneuet
Sich sein Geschäft, und um das Gute waltet
Die Vorsicht gut, zu Dank, der nicht veraltet. 
StA, Band 2, Seite 281.

 

Dem gnädigsten Herrn von Lebret

Sie, Edler! sind der Mensch, von dem das Beste sagen
Nicht fälschlich ist, da jeder Mensch es kennet,
Doch die Vollkommenheit enthält verschiedne Fragen,
Wenn schon der Mensch es leicht bezeuget nennet.

Sie aber haben diß in recht gewohntem Leben,
In der Gewogenheit, von der sich Menschen ehren,
Das ist den Würdigern als wie ein Gut gegeben,
Da viele sich in Noth und Gram verzehren.

So unverlierbar diß, so geht es, hoch zu gelten,
Aus der Gewogenheit; die Menschen leben nimmer
Allein und schlechterdings von ihrem Schein und Schimmer,
Der Mensch bezeuget diß und Weisheit geht in Welten.
StA, Band 2, Seite 282.

 

Der Frühling

Wie seelig ists, zu sehn, wenn Stunden wieder tagen,
Wo sich vergnügt der Mensch umsieht in den Gefilden,
Wenn Menschen sich um das Befinden fragen,
Wenn Menschen sich zum frohen Leben bilden.

Wie sich der Himmel wölbt, und außeinander dehnet,
So ist die Freude dann an Ebnen und im Freien,
Wenn sich das Herz nach neuem Leben sehnet,
Die Vögel singen, zum Gesange schreien.

Der Mensch, der offt sein Inneres gefraget,
Spricht von dem Leben dann, aus dem die Rede gehet,
Wenn nicht der Gram an einer Seele naget,
Und froh der Mann vor seinen Gütern stehet.

Wenn eine Wohnung prangt, in hoher Luft gebauet,
So hat der Mensch das Feld geräumiger und Wege
Sind weit hinaus, daß Einer um sich schauet,
Und über einen Bach gehen wohlgebaute Stege.
StA, Band 2, Seite 283.

 

Der Herbst

Die Sagen, die der Erde sich entfernen,
Vom Geiste, der gewesen ist und wiederkehret,
Sie kehren zu der Menschheit sich, und vieles lernen
Wir aus der Zeit, die eilends sich verzehret.

Die Bilder der Vergangenheit sind nicht verlassen
Von der Natur, als wie die Tag' verblassen
Im hohen Sommer, kehrt der Herbst zur Erde nieder,
Der Geist der Schauer findet sich am Himmel wieder.

In kurzer Zeit hat vieles sich geendet,
Der Landmann, der am Pfluge sich gezeiget,
Er siehet, wie das Jahr sich frohem Ende neiget,
In solchen Bildern ist des Menschen Tag vollendet.

Der Erde Rund mit Felsen ausgezieret
Ist wie die Wolke nicht, die Abends sich verlieret,
Es zeiget sich mit einem goldnen Tage,
Und die Vollkommenheit ist ohne Klage.
StA, Band 2, Seite 284.

 

Der Sommer

Das Erndtefeld erscheint, auf Höhen schimmert
Der hellen Wolke Pracht, indeß am weiten Himmel
In stiller Nacht die Zahl der Sterne flimmert,
Groß ist und weit von Wolken das Gewimmel.

Die Pfade gehn entfernter hin, der Menschen Leben
Es zeiget sich auf Meeren unverborgen,
Der Sonne Tag ist zu der Menschen Streben
Ein hohes Bild, und golden glänzt der Morgen.

Mit neuen Farben ist geschmükt der Gärten Breite,
Der Mensch verwundert sich, daß sein Bemühn gelinget,
Was er mit Tugend schafft, und was er hoch vollbringet,
Es steht mit der Vergangenheit in prächtigem Geleite.
StA, Band 2, Seite 285.

 

Der Frühling

Es kommt der neue Tag aus fernen Höhn herunter,
Der Morgen der erwacht ist aus den Dämmerungen,
Er lacht die Menschheit an, geschmükt und munter,
Von Freuden ist die Menschheit sanft durchdrungen.

Ein neues Leben will der Zukunft sich enthüllen,
Mit Blüthen scheint, dem Zeichen froher Tage,
Das große Thal, die Erde sich zu füllen,
Entfernt dagegen ist zur Frühlingszeit die Klage.

                                       Mit Unterthänigkeit
d: 3ten März 1648.                  Scardanelli.
StA, Band 2, Seite 2.

 

Aussicht

Der off'ne Tag ist Menschen hell mit Bildern,
Wenn sich das Grün aus ebner Ferne zeiget,
Noch eh' des Abends Licht zur Dämmerung sich neiget,
Und Schimmer sanft den Klang des Tages mildern.
Oft scheint die Innerheit der Welt umwölkt, verschlossen,
Des Menschen Sinn von Zweifeln voll, verdrossen,
Die prächtige Natur erheitert seine Tage
Und ferne steht des Zweifels dunkle Frage.

                                           Mit Unterthänigkeit
Den 24. März 1671                    Scardanelli.
StA, Band 2, Seite 287.

 

Der Frühling

Die Sonne glänzt, es blühen die Gefilde,
Die Tage kommen blüthenreich und milde,
Der Abend blüht hinzu, und helle Tage gehen
Vom Himmel abwärts, wo die Tag' entstehen.

Das Jahr erscheint mit seinen Zeiten
Wie eine Pracht, wo Feste sich verbreiten,
Der Menschen Thätigkeit beginnt mit neuem Ziele,
So sind die Zeichen in der Welt, der Wunder viele.

                mit Unterthänigkeit
d. 24 April                     Scardanelli.
  1839. 
StA, Band 2, Seite 288.

 

Höheres Leben

Der Mensch erwählt sein Leben, sein Beschließen,
Von Irrtum frei kennt Weisheit er, Gedanken,
Erinnrungen, die in der Welt versanken,
Und nichts kann ihm der innern Werth verdrießen.  
 
Die prächtige Natur verschönet seine Tage,
Der Geist in ihm gewährt ihm neues Trachten
In seinem Innern offt, und das, die Wahrheit achten,
Und höhern Sinn, und manche seltne Frage.

Damit kann der Mensch des Lebens Sinn auch kennen,
Das Höchste seinem Zwek, das Herrlichste benennen,
Gemäß der Menschheit so des Lebens Welt betrachten,
Und hohen Sinn als höhres Leben achten.

                Scardanelli
StA, Band 2, Seite 289.

 

Höhere Menschheit

Den Menschen ist der Sinn ins Innere gegeben,
Daß sie als anerkannt das Beßre wählen,
Es gilt als Ziel, es ist das wahre Leben,
Von dem sich geistiger des Lebens Jahre zählen.

                     Scardanelli.
StA, Band 2, Seite 290.

 

Des Geistes Werden...

Des Geistes Werden ist den Menschen nicht verborgen,
Und wie das Leben ist, das Menschen sich gefunden,
Es ist des Lebens Tag, es ist des Lebens Morgen,
Wie Reichtum sind des Geistes hohe Stunden.

Wie die Natur sich dazu herrlich findet,
Ist, daß der Mensch nach solcher Freude schauet,
Wie er dem Tage sich, dem Leben sich vertrauet,
Wie er mit sich den Bund des Geistes bindet.
StA, Band 2, Seite 291.

 

Der Frühling

Der Mensch vergißt die Sorgen aus dem Geiste,
Der Frühling aber blüh't, und prächtig ist das Meiste,
Das grüne Feld ist herrlich ausgebreitet
Da glänzend schön der Bach hinuntergeleitet.

Die Berge stehn bedeket mit den Bäumen,
Und herrlich ist die Luft in offnen Räumen,
Das weite Thal ist in der Welt gedehnet
Und Thurm und Haus an Hügeln angelehnet.

                                  Mit Unterthänigkeit
                                                Scardanelli
StA, Band 2, Seite 292.

 

Der Sommer

Wenn dann vorbei des Frühlings Blüthe schwindet,
So ist der Sommer da, der um das Jahr sich windet.
Und wie der Bach das Thal hinuntergleitet,
So ist der Berge Pracht darum verbreitet.
Daß sich das Feld mit Pracht am meisten zeiget,
Ist, wie der Tag, der sich zum Abend neiget;
Wie so das Jahr verweilt, so sind des Sommers Stunden
Und Bilder der Natur dem Menschen oft verschwunden.

d. 24 Mai
   1778.                              Scardanelli.
StA, Band 2, Seite 293.

 

Der Winter

Wenn blaicher Schnee verschönert die Gefilde,  
Und hoher Glanz auf weiter Ebne blinkt,  
So reizt der Sommer fern, und milde  
Naht sich der Frühling oft, indeß die Stunde sinkt.  
 
Die prächtige Erscheinung ist, die Luft ist feiner,  
Der Wald ist hell, es geht der Menschen keiner  
Auf Straßen, die zu sehr entlegen sind, die Stille machet  
Erhabenheit, wie dennoch alles lacht.
 
Der Frühling scheint nicht mit der Blüthen Schimmer  
Dem Menschen so gefallend, aber Sterne  
Sind an dem Himmel hell, man siehet gerne  
Den Himmel fern, der ändert fast sich nimmer.  
 
Die Ströme sind, wie Ebnen, die Gebilde  
Sind, auch zerstreut, erscheinender, die Milde  
Des Lebens dauert fort, der Städte Breite  
Erscheint besonders gut auf ungemeßner Weite. 
StA, Band 2, Seite 294.

 

Winter

Wenn sich das Laub auf Ebnen weit verloren,
So fällt das Weiß herunter auf die Thale,
Doch glänzend ist der Tag vom hohen Sonnenstrale,
Es glänzt das Fest den Städten aus den Thoren.

Es ist die Ruhe der Natur, des Feldes Schweigen
Ist wie des Menschen Geistigkeit, und höher zeigen
Die Unterschiede sich, daß sich zu hohem Bilde
Sich zeiget die Natur, statt mit des Frühlings Milde.

                          d. 25 Dezember
                                   1841.
                          Dero
                              unterthänigster
                                    Scardanelli.
StA, Band 2, Seite 295.

 

Der Winter

Das Feld ist kahl, auf ferner Höhe glänzet  
Der blaue Himmel nur, und wie die Pfade gehen  
Erscheinet die Natur, als Einerlei, das Wehen  
Ist frisch, und die Natur von Helle nur umkränzet.  
 
Der Erde Stund ist sichtbar von dem Himmel  
Den ganzen Tag, in heller Nacht umgeben  
Wenn hoch erscheint von Sternen das Gewimmel, 
Und geistiger das weit gedehnte Leben. 
StA, Band 2, Seite 296.

 

Der Sommer

Noch ist die Zeit des Jahrs zu sehn, und die Gefilde
Des Sommers stehn in ihrem Glanz, in ihrer Milde;
Des Feldes Grün ist prächtig ausgebreitet,
Allwo der Bach hinab mit Wellen gleitet.

So zieht der Tag hinaus durch Berg und Thale,
Mit seiner Unaufhaltsamkeit und seinem Strale,
Und Wolken ziehn in Ruh', in hohen Räumen,
Es scheint das Jahr mit Herrlichkeit zu säumen.

                                         Mit Unterthänigkeit
d. 9ten Merz                                      Scardanelli
   1940.   [sic.]
StA, Band 2, Seite 297.

 

Der Frühling

Wenn neu das Licht der Erde sich gezeiget,  
Von Frühlingsreegen glänzt das grüne Thal und munter  
Der Blüthen Weiß am hellen Strom hinunter,  
Nachdem ein heitrer Tag zu Menschen sich geneiget.  
 
Die Sichtbarkeit gewinnt von hellen Unterschieden,  
Der Frühlingshimmel weilt mit seinem Frieden,  
Daß ungestört der Mensch des Jahres Reiz betrachtet,  
Und auf Vollkommenheit des Lebens achtet.  
 
                                      Mit
                                Unterthänigkeit
d. 15 Merz                          Scardanelli.
   1842 
StA, Band 2, Seite 298.

 

Der Herbst

Das Glänzen der Natur ist höheres Erscheinen,
Wo sich der Tag mit vielen Freuden endet,
Es ist das Jahr, das sich mit Pracht vollendet,
Wo Früchte sich mit frohem Glanz vereinen.

Das Erdenrund ist so geschmükt, und selten lärmet
Der Schall durchs offne Feld, die Sonne wärmet
Den Tag des Hebstes mild, die Felder stehen
Als eine Aussicht weit, die Lüffte wehen

Die Zweig' und Äste durch mit frohem Rauschen
Wenn schon mit Leere sich die Felder dann vertauschen,
Der ganze Sinn des hellen Bildes lebt
Als wie ein Bild, das goldne Pracht umschwebet.
              d. 15ten Nov.
                    1759.
StA, Band 2, Seite 299.

 

Der Sommer

Im Thale rinnt der Bach, die Berg' an hoher Seite,
Sie grünen weit umher an dieses Thales Breite,
Und Bäume mit dem Laub stehn gebreitet,
Daß fast verborgen dort der Bach hinunter gleitet.

So glänzt darob des schönen Sommers Sonne,
Daß fast zu eilen scheint des hellen Tages Wonne,
Der Abend mit der Frische kommt zu Ende,
Und trachtet, wie er das dem Menschen noch vollende.

                                  mit Unterthänigkeit
d. 24 Mai                             Scardanelli.
    1758.
StA, Band 2, Seite 300.

 

Der Sommer

Die Tage gehn vorbei mit sanffter Lüffte Rauschen,
Wenn mit der Wolke sie der Felder Pracht vertauschen,
Des Thales Ende trifft der Berge Dämmerungen,
Dort, wo des Stromes Wellen sich hinabgeschlungen.

Der Wälder Schatten sieht umhergebreitet,
Wo auch der Bach entfernt hinuntergleitet,
Und sichtbar ist der Ferne Bild in Stunden,
Wenn sich der Mensch zu diesem Sinn gefunden.

d. 24 Mai                  Scardanelli.
  1758.
StA, Band 2, Seite 301.

 

Der Mensch

Wenn aus sich lebt der Mensch und wenn sein Rest sich zeiget,
So ist's, als wenn ein Tag sich Tagen unterscheidet,
Daß ausgezeichnet sich der Mensch zum Reste neiget,
Von der Natur getrennt und unbeneidet.

Als wie allein ist er im andern weiten Leben,
Wo rings der Frühling grünt, der Sommer freundlich weilet
Bis daß das Jahr im Herbst hinunter eilet,
Und immerdar die Wolken uns umschweben.

d. 28ten Juli                    mit Unterthänigkeit
   1842.                                Scardanelli.
StA, Band 2, Seite 302.

 

Der Winter

Wenn ungesehn und nun vorüber sind die Bilder
Der Jahreszeit, so kommt des Winters Dauer,
Das Feld ist leer, die Ansicht scheinet milder,
Und Stürme wehn umher und Reegenschauer.

Als wie ein Ruhetag, so ist des Jahres Ende,
Wie einer Frage Ton, daß dieser sich vollende,
Alsdann erscheint des Frühlings neues Werden,
So glänzet die Natur mit ihrer Pracht auf Erden.

                           Mit Unterthänigkeit
d. 24 April                       Scardanelli.
   1849
StA, Band 2, Seite 303.

 

Der Winter

Wenn sich das Jahr geändert, und der Schimmer
Der prächtigen Natur vorüber, blühet nimmer
Der Glanz der Jahreszeit, und schneller eilen
Die Tage dann vorbei, die langsam auch verweilen.

Der Geist des Lebens ist verschieden in den Zeiten
Der lebenden Natur, verschiedne Tage breiten
Das Glänzen aus, und immerneues Wesen
Erscheint den Menschen recht, vorzüglich und erlesen.

                              Mit Unterthänigkeit
                                          Scardanelli.
d. 24 Januar
   1676.
StA, Band 2, Seite 304.

 

Der Winter

Wenn sich der Tag des Jahrs hinabgeneiget
Und rings das Feld mit den Gebirgen schweiget,
So glänzt das Blau des Himmels an den Tagen,
Die wie Gestirn in heitrer Höhe ragen.

Der Wechsel und die Pracht ist minder umgebreitet,
Dort, wo ein Strom hinab mit Eile gleitet,
Der Ruhe Geist ist aber in den Stunden
Der prächtigen Natur mit Tiefigkeit verbunden.
                                     Mit Unterthänigkeit
 d. 24                                       Scardanelli.
Januar
 1743.
StA, Band 2, Seite 305.

 

Griechenland

Wie Menschen sind, so ist das Leben prächtig,
Die Menschen sind der Natur öfters mächtig,
Das prächt'ge Land ist Menschen nicht verborgen
Mit Reiz erscheint der Abend und der Morgen.
Die offnen Felder sind als in der Erndte Tage
Mit Geistigkeit ist weit umher die alte Sage,
Und neues Leben kommt aus Menschheit wieder
So sinkt das Jahr mit einer Stille nieder.

                           Mit Unterthänigkeit
Den 24t. Mai 1748                 Scardanelli.
StA, Band 2, Seite 306.

 

Der Frühling

Der Tag erwacht, und prächtig ist der Himmel,
Entschwunden ist von Sternen das Gewimmel,
Der Mensch empfindet sich, wie er betrachtet,
Der Anbeginn des Jahrs wird hoch geachtet.

Erhaben sind die Berge, wo die Ströme glänzen,
Die Blüthenbäume sind, als wie mit Kränzen,
Das junge Jahr beginnt, als wie mit Festen,
Die Menschen bilden mit Höchsten sich und Besten.
                              mit Unterthänigkeit
d. 24 Mai                            Scardanelli.
  1748.
StA, Band 2, Seite 307.

 

Der Frühling

Die Sonne kehrt zu neuen Freuden wieder,
Der Tag erscheint mit Stralen, wie die Blüthe,
Die Zierde der Natur erscheint sich dem Gemüthe,
Als wie entstanden sind Gesang und Lieder.

Die neue Welt ist aus der Thale Grunde,
Und heiter ist des Frühlings Morgenstunde,
Aus Höhen glänzt der Tag, des Abends Leben
Ist der Betrachtung auch des innern Sinns gegeben.

d. 20                       Mit Unterthänigkeit
   Jan.
   1758.                           Scardanelli.
StA, Band 2, Seite 308.

 

Der Frühling

Wenn aus der Tiefe kommt der Frühling in das Leben,
Es wundert sich der Mensch, und neue Worte streben
Aus Geistigkeit, die Freude kehret wieder
Und festlich machen sich Gesang und Lieder.

Das Leben findet sich aus Harmonie der Zeiten,
Daß immerdar den Sinn Natur und Geist geleiten,
Und die Vollkommenheit ist Eines in dem Geiste,
So findet vieles sich, und aus Natur das Meiste.

                             Mit Unterthänigkeit
d. 24 Mai                           Scardanelli.
   1758.
StA, Band 2, Seite 309.

 

Der Zeitgeist

Die Menschen finden sich in dieser Welt zum Leben,
Wie Jahre sind, wie Zeiten höher streben,
So wie der Wechsel ist, ist übrig vieles Wahre,
Daß Dauer kommt in die verschied'nen Jahre;
Vollkommenheit vereint sich so in diesem Leben,
Daß diesem sich bequemt der Menschen edles Streben.

                      Mit Unterthänigkeit
24. Mai 1748.                                  Scardanelli.
StA, Band 2, Seite 310.

 

Freundschafft

Wenn Menschen sich aus innrem Werthe kennen,
So können sie sich freudig Freunde nennen,
Das Leben ist den Menschen so bekannter,
Sie finden es im Geist interessanter.

Der hohe Geist ist nicht der Freundschafft ferne,
Die Menschen sind den Harmonien gerne
Und der Vertrautheit hold, daß sie der Bildung leben,
Auch dieses ist der Menschheit so gegeben.

                                 Mit Unterthänigkeit
d. 20 Mai                               Scardanelli.
  1758.
StA, Band 2, Seite 311.

 

Die Aussicht

Wenn in die Ferne geht der Menschen wohnend Leben,
Wo in die Ferne sich erglänzt die Zeit der Reben,
Ist auch dabei des Sommers leer Gefilde,
Der Wald erscheint mit seinem dunklen Bilde.

Daß die Natur ergänzt das Bild der Zeiten,
Daß die verweilt, sie schnell vorübergleiten,
Ist aus Vollkommenheit, des Himmels Höhe glänzet
Den Menschen dann, wie Bäume Blüth' umkränzet.

                                     Mit Unterthänigkeit
d. 24 Mai                                   Scardanelli.
  1748.
StA, Band 2, Seite 312.

 

Gesang des Deutschen

O heilig Herz der Völker, o Vaterland!
 Allduldend, gleich der schweigenden Mutter Erd',
  Und allverkannt, wenn schon aus deiner
   Tiefe die Fremden ihr Bestes haben!

Sie erndten den Gedanken, den Geist von dir,
 Sie pflüken gern die Traube, doch höhnen sie
  Dich, ungestalte Rebe! daß du
   Schwankend den Boden und wild umirrest.

Du Land des hohen ernsteren Genius!
 Du Land der Liebe! bin ich der deine schon,
  Oft zürnt' ich weinend, daß du immer
   Blöde die eigene Seele läugnest.

Doch magst du manches Schöne nicht bergen mir;
 Oft stand ich überschauend das holde Grün,
  Den weiten Garten hoch in deinen
   Lüften auf hellem Gebirg' und sah dich.

An deinen Strömen gieng ich und dachte dich,
 Indeß die Töne schüchtern die Nachtigall
  Auf schwanker Weide sang, und still auf
   Dämmerndem Grunde die Welle weilte.

Und an den Ufern sah ich die Städte blühn,
 Die Edlen, wo der Fleiß in der Werkstatt schweigt,
  Die Wissenschaft, wo deine Sonne
   Milde dem Künstler zum Ernste leuchtet.

Kennst du Minervas Kinder? sie wählten sich
 Den Oelbaum früh zum Lieblinge; kennst du sie?
  Noch lebt, noch waltet der Athener
   Seele, die sinnende, still bei Menschen,

Wenn Platons frommer Garten auch schon nicht mehr
 Am alten Strome grünt und der dürftge Mann
  Die Heldenasche pflügt, und scheu der
   Vogel der Nacht auf der Säule trauert.

O heilger Wald! o Attika! traf Er doch
 Mit seinem furchtbarn Strale dich auch, so bald,
  Und eilten sie, die dich belebt, die
   Flammen entbunden zum Aether über?

Doch, wie der Frühling, wandelt der Genius
 Von Land zu Land. Und wir? ist denn Einer auch
  Von unsern Jünglingen, der nicht ein
   Ahnden, ein Räthsel der Brust, verschwiege?

Den deutschen Frauen danket! sie haben uns
 Der Götterbilder freundlichen Geist bewahrt,
  Und täglich sühnt der holde klare
   Friede das böse Gewirre wieder.

Wo sind jezt Dichter, denen der Gott es gab,
 Wie unsern Alten, freudig und fromm zu seyn,
  Wo Weise, wie die unsre sind? die
   Kalten und Kühnen, die Unbestechbarn!

Nun! sei gegrüßt in deinem Adel, mein Vaterland,
 Mit neuem Nahmen, reifeste Frucht der Zeit!
  Du lezte und du erste aller
   Musen, Urania, sei gegrüßt mir!

Noch säumst und schweigst du, sinnest ein freudig Werk,
 Das von dir zeuge, sinnest ein neu Gebild,
  Das einzig, wie du selber, das aus
   Liebe geboren und gut, wie du, sei -

Wo ist dein Delos, wo dein Olympia,
 Daß wir uns alle finden am höchsten Fest? - 
  Doch wie erräth der Sohn, was du den
   Deinen, Unsterbliche, längst bereitest?
StA, Band 2, Seite 3.

 

Der Frieden

Wie wenn die alten Wasser, die 
                           in andern Zorn
 In schröklichern verwandelt wieder
  Kämen, zu reinigen, da es noth war,

So gählt und wuchs und woogte von Jahr zu Jahr
 Rastlos und überschwemmte das bange Land
  Die unerhörte Schlacht, daß weit hüllt
   Dunkel und Blässe das Haupt der Menschen.

Die Heldenkräfte flogen, wie Wellen, auf
 Und schwanden weg, du kürztest o Rächerin!
  Den Dienern oft die Arbeit schnell und
   Brachtest in Ruhe sie heim, die Streiter.

O du die unerbittlich und unbesiegt
 Den Feigern und den Übergewaltgen trift,
  Daß bis ins lezte Glied hinab vom
   Schlage sein armes Geschlecht erzittert,

Die du geheim den Stachel und Zügel hältst
 Zu hemmen und zu fördern, o Nemesis,
  Strafst du die Todten noch, es schliefen
   Unter Italiens Lorbeergärten

Sonst ungestört die alten Eroberer.
 Und schonst du auch des müßigen Hirten nicht,
  Und haben endlich wohl genug den
   Üppigen Schlummer gebüßt die Völker?

Wer hub es an? wer brachte den Fluch? von heut
 Ists nicht und nicht von gestern, und die zuerst
  Das Maas verloren, unsre Väter
   Wußten es nicht, und es trieb ihr Geist sie.

Zu lang, zu lang schon treten die Sterblichen
 Sich gern aufs Haupt, und zanken um Herrschaft sich,
  Den Nachbar fürchtend, und es hat auf
   Eigenem Boden der Mann nicht Seegen.

Und unstät wehn und irren, dem Chaos gleich,
 Dem gährenden Geschlechte die Wünsche noch
  Umher und wild ist und verzagt und kalt von
   Sorgen das Leben der Armen immer.

Du aber wandelst ruhig die sichre Bahn
 O Mutter Erd im Lichte. Dein Frühling blüht,
  Melodischwechselnd gehn dir hin die
   Wachsenden Zeiten, du Lebensreiche!

Komm du nun, du der heiligen Musen all,
 Und der Gestirne Liebling, verjüngender
  Ersehnter Friede, komm und gieb ein
   Bleiben im Leben, ein Herz uns wieder.

Unschuldiger! sind klüger die Kinder doch
 Beinahe, denn wir Alten; es irrt der Zwist
  Den Guten nicht den Sinn, und klar und
   Freudig ist ihnen ihr Auge blieben.

Und wie mit andern Schauenden lächelnd ernst
 Der Richter auf der Jünglinge Rennbahn sieht,
  Wo glühender die Kämpfenden die
   Wagen in stäubende Wolken treiben,

So steht und lächelt Helios über uns
 Und einsam ist der Göttliche, Froh nie,
  Denn ewig wohnen sie, des Aethers
   Blühende Sterne, die Heiligfreien.
StA, Band 2, Seite 6.

 

An die Deutschen

Spottet nimmer des Kinds, wenn noch das alberne
 Auf dem Rosse von Holz herrlich und viel sich dünkt,
  O ihr Guten! auch wir sind
   Thatenarm und gedankenvoll!

Aber kommt, wie der Stral aus dem Gewölke kommt,
 Aus Gedanken vieleicht, geistig und reif die That?
  Folgt die Frucht, wie des Haines
   Dunklem Blatte, der stillen Schrift?

Und das Schweigen im Volk, ist es die Feier schon
 Vor dem Feste? die Furcht, welche den Gott ansagt?
  O dann nimmt mich, ihr Lieben!
   Daß ich büße die Lästerung.

Schon zu lange, zu lang irr ich, dem Laien gleich,
 In des bildenden Geists werdender Werkstatt hier,
  Nur was blühet, erkenn ich,
   Was er sinnet, erkenn ich nicht.

Und zu ahnen ist süß, aber ein Leiden auch,
 Und schon Jahre genug leb' ich in sterblicher
  Unverständiger Liebe
   Zweifelnd, immer bewegt vor ihm,

Der das stetige Werk immer aus liebender
 Seele näher mir bringt, lächelnd dem Sterblichen
  Wo ich zage, des Lebens
   Reine Tiefe zu Reife bringt.

Schöpferischer, o wann, Genius unsers Volks,
 Wann erscheinest du ganz, Seele des Vaterlands,
  Daß ich tiefer mich beuge,
   Daß die leiseste Saite selbst

Mir verstumme vor dir, daß ich beschämt
 Eine Blume der Nacht, himmlischer Tag, vor dir
  Enden möge mit Freuden,
   Wenn sie alle, mit denen ich

Vormals trauerte, wenn unsere Städte nun
 Hell und offen und wach, reineren Feuers voll
  Und die Berge des deutschen
   Landes Berge der Musen sind,

Wie die herrlichen einst, Pindos und Helikon,
 Und Parnassos, und rings unter des Vaterlands
  Goldnem Himmel die freie,
   Klare, geistige Freude glänzt.

Wohl ist enge begränzt unsere Lebenszeit,
 Unserer Jahre Zahl sehen und zählen wir,
  Doch die Jahre der Völker,
   Sah ein sterbliches Auge sie?

Wenn die Seele dir auch über die eigne Zeit
 Sich die sehnende schwingt, trauernd verweilest du
  Dann am kalten Gestade
   Bei den Deinen und kennst sie nie,

Und die Künftigen auch, sie, die Verheißenen
 Wo, wo siehest du sie, daß du an Freundeshand
  Einmal wieder erwarmest,
   Einer Seele vernehmlich seist?

Klanglos,        ists in der Halle längst,
 Armer Seher! bei dir, sehnend verlischt dein Aug
  Und du schlummerst hinunter
   Ohne Namen und unbeweint.
StA, Band 2, Seite 9.

 

Rousseau

Wie eng begränzt ist unsere Tageszeit.
 Du warst und sahst und stauntest, schon Abend ists,
  Nun schlafe, wo unendlich ferne
   Ziehen vorüber der Völker Jahre.

Und mancher siehet über die eigne Zeit
 Ihm zeigt ein Gott ins Freie, doch sehnend stehst
  Am Ufer du, ein Ärgerniß den
   Deinen, ein Schatten, und liebst sie nimmer,

Und jene, die du nennst, die Verheißenen,
 Wo sind die Neuen, daß du an Freundeshand
  Erwarmst, wo nahn sie, daß du einmal
   Einsame Rede, vernehmlich seiest?

Klanglos ists, armer Mann, in der Halle dir,
 Und gleich den Unbegrabenen, irrest du
  Unstät und suchest Ruh und niemand
   Weiß den beschiedenen Weg zu weisen.

Sei denn zufrieden!           der Baum entwächst
 Dem heimatlichen Boden, aber es sinken ihm
  Die liebenden, die jugendlichen
   Arme, und trauernd neigt er sein Haupt.

Des Lebens Überfluß, das Unendliche,
 Das um ihn            und dämmert, er faßt es nie.
  Doch lebts in ihm und gegenwärtig,
   Wärmend und wirkend, die Frucht entquillt ihm.

Du hast gelebt!          auch dir, auch dir
 Erfreuet die ferne Sonne dein Haupt,
  Und die Stralen aus der schönern Zeit. Es
   Haben die Boten dein Herz gefunden.

Vernommen hast du sie, verstanden die Sprache der Fremdlinge
 Gedeutet ihre Seele! Dem Sehnenden war
  Der Wink genug, und Winke sind
   Von alters her die Sprache der Götter.

Und wunderbar, als hätte von Anbeginn
 Des Menschen Geist das Werden und Wirken all,
  Des Lebens Weise schon erfahren,

Kennt er im ersten Zeichen Vollendetes schon,
 Und fliegt, der kühne Geist, wie Adler den
  Gewittern, weissagend seinen
   Kommenden Göttern voraus.
StA, Band 2, Seite 12.

 

Heidelberg

Lange lieb ich dich schon, möchte dich, mir zur Lust,
 Mutter nennen und dir schenken ein kunstlos Lied,
  Du der Vaterlandsstädte
   Ländlichschönste, so viel ich sah.

Wie der Vogel des Walds über die Gipfel fliegt,
 Schwingt sich über den Strom, wo er vorbei dir glänzt
  Leicht und kräftig die Brüke
   Die von Wagen und Menschen tönt.

Wie von Göttern gesandt, fesselt ein Zauber einst
 Auf der Brüke mich an, da ich vorüber gieng
  Und herein in die Berge
   Mir die reizende Ferne schien,

Und der Jüngling, der Strom, fort in die Ebne zog
 Traurigfroh, wie das Herz, wenn es, sich selbst zu schön
  Liebend unterzugehen
   In die Fluthen der Zeit sich wirft.

Quellen hattest du ihm, hattest dem Flüchtigen
 Kühle Schatten geschenkt, und die Gestade sahn
  All' ihm nach, und es bebte
   Aus den Wellen ihr lieblich Bild.

Aber schwer in das Thal hieng die gigantische
 Schiksaalskundige Burg nieder bis auf den Grund,
  Von den Wettern zerrissen;
   Doch die ewige Sonne goß

Ihr verjüngendes Licht über das alternde
 Riesenbild, und umher grünte lebendiger
  Epheu; freundliche Wälder
   Rauschten über die Burg herab.

Sträuche blühten herab, bis wo im heitern Thal,
 An den Hügel gelehnt, oder dem Ufer hold,
  Deine fröhlichen Gassen
   Unter duftenden Gärten ruhn.
StA, Band 2, Seite 14.

 

Die Götter

Du stiller Aether! immer bewahrst du schön
 Die Seele mir im Schmerz, und es adelt sich
  Zur Tapferkeit vor deinen Stralen,
   Helios! oft die empörte Brust mir.

Ihr guten Götter! arm ist, wer euch nicht kennt,
 Im rohen Busen ruhet der Zwist ihm nie,
  Und Nacht ist ihm die Welt und keine
   Freude gedeihet und kein Gesang ihm.

Nur ihr, mit eurer ewigen Jugend, nährt
 In Herzen die euch lieben, den Kindersinn,
  Und laßt in Sorgen und in Irren
   Nimmer den Genius sich vertrauern.
StA, Band 2, Seite 16.

 

Der Nekar

In deinen Thälern wachte mein Herz mir auf
  Zum Leben, deine Wellen umspielten mich,
    Und all der holden Hügel, die dich
      Wanderer! kennen, ist keiner fremd mir.

Auf ihren Gipfeln löste des Himmels Luft
  Mir oft der Knechtschaft Schmerzen; und aus dem Thal,
    Wie Leben aus dem Freudebecher,
      Glänzte die bläuliche Silberwelle.

Der Berge Quellen eilten hinab zu dir,
  Mit ihnen auch mein Herz und du nahmst uns mit,
    Zum stillerhabnen Rhein, zu seinen
      Städten hinunter und lustgen Inseln.

Noch dünkt die Welt mir schön, und das Aug entflieht
  Verlangend nach den Reizen der Erde mir,
    Zum goldenen Paktol, zu Smirnas
      Ufer, zu Ilions Wald. Auch möcht ich

Bei Sunium oft landen, den stummen Pfad
  Nach deinen Säulen fragen, Olympion!
    Noch eh der Sturmwind und das Alter
      Hin in den Schutt der Athenertempel

Und ihrer Gottesbilder auch dich begräbt,
  Denn lang schon einsam stehst du, o Stolz der Welt,
    Die nicht mehr ist. Und o ihr schönen
      Inseln Ioniens! wo die Meerluft

Die heißen Ufer kühlt und den Lorbeerwald
  Durchsäuselt, wenn die Sonne den Weinstok wärmt,
    Ach! wo ein goldner Herbst dem armen
      Volk in Gesänge die Seufzer wandelt,

Wenn sein Granatbaum reift, wenn aus grüner Nacht
  Die Pomeranze blinkt, und der Mastyxbaum
    Von Harze träuft und Pauk und Cymbel
      Zum labyrintischen Tanze klingen.

Zu euch, ihr Inseln! bringt mich vielleicht, zu euch
  Mein Schuzgott einst; doch weicht mir aus treuem Sinn
    Auch da mein Nekar nicht mit seinen
      Lieblichen Wiesen und Uferweiden.
StA, Band 2, Seite 17.

 

Die Heimath

Froh kehrt der Schiffer heim an den stillen Strom,
 Von Inseln fernher, wenn er geerndtet hat;
  So käm' auch ich zur Heimath, hätt' ich
   Güter so viele, wie Laid, geerndtet.

Ihr theuern Ufer, die mich erzogen einst,
 Stillt ihr der Liebe Leiden, versprecht ihr mir,
  Ihr Wälder meiner Jugend, wenn ich
   Komme, die Ruhe noch einmal wieder?

Am kühlen Bache, wo ich der Wellen Spiel,
 Am Strome, wo ich gleiten die Schiffe sah,
  Dort bin ich bald; euch traute Berge,
   Die mich behüteten einst, der Heimath

Verehrte sichre Grenzen, der Mutter Haus
 Und liebender Geschwister Umarmungen
  Begrüß' ich bald und ihr umschließt mich,
   Daß, wie in Banden, das Herz mir heile,

Ihr treugebliebnen! aber ich weiß, ich weiß,
 Der Liebe Laid, diß heilet so bald mir nicht,
  Diß singt kein Wiegensang, den tröstend
   Sterbliche singen, mir aus dem Busen.

Denn sie, die uns das himmlische Feuer leihn,
 Die Götter schenken heiliges Laid uns auch,
  Drum bleibe diß. Ein Sohn der Erde
   Schein' ich; zu lieben gemacht, zu leiden.
StA, Band 2, Seite 19.

 

Die Liebe

Wenn ihr Freunde vergeßt, wenn ihr die Euern all,
 O ihr Dankbaren, sie, euere Dichter schmäht,
  Gott vergeb' es, doch ehret
   Nur die Seele der Liebenden.

Denn o saget, wo lebt menschliches Leben sonst,
 Da die knechtische jezt alles, die Sorge zwingt?
  Darum wandelt der Gott auch
   Sorglos über dem Haupt uns längst.

Doch, wie immer das Jahr kalt und gesanglos ist
 Zur beschiedenen Zeit, aber aus weißem Feld
  Grüne Halme doch sprossen,
   Oft ein einsamer Vogel singt,

Wenn sich mälig der Wald dehnet, der Strom sich regt,
 Schon die mildere Luft leise von Mittag weht
  Zur erlesenen Stunde,
   So ein Zeichen der schönern Zeit,

Die wir glauben, erwächst einziggenügsam noch,
 Einzig edel und fromm über dem ehernen,
  Wilden Boden die Liebe,
   Gottes Tochter, von ihm allein.

Sei geseegnet, o sei, himmlische Pflanze, mir
 Mit Gesange gepflegt, wenn des ätherischen
  Nektars Kräfte dich nähren,
   Und der schöpfrische Stral dich reift.

Wachs und werde zum Wald! eine beseeltere,
 Vollentblühende Welt! Sprache der Liebenden
  Sei die Sprache des Landes,
   Ihre Seele der Laut des Volks!
StA, Band 2, Seite 20.

 

Lebenslauf

Größers wolltest auch du, aber die Liebe zwingt
  All uns nieder, das Laid beuget gewaltiger,
    Doch es kehret umsonst nicht
      Unser Bogen, woher er kommt.

Aufwärts oder hinab! herrschet in heil'ger Nacht,
  Wo die stumme Natur werdende Tage sinnt,
    Herrscht im schiefesten Orkus
      Nicht ein Grades, ein Recht noch auch?

Diß erfuhr ich. Denn nie, sterblichen Meistern gleich,
  Habt ihr Himmlischen, ihr Alleserhaltenden,
    Daß ich wüßte, mit Vorsicht
      Mich des ebenen Pfads geführt.

Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,
  Daß er, kräftig genährt, danken für Alles lern',
    Und verstehe die Freiheit,
      Aufzubrechen, wohin er will.
StA, Band 1, Seite 247.

 

Ihre Genesung

Sieh! dein Liebstes, Natur, leidet und schläft und du
 Allesheilende, säumst? oder ihr seids nicht mehr,
  Zarte Lüfte des Aethers,
   Und ihr Quellen des Morgenlichts?

Alle Blumen der Erd, alle die goldenen
 Frohen Früchte des Hains, alle sie heilen nicht
  Dieses Leben, ihr Götter,
   Das ihr selber doch euch erzogt?

Ach! schon athmet und tönt heilige Lebenslust
 Ihr im reizenden Wort wieder, wie sonst und schon
  Glänzt in zärtlicher Jugend
   Deine Blume, wie sonst, dich an,

Heilge Natur, o du, welche zu oft, zu oft,
 Wenn ich trauernd versank, lächelnd das zweifelnde
  Haupt mit Gaaben umkränzte,
   Jugendliche, nun auch, wie sonst!

Wenn ich altre dereinst, siehe so geb ich dir,
 Die mich täglich verjüngt, Allesverwandelnde,
  Deiner Flamme die Schlaken,
   Und ein anderer leb ich auf.
StA, Band 2, Seite 23.

 

Der Abschied

Erste Fassung

Trennen wollten wir uns? wähnten es gut und klug?
 Da wirs thaten, warum schrökte, wie Mord, die That?
  Ach! wir kennen uns wenig,
   Denn es waltet ein Gott in uns.

Den verrathen? ach ihn, welcher uns alles erst,
 Sinn und Leben erschuff, ihn, den beseelenden
  Schuzgott unserer Liebe,
   Diß, diß; Eine vermag ich nicht.

Aber anderen Fehl denket der Menschen Sinn,
 Andern ehernen Dienst übt er und anders Recht,
  Und es fodert [sic] die Seele
   Tag für Tag der Gebrauch uns ab.

Wohl! ich wußt' es zuvor. Seit der gewurzelte
 Allentzweiende Haß Götter und Menschen trennt,
  Muß, mit Blut sie zu sühnen,
   Muß der Liebenden Herz vergehn.

Laß mich schweigen! o laß nimmer von nun an mich
 Dieses Tödtliche sehn, daß ich im Frieden doch
  Hin ins Einsame ziehe,
   Und noch unser der Abschied sei!

Reich die Schaale mir selbst, daß ich des rettenden
 Heilgen Giftes genug, daß ich des Lethetranks
  Mit dir trinke, daß alles
   Haß und Liebe vergessen sei!

Hingehn will ich. Vieleicht seh' ich in langer Zeit
 Diotima! dich hier. Aber verblutet ist
  Dann das Wünschen und friedlich
   Gleich den Seeligen, fremd sind wir,

Und ein ruhig Gespräch führet uns auf und ab,
 Sinnend, zögernd, doch izt faßt die Vergessenen
  Hier die Stelle des Abschieds,
   Es erwarmet ein Herz in uns,

Staunend seh' ich dich an, Stimmen und süßen Sang,
 Wie aus voriger Zeit hör' ich und Saitenspiel,
  Und befreiet, in Lüfte
   Fliegt in Flammen der Geist uns auf.
StA, Band 2, Seite 24.

 

Der Abschied

Zweite Fassung

Trennen wollten wir uns? wähnten es gut und klug?
 Da wirs thaten, warum schrökte, wie Mord, die That?
  Ach! wir kennen uns wenig,
   Denn es waltet ein Gott in uns.

Den verrathen? ach ihn, welcher uns alles erst,
 Sinn und Leben erschuff, ihn, den beseelenden
  Schuzgott unserer Liebe,
   Diß, diß Eine vermag ich nicht.

Aber anderen Fehl denket der Weltsinn sich,
 Andern ehernen Dienst übt er und anders Recht,
  Und es listet die Seele
   Tag für Tag der Gebrauch uns ab.

Wohl! ich wußt' es zuvor. Seit die gewurzelte
 Ungestalte die Furcht Götter und Menschen trennt,
  Muß, mit Blut sie zu sühnen,
   Muß der Liebenden Herz vergehn.

Laß mich schweigen! o laß nimmer von nun an mich
 Dieses Tödtliche sehn, daß ich im Frieden doch
  Hin ins Einsame ziehe,
   Und noch unser der Abschied sei!

Reich die Schaale mir selbst, daß ich des rettenden
 Heilgen Giftes genug, daß ich des Lethetranks
  Mit dir trinke, daß alles
   Haß und Liebe vergessen sei!

Hingehn will ich. Vieleicht seh' ich in langer Zeit
 Diotima! dich hier. Aber verblutet ist
  Dann das Wünschen und friedlich
   Gleich den Seeligen, fremde gehn

Wir umher, ein Gespräch führet uns ab und auf,
 Sinnend, zögernd, doch izt mahnt die Vergessenen
  Hier die Stelle des Abschieds,
   Es erwarmet ein Herz in uns,

Staunend seh' ich dich an, Stimmen und süßen Sang,
 Wie aus voriger Zeit hör' ich und Saitenspiel,
  Und die Lilie duftet
   Golden über dem Bach uns auf.
StA, Band 2, Seite 26.

 

Diotima

Du schweigst und duldest, denn sie verstehn dich nicht,
  Du edles Leben! siehest zur Erd' und schweigst
    Am schönen Tag, denn ach! umsonst nur
      Suchst du die Deinen im Sonnenlichte,

Die Königlichen, welche, wie Brüder doch,
  Wie eines Hains gesellige Gipfel sonst
    Der Lieb' und Heimath sich und ihres
      Immerumfangenden Himmels freuten,

Des Ursprungs noch in tönender Brust gedenk;
  Die Dankbarn, sie, sie mein' ich, die einzigtreu
    Bis in den Tartarus hinab die Freude
      Brachten, die Freien, die Göttermenschen,

Die zärtlichgroßen Seelen, die nimmer sind;
  Denn sie beweint, so lange das Trauerjahr
    Schon dauert, von den vor'gen Sternen
      Täglich gemahnet, das Herz noch immer

Und diese Todtenklage, sie ruht nicht aus.
  Die Zeit doch heilt. Die Himmlischen sind jezt stark,
    Sind schnell. Nimmt denn nicht schon ihr altes
      Freudiges Recht die Natur sich wieder?

Sieh! eh noch unser Hügel, o Liebe, sinkt,
  Geschiehts, und ja! noch siehet mein sterblich Lied
    Den Tag, der, Diotima! nächst den
      Göttern mit Helden dich nennt, und dir gleicht.
StA, Band 2, Seite 28.

 

Rükkehr in die Heimath

Ihr milden Lüfte! Boten Italiens!
 Und du mit deinen Pappeln, geliebter Strom!
  Ihr woogenden Gebirg! o all ihr
   Sonnigen Gipfel, so seid ihrs wieder?

Du stiller Ort! in Träumen erschienst du fern
 Nach hoffnungslosem Tage dem Sehnenden,
  Und du mein Haus, und ihr Gespielen,
   Bäume des Hügels, ihr wohlbekannten!

Wie lang ists, o wie lange! des Kindes Ruh
 Ist hin, und hin ist Jugend und Lieb' und Lust;
  Doch du, mein Vaterland! du heilig-
   Duldendes! siehe, du bist geblieben.

Und darum, daß sie dulden mit dir, mit dir
 Sich freun, erziehst du, theures! die Deinen auch
  Und mahnst in Träumen, wenn sie ferne
   Schweifen und irren, die Ungetreuen.

Und wenn im heißen Busen dem Jünglinge
 Die eigenmächt'gen Wünsche besänftiget
  Und stille vor dem Schiksaal sind, dann
   Giebt der Geläuterte dir sich lieber.

Lebt wohl dann, Jugendtage, du Rosenpfad
 Der Lieb', und all' ihr Pfade des Wanderers,
  Lebt wohl! und nimm und seegne du mein
   Leben, o Himmel der Heimath, wieder!
StA, Band 2, Seite 29.

 

Elegie

Täglich geh' ich heraus und such' ein Anderes immer,
  Habe längst sie befragt, alle die Pfade des Lands;
Droben die kühlenden Höhn, die Schatten alle besuch' ich,
  Und die Quellen; hinauf irret der Geist und hinab,
Ruh' erbittend; so flieht das getroffene Wild in die Wälder,
  Wo es um Mittag sonst sicher im Dunkel geruht;
Aber nimmer erquikt sein grünes Laager das Herz ihm
  Wieder und schlummerlos treibt es der Stachel umher.
Nicht die Wärme des Lichts und nicht die Kühle der Nacht hilft
  Und in Woogen des Stroms taucht es die Wunden umsonst.
Ihm bereitet umsonst die Erd' ihr stärkendes Heilkraut
  Und sein schäumendes Blut stillen die Lüftchen umsonst.

Wehe! so ists auch, so, ihr Todesgötter! vergebens,
  Wenn ihr ihn haltet und vest habt den bezwungenen Mann,
Wenn ihr einmal hinab in eure Nacht ihn gerissen,
  Dann zu suchen zu flehn, oder zu zürnen mit euch,
Oder geduldig auch wohl in euren Banden zu wohnen
  Und mit Lächeln von euch hören das furchtbare Lied.
Denn bestehn, wie anderes, muß in seinem Geseze,
  Immer altern und nie enden das schaurige Reich.
Aber noch immer nicht, o meine Seele! noch kannst dus
  Nicht gewohnen und träumst mitten im eisernen Schlaf.

Tag der Liebe! scheinest du auch den Todten, du goldner!
  Bilder aus hellerer Zeit leuchtet ihr mir in die Nacht?
Liebliche Gärten, seid, ihr abendröthlichen Berge,
  Seid willkommen, und ihr, schweigende Pfade des Hains.
Zeugen himmlischen Glüks! und ihr, allschauende Sterne,
  Die mir damals oft seegnende Blike gegönnt!
Euch, ihr Liebenden, auch, ihr schönen Kinder des Frühlings,
  Stille Rosen und euch, Lilien! nenn' ich noch oft, -
Ihr Vertrauten! ihr Lebenden all', einst nahe dem Herzen,
  Einst wahrhaftiger, einst heller und schöner gesehn!
Tage kommen und gehn, ein Jahr verdränget das andre,
  Wechselnd und streitend; so tost furchtbar vorüber die Zeit 
Über sterblichem Haupt, doch nicht vor seeligen Augen,
  Und den Liebenden ist anderes Leben gewährt.
Denn sie alle die Tag' und Stunden und Jahre der Sterne
  Und der Menschen, zur Lust anders und anders bekränzt
Fröhlicher, ernster, sie all', als ächte Kinder des Aethers
  Lebten, in Wonne vereint, innig und ewig um uns.
Aber wir, unschädlich gesellt, wie die friedlichen Schwäne,
  Wenn sie ruhen am See, oder, auf Wellen gewiegt,
Niedersehn in die Wasser, wo silberne Wolken sich spiegeln,
  Und das himmlische Blau unter den Schiffenden wallt,
So auf Erden wandelten wir. Und drohte der Nord auch,
  Er, der Liebenden Feind, sorgenbereitend, und fiel
Von den Ästen das Laub und flog im Winde der Reegen,
  Lächelten ruhig wir, fühlten den Gott und das Herz
Unter trautem Gespräch, im hellen Seelengesange,
  So im Frieden mit uns kindlich und seelig allein.

Ach! wo bist du, Liebende, nun? Sie haben mein Auge
  Mir genommen, mein Herz hab' ich verloren mit ihr.
Darum irr' ich umher, und wohl, wie die Schatten, so muß ich
  Leben und sinnlos dünkt lange das Übrige mir.
Danken möcht' ich, aber wofür? verzehret das Lezte
  Selbst die Erinnerung nicht? nimmt von der Lippe denn nicht
Bessere Rede mir der Schmerz, und lähmet ein Fluch nicht
  Mir die Sehnen und wirft, wo ich beginne, mich weg?
Daß ich fühllos size den Tag und stumm, wie die Kinder,
  Nur vom Auge mir kalt öfters die Tropfe noch schleicht,
Und in schaudernder Brust die allerwärmende Sonne
  Kühl und fruchtlos mir dämmert, wie Stralen der Nacht,
Sonst mir anders bekannt! O Jugend! und bringen Gebete
  Dich nicht wieder, dich nie? führet kein Pfad mich zurük?
Soll es werden auch mir, wie den Tausenden, die in den Tagen
  Ihres Frühlings doch auch ahndend und liebend gelebt,
Aber am trunkenen Tag von den rächenden Parzen ergriffen,
  Ohne Klag' und Gesang heimlich hinuntergeführt
Dort im allzunüchternen Reich, dort büßen im Dunkeln,
  Wo bei trügrischem Schein irres Gewimmel sich treibt,
Wo die langsame Zeit bei Frost und Dürre sie zählen,
  Nur in Seufzern der Mensch noch die Unsterblichen preist?

Aber o du, die noch am Scheidewege mir damals,
  Da ich versank vor dir, tröstend ein Schöneres wies,
Du, die Großes zu sehn und die schweigenden Götter zu singen,
  Selber schweigend mich einst stillebegeisternd gelehrt,
Götterkind! erscheinest du mir und grüßest, wie einst, mich,
  Redest wieder, wie einst, Leben und Frieden mir zu?
Siehe! weinen vor dir und klagen muß ich, wenn schon noch
  Denkend der edleren Zeit, dessen die Seele sich schämt.
Denn zu lange, zu lang' auf matten Pfaden der Erde
  Bin ich, deiner gewohnt, einsam gegangen indeß,
O mein Schutzgeist! denn wie der Nord die Wolke des Herbsttags
  Scheuchten von Ort zu Ort feindliche Geister mich fort.
So zerrann mein Leben, ach! so ists anders geworden,
  Seit, o Liebe, wir einst giengen am ruhigen Strom.
Aber dich, dich erhielt dein Licht, o Heldin! im Lichte,
  Und dein Dulden erhielt liebend, o Himmlische! dich.
Und sie selbst, die Natur und ihre melodischen Musen
  Sangen aus heimischen Höhn Wiegengesänge dir zu.
Noch, noch ist sie es ganz! noch schwebt vom Haupte zur Sohle,
  Stillhinwandelnd, wie sonst, mir die Athenerin vor.
Seelig, seelig ist sie! denn es scheut die Kinder des Himmels
  Selbst der Orkus, es rinnt, gleich den Unsterblichen selbst,
Ihnen der milde Geist von heitersinnender Stirne,
  Wo sie auch wandeln und sind, seegnend und sicher herab.

Darum möcht', ihr Himmlischen! euch ich danken und endlich
  Tönet aus leichter Brust wieder des Sängers Gebet.
Und, wie wenn ich mit ihr auf Bergeshöhen mit ihr stand,
  Wehet belebend auch mich, göttlicher Othem mich an.
Leben will ich denn auch! schon grünen die Pfade der Erde
  Schöner und schöner schließt wieder die Sonne sich auf.
Komm! es war, wie ein Traum! die blutenden Fittige sind ja
  Schon genesen, verjüngt wachen die Hoffnungen all.
Dien' im Orkus, wem es gefällt! wir, welche die stille
  Liebe bildete, wir suchen zu Göttern die Bahn.
Und geleitet ihr uns, ihr Weihestunden! ihr ernsten,
  Jugendlichen! o bleibt, heilige Ahnungen, ihr,
Fromme Bitten, und ihr Begeisterungen, und all ihr
  Schönen Genien, die gerne bei Liebenden sind,
Bleibet, bleibet mit uns, bis wir auf seeligen Inseln,
  Wo die Unsern vieleicht, Dichter der Liebe, mit uns,
Oder auch, wo die Adler sind, in Lüften des Vaters,
  Dort, wo die Musen, woher all' die Unsterblichen sind,
Dort uns staunend und fremd und bekannt uns wieder begegnen,
  Und von neuem ein Jahr unserer Liebe beginnt.
StA, Band 2, Seite 71.

 

Brod und Wein

	                  An Heinze

	                        1

Rings um ruhet die Stadt; still wird die erleuchtete Gasse,
 Und, mit Fakeln geschmükt, rauschen die Wagen hinweg.
Satt gehn heim von Freuden des Tags zu ruhen die Menschen,
 Und Gewinn und Verlust wäget ein sinniges Haupt
Wohlzufrieden zu Haus; leer steht von Trauben und Blumen,
 Und von Werken der Hand ruht der geschäfftige Markt.
Aber das Saitenspiel tönt fern aus Gärten; vieleicht, daß
 Dort ein Liebendes spielt oder ein einsamer Mann
Ferner Freunde gedenkt und der Jugendzeit; und die Brunnen
 Immerquillend und frisch rauschen an duftendem Beet.
Still in dämmriger Luft ertönen geläutete Gloken,
 Und der Stunden gedenk rufet ein Wächter die Zahl.
Jezt auch kommet ein Wehn und regt die Gipfel des Hains auf,
 Sieh! und das Schattenbild unserer Erde, der Mond
Kommet geheim nun auch; die Schwärmerische, die Nacht kommt,
 Voll mit Sternen und wohl wenig bekümmert um uns,
Glänzt die Erstaunende dort, die Fremdlingin unter den Menschen
 Über Gebirgeshöhn traurig und prächtig herauf.


	                        2

Wunderbar ist die Gunst der Hocherhabnen und niemand
 Weiß von wannen und was einem geschiehet von ihr.
So bewegt sie die Welt und die hoffende Seele der Menschen,
 Selbst kein Weiser versteht, was sie bereitet, denn so
Will es der oberste Gott, der sehr dich liebet, und darum
 Ist noch lieber, wie sie, dir der besonnene Tag.
Aber zuweilen liebt auch klares Auge den Schatten
 Und versuchet zu Lust, eh' es die Noth ist, den Schlaf,
Oder es blikt auch gern ein treuer Mann in die Nacht hin,
 Ja, es ziemet sich ihr Kränze zu weihn und Gesang,
Weil den Irrenden sie geheiliget ist und den Todten,
 Selber aber besteht, ewig, in freiestem Geist.
Aber sie muß uns auch,daß in der zaudernden Weile,
 Daß im Finstern für uns einiges Haltbare sei,
Uns die Vergessenheit und das Heiligtrunkene gönnen,
 Gönnen das strömende Wort, das, wie die Liebenden, sei,
Schlummerlos und vollern Pokal und kühneres Leben,
 Heilig Gedächtniß auch, wachend zu bleiben bei Nacht.


	                        3

Auch verbergen umsonst das Herz im Busen, umsonst nur
 Halten den Muth noch wir, Meister und Knaben, denn wer
Möcht' es hindern und wer möcht' uns die Freude verbieten?
 Göttliches Feuer auch treibet, bei Tag und bei Nacht,
Aufzubrechen. So komm! daß wir das Offene schauen,
 Daß ein Eigenes wir suchen, so weit es auch ist.
Fest bleibt Eins; es sei um Mittag oder es gehe
 Bis in die Mitternacht, immer bestehet ein Maas,
Allen gemein, doch jeglichem auch ist eignes beschieden,
 Dahin gehet und kommt jeder, wohin er es kann.
Drum! und spotten des Spotts mag gern frohlokkender Wahnsinn,
 Wenn er in heiliger Nacht plözlich die Sänger ergreift.
Drum an den Isthmos komm! dorthin, wo das offene Meer rauscht
 Am Parnaß und der Schnee delphische Felsen umglänzt,
Dort ins Land des Olymps, dort auf die Höhe Cithärons,
 Unter die Fichten dort, unter die Trauben, von wo
Thebe drunten und Ismenos rauscht im Lande des Kadmos,
 Dorther kommt und zurük deutet der kommende Gott.


	                        4

Seeliges Griechenland! du Haus der Himmlischen alle,
 Also ist wahr, was einst wir in der Jugend gehört?
Festlicher Saal! der Boden ist Meer! und Tische die Berge,
 Wahrlich zu einzigem Brauche vor Alters gebaut!
Aber die Thronen, wo? die Tempel, und wo die Gefäße,
 Wo mit Nectar gefüllt, Göttern zu Lust der Gesang?
Wo, wo leuchten sie denn, die fernhintreffenden Sprüche?
 Delphi schlummert und wo tönet das große Geschik?
Wo ist das schnelle? wo brichts, allgegenwärtigen Glüks voll
 Donnernd aus heiterer Luft über die Augen herein?
Vater Aether! so riefs und flog von Zunge zu Zunge
 Tausendfach, es ertrug keiner das Leben allein;
Ausgetheilet erfreut solch Gut und getauschet, mit Fremden, 
 Wirds ein Jubel, es wächst schlafend des Wortes Gewalt
Vater! heiter! und hallt, so weit es gehet, das uralt
 Zeichen, von Eltern geerbt, treffend und schaffend hinab.
Denn so kehren die Himmlischen ein, tiefschütternd gelangt so
 Aus den Schatten herab unter die Menschen ihr Tag.


	                        5

Unempfunden kommen sie erst, es streben entgegen
 Ihnen die Kinder, zu hell kommet, zu blendend das Glük,
Und es scheut sie der Mensch, kaum weiß zu sagen ein Halbgott,
 Wer mit Nahmen sie sind, die mit den Gaaben ihm nahn.
Aber der Muth von ihnen ist groß, es füllen das Herz ihm
 Ihre Freuden und kaum weiß er zu brauchen das Gut,
Schafft, verschwendet und fast ward ihm Unheiliges heilig,
 Das er mit seegnender Hand thörig und gütig berührt.
Möglichst dulden die Himmlischen diß; dann aber in Wahrheit
 Kommen sie selbst und gewohnt werden die Menschen des Glüks
Und des Tags und zu schaun die Offenbaren, das Antliz
 Derer, welche, schon längst Eines und Alles genannt,
Tief die verschwiegene Brust mit freier Genüge gefüllet,
 Und zuerst und allein alles Verlangen beglükt;
So ist der Mensch; wenn da ist das Gut, und es sorget mit Gaaben
 Selber ein Gott für ihn, kennet und sieht er es nicht.
Tragen muß er, zuvor; nun aber nennt er sein Liebstes,
 Nun, nun müssen dafür Worte, wie Blumen, entstehn.


	                        6

Und nun denkt er zu ehren in Ernst die seeligen Götter,
 Wirklich und wahrhaft muß alles verkünden ihr Lob.
Nichts darf schauen das Licht, was nicht den Hohen gefället,
 Vor den Aether gebührt müßigversuchendes nicht.
Drum in der Gegenwart der Himmlischen würdig zu stehen,
 Richten in herrlichen Ordnungen Völker sich auf
Untereinander und baun die schönen Tempel und Städte
 Vest und edel, sie gehn über Gestaden empor -
Aber wo sind sie? wo blühn die Bekannten, die Kronen des Festes?
 Thebe welkt und Athen; rauschen die Waffen nicht mehr
In Olympia, nicht die goldnen Wagen des Kampfspiels,
 Und bekränzen sich denn nimmer die Schiffe Korinths?
Warum schweigen auch sie, die alten heilgen Theater?
 Warum freuet sich denn nicht der geweihete Tanz?
Warum zeichnet, wie sonst, die Stirne des Mannes ein Gott nicht,
 Drükt den Stempel, wie sonst, nicht dem Getroffenen auf?
Oder er kam auch selbst und nahm des Menschen Gestalt an
 Und vollendet' und schloß tröstend das himmlische Fest.


	                        7

Aber Freund! wir kommen zu spät. Zwar leben die Götter,
 Aber über dem Haupt droben in anderer Welt.
Endlos wirken sie da und scheinens wenig zu achten,
 Ob wir leben, so sehr schonen die Himmlischen uns.
Denn nicht immer vermag ein schwaches Gefäß sie zu fassen,
 Nur zu Zeiten erträgt göttliche Fülle der Mensch.
Traum von ihnen ist drauf das Leben. Aber das Irrsaal
 Hilft, wie Schlummer und stark machet die Noth und die Nacht,
Biß daß Helden genug in der ehernen Wiege gewachsen,
 Herzen an Kraft, wie sonst, ähnlich den Himmlischen sind.
Donnernd kommen sie drauf. Indessen dünket mir öfters
 Besser zu schlafen, wie so ohne Genossen zu seyn,
So zu harren und was zu thun indeß und zu sagen,
 Weiß ich nicht und wozu Dichter in dürftiger Zeit?
Aber sie sind, sagst du, wie des Weingotts heilige Priester,
 Welche von Lande zu Land zogen in heiliger Nacht.


	                        8

Nemlich, als vor einiger Zeit, uns dünket sie lange,
 Aufwärts stiegen sie all, welche das Leben beglükt,
Als der Vater gewandt sein Angesicht von den Menschen,
 Und das Trauern mit Recht über der Erde begann,
Als erschienen zu lezt ein stiller Genius, himmlisch
 Tröstend, welcher des Tags Ende verkündet' und schwand,
Ließ zum Zeichen, daß einst er da gewesen und wieder
 Käme, der himmlische Chor einige Gaaben zurük,
Derer menschlich, wie sonst, wir uns zu freuen vermöchten,
 Denn zur Freude, mit Geist, wurde das Größre zu groß
Unter den Menschen und noch, noch fehlen die Starken zu höchsten
 Freuden, aber es lebt stille noch einiger Dank.
Brod ist der Erde Frucht, doch ists vom Lichte geseegnet,
 Und vom donnernden Gott kommet die Freude des Weins.
Darum denken wir auch dabei der Himmlischen, die sonst
 Da gewesen und die kehren in richtiger Zeit,
Darum singen sie auch mit Ernst die Sänger den Weingott
 Und nicht eitel erdacht tönet dem Alten das Lob.


	                        9

Ja! sie sagen mit Recht, er söhne den Tag mit der Nacht aus,
 Führe des Himmels Gestirn ewig hinunter, hinauf,
Allzeit froh, wie das Laub der immergrünenden Fichte,
 Das er liebt, und der Kranz, den er von Epheu gewählt,
Weil er bleibet und selbst die Spur der entflohenen Götter
 Götterlosen hinab unter das Finstere bringt.
Was der Alten Gesang von Kindern Gottes geweissagt,
 Siehe! wir sind es, wir; Frucht von Hesperien ists!
Wunderbar und genau ists als an Menschen erfüllet,
 Glaube, wer es geprüft! aber so vieles geschieht,
Keines wirket, denn wir sind herzlos, Schatten, bis unser
 Vater Aether erkannt jeden und allen gehört.
Aber indessen kommt als Fakelschwinger des Höchsten
 Sohn, der Syrier, unter die Schatten herab.
Seelige Weise sehns; ein Lächeln aus der gefangnen
 Seele leuchtet, dem Licht thauet ihr Auge noch auf.
Sanfter träumet und schläft in Armen der Erde der Titan,
 Selbst der neidische, selbst Cerberus trinket und schläft.
StA, Band 2, Seite 90.

 

Der Archipelagus

  Kehren die Kraniche wieder zu dir, und suchen zu deinen
Ufern wieder die Schiffe den Lauf? umathmen erwünschte
Lüfte dir die beruhigte Fluth, und sonnet der Delphin,
Aus der Tiefe gelokt, am neuen Lichte den Rüken?
Blüht Ionien? ists die Zeit? denn immer im Frühling,
Wenn den Lebenden sich das Herz erneut und die erste
Liebe den Menschen erwacht und goldner Zeiten Erinnrung,
Komm' ich zu dir und grüß' in deiner Stille dich, Alter!

  Immer, Gewaltiger! lebst du noch und ruhest im Schatten
Deiner Berge, wie sonst; mit Jünglingsarmen umfängst du
Noch dein liebliches Land, und deiner Töchter, o Vater!
Deiner Inseln ist noch, der blühenden, keine verloren.
Kreta steht und Salamis grünt, umdämmert von Lorbeern,
Rings von Stralen umblüht, erhebt zur Stunde des Aufgangs
Delos ihr begeistertes Haupt, und Tenos und Chios
Haben der purpurnen Früchte genug, von trunkenen Hügeln
Quillt der Cypriertrank, und von Kalauria fallen
Silberne Bäche, wie einst, in die alten Wasser des Vaters.
Alle leben sie noch, die Heroënmütter, die Inseln,
Blühend von Jahr zu Jahr, und wenn zu Zeiten, vom Abgrund
Losgelassen, die Flamme der Nacht, das untre Gewitter,
Eine der holden ergriff, und die Sterbende dir in den Schoos sank,
Göttlicher! du, du dauertest aus, denn über den dunkeln
Tiefen ist manches schon dir auf und untergegangen.

  Auch die Himmlischen, sie, die Kräfte der Höhe, die stillen,
Die den heiteren Tag und süßen Schlummer und Ahnung
Fernher bringen über das Haupt der fühlenden Menschen
Aus der Fülle der Macht, auch sie, die alten Gespielen,
Wohnen, wie einst, mit dir, und oft am dämmernden Abend,
Wenn von Asiens Bergen herein das heilige Mondlicht
Kömmt und die Sterne sich in deiner Wooge begegnen,
Leuchtest du von himmlischem Glanz, und so, wie sie wandeln,
Wechseln die Wasser dir, es tönt die Weise der Brüder
Droben, ihr Nachtgesang, im liebenden Busen dir wieder.
Wenn die allverklärende dann, die Sonne des Tages,
Sie, des Orients Kind, die Wunderthätige, da ist,
Dann die Lebenden all' im goldenen Traume beginnen,
Den die Dichtende stets des Morgens ihnen bereitet,
Dir, dem trauernden Gott, dir sendet sie froheren Zauber,
Und ihr eigen freundliches Licht ist selber so schön nicht
Denn das Liebeszeichen, der Kranz, den immer, wie vormals,
Deiner gedenk, doch sie um die graue Loke dir windet.
Und umfängt der Aether dich nicht, und kehren die Wolken,
Deine Boten, von ihm mit dem Göttergeschenke, dem Strale
Aus der Höhe dir nicht? dann sendest du über das Land sie,
Daß am heißen Gestad die gewittertrunkenen Wälder
Rauschen und woogen mit dir, daß bald, dem wandernden Sohn gleich,
Wenn der Vater ihn ruft, mit den tausend Bächen Mäander
Seinen Irren enteilt und aus der Ebne Kayster
Dir entgegenfrohlokt, und der Erstgeborne, der Alte,
Der zu lange sich barg, dein majestätischer Nil izt
Hochherschreitend aus fernem Gebirg, wie im Klange der Waffen,
Siegreich kömmt, und die offenen Arme der sehnende reichet.

  Dennoch einsam dünkest du dir; in schweigender Nacht hört
Deine Weheklage der Fels, und öfters entflieht dir
Zürnend von Sterblichen weg die geflügelte Wooge zum Himmel.
Denn es leben mit dir die edlen Lieblinge nimmer,
Die dich geehrt, die einst mit den schönen Tempeln und Städten
Deine Gestade bekränzt, und immer suchen und missen,
Immer bedürfen ja, wie Heroën den Kranz, die geweihten
Elemente zum Ruhme das Herz der fühlenden Menschen.

  Sage, wo ist Athen? ist über den Urnen der Meister
Deine Stadt, die geliebteste dir, an den heiligen Ufern,
Trauernder Gott! dir ganz in Asche zusammengesunken,
Oder ist noch ein Zeichen von ihr, daß etwa der Schiffer,
Wenn er vorüberkommt, sie nenn' und ihrer gedenke?
Stiegen dort die Säulen empor und leuchteten dort nicht
Sonst vom Dache der Burg herab die Göttergestalten?
Rauschte dort die Stimme des Volks, die stürmischbewegte,
Aus der Agora nicht her, und eilten aus freudigen Pforten
Dort die Gassen dir nicht zu geseegnetem Hafen herunter?
Siehe! da löste sein Schiff der fernhinsinnende Kaufmann,
Froh, denn es wehet' auch ihm die beflügelnde Luft und die Götter
Liebten so, wie den Dichter, auch ihn, dieweil er die guten
Gaaben der Erd' ausglich und Fernes Nahem vereinte.
Fern nach Cypros ziehet er hin und ferne nach Tyros,
Strebt nach Kolchis hinauf und hinab zum alten Aegyptos,
Daß er Purpur und Wein und Korn und Vließe gewinne
Für die eigene Stadt, und öfters über des kühnen
Herkules Säulen hinaus, zu neuen seeligen Inseln
Tragen die Hoffnung ihn und des Schiffes Flügel, indessen
Anders bewegt, am Gestade der Stadt ein einsamer Jüngling
Weilt und die Wooge belauscht, und Großes ahndet der Ernste,
Wenn er zu Füßen so des erderschütternden Meisters
Lauschet und sizt, und nicht umsonst erzog ihn der Meergott.

  Denn des Genius Feind, der vielgebietende Perse,
Jahrlang zählt' er sie schon, der Waffen Menge, der Knechte,
Spottend des griechischen Lands und seiner wenigen Inseln,
Und sie deuchten dem Herrscher ein Spiel, und noch, wie ein Traum, war
Ihm das innige Volk, vom Göttergeiste gerüstet.
Leicht aus spricht er das Wort und schnell, wie der flammende Bergquell,
Wenn er furchtbar umher vom gährenden Aetna gegossen,
Städte begräbt in der purpurnen Fluth und blühende Gärten,
Bis der brennende Strom im heiligen Meere sich kühlet,
So mit dem Könige nun, versengend, städteverwüstend,
Stürzt von Ekbatana daher sein prächtig Getümmel;
Weh! und Athene, die herrliche, fällt; wohl schauen und ringen
Vom Gebirg, wo das Wild ihr Geschrei hört, fliehende Greise
Nach den Wohnungen dort zurük und den rauchenden Tempeln;
Aber es wekt der Söhne Gebet die heilige Asche
Nun nicht mehr, im Thal ist der Tod, und die Wolke des Brandes
Schwindet am Himmel dahin, und weiter im Lande zu erndten,
Zieht, vom Frevel erhizt, mit der Beute der Perse vorüber.

  Aber an Salamis Ufern, o Tag an Salamis Ufern!
Harrend des Endes stehn die Athenerinnen, die Jungfraun,
Stehn die Mütter, wiegend im Arm das gerettete Söhnlein,
Aber den Horchenden schallt von Tiefen die Stimme des Meergotts
Heilweissagend herauf, es schauen die Götter des Himmels
Wägend und richtend herab, denn dort an den bebenden Ufern
Wankt seit Tagesbeginn, wie langsamwandelnd Gewitter,
Dort auf schäumenden Wassern die Schlacht, und es glühet der Mittag,
Unbemerket im Zorn, schon über dem Haupte den Kämpfern.
Aber die Männer des Volks, die Heroënenkel, sie walten
Helleren Auges jezt, die Götterlieblinge denken
Des beschiedenen Glüks, es zähmen die Kinder Athenes
Ihren Genius, ihn, den todverachtenden, jezt nicht.
Denn wie aus rauchendem Blut das Wild der Wüste noch einmal
Sich zulezt verwandelt erhebt, der edleren Kraft gleich,
Und den Jäger erschrökt; kehrt jezt im Glanze der Waffen,
Bei der Herrscher Gebot, furchtbargesammelt den Wilden,
Mitten im Untergang die ermattete Seele noch einmal.
Und entbrandter beginnts; wie Paare ringender Männer
Fassen die Schiffe sich an, in die Wooge taumelt das Steuer,
Unter den Streitern bricht der Boden, und Schiffer und Schiff sinkt.

  Aber in schwindelnden Traum vom Liede des Tages gesungen,
Rollt der König den Blik; irrlächelnd über den Ausgang
Droht er, und fleht, und frohlokt, und sendet, wie Blize, die Boten.
Doch er sendet umsonst, es kehret keiner ihm wieder.
Blutige Boten, Erschlagne des Heers, und berstende Schiffe,
Wirft die Rächerin ihm zahllos, die donnernde Wooge,
Vor den Thron, wo er sizt am bebenden Ufer, der Arme,
Schauend die Flucht, und fort in die fliehende Menge gerissen,
Eilt er, ihn treibt der Gott, es treibt sein irrend Geschwader
Über die Fluthen der Gott, der spottend sein eitel Geschmeid ihm
Endlich zerschlug und den Schwachen erreicht' in der drohenden Rüstung.

  Aber liebend zurük zum einsamharrenden Strome
Kommt der Athener Volk und von den Bergen der Heimath
Woogen, freudig gemischt, die glänzenden Schaaren herunter
Ins verlassene Thal, ach! gleich der gealterten Mutter,
Wenn nach Jahren das Kind, das verlorengeachtete, wieder
Lebend ihr an die Brüste kehrt, ein erwachsener Jüngling,
Aber im Gram ist ihr die Seele gewelkt und die Freude
Kommt der hoffnungsmüden zu spät und mühsam vernimmt sie,
Was der liebende Sohn in seinem Danke geredet;
So erscheint den Kommenden dort der Boden der Heimath.
Denn es fragen umsonst nach ihren Hainen die Frommen,
Und die Sieger empfängt die freundliche Pforte nicht wieder,
Wie den Wanderer sonst sie empfieng, wenn er froh von den Inseln
Wiederkehrt' und die seelige Burg der Mutter Athene
Über sehnendem Haupt ihm fernherglänzend heraufgieng.
Aber wohl sind ihnen bekannt die verödeten Gassen
Und die trauernden Gärten umher und auf der Agora,
Wo des Portikus Säulen gestürzt und die göttlichen Bilder
Liegen, da reicht in der Seele bewegt, und der Treue sich freuend,
Jezt das liebende Volk zum Bunde die Hände sich wieder.
Bald auch suchet und sieht den Ort des eigenen Haußes
Unter dem Schutt der Mann; ihm weint am Halse, der trauten
Schlummerstäte gedenk, sein Weib, es fragen die Kindlein
Nach dem Tische, wo sonst in lieblicher Reihe sie saßen,
Von den Vätern gesehn, den lächelnden Göttern des Haußes.
Aber Gezelte bauet das Volk, es schließen die alten
Nachbarn wieder sich an, und nach des Herzens Gewohnheit
Ordnen die luftigen Wohnungen sich umher an den Hügeln.
So indessen wohnen sie nun, wie die Freien, die Alten,
Die, der Stärke gewiß und dem kommenden Tage vertrauend,
Wandernden Vögeln gleich, mit Gesange von Berge zu Berg' einst
Zogen, die Fürsten des Forsts und des weitumirrenden Stromes.
Doch umfängt noch, wie sonst, die Muttererde, die treue,
Wieder ihr edel Volk, und unter heiligem Himmel
Ruhen sie sanft, wenn milde, wie sonst, die Lüfte der Jugend
Um die Schlafenden wehn, und aus Platanen Ilissus
Ihnen herüberrauscht, und neue Tage verkündend,
Lokend zu neuen Thaten, bei Nacht die Wooge des Meergotts
Fernher tönt und fröhliche Träume den Lieblingen sendet.
Schon auch sprossen und blühn die Blumen mälig, die goldnen,
Auf zertretenem Feld, von frommen Händen gewartet,
Grünet der Ölbaum auf, und auf Kolonos Gefilden
Nähren friedlich, wie sonst, die Athenischen Rosse sich wieder.

  Aber der Muttererd' und dem Gott der Wooge zu Ehren
Blühet die Stadt izt auf, ein herrlich Gebild, dem Gestirn gleich
Sichergegründet, des Genius Werk, denn Fesseln der Liebe
Schafft er gerne sich so, so hält in großen Gestalten,
Die er selbst sich erbaut, der immerrege sich bleibend.
Sieh! und dem Schaffenden dienet der Wald, ihm reicht mit den andern
Bergen nahe zur Hand der Pentele Marmor und Erze,
Aber lebend, wie er, und froh und herrlich entquillt es
Seinen Händen, und leicht, wie der Sonne, gedeiht das Geschäfft ihm.
Brunnen steigen empor und über die Hügel in reinen
Bahnen gelenkt, ereilt der Quell das glänzende Beken;
Und umher an ihnen erglänzt, gleich festlichen Helden
Am gemeinsamen Kelch, die Reihe der Wohnungen, hoch ragt
Der Prytanen Gemach, es stehn Gymnasien offen,
Göttertempel entstehn, ein heiligkühner Gedanke
Steigt, Unsterblichen nah, das Olympion auf in den Aether
Aus dem seeligen Hain; noch manche der himmlischen Hallen!
Mutter Athene, dir auch, dir wuchs dein herrlicher Hügel
Stolzer aus der Trauer empor und blühte noch lange,
Gott der Woogen und dir, und deine Lieblinge sangen
Frohversammelt noch oft am Vorgebirge den Dank dir.

  O die Kinder des Glüks, die frommen! wandeln sie fern nun
Bei den Vätern daheim, und der Schiksaalstage vergessen,
Drüben am Lethestrom, und bringt kein Sehnen sie wieder?
Sieht mein Auge sie nie? ach! findet über den tausend
Pfaden der grünenden Erd', ihr göttergleichen Gestalten!
Euch das Suchende nie, und vernahm ich darum die Sprache,
Darum die Sage von euch, daß immertrauernd die Seele
Vor der Zeit mir hinab zu euern Schatten entfliehe?
Aber näher zu euch, wo eure Haine noch wachsen,
Wo sein einsames Haupt in Wolken der heilige Berg hüllt,
Zum Parnassos will ich, und wenn im Dunkel der Eiche
Schimmernd, mir Irrenden dort Kastalias Quelle begegnet,
Will ich, mit Thränen gemischt, aus blüthenumdufteter Schaale
Dort, auf keimendes Grün, das Wasser gießen, damit doch,
O ihr Schlafenden all! ein Todtenopfer euch werde.
Dort im schweigenden Thal, an Tempes hangenden Felsen,
Will ich wohnen mit euch, dort oft, ihr herrlichen Nahmen!
Her euch rufen bei Nacht, und wenn ihr zürnend erscheinet,
Weil der Pflug die Gräber entweiht, mit der Stimme des Herzens
Will ich, mit frommem Gesang euch sühnen, heilige Schatten!
Bis zu leben mit euch, sich ganz die Seele gewöhnet.
Fragen wird der Geweihtere dann euch manches, ihr Todten!
Euch, ihr Lebenden auch, ihr hohen Kräfte des Himmels,
Wenn ihr über dem Schutt mit euren Jahren vorbeigeht,
Ihr in der sicheren Bahn! denn oft ergreiffet das Irrsaal
Unter den Sternen mir, wie schaurige Lüfte, den Busen,
Daß ich spähe nach Rath, und lang schon reden sie nimmer
Trost den Bedürftigen zu, die prophetischen Haine Dodonas,
Stumm ist der delphische Gott, und einsam liegen und öde
Längst die Pfade, wo einst, von Hoffnungen leise geleitet,
Fragend der Mann zur Stadt des redlichen Sehers heraufstieg.
Aber droben das Licht, es spricht noch heute zu Menschen,
Schöner Deutungen voll und des großen Donnerers Stimme
Ruft es: denket ihr mein? und die trauernde Wooge des Meergotts
Hallt es wieder: gedenkt ihr nimmer meiner, wie vormals?
Denn es ruhn die Himmlischen gern am fühlenden Herzen;
Immer, wie sonst, geleiten sie noch, die begeisternden Kräfte,
Gerne den strebenden Mann und über Bergen der Heimath
Ruht und waltet und lebt allgegenwärtig der Aether,
Daß ein liebendes Volk in des Vaters Armen gesammelt,
Menschlich freudig, wie sonst, und Ein Geist allen gemein sei.
Aber weh! es wandelt in Nacht, es wohnt, wie im Orkus,
Ohne Göttliches unser Geschlecht. Ans eigene Treiben
Sind sie geschmiedet allein, und sich in der tosenden Werkstatt
Höret jeglicher nur und viel arbeiten die Wilden
Mit gewaltigem Arm, rastlos, doch immer und immer
Unfruchtbar, wie die Furien, bleibt die Mühe der Armen.
Bis, erwacht vom ängstigen Traum, die Seele den Menschen
Aufgeht, jugendlich froh, und der Liebe seegnender Othem
Wieder, wie vormals oft, bei Hellas blühenden Kindern,
Wehet in neuer Zeit und über freierer Stirne
Uns der Geist der Natur, der fernherwandelnde, wieder
Stilleweilend der Gott in goldnen Wolken erscheinet.
Ach! und säumest du noch? und jene, die göttlichgebornen,
Wohnen immer, o Tag! noch als in Tiefen der Erde
Einsam unten, indeß ein immerlebender Frühling
Unbesungen über dem Haupt den Schlafenden dämmert?
Aber länger nicht mehr! schon hör' ich ferne des Festtags
Chorgesang auf grünem Gebirg' und das Echo der Haine,
Wo der Jünglinge Brust sich hebt, wo die Seele des Volks sich
Stillvereint im freieren Lied, zur Ehre des Gottes,
Dem die Höhe gebührt, doch auch die Thale sind heilig;
Denn, wo fröhlich der Strom in wachsender Jugend hinauseilt,
Unter Blumen des Lands, und wo auf sonnigen Ebnen
Edles Korn und der Obstwald reift, da kränzen am Feste
Gerne die Frommen sich auch, und auf dem Hügel der Stadt glänzt,
Menschlicher Wohnung gleich, die himmlische Halle der Freude.
Denn voll göttlichen Sinns ist alles Leben geworden,
Und vollendend, wie sonst, erscheinst du wieder den Kindern
Überall, o Natur! und, wie vom Quellengebirg, rinnt
Seegen von da und dort in die keimende Seele dem Volke.
Dann, dann, o ihr Freuden Athens! ihr Thaten in Sparta!
Köstliche Frühlingszeit im Griechenlande! wenn unser
Herbst kömmt, wenn ihr gereift, ihr Geister alle der Vorwelt!
Wiederkehret und siehe! des Jahrs Vollendung ist nahe!
Dann erhalte das Fest auch euch, vergangene Tage!
Hin nach Hellas schaue das Volk, und weinend und dankend
Sänftige sich in Erinnerungen der stolze Triumphtag!

  Aber blühet indeß, bis unsre Früchte beginnen,
Blüht, ihr Gärten Ioniens! nur, und die an Athens Schutt
Grünen, ihr Holden! verbergt dem schauenden Tage die Trauer!
Kränzt mit ewigem Laub, ihr Lorbeerwälder! die Hügel
Eurer Todten umher, bei Marathon dort, wo die Knaben
Siegend starben, ach! dort auf Chäroneas Gefilden,
Wo mit den Waffen ins Blut die lezten Athener enteilten,
Fliehend vor dem Tage der Schmach, dort, dort von den Bergen
Klagt ins Schlachtthal täglich herab, dort singet von Oetas
Gipfeln das Schiksaalslied, ihr wandelnden Wasser, herunter!
Aber du, unsterblich, wenn auch der Griechengesang schon
Dich nicht feiert, wie sonst, aus deinen Woogen, o Meergott!
Töne mir in die Seele noch oft, daß über den Wassern
Furchtlosrege der Geist, dem Schwimmer gleich, in der Starken
Frischem Glüke sich üb', und die Göttersprache, das Wechseln
Und das Werden versteh', und wenn die reißende Zeit mir
Zu gewaltig das Haupt ergreifft und die Noth und das Irrsaal
Unter Sterblichen mir mein sterblich Leben erschüttert,
Laß der Stille mich dann in deiner Tiefe gedenken.
StA, Band 2, Seite 103.

 

Die Entschlafenen

Einen vergänglichen Tag lebt' ich und wuchs mit den Meinen,
  Eins um's andere schon schläft mir und fliehet dahin.
Doch ihr Schlafenden wacht am Herzen mir, in verwandter
  Seele ruhet von euch mir das entfliehende Bild.
Und lebendiger lebt ihr dort, wo des göttlichen Geistes
  Freude die Alternden all, alle die Todten verjüngt.
StA, Band 2, Seite 113.

 

An Landauer

Sei froh! Du hast das gute Loos erkoren,
Denn tief und treu ward eine Seele dir;
Der Freunde Freund zu seyn, bist du geboren,
Diß zeugen dir am Feste wir.

Und seelig, wer im eignen Hauße Frieden,
Wie du, und Lieb' und Fülle sieht und Ruh;
Manch Leben ist, wie Licht und Nacht, verschieden,
In goldner Mitte wohnest du.

Dir glänzt die Sonn' in wohlgebauter Halle,
Am Berge reift die Sonne dir den Wein,
Und immer glüklich führt die Güter alle
Der kluge Gott dir aus und ein.

Und Kind gedeiht, und Mutter um den Gatten,
Und wie den Wald die goldne Wolke krönt,
So seid auch ihr um ihn, geliebte Schatten!
Ihr Seeligen, an ihn gewöhnt!

O seid mit ihm! denn Wolk' und Winde ziehen
Unruhig öfters über Land und Haus,
Doch ruht das Herz bei allen Lebensmühen
Im heil'gen Angedenken aus.

Und sieh! aus Freude sagen wir von Sorgen;
Wie dunkler Wein, erfreut auch ernster Sang;
Das Fest verhallt, und jedes gehet morgen
Auf schmaler Erde seinen Gang.
StA, Band 2, Seite 114.

 

Lebensalter

Ihr Städte des Euphrats!
Ihr Gassen von Palmyra!
Ihr Säulenwälder in der Eb'ne der Wüste,
Was seid ihr?
Euch hat die Kronen,
Dieweil ihr über die Gränze
Der Othmenden seid gegangen,
Von Himmlischen der Rauchdampf und
Hinweg das Feuer genommen;
Jezt aber siz' ich unter Wolken (deren
Ein jedes eine Ruh' hat eigen) unter
Wohleingerichteten Eichen, auf
Der Heide des Rehs, und fremd
Erscheinen und gestorben mir
Der Seeligen Geister.
StA, Band 2, Seite 115.

 

Der Winkel von Hahrdt

Hinunter sinket der Wald,
Und Knospen ähnlich, hängen
Einwärts die Blätter, denen
Blüht unten auf ein Grund,
Nicht gar unmündig.
Da nemlich ist Ulrich
Gegangen; oft sinnt, über den Fußtritt,
Ein groß Schiksaal
Bereit, an übrigem Orte.
StA, Band 2, Seite 116.

 

Hälfte des Lebens

Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

Weh mir, wo nehm' ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.
StA, Band 2, Seite 117.

 

Patmos

  DEM LANDGRAFEN VON HOMBURG


  Nah ist 
Und schwer zu fassen der Gott.
Wo aber Gefahr ist, wächst
Das Rettende auch.
Im Finstern wohnen
Die Adler und furchtlos gehn
Die Söhne der Alpen über den Abgrund weg
Auf leichtgebaueten Brüken.
Drum, da gehäuft sind rings
Die Gipfel der Zeit, und die Liebsten
Nah wohnen, ermattend auf
Getrenntesten Bergen,
So gieb unschuldig Wasser,
O Fittige gieb uns, treuesten Sinns
Hinüberzugehn und wiederzukehren.


  So sprach ich, da entführte
Mich schneller, denn ich vermuthet
Und weit, wohin ich nimmer
Zu kommen gedacht, ein Genius mich
Vom eigenen Hauß'. Es dämmerten
Im Zwielicht, da ich gieng
Der schattige Wald
Und die sehnsüchtigen Bäche
Der Heimath; nimmer kannt' ich die Länder;
Doch bald, in frischem Glanze,
Geheimnißvoll
Im goldenen Rauche, blühte
Schnellaufgewachsen,
Mit Schritten der Sonne,
Mit tausend Gipfeln duftend,


  Mir Asia auf, und geblendet sucht'
Ich eines, das ich kennete, denn ungewohnt
War ich der breiten Gassen, wo herab
Vom Tmolus fährt
Der goldgeschmükte Pactol
Und Taurus stehet und Messogis,
Und voll von Blumen der Garten,
Ein stilles Feuer; aber im Lichte
Blüht hoch der silberne Schnee;
Und Zeug unsterblichen Lebens
An unzugangbaren Wänden
Uralt der Epheu wächst und getragen sind
Von lebenden Säulen, Cedern und Lorbeern
Die feierlichen,
Die göttlichgebauten Palläste.


  Es rauschen aber um Asias Thore
Hinziehend da und dort
In ungewisser Meeresebene
Der schattenlosen Straßen genug,
Doch kennt die Inseln der Schiffer.
Und da ich hörte
Der nahegelegenen eine
Sei Patmos,
Verlangte mich sehr,
Dort einzukehren und dort
Der dunkeln Grotte zu nahn.
Denn nicht, wie Cypros,
Die quellenreiche, oder
Der anderen eine
Wohnt herrlich Patmos,



 Gastfreundlich aber ist
Im ärmeren Hauße
Sie dennoch
Und wenn vom Schiffbruch oder klagend
Um die Heimath oder
Den abgeschiedenen Freund
Ihr nahet einer
Der Fremden, hört sie es gern, und ihre Kinder
Die Stimmen des heißen Hains,
Und wo der Sand fällt, und sich spaltet
Des Feldes Fläche, die Laute
Sie hören ihn und liebend tönt
Es wieder von den Klagen des Manns. So pflegte
Sie einst des gottgeliebten,
Des Sehers, der in seeliger Jugend war



 Gegangen mit
Dem Sohne des Höchsten, unzertrennlich, denn
Es liebte der Gewittertragende die Einfalt
Des Jüngers und es sahe der achtsame Mann
Das Angesicht des Gottes genau,
Da, beim Geheimnisse des Weinstoks, sie
Zusammensaßen, zu der Stunde des Gastmals,
Und in der großen Seele, ruhigahnend den Tod
Aussprach der Herr und die lezte Liebe, denn nie genug
Hatt' er von Güte zu sagen
Der Worte, damals, und zu erheitern, da
Ers sahe, das Zürnen der Welt.
Denn alles ist gut. Drauf starb er. Vieles wäre
Zu sagen davon. Und es sahn ihn, wie er siegend blikte
Den Freudigsten die Freunde noch zulezt,


 Doch trauerten sie, da nun
Es Abend worden, erstaunt,
Denn Großentschiedenes hatten in der Seele
Die Männer, aber sie liebten unter der Sonne
Das Leben und lassen wollten sie nicht
Vom Angesichte des Herrn
Und der Heimath. Eingetrieben war,
Wie Feuer im Eisen, das, und ihnen gieng
Zur Seite der Schatte des Lieben.
Drum sandt' er ihnen
Den Geist, und freilich bebte
Das Haus und die Wetter Gottes rollten
Ferndonnernd über
Die ahnenden Häupter, da, schwersinnend
Versammelt waren die Todeshelden,


 Izt, da er scheidend
Noch einmal ihnen erschien.
Denn izt erlosch der Sonne Tag
Der Königliche und zerbrach
Den geradestralenden,
Den Zepter, göttlichleidend, von selbst,
Denn wiederkommen sollt es
Zu rechter Zeit. Nicht wär es gut
Gewesen, später, und schroffabbrechend, untreu,
Der Menschen Werk, und Freude war es
Von nun an,
Zu wohnen in liebender Nacht, und bewahren
In einfältigen Augen, unverwandt
Abgründe der Weisheit. Und es grünen
Tief an den Bergen auch lebendige Bilder,


 Doch furchtbar ist, wie da und dort
Unendlich hin zerstreut das Lebende Gott.
Denn schon das Angesicht
Der theuern Freunde zu lassen
Und fernhin über die Berge zu gehn
Allein, wo zweifach
Erkannt, einstimmig
War himmlischer Geist; und nicht geweissagt war es, sondern
Die Loken ergriff es, gegenwärtig,
Wenn ihnen plözlich
Ferneilend zurük blikte
Der Gott und schwörend,
Damit er halte, wie an Seilen golden
Gebunden hinfort
Das Böse nennend, sie die Hände sich reichten -


  Wenn aber stirbt alsdenn
An dem am meisten
Die Schönheit hieng, daß an der Gestalt
Ein Wunder war und die Himmlischen gedeutet
Auf ihn, und wenn, ein Räthsel ewig füreinander
Sie sich nicht fassen können
Einander, die zusammenlebten
Im Gedächtniß, und nicht den Sand nur oder
Die Weiden es hinwegnimmt und die Tempel
Ergreifft, wenn die Ehre
Des Halbgotts und der Seinen
Verweht und selber sein Angesicht
Der Höchste wendet
Darob, daß nirgend ein
Unsterbliches mehr am Himmel zu sehn ist oder
Auf grüner Erde, was ist diß?


  Es ist der Wurf des Säemanns, wenn er faßt
Mit der Schaufel den Waizen,
Und wirft, dem Klaren zu, ihn schwingend über die Tenne.
Ihm fällt die Schaale vor den Füßen, aber
Ans Ende kommet das Korn,
Und nicht ein Übel ists, wenn einiges
Verloren gehet und von der Rede
Verhallet der lebendige Laut,
Denn göttliches Werk auch gleichet dem unsern,
Nicht alles will der Höchste zumal.
Zwar Eisen träget der Schacht,
Und glühende Harze der Aetna,
So hätt' ich Reichtum,
Ein Bild zu bilden, und ähnlich
Zu schaun, wie er gewesen, den Christ,


 Wenn aber einer spornte sich selbst,
Und traurig redend, unterweges, da ich wehrlos wäre
Mich überfiele, daß ich staunt' und von dem Gotte
Das Bild nachahmen möcht' ein Knecht -
Im Zorne sichtbar sah' ich einmal
Des Himmels Herrn, nicht, daß ich seyn sollt etwas, sondern
Zu lernen. Gütig sind sie, ihr Verhaßtestes aber ist,
So lange sie herrschen, das Falsche, und es gilt
Dann Menschliches unter Menschen nicht mehr.
Denn sie nicht walten, es waltet aber
Unsterblicher Schiksaal und es wandelt ihr Werk
Von selbst, und eilend geht es zu Ende.
Wenn nemlich höher gehet himmlischer
Triumphgang, wird genennet, der Sonne gleich
Von Starken der frohlokende Sohn des Höchsten,


 Ein Loosungszeichen, und hier ist der Stab
Des Gesanges, niederwinkend,
Denn nichts ist gemein. Die Todten weket
Er auf, die noch gefangen nicht
Vom Rohen sind. Es warten aber
Der scheuen Augen viele
Zu schauen das Licht. Nicht wollen
Am scharfen Strale sie blühn,
Wiewohl den Muth der goldene Zaum hält.
Wenn aber, als
Von schwellenden Augenbraunen
Der Welt vergessen
Stillleuchtende Kraft aus heiliger Schrift fällt, mögen
Der Gnade sich freuend, sie
Am stillen Blike sich üben.


  Und wenn die Himmlischen jezt
So, wie ich glaube, mich lieben
Wie viel mehr Dich,
Denn Eines weiß ich,
Daß nemlich der Wille
Des ewigen Vaters viel
Dir gilt. Still ist sein Zeichen
Am donnernden Himmel. Und Einer stehet darunter
Sein Leben lang. Denn noch lebt Christus.
Es sind aber die Helden, seine Söhne
Gekommen all und heilige Schriften
Von ihm und den Bliz erklären
Die Thaten der Erde bis izt,
Ein Wettlauf unaufhaltsam. Er ist aber dabei. Denn seine Werke sind
Ihm alle bewußt von jeher.


  Zu lang, zu lang schon ist
Die Ehre der Himmlischen unsichtbar.
Denn fast die Finger müssen sie
Uns führen und schmählich
Entreißt das Herz uns eine Gewalt.
Denn Opfer will der Himmlischen jedes,
Wenn aber eines versäumt ward,
Nie hat es Gutes gebracht.
Wir haben gedienet der Mutter Erd'
Und haben jüngst dem Sonnenlichte gedient,
Unwissend, der Vater aber liebt,
Der über allen waltet,
Am meisten, daß gepfleget werde
Der veste Buchstab, und bestehendes gut
Gedeutet. Dem folgt deutscher Gesang.
StA, Band 2, Seite 165.

 

Andenken

  Der Nordost wehet,
Der liebste unter den Winden
Mir, weil er feurigen Geist
Und gute Fahrt verheißet den Schiffern.
Geh aber nun und grüße
Die schöne Garonne,
Und die Gärten von Bourdeaux
Dort, wo am scharfen Ufer
Hingehet der Steg und in den Strom
Tief fällt der Bach, darüber aber
Hinschauet ein edel Paar
Von Eichen und Silberpappeln;

  Noch denket das mir wohl und wie
Die breiten Gipfel neiget
Der Ulmwald, über die Mühl',
Im Hofe aber wächset ein Feigenbaum.
An Feiertagen gehn
Die braunen Frauen daselbst
Auf seidnen Boden,
Zur Märzenzeit,
Wenn gleich ist Nacht und Tag,
Und über langsamen Stegen,
Von goldenen Träumen schwer,
Einwiegende Lüfte ziehen.

  Es reiche aber,
Des dunkeln Lichtes voll,
Mir einer den duftenden Becher,
Damit ich ruhen möge; denn süß
Wär' unter Schatten der Schlummer.
Nicht ist es gut,
Seellos von sterblichen
Gedanken zu seyn. Doch gut
Ist ein Gespräch und zu sagen
Des Herzens Meinung, zu hören viel
Von Tagen der Lieb',
Und Thaten, welche geschehen.

  Wo aber sind die Freunde? Bellarmin
Mit dem Gefährten? Mancher
Trägt Scheue, an die Quelle zu gehn;
Es beginnet nemlich der Reichtum
Im Meere. Sie,
Wie Mahler, bringen zusammen
Das Schöne der Erd' und verschmähn
Den geflügelten Krieg nicht, und
Zu wohnen einsam, jahrlang, unter
Dem entlaubten Mast, wo nicht die Nacht durchglänzen
Die Feiertage der Stadt,
Und Saitenspiel und eingeborener Tanz nicht.

  Nun aber sind zu Indiern
Die Männer gegangen,
Dort an der luftigen Spiz'
An Traubenbergen, wo herab
Die Dordogne kommt,
Und zusammen mit der prächt'gen
Garonne meerbreit
Ausgehet der Strom. Es nehmet aber
Und giebt Gedächtniß die See,
Und die Lieb' auch heftet fleißig die Augen,
Was bleibet aber, stiften die Dichter.
StA, Band 2, Seite 188.

 

Heimkunft

                       An die Verwandten 

Drin in den Alpen ists noch helle Nacht und die Wolke,
  Freudiges dichtend, sie deckt drinnen das gähnende Tal.
Dahin, dorthin toset und stürzt die scherzende Bergluft,
  Schroff durch Tannen herab glänzet und schwindet ein Strahl.
Langsam eilt und kämpft das freudigschauernde Chaos,
  Jung an Gestalt, doch stark, feiert es liebenden Streit
Unter den Felsen, es gärt und wankt in den ewigen Schranken,
  Denn bacchantischer zieht drinnen der Morgen herauf.
Denn es wächst unendlicher dort das Jahr und die heilgen
  Stunden, die Tage, sie sind kühner geordnet, gemischt.
Dennoch merket die Zeit der Gewittervogel und zwischen 
  Bergen, hoch in der Luft weilt er und rufet den Tag.
Jetzt auch wachet und schaut in der Tiefe drinnen das Dörflein
  Furchtlos, Hohem vertraut, unter den Gipfeln hinauf.
Wachstum ahnend, denn schon, wie Blitze, fallen die alten
  Wasserquellen, der Grunden unter den Stürzenden dampft,
Echo tönet unher, und die unermeßliche Werkstatt
  Reget bei Tag und Nacht, Gaben versendend, den Arm.

Ruhig glänzen indes die silbernen Höhen darüber,
  Voll mit Rosen ist schon droben der leuchtende Schnee.
Und noch höher hinauf wohnt über dem Lichte der reine
  Selige Gott vom Spiel heiliger Strahlen erfreut.
Stille wohnt er allein und hell escheinet sein Antlitz,
  Der ätherische scheint Leben zu geben geneigt,
Freude zu schaffen, mit uns, wie oft, wenn, kundig des Maßes,
  Kundig der Atmenden anch zögernd und schonend der Gott
Wohlgediegenes Glück den Städten und Häusern und milde
  Regen, zu öffnen das Land, brütende Wolken, und euch,
Trauteste Lüfte dann, euch, sanfte Frühlinge, sendet,
  Und mit langsamer Hand Traurige wieder erfreut,
Wenn er die Zeiten erneut, der Schöpferische, die stillen
  Herzen der alternden Menschen erfrischt und ergreift,
Und hinab in der Tiefe wirkt, und öffnet und aufhellt,
  Wie ers liebet, und jetzt wieder ein Leben beginnt,
Anmut blühet, wie einst, und gegenwärtiger Geist kömmt,
  Und ein freudiger Mut wieder die Fittige schwellt.

Vieles sprach ich zu ihm, denn, was auch Dichtende sinnen
  Oder singen, es gilt meistens den Engeln und ihm;
Vieles bat ich, zu lieb dem Vaterlande, damit nicht
  Ungebeten uns plötzlich befiele der Geist;
Vieles für euch auch, die im Vaterlande besorgt sind,
  Denen der heilige Dank lächelnd die Flüchtlinge bringt,
Landesleute! für euch, indessen wiegte der See mich,
  Und der Ruderer saß ruhig und lobte die Fahrt.
Weit in des Sees Ebene wars Ein freudiges Wallen
  Unter der Segeln und jetzt blühet und hellet die Stadt
Dort in der Frühe sich auf, wohl her von schattigen Alpen
  Kommt geleitet und ruht nun in dem Hafen das Schiff.
Warm is das Ufer hier und freundlich offene Tale,
  Schön von Pfaden erhellt, grünen und schimmern mich an.
Gärten stehen gesellt und die glänzende Knospe beginnt schon,
  Und des Vogels Gesang ladet den Wanderer ein.
Alles scheinet vertraut, der vorübereilende Gruß auch
  Scheint von Freunden, es scheint jegliche Miene verwandt.

Freilich wohl! das Geburtsland ists, der Boden der Heimat,
  Was du suchest, es ist nahe, begegnet dir schon.
Und umsonst nicht steht, wie ein Sohn, am wellenumrauschten
  Tor und siehet und sucht liebende Namen für dich,
Mit Gesang, ein wandernder Mann, glückseliges Lindau!
  Eine der gastlichen Pforten des Landes ist dies,
Reizend hinauszugehn in die vielversprechende Ferne,
  Dort, wo die Wunder sind, dort, wo das göttliche Wild
Hoch in die Ebnen herab der Rhein die verwegene Bahn bricht,
  Und aus Felsen hervor ziehet das jauchzende Tal,
Dort hinein, durchs helle Gebirg, nach Como zu wandern,
  Oder hinab, wie der Tag wandelt, den offenen See;
Aber reizender mir bist du, geweihete Pforte!
  Heimzugehn, wo bekannt blühende Wege mir sind,
Dort zu besuchen das Land und die schöne Tale des Neckars,
  Und die Wälder, das Grün heiliger Bäume, wo gern
Sich die Eiche gesellt mit stillen Birken und Buchen,
  Und in Bergen ein Ort freundlich gefangen mich nimmt.

Dort empfangen sie mich. O Stimme der Stadt, der Mutter!
  O du triffst, du regst Langegelerntes mir auf!
Dennoch sind sie es noch! noch blühet die Sonn und die Freud euch,
  O ihr Liebsten! und fast heller im Auge, wie sonst.
Ja! das Alte noch ists! Es gedeihet und reifer, doch keines,
  Was da lebet und liebt, lässet die Treue zurück.
Aber das Beste, der Fund, der unter des heiligen Friedens
  Bogen lieget, er ist Jungen und Alten gespart.
Törig red ich. Es ist die Freude. Doch morgen und künftig,
  Wenn wir gehen und schaun draußen das lebende Feld
Unter den Blüten des Baums, in den Feiertagen des Frühlings
  Red und hoff ich mit euch vieles, ihr Lieben! davon.
Vieles hab ich gehört wom großen Vater und habe
  Lange geschwiegen von ihm, welcher die wandernde Zeit
Droben in Höhen erfrischt, und waltet über Gebirgen,
  Der gewähret uns bald himmlische Gaben und ruft
Hellern Gesang und schickt viel gute Geister. O säumt nicht,
  Kommt, Erhaltenden ihr! Engel des Jahres! und ihr,

Engel des Hauses, kommt! in die Adern alle des Lebens,
  Alle freuend zugleich, teile das Himmlische sich!
Adle! verjünge! damit nichts Menschlichgutes, damit nicht
  Eine Stunde des Tags ohne die Frohen und auch
Solche Freude, wie jetzt, wenn Liebende wieder sich finden,
  Wie es gehört für sie, schicklich geheiliget sei.
Wenn wir segnen das Mahl, wen darf ich nennen, und wenn wir
  Ruhn vom Leben des Tags, saget, wie bring ich den Dank?
Nenn ich den Hohen dabei? Unschickliches liebet ein Gott nicht,
  Ihn zu fassen, ist fast unsere Freude zu klein.
Schweigen müssen wir oft; es fehlen heilige Namen,
  Herzen schlagen, doch bleibt die Rede zurück?
Aber ein Saitenspiel leiht jeder Stunde die Töne,
  Und erfreuet vielleicht Himmlische, welche sich nahn.
Das bereitet und so ist auch beinahe die Sorge
  Schon befriediget, die unter das Freudige kam.
Sorgen, wie diese, muß, gern oder nicht, in der Seele
  Tragen ein Sänger und oft, aber die anderen nicht.
Input: Alberto Pedrotti

 

Der Rhein

                       An Isaak von Sinclair 

  Im dunkeln Efeu saß ich, an der Pforte
Des Waldes, eben, da der goldene Mittag,
Den Quell besuchend, herunterkam
Von Treppen des Alpengebirgs,
Das mir die göttlichgebaute,
Die Burg der Himmlischen heißt
Nach alter Meinung, wo aber
Geheim noch manches entschieden
Zu Menschen gelanget; von da
Vernahm ich ohne Vermuten
Ein Schicksal, denn noch kaum
War mir im warmen Schatten
Sich manches beredend, die Seele
Italia zu geschweift
Und fernhin an die Küsten Moreas.

  Jetzt aber, drin im Gebirg,
Tief unter den silbernen Gipfeln
Und unter fröhlichem Grün,
Wo die Wälder schauernd zu ihm,
Und der Felsen Häupter übereinander
Hinabschaun, taglang, dort
Im kältesten Abgrund hört
Ich um Erlösung jammern
Den Jüngling, es hörten ihn, wie er tobt',
Und die Mutter Erd anklagt',
Und den Donnerer, der ihn gezeuget,
Erbarmend die Eltern, doch
Die Sterblichen flohn von dem Ort,
Denn furchtbar war, da lichtlos er
In den Fesseln sich wälzte,
Das Rasen des Halbgotts.

  Die Stimme war des edelsten der Ströme,
Des freigeborenen Rheins,
Und anderes hoffte der, als droben von den Brüdern,
Dem Tessin und der Rhodanus,
Er schied und wandern wollt, und ungeduldig ihn
Nach Asia trieb er die königliche Seele.
Doch unverständig ist
Das Wünschen vor dem Schicksal.
Die Blindesten aber
Sind Göttersöhne. Denn es kennet der Mensch
Sein Haus und dem Tier ward, wo
Es bauen solle, doch jenen ist
Der Fehl, daß sie nicht wissen wohin
In die unerfahrne Seele gegeben.

  Ein Rätsel ist Reinentsprungenes. Auch
Der Gesang kaum darf es enthüllen. Denn
Wie du anfingst, wirst du bleiben,
So viel auch wirket die Not,
Und die Zucht, das meiste nämlich
Vermag die Geburt,
Und der Lichtstrahl, der
Dem Neugebornen begegnet.
Wo aber ist einer,
Um frei zu bleiben
Sein Leben lang, und des Herzens Wunsch
Allein zu erfüllen, so
Aus günstigen Höhn, wie der Rhein,
Und so aus heiligem Schoße
Glücklich geboren, wie jener?

  Drum ist ein Jauchzen sein Wort.
Nicht liebt er, wie andere Kinder,
In Wickelbanden zu weinen;
Denn wo die Ufer zuerst
An die Seit ihm schleichen, die krummen,
Und durstig umwindend ihn,
Den Unbedachten, zu ziehn
Und wohl zu behüten begehren
Im eigenen Zahne, lachend
Zerreißt er die Schlangen und stürzt
Mit der Beut und wenn in der Eil
Ein Größerer ihn nicht zähmt,
Ihn wachsen läßt, wie der Blitz, muß er
Die Erde spalten, und wie Bezauberte fliehn
Die Wälder ihm nach und zusammensinkend die Berge.

  Ein Gott will aber sparen den Söhnen
Das eilende Leben und lächelt,
Wenn unenthaltsam, aber gehemmt
Von heiligen Alpen, ihm
In der Tiefe, wie jener, zürnen die Ströme.
In solcher Esse wird dann
Auch alles Lautre geschmiedet,
Und schön ists, wie er drauf,
Nachdem er die Berge verlassen,
Stillwandelnd sich im deutschen Lande
Begnüget und das Sehnen stillt
Im guten Geschäfte, wenn er das Land baut,
Der Vater Rhein, und liebe Kinder nährt
In Städten, die er gegründet.

  Doch nimmer, nimmer vergißt ers.
Denn eher muß die Wohnung vergehn,
Und die Satzung und zum Unbild werden
Der Tag der Menschen, ehe vergessen
Ein solcher dürfte den Ursprung
Und die reine Stimme der Jugend.
Wer war es, der zuerst
Die Liebesbande verderbt
Und Stricke von ihnen gemacht hat?
Dann haben des eigenen Rechts
Und gewiß des himmlischen Feuers
Gespottet die Trotzigen, dann erst
Die sterblichen Pfade verachtend
Verwegnes erwählt
Und den Göttern gleich zu werden getrachtet.

  Es haben aber an eigner
Unsterblichkeit die Götter genug, und bedürfen
Die Himmlischen eines Dings,
So sinds Heroen und Menschen
Und Sterbliche sonst. Denn weil
Die Seligsten nichts fühlen von selbst,
Muß wohl, wenn solches zu sagen
Erlaubt ist, in der Götter Namen
Telnehmend fühlen ein Andrer,
Den brauchen sie; jedoch ihr Gericht
Ist, daß sein eigenes Haus
Zerbreche der und das Liebste
Wie den Feind schelt und sich Vater und Kind
Begrabe unter den Trümmern,
Wenn einer, wie sie, sein will und nicht
Ungleiches dulden, der Schwärmer.

  Drum wohl ihm, welcher fand
Ein wohlbeschiedenes Schicksal,
Wo noch der Wanderungen
Und süß der Leiden Erinnerung
Aufrauscht am sichern Gestade,
Daß da und dorthin gern
Er sehn mag bis an die Grenzen,
Die bei der Geburt ihm Gott
Zum Aufenthalte gezeichnet.
Dann ruht er, seligbescheiden,
Denn alles, was er gewollt,
Das Himmlische, von selber umfängt
Es unbezwungen, lächelnd
Jetzt, da er ruhet, den Kühnen.

  Halbgötter denk ich jetzt
Und kennen muß ich die Teuern,
Weil oft ihr Leben so
Die sehnende Brust mir beweget.
Wem aber, wie, Rousseau, dir,
Unüberwindlich die Seele,
Die starkausdauernde, ward,
Und sicherer Sinn
Und süße Gabe zu hören,
Zu reden so, daß er aus heiliger Fülle
Wie der Weingott, törig göttlich
Und gesetzlos sie, die Sprache der Reinesten, gibt
Verständlich den Guten, aber mit Recht
Die Achtungslosen mit Blindheit schlägt,
Die entweihenden Knechte, wie nenn ich den Fremden?

  Die Söhne der Erde sind, wie die Mutter,
Alliebend, so empfangen sie auch
Mühlos, die Glücklichen, Alles.
Drum überraschet es auch
Und schröckt den sterblichen Mann,
Wenn er den Himmel, den
Er mit den liebenden Armen
Sich auf die Schultern gehäuft,
und die Last der Freude bedanket;
Dann scheint ihm oft das Beste,
Fast ganz vergessen da,
Wo der Strahl nicht brennt,
Im Schatten des Walds
Am Bielersee in frischer Grüne zu sein,
Und sorglosarm an Tönen,
Anfängern gleich, bei Nachtigallen zu lernen.

  Und herrlich ists, aus heiligem Schlafe dann
Erstehen und, aus Waldes Kühle
Erwachend, abends nun
Dem milderen Licht entgegenzugehn,
Wenn, der die Berge gebaut
Und den Pfad der Ströme gezeichnet,
Nachdem er lächelnd auch
Der Menschen geschäftiges Leben,
Das othemarme, wie Segel
Mit seinen Lüften gelenkt hat,
Auch ruht und zu der Schülerin jetzt,
Der Bildner, Gutes mehr
Denn Böses findend,
Zur heutigen Erde der Tag sich neiget. -  

  Dann feiern das Brautfest Menschen und Götter,
Es feiern die Lebenden all,
Und ausgeglichen
Ist eine Weile das Schicksal.
Und die Flüchtlinge suchen die Herberg,
Und süßen Schlummer die Tapfern,
Die Liebenden aber
Sind, was sie waren, sie sind
Zu Hause, wo die Blume sich freuet
Unschädlicher Glut und die finsteren Bäume
Der Geist umsäuselt, aber die Unversöhnten
Sind umgewandelt und eilen
Die Hände sich ehe zu reichen,
Bevor das freundliche Licht
Hinuntergeht und die Nacht kommt.

  Doch einigen eilt
Dies schnell vorüber, andere
Behalten es länger.
Die ewigen Götter sind
Voll Lebens allzeit; bis in den Tod
Kann aber ein Mensch auch
Im Gedächtnis doch das Beste behalten,
Und dann erlebt er das Höchste.
Nur hat ein jeder sein Maß.
Denn schwer ist zu tragen 
das Unglück, aber schwerer das Glück.
Ein Weiser aber vermocht es
Vom Mittag bis in die Mitternacht,
Und bis der Morgen erglänzte,
Beim Gastmahl helle zu bleiben.

  Dir mag auf heißen Pfade unter Tannen oder
Im dunkel des Eichwalds gehüllt
In Stahl, mein Sinclair! Gott erscheinen oder
In Wolken, du kennst ihn, da du kennst, jugendlich,
Des Guten Kraft, und nimmer ist dir
Verborgen das Lächeln des Herrschers
Bei Tage, wenn
Es fieberhaft und angekettet das
Lebendige scheinet oder auch
Bei Nacht, wenn alles gemischt
Ist ordnungslos und wiederkehrt
Uralte Verwirrung.
Input: Alberto Pedrotti

 

Heimat

Und niemand weiß


Indessen laß mich wandeln
Und wilde Beere pflücken,
Zu löschen die Liebe zu dir
An deinen Pfaden, o Erd

Hier wo ---

               und Rosendornen
Und süße Linden duften neben
Den Buchen, des Mittags, wenn im falben Kornfeld
Das Wachstum rauscht, an geraden Halm,
Und den Nacken die Ähre seitwärts beugt
Dem Herbste gleich, jetzt aber unter hohem
Gewölbe der Eichen, da ich sinn
Unf aufwärts frage, der Glockenschlag
Mir wohlbekannt
Fernher tönt, goldenklingend, um die Stunde, wenn
Der Vogel wieder wacht. So gehet es wohl.
Input: Alberto Pedrotti

 

Und wenig wissen...

Und wenig wissen, aber der Freude viel
  Ist Sterblichen gegeben,


Warum, o schöne Sonne, genügst du mir,
  du Blüte meiner Blüten! am Maitag nicht?
    Was weiß ich höhers denn?

O daß ich lieber wäre, wie Kinder sind!
  Daß ich, wie Nachtigallen, ein sorglos Lied
    Von meiner Wonne sänge!
Input: Alberto Pedrotti

 

Hyperion, oder der Eremit in Griechenland

Vorrede

Ich verspräche gerne diesem Buche die Liebe der Deutschen. Aber ich fürchte, die einen werden es lesen, wie ein Compendium, und um das fabula docet sich zu sehr bekümmern, indeß die andern gar zu leicht es nehmen, und beede Theile verstehen es nicht.
    Wer blos an meiner Pflanze riecht, der kennt sie nicht, und wer sie pflükt, blos, um daran zu lernen, kennt sie auch nicht.
    Die Auflösung der Dissonanzen in einem gewissen Karakter ist weder für das bloße Nachdenken, noch für die leere Lust.
    Der Schauplaz, wo sich das Folgende zutrug, ist nicht neu, und ich gestehe, daß ich einmal kindisch genug war, in dieser Rüksicht eine Veränderung mit dem Buche zu versuchen, aber ich überzeugte mich, daß er der einzig Angemessene für Hyperions elegischen Karakter wäre, und schämte mich,daß mich das wahrscheinliche Urtheil des Publikums so übertrieben geschmeidig gemacht.
    Ich bedaure, daß für jezt die Beurtheilung des Plans noch nicht jedem möglich ist. Aber der zweite Band soll so schnell, wie möglich, folgen.
StA, Band 3, Seite 5.

 

Hyperion an Bellarmin I

Der liebe Vaterlandsboden giebt mir wieder Freude und Laid.
    Ich bin jezt alle Morgen auf den Höhn des Korinthischen Isthmus, und, wie die Biene unter Blumen, fliegt meine Seele oft hin und her zwischen den Meeren, die zur Rechten und zur Linken meinen glühenden Bergen die Füße kühlen.
    Besonders der Eine der beeden Meerbusen hätte mich freuen sollen, wär' ich ein Jahrtausend früher hier gestanden.
    Wie ein siegender Halbgott, wallte da zwischen der herrlichen Wildniß des Helikon und Parnaß, wo das Morgenroth um hundert überschneite Gipfel spielt, und zwischen der paradiesischen Ebene von Sicyon der glänzende Meerbusen herein, gegen die Stadt der Freude, das jugendliche Korinth, und schüttete den erbeuteten Reichtum aller Zonen vor seiner Lieblingin aus.
    Aber was soll mir das? Das Geschrei des Jakals, der unter den Steinhaufen des Altertums sein wildes Grablied singt, schrökt ja aus meinen Träumen mich auf.
    Wohl dem Manne, dem ein blühend Vaterland das Herz erfreut und stärkt! Mir ist, als würd' ich in den Sumpf geworfen, als schlüge man den Sargdekel über mir zu, wenn einer an das meinige mich mahnt, und wenn mich einer einen Griechen nennt, so wird mir immer, als schnürt' er mit dem Halsband eines Hundes mir die Kehle zu.
    Und siehe, mein Bellarmin! wenn manchmal mir so ein Wort entfuhr, wohl auch im Zorne mir eine Thräne in's Auge trat, so kamen dann die weisen Herren, die unter euch Deutschen so gerne spuken, die Elenden, denen ein leidend Gemüth so gerade recht ist, ihre Sprüche anzubringen, die thaten dann sich gütlich, ließen sich beigehn, mir zu sagen: klage nicht, handle!
    O hätt' ich doch nie gehandelt! um wie manche Hoffnung wär' ich reicher! -
    Ja, vergiß nur, daß es Menschen giebt, darbendes, angefochtenes, tausendfach geärgertes Herz! und kehre wieder dahin, wo du ausgiengst, in die Arme der Natur, der wandellosen, stillen und schönen.
StA, Band 3, Seite 7-8.

 

Hyperion an Bellarmin II

Ich habe nichts, wovon ich sagen möchte, es sey mein eigen.
    Fern und todt sind meine Geliebten, und ich vernehme durch keine Stimme von ihnen nichts mehr.
    Mein Geschäft auf Erden ist aus. Ich bin voll Willens an die Arbeit gegangen, habe geblutet darüber, und die Welt um keinen Pfenning reicher gemacht.
    Ruhmlos und einsam kehr' ich zurük und wandre durch mein Vaterland, das, wie ein Todtengarten, weit umher liegt, und mich erwartet vieleicht das Messer des Jägers, der uns Griechen, wie das Wild des Waldes, sich zur Lust hält.
    Aber du scheinst noch, Sonne des Himmels! Du grünst noch, heilige Erde! Noch rauschen die Ströme in's Meer, und schattige Bäume säuseln im Mittag. Der Wonnegesang des Frühlings singt meine sterblichen Gedanken in Schlaf. Die Fülle der alllebendigen Welt ernährt und sättiget mit Trunkenheit mein darbend Wesen.
    O seelige Natur! Ich weiß nicht, wie mir geschiehet, wenn ich mein Auge erhebe vor deiner Schöne, aber alle Lust des Himmels ist in den Thränen, die ich weine vor dir, der Geliebte vor der Geliebten.
    Mein ganzes Wesen verstummt und lauscht, wenn die zarte Welle der Luft mir um die Brust spielt. Verloren in's weite Blau, blik' ich oft hinauf an den Aether und hinein in's heilige Meer, und mir ist, als öffnet' ein verwandter Geist mir die Arme, als löste der Schmerz der Einsamkeit sich auf in's Leben der Gottheit.
    Eines zu seyn mit Allem, das ist Leben der Gottheit, das ist der Himmel des Menschen.
    Eines zu seyn mit Allem, was lebt, in seeliger Selbstvergessenheit wiederzukehren in's All der Natur, das ist der Gipfel der Gedanken und Freuden, das ist die heilige Bergeshöhe, der Ort der ewigen Ruhe, wo der Mittag seine Schwüle und der Donner seine Stimme verliert und das kochende Meer der Wooge des Kornfelds gleicht.
    Eines zu seyn mit Allem, was lebt! Mit diesem Worte legt die Tugend den zürnenden Harnisch, der Geist des Menschen den Zepter weg, und alle Gedanken schwinden vor dem Bilde der ewigeinigen Welt, wie die Regeln des ringenden Künstlers vor seiner Urania, und das eherne Schiksaal entsagt der Herrschaft, und aus dem Bunde der Wesen schwindet der Tod, und Unzertrennlichkeit und ewige Jugend beseeliget, verschönert die Welt.
    Auf dieser Höhe steh' ich oft, mein Bellarmin! Aber ein Moment des Besinnens wirft mich herab. Ich denke nach und finde mich, wie ich zuvor war, allein, mit allen Schmerzen der Sterblichkeit, und meines Herzens Asyl, die ewigeinige Welt, ist hin; die Natur verschließt die Arme, und ich stehe, wie ein Fremdling, vor ihr, und verstehe sie nicht.
    Ach! wär' ich nie in eure Schulen gegangen. Die Wissenschaft, der ich in den Schacht hinunter folgte, von der ich, jugendlich thöricht, die Bestätigung meiner reinen Freude erwartete, die hat mir alles verdorben.
    Ich bin bei euch so recht vernünftig geworden, habe gründlich mich unterscheiden gelernt von dem, was mich umgiebt, bin nun vereinzelt in der schönen Welt, bin so ausgeworfen aus dem Garten der Natur, wo ich wuchs und blühte, und vertrokne an der Mittagssonne.
    O ein Gott ist der Mensch, wenn er träumt, ein Bettler, wenn er nachdenkt, und wenn die Begeisterung hin ist, steht er da, wie ein misrathener Sohn, den der Vater aus dem Hause stieß, und betrachtet die ärmlichen Pfennige, die ihm das Mitleid auf den Weg gab.
StA, Band 3, Seite 8-9.

 

Hyperion an Bellarmin III

Ich danke dir, daß du mich bittest, dir von mir zu erzählen, daß du die vorigen Zeiten mir in's Gedächtniß bringst.
    Das trieb mich auch nach Griechenland zurük, daß ich den Spielen meiner Jugend näher leben wollte.
    Wie der Arbeiter in den erquikenden Schlaf, sinkt oft mein angefochtenes Wesen in die Arme der unschuldigen Vergangenheit.
    Ruhe der Kindheit! himmlische Ruhe! wie oft steh' ich stille vor dir in liebender Betrachtung, und möchte dich denken! Aber wir haben ja nur Begriffe von dem, was einmal schlecht gewesen und wieder gut gemacht ist; von Kindheit, Unschuld haben wir keine Begriffe.
    Da ich noch ein stilles Kind war und von dem allem, was uns umgiebt, nichts wußte, war ich da nicht mehr, als jezt, nach all den Mühen des Herzens und all dem Sinnen und Ringen?
    Ja! ein göttlich Wesen ist das Kind, solang es nicht in die Chamäleonsfarbe der Menschen getaucht ist.
    Es ist ganz, was es ist, und darum ist es so schön.
    Der Zwang des Gesezes und des Schiksaals betastet es nicht; im Kind' ist Freiheit allein.
    In ihm ist Frieden; es ist noch mit sich selber nicht zerfallen. Reichtum ist in ihm; es kennt sein Herz, die Dürftigkeit des Lebens nicht. Es ist unsterblich, denn es weiß vom Tode nichts.
    Aber das können die Menschen nicht leiden. Das Göttliche muß werden, wie ihrer einer, muß erfahren, daß sie auch da sind, und eh' es die Natur aus seinem Paradiese treibt, so schmeicheln und schleppen die Menschen es heraus, auf das Feld des Fluchs, daß es, wie sie, im Schweiße des Angesichts sich abarbeite.
    Aber schön ist auch die Zeit des Erwachens, wenn man nur zur Unzeit uns nicht wekt.
    O es sind heilige Tage, wo unser Herz zum erstenmale die Schwingen übt, wo wir, voll schnellen feurigen Wachstums, dastehn in der herrlichen Welt, wie die junge Pflanze, wenn sie der Morgensonne sich aufschließt, und die kleinen Arme dem unendlichen Himmel entgegenstrekt.
    Wie es mich umhertrieb an den Bergen und am Meeresufer! ach wie ich oft da saß mit klopfendem Herzen, auf den Höhen von Tina, und den Falken und Kranichen nachsah, und den kühnen fröhlichen Schiffen, wenn sie hinunterschwanden am Horizont! Dort hinunter! dacht' ich, dort wanderst du auch einmal hinunter, und mir war, wie einem Schmachtenden, der in's kühlende Bad sich stürzt und die schäumenden Wasser über die Stirne sich schüttet.
    Seufzend kehrt' ich dann nach meinem Hause wieder um. Wenn nur die Schülerjahre erst vorüber wären, dacht' ich oft.
    Guter Junge! sie sind noch lange nicht vorüber.
    Daß der Mensch in seiner Jugend das Ziel so nahe glaubt! Es ist die schönste aller Täuschungen, womit die Natur der Schwachheit unsers Wesens aufhilft.
    Und wenn ich oft dalag unter den Blumen und am zärtlichen Frühlingslichte mich sonnte, und hinaufsah in's heitre Blau, das die warme Erde umfieng, wenn ich unter den Ulmen und Weiden, im Schoose des Berges saß, nach einem erquikenden Regen, wenn die Zweige noch bebten von den Berührungen des Himmels, und über dem tröpfelnden Walde sich goldne Wolken bewegten, oder wenn der Abendstern voll friedlichen Geistes heraufkam mit den alten Jünglingen, den übrigen Helden des Himmels, und ich so sah, wie das Leben in ihnen in ewiger müheloser Ordnung durch den Aether sich fortbewegte, und die Ruhe der Welt mich umgab und erfreute, daß ich aufmerkte und lauschte, ohne zu wissen, wie mir geschah – hast du mich lieb, guter Vater im Himmel! fragt' ich dann leise, und fühlte seine Antwort so sicher und seelig am Herzen.
    O du, zu dem ich rief, als wärst du über den Sternen, den ich Schöpfer des Himmels nannte und der Erde, freundlich Idol meiner Kindheit, du wirst nicht zürnen, daß ich deiner vergaß! - Warum ist die Welt nicht dürftig genug, um außer ihr noch Einen zu suchen?*)
    O wenn sie eines Vaters Tochter ist, die herrliche Natur, ist das Herz der Tochter nicht sein Herz? Ihr Innerstes, ist's nicht Er? Aber hab' ich's denn? kenn' ich es denn?
    Es ist, als säh' ich, aber dann erschreck' ich wieder, als wär' es meine eigne Gestalt, was ich gesehn, es ist, als fühlt' ich ihn, den Geist der Welt, wie eines Freundes warme Hand, aber ich erwache und meine, ich habe meine eignen Finger gehalten.
*) Es ist wohl nicht nöthig, zu erinnern, daß derlei Äußerungen als bloße Phänomene des menschlichen Gemüths von Rechts wegen niemand skandalisiren sollten.
StA, Band 3, Seite 10-12.

 

Hyperion an Bellarmin IV

Weist du, wie Plato und sein Stella sich liebten?
    So liebt' ich, so war ich geliebt. O ich war ein glüklicher Knabe!
    Es ist erfreulich, wenn gleiches sich zu gleichem gesellt, aber es ist göttlich, wenn ein großer Mensch die kleineren zu sich aufzieht.
    Ein freundlich Wort aus eines tapfern Mannes Herzen, ein Lächeln, worinn die verzehrende Herrlichkeit des Geistes sich verbirgt, ist wenig und viel, wie ein zauberisch Loosungswort, das Tod und Leben in seiner einfältigen Sylbe verbirgt, ist, wie ein geistig Wasser, das aus der Tiefe der Berge quillt, und die geheime Kraft der Erde uns mittheilt in seinem krystallenen Tropfen.
    Wie hass' ich dagegen alle die Barbaren, die sich einbilden, sie seyen weise, weil sie kein Herz mehr haben, alle die rohen Unholde, die tausendfältig die jugendliche Schönheit tödten und zerstören, mit ihrer kleinen unvernünftigen Mannszucht!
    Guter Gott! Da will die Eule die jungen Adler aus dem Neste jagen, will ihnen den Weg zur Sonne weisen!
    Verzeih mir, Geist meines Adamas! daß ich dieser gedenke vor dir. Das ist der Gewinn, den uns Erfahrung giebt, daß wir nichts trefliches uns denken, ohne sein ungestaltes Gegentheil.
    O daß nur du mir ewig gegenwärtig wärest, mit allem, was dir verwandt ist, traurender Halbgott, den ich meine! Wen du umgiebst, mit deiner Ruhe und Stärke, Sieger und Kämpfer, wem du begegnest mit deiner Liebe und Weisheit, der fliehe, oder werde, wie du! Unedles und Schwaches besteht nicht neben dir.
    Wie oft warst du mir nahe, da du längst mir ferne warst, verklärtest mich mit deinem Lichte, und wärmtest mich, daß mein erstarrtes Herz sich wieder bewegte, wie der verhärtete Quell, wenn der Stral des Himmels ihn berührt! Zu den Sternen hätt' ich dann fliehn mögen mit meiner Seeligkeit, damit sie mir nicht entwürdigt würde von dem, was mich umgab.
    Ich war aufgewachsen, wie eine Rebe ohne Stab, und die wilden Ranken breiteten richtungslos über dem Boden sich aus. Du weist ja, wie so manche edle Kraft bei uns zu Grunde geht, weil sie nicht genüzt wird. Ich schweiffte herum, wie ein Irrlicht, griff alles an, wurde von allem ergriffen, aber auch nur für den Moment, und die unbehülflichen Kräfte matteten vergebens sich ab. Ich fühlte, daß mir's überall fehlte, und konnte doch mein Ziel nicht finden. So fand er mich.
    Er hatt' an seinem Stoffe, der sogenannten kultivirten Welt, lange genug Geduld und Kunst geübt, aber sein Stoff war Stein und Holz gewesen und geblieben, nahm wohl zur Noth die edle Menschenform von außen an, aber um diß war's meinem Adamas nicht zu thun; er wollte Menschen, und, um diese zu schaffen, hatt' er seine Kunst zu arm gefunden. Sie waren einmal da gewesen, die er suchte, die zu schaffen, seine Kunst zu arm war, das erkannt' er deutlich. Wo sie da gewesen, wußt' er auch. Da wollt' er hin und unter dem Schutt nach ihrem Genius fragen, mit diesem sich die einsamen Tage zu verkürzen. Er kam nach Griechenland. So fand ich ihn.
    Noch seh' ich ihn vor mich treten in lächelnder Betrachtung, noch hör' ich seinen Gruß und seine Fragen.
    Wie eine Pflanze, wenn ihr Friede den strebenden Geist besänftigt, und die einfältige Genügsamkeit wiederkehrt in die Seele – so stand er vor mir.
    Und ich, war ich nicht der Nachhall seiner stillen Begeisterung? wiederholten sich nicht die Melodien seines Wesens in mir? Was ich sah, ward ich, und es war Göttliches, was ich sah.
    Wie unvermögend ist doch der gutwilligste Fleiß der Menschen gegen die Allmacht der ungetheilten Begeisterung.
    Sie weilt nicht auf der Oberfläche, faßt nicht da und dort uns an, braucht keiner Zeit und keines Mittels; Gebot und Zwang und Überredung braucht sie nicht; auf allen Seiten, in allen Tiefen und Höhen ergreift sie im Augenblik' uns, und wandelt, ehe sie da ist für uns, ehe wir fragen, wie uns geschiehet, durch und durch in ihre Schönheit, ihre Seeligkeit uns um.
    Wohl dem, wem auf diesem Wege ein edler Geist in früher Jugend begegnete!
    O es sind goldne unvergeßliche Tage, voll von den Freuden der Liebe und süßer Beschäftigung!
    Bald führte mein Adamas in die Heroënwelt des Plutarch, bald in das Zauberland der griechischen Götter mich ein, bald ordnet' und beruhigt' er mit Zahl und Maas das jugendliche Treiben, bald stieg er auf die Berge mit mir; des Tags, um die Blumen der Haide und des Walds und die wilden Moose des Felsen, des Nachts, um über uns die heiligen Sterne zu schauen, und nach menschlicher Weise zu verstehen.
    Es ist ein köstlich Wohlgefühl in uns, wenn so das Innere an seinem Stoffe sich stärkt, sich unterscheidet und getreuer anknüpft und unser Geist allmählig waffenfähig wird.
    Aber dreifach fühlt' ich ihn und mich, wenn wir, wie Manen aus vergangner Zeit, mit Stolz und Freude, mit Zürnen und Trauern an den Athos hinauf und von da hinüberschifften in den Hellespont und dann hinab an die Ufer von Rhodus und die Bergschlünde von Tänarum, durch die stillen Inseln alle, wenn da die Sehnsucht über die Küsten hinein uns trieb, in's düstre Herz des alten Peloponnes, an die einsamen Gestade des Eurotas, ach! die ausgestorbnen Thale von Elis und Nemea und Olympia, wenn wir da, an eine Tempelsäule des vergeßnen Jupiters gelehnt, umfangen von Lorbeerrosen und Immergrün, in's wilde Flußbett sahn, und das Leben des Frühlings und die ewig jugendliche Sonne uns mahnte, daß auch der Mensch einst da war, und nun dahin ist, daß des Menschen herrliche Natur jezt kaum noch da ist, wie das Bruchstük eines Tempels oder im Gedächtniß, wie ein Todtenbild – da saß ich traurig spielend neben ihm, und pflükte das Moos von eines Halbgotts Piedestal, grub eine marmorne Heldenschulter aus dem Schutt, und schnitt den Dornbusch und das Haidekraut von den halbbegrabnen Architraven, indeß mein Adamas die Landschaft zeichnete, wie sie freundlich tröstend den Ruin umgab, den Waizenhügel, die Oliven, die Ziegenheerde, die am Felsen des Gebirgs hieng, den Ulmenwald, der von den Gipfeln in das Thal sich stürzte; und die Lacerte spielte zu unsern Füßen, und die Fliegen umsummten uns in der Stille des Mittags – Lieber Bellarmin! ich hätte Lust, so pünktlich dir, wie Nestor, zu erzählen; ich ziehe durch die Vergangenheit, wie ein Ährenleser über die Stoppeläker, wenn der Herr des Lands geerndtet hat; da liest man jeden Strohhalm auf. Und wie ich neben ihm stand auf den Höhen von Delos, wie das ein Tag war, der mir graute, da ich mit ihm an der Granitwand des Cynthus die alten Marmortreppen hinaufstieg. Hier wohnte der Sonnengott einst, unter den himmlischen Festen, wo ihn, wie goldnes Gewölk, das versammelte Griechenland umglänzte. In Fluthen der Freude und Begeisterung warfen hier, wie Achill in den Styx, die griechischen Jünglinge sich, und giengen unüberwindlich, wie der Halbgott, hervor. In den Hainen, in den Tempeln erwachten und tönten in einander ihre Seelen, und treu bewahrte jeder die entzükenden Accorde.
    Aber was sprech' ich davon? Als hätten wir noch eine Ahnung jener Tage! Ach! es kann ja nicht einmal ein schöner Traum gedeihen unter dem Fluche, der über uns lastet. Wie ein heulender Nordwind, fährt die Gegenwart über die Blüthen unsers Geistes und versengt sie im Entstehen. Und doch war es ein goldner Tag, der auf dem Cynthus mich umfieng! Es dämmerte noch, da wir schon oben waren. Jezt kam er herauf in seiner ewigen Jugend, der alte Sonnengott, zufrieden und mühelos, wie immer, flog der unsterbliche Titan mit seinen tausend eignen Freuden herauf, und lächelt' herab auf sein verödet Land, auf seine Tempel, seine Säulen, die das Schiksaal vor ihn hingeworfen hatte, wie die dürren Rosenblätter, die im Vorübergehen ein Kind gedankenlos vom Strauche riß, und auf die Erde säete.
    Sei, wie dieser! rief mir Adamas zu, ergriff mich bei der Hand und hielt sie dem Gott entgegen, und mir war, als trügen uns die Morgenwinde mit sich fort, und brächten uns in's Geleite des heiligen Wesens, das nun hinaufstieg auf den Gipfel des Himmels, freundlich und groß, und wunderbar mit seiner Kraft und seinem Geist die Welt und uns erfüllte.
    Noch trauert und frohlockt mein Innerstes über jedes Wort, das mir damals Adamas sagte, und ich begreife meine Bedürftigkeit nicht, wenn oft mir wird, wie damals ihm seyn mußte. Was ist Verlust, wenn so der Mensch in seiner eignen Welt sich findet? In uns ist alles. Was kümmerts dann den Menschen, wenn ein Haar von seinem Haupte fällt? Was ringt er so nach Knechtschaft, da er ein Gott sein könnte! Du wirst einsam seyn, mein Liebling! sagte mir damals Adamas auch, du wirst seyn wie der Kranich, den seine Brüder zurükließen in rauher Jahrszeit, indeß sie den Frühling suchen im fernen Lande.
    Und das ist's, Lieber! Das macht uns arm bei allem Reichtum, daß wir nicht allein seyn können, daß die Liebe in uns, so lange wir leben, nicht erstirbt. Gieb mir meinen Adamas wieder, und komm mit allen, die mir angehören, daß die alte schöne Welt sich unter uns erneure, daß wir uns versammeln und vereinen in den Armen unserer Gottheit, der Natur, und siehe! so weiß ich nichts von Nothdurft.
    Aber sage nur niemand, daß uns das Schiksaal trenne! Wir sind's, wir! wir haben unsre Lust daran, uns in die Nacht des Unbekannten, in die kalte Fremde irgend einer andern Welt zu stürzen, und, wär' es möglich, wir verließen der Sonne Gebiet und stürmten über des Irrsterns Gränzen hinaus. Ach! für des Menschen wilde Brust ist keine Heimath möglich; und wie der Sonne Stral die Pflanzen der Erde, die er entfaltete, wieder versengt, so tödtet der Mensch die süßen Blumen, die an seiner Brust gedeihten, die Freuden der Verwandtschaft und der Liebe.
    Es ist, als zürnt ich meinem Adamas, daß er mich verließ, aber ich zürn' ihm nicht. O er wollte ja wieder kommen!
    In der Tiefe von Asien soll ein Volk von seltner Treflichkeit verborgen seyn; dahin trieb ihn seine Hoffnung weiter.
    Bis Nio begleitet' ich ihn. Es waren bittere Tage. Ich habe den Schmerz ertragen gelernt, aber für solch' ein Scheiden hab' ich keine Kraft in mir.
    Mit jedem Augenblike, der uns der lezten Stunde näher brachte, wurd' es sichtbarer, wie dieser Mensch verwebt war in mein Wesen. Wie ein Sterbender den fliehenden Othem, hielt ihn meine Seele.
    Am Grabe Homers brachten wir noch einige Tage zu, und Nio wurde mir die heiligste unter den Inseln.
    Endlich rissen wir uns los. Mein Herz hatte sich müde gerungen. Ich war ruhiger im lezten Augenblike. Auf den Knieen lag ich vor ihm, umschloß ihn zum leztenmale mit diesen Armen; gieb mir einen Seegen, mein Vater! rief ich leise zu ihm hinauf, und er lächelte groß, und seine Stirne breitete vor den Sternen des Morgens sich aus und sein Auge durchdrang die Räume des Himmels – Bewahrt ihn mir, rief er, ihr Geister besserer Zeit! und zieht zu eurer Unsterblichkeit ihn auf, und all' ihr freundlichen Kräfte des Himmels und der Erde, seyd mit ihm!
    Es ist ein Gott in uns, sezt' er ruhiger hinzu, der lenkt, wie Wasserbäche, das Schiksaal, und alle Dinge sind sein Element. Der sey vor allem mit dir! So schieden wir. Leb wohl, mein Bellarmin!
StA, Band 3, Seite 12-17.

 

Hyperion an Bellarmin V

Wohin könnt' ich mir entfliehen, hätt' ich nicht die lieben Tage meiner Jugend?
    Wie ein Geist, der keine Ruhe am Acheron findet, kehr' ich zurük in die verlaßnen Gegenden meines Lebens. Alles altert und verjüngt sich wieder. Warum sind wir ausgenommen vom schönen Kreislauf der Natur? Oder gilt er auch für uns?
    Ich wollt' es glauben, wenn Eines nicht in uns wäre, das ungeheure Streben, Alles zu seyn, das, wie der Titan des Aetna, heraufzürnt aus den Tiefen unsers Wesens.
    Und doch, wer wollt' es nicht lieber in sich fühlen, wie ein siedend Öl, als sich gestehn, er sey für die Geißel und für's Joch geboren? Ein tobend Schlachtroß oder eine Mähre, die das Ohr hängt, was ist edler?
    Lieber! es war eine Zeit, da auch meine Brust an großen Hoffnungen sich sonnte, da auch mir die Freude der Unsterblichkeit in allen Pulsen schlug, da ich wandelt' unter herrlichen Entwürfen, wie in weiter Wäldernacht, da ich glüklich, wie die Fische des Oceans, in meiner uferlosen Zukunft weiter, ewig weiter drang.
    Wie muthig, seelige Natur! entsprang der Jüngling deiner Wiege! wie freut' er sich in seiner unversuchten Rüstung! Sein Bogen war gespannt und seine Pfeile rauschten im Köcher, und die Unsterblichen, die hohen Geister des Altertums führten ihn an, und sein Adamas war mitten unter ihnen.
    Wo ich gieng und stand, geleiteten mich die herrlichen Gestalten; wie Flammen, verloren sich in meinem Sinne die Thaten aller Zeiten in einander, und wie in Ein frolokend Gewitter die Riesenbilder, die Wolken des Himmels sich vereinen, so vereinten sich, so wurden Ein unendlicher Sieg in mir die hundertfältigen Siege der Olympiaden.
    Wer hält das aus, wen reißt die schrökende Herrlichkeit des Altertums nicht um, wie ein Orkan die jungen Wälder umreißt, wenn sie ihn ergreift, wie mich, und wenn, wie mir, das Element ihm fehlt, worinn er sich ein stärkend Selbstgefühl erbeuten könnte?
    O mir, mir beugte die Größe der Alten, wie ein Sturm, das Haupt, mir raffte sie die Blüthe vom Gesichte, und oftmals lag ich, wo kein Auge mich bemerkte, unter tausend Thränen da, wie eine gestürzte Tanne, die am Bache liegt und ihre welke Krone in die Fluth verbirgt. Wie gerne hätt' ich einen Augenblik aus eines großen Mannes Leben mit Blut erkauft!
    Aber was half mir das? Es wollte ja mich niemand.
    O es ist jämmerlich, so sich vernichtet zu sehn; und wem diß unverständlich ist, der frage nicht danach, und danke der Natur, die ihn zur Freude, wie die Schmetterlinge, schuff, und geh', und sprech' in seinem Leben nimmermehr von Schmerz und Unglük.
    Ich liebte meine Heroën, wie eine Fliege das Licht; ich suchte ihre gefährliche Nähe und floh und suchte sie wieder.
    Wie ein blutender Hirsch in den Strom, stürzt' ich oft mitten hinein in den Wirbel der Freude, die brennende Brust zu kühlen und die tobenden herrlichen Träume von Ruhm und Größe wegzubaden, aber was half das?
    Und wenn mich oft um Mitternacht das heiße Herz in den Garten hinuntertrieb unter die thauigen Bäume, und der Wiegengesang des Quells und die liebliche Luft und das Mondlicht meinen Sinn besänftigte, und so frei und friedlich über mir die silbernen Gewölke sich regten, und aus der Ferne mir die verhallende Stimme der Meeresfluth tönte, wie freundlich spielten da mit meinem Herzen all' die großen Phantome seiner Liebe!
    Lebt wohl, ihr Himmlischen! sprach ich oft im Geiste, wenn über mir die Melodie des Morgenlichts mit leisem Laute begann, ihr herrlichen Todten lebt wohl! ich möcht' euch folgen, möchte von mir schütteln, was mein Jahrhundert mir gab, und aufbrechen in's freiere Schattenreich!
    Aber ich schmachte an der Kette und hasche mit bitterer Freude die kümmerliche Schaale, die meinem Durste gereicht wird.
StA, Band 3, Seite 17-19.

 

Hyperion an Bellarmin VI

Meine Insel war mir zu enge geworden, seit Adamas fort war. Ich hatte Jahre schon in Tina Langeweile. Ich wollt' in die Welt.
    Geh vorerst nach Smyrna, sagte mein Vater, lerne da die Künste der See und des Kriegs, lerne die Sprache gebildeter Völker und ihre Verfassungen und Meinungen und Sitten und Gebräuche, prüfe alles und wähle das Beste! – Dann kann es meinetwegen weiter gehn.
    Lern' auch ein wenig Gedult! sezte die Mutter hinzu, und ich nahm's mit Dank an.
    Es ist entzükend, den ersten Schritt aus der Schranke der Jugend zu thun, es ist, als dächt' ich meines Geburtstags, wenn ich meiner Abreise von Tina gedenke. Es war eine neue Sonne über mir, und Land und See und Luft genoß ich wie zum erstenmale.
    Die lebendige Thätigkeit, womit ich nun in Smyrna meine Bildung besorgte, und der eilende Fortschritt besänftigte mein Herz nicht wenig. Auch manches seeligen Feierabends erinnere ich mich aus dieser Zeit. Wie oft gieng ich unter den immer grünen Bäumen am Gestade des Meles, an der Geburtsstätte meines Homer, und sammelt' Opferblumen und warf sie in den heiligen Strom! Zur nahen Grotte trat ich dann in meinen friedlichen Träumen, da hätte der Alte, sagen sie, seine Iliade gesungen. Ich fand ihn. Jeder Laut in mir verstummte vor seiner Gegenwart. Ich schlug sein göttlich Gedicht mir auf und es war, als hätt' ich es nie gekannt, so ganz anders wurd' es jezt lebendig in mir.
    Auch denk' ich gerne meiner Wanderung durch die Gegenden von Smyrna. Es ist ein herrlich Land, und ich habe tausendmal mir Flügel gewünscht, um des Jahres Einmal nach Kleinasien zu fliegen.
    Aus der Ebne von Sardes kam ich durch die Felsenwände des Tmolus herauf.
    Ich hatt' am Fuße des Bergs übernachtet in einer freundlichen Hütte, unter Myrthen, unter den Düften des Ladanstrauchs, wo in der goldnen Fluth des Pactolus die Schwäne mir zur Seite spielten, wo ein alter Tempel der Cybele aus den Ulmen hervor, wie ein schüchterner Geist, in's helle Mondlicht blikte. Fünf liebliche Säulen trauerten über dem Schutt, und ein königlich Portal lag niedergestürzt zu ihren Füßen.
    Durch tausend blühende Gebüsche wuchs mein Pfad nun aufwärts. Vom schroffen Abhang neigten lispelnde Bäume sich, und übergossen mit ihren zarten Floken mein Haupt. Ich war des Morgens ausgegangen. Um Mittag war ich auf der Höhe des Gebirgs. Ich stand, sah fröhlich vor mich hin, genoß der reineren Lüfte des Himmels. Es waren seelige Stunden.
    Wie ein Meer, lag das Land, wovon ich heraufkam, vor mir da, jugendlich, voll lebendiger Freude; es war ein himmlisch unendlich Farbenspiel, womit der Frühling mein Herz begrüßte, und wie die Sonne des Himmels sich wiederfand im tausendfachen Wechsel des Lichts, das ihr die Erde zurükgab, so erkannte mein Geist sich in der Fülle des Lebens, die ihn umfieng, von allen Seiten ihn überfiel.
    Zur Linken stürzt' und jauchzte, wie ein Riese, der Strom in die Wälder hinab, vom Marmorfelsen, der über mir hieng, wo der Adler spielte mit seinen Jungen, wo die Schneegipfel hinauf in den blauen Aether glänzten; rechts wälzten Wetterwolken sich her über den Wäldern des Sipylus; ich fühlte nicht den Sturm, der sie trug, ich fühlte nur ein Lüftchen in den Loken, aber ihren Donner hört' ich, wie man die Stimme der Zukunft hört, und ihre Flammen sah ich, wie das ferne Licht der geahneten Gottheit. Ich wandte mich südwärts und gieng weiter. Da lag es offen vor mir, das ganze paradiesische Land, das der Cayster durchströmt, durch so manchen reizenden Umweg, als könnt' er nicht lange genug verweilen in all' dem Reichtum und der Lieblichkeit, die ihn umgiebt. Wie die Zephyre, irrte mein Geist von Schönheit zu Schönheit seelig umher, vom fremden friedlichen Dörfchen, das tief unten am Berge lag, bis hinein, wo die Gebirgkette des Messogis dämmert.
    Ich kam nach Smyrna zurük, wie ein Trunkener vom Gastmahl. Mein Herz war des Wohlgefälligen zu voll, um nicht von seinem Überflusse der Sterblichkeit zu leihen. Ich hatte zu glüklich in mich die Schönheit der Natur erbeutet, um nicht die Lüken des Menschenlebens damit auszufüllen. Mein dürftig Smyrna kleidete sich in die Farben meiner Begeisterung, und stand, wie eine Braut, da. Die geselligen Städter zogen mich an. Der Widersinn in ihren Sitten vergnügte mich, wie eine Kinderposse, und weil ich von Natur hinaus war über all' die eingeführten Formen und Bräuche, spielt' ich mit allen, und legte sie an und zog sie aus, wie Fastnachtskleider.
    Was aber eigentlich mir die schaale Kost des gewöhnlichen Umgangs würzte, das waren die guten Gesichter und Gestalten, die noch hie und da die mitleidige Natur, wie Sterne, in unsere Verfinsterung sendet.
    Wie hatt' ich meine herzliche Freude daran! wie glaubig deutet' ich diese freundlichen Hieroglyphen! Aber es gieng mir fast damit, wie ehemals mit den Birken im Frühlinge. Ich hatte von dem Safte dieser Bäume gehört, und dachte Wunder, was ein köstlich Getränk die lieblichen Stämme geben müßten. Aber es war nicht Kraft und Geist genug darinnen.
    Ach! und wie heillos war das übrige alles, was ich hört' und sah.
    Es war mir wirklich hie und da, als hätte sich die Menschennatur in die Mannigfaltigkeiten des Thierreichs aufgelöst, wenn ich umher gieng unter diesen Gebildeten. Wie überall, so waren auch hier die Männer besonders verwahrlost und verwest.
    Gewisse Thiere heulen, wenn sie Musik anhören. Meine bessergezognen Leute hingegen lachten, wenn von Geistesschönheit die Rede war und von Jugend des Herzens. Die Wölfe gehen davon, wenn einer Feuer schlägt. Sahn jene Menschen einen Funken Vernunft, so kehrten sie, wie Diebe, den Rüken.
    Sprach ich einmal auch vom alten Griechenland ein warmes Wort, so gähnten sie, und meinten, man hätte doch auch zu leben in der jezigen Zeit; und es wäre der gute Geschmak noch immer nicht verloren gegangen, fiel ein anderer bedeutend ein.
    Diß zeigte sich dann auch. Der eine wizelte, wie ein Bootsknecht, der andere blies die Baken auf und predigte Sentenzen.
    Es gebärdet' auch wohl einer sich aufgeklärt, machte dem Himmel ein Schnippchen und rief: um die Vögel auf dem Dache hab' er nie sich bekümmert, die Vögel in der Hand, die seyen ihm lieber! Doch wenn man ihm vom Tode sprach, so legt' er straks die Hände zusammen, und kam so nach und nach im Gespräche darauf, wie es gefährlich sey, daß unsere Priester nichts mehr gelten.
    Die Einzigen, deren zuweilen ich mich bediente, waren die Erzähler, die lebendigen Nahmenregister von fremden Städten und Ländern, die redenden Bilderkasten, wo man Potentaten auf Rossen und Kirchthürme und Märkte seh'n kann.
    Ich war es endlich müde, mich wegzuwerfen, Trauben zu suchen in der Wüste und Blumen über dem Eisfeld.
    Ich lebte nun entschiedner allein, und der sanfte Geist meiner Jugend war fast ganz aus meiner Seele verschwunden. Die Unheilbarkeit des Jahrhunderts war mir aus so manchem, was ich erzähle und nicht erzähle, sichtbar geworden, und der schöne Trost, in Einer Seele meine Welt zu finden, mein Geschlecht in einem freundlichen Bilde zu umarmen, auch der gebrach mir.
    Lieber! was wäre das Leben ohne Hoffnung? Ein Funke, der aus der Kohle springt und verlischt, und wie man bei trüber Jahrszeit einen Windstoß hört, der einen Augenblik saust und dann verhallt, so wär es mit uns?
    Auch die Schwalbe sucht ein freundlicher Land im Winter, es läuft das Wild umher in der Hizze des Tags und seine Augen suchen den Quell. Wer sagt dem Kinde, daß die Mutter ihre Brust ihm nicht versage? Und siehe! es sucht sie doch.
    Es lebte nichts, wenn es nicht hoffte. Mein Herz verschloß jezt seine Schäze, aber nur, um sie für eine bessere Zeit zu sparen, für das Einzige, Heilige, Treue, das gewiß, in irgend einer Periode des Daseyns, meiner dürstenden Seele begegnen sollte.
    Wie seelig hieng ich oft an ihm, wenn es, in Stunden des Ahnens, leise, wie das Mondlicht, um die besänftigte Stirne mir spielte? Schon damals kannt' ich dich, schon damals bliktest du, wie ein Genius, aus Wolken mich an, du, die mir einst, im Frieden der Schönheit, aus der trüben Wooge der Welt stieg! Da kämpfte, da glüht' es nimmer, diß Herz.
    Wie in schweigender Luft sich eine Lilie wiegt, so regte sich in seinem Elemente, in den entzükenden Träumen von ihr, mein Wesen.
StA, Band 3, Seite 19-23.

 

Hyperion an Bellarmin VII

Smyrna war mir nun verlaidet. überhaupt war mein Herz allmählich müder geworden. Zuweilen konnte wohl der Wunsch in mir auffahren, um die Welt zu wandern oder in den ersten besten Krieg zu gehn, oder meinen Adamas aufzusuchen und in seinem Feuer meinen Mismuth auszubrennen, aber dabei blieb es, und mein unbedeutend welkes Leben wollte nimmer sich erfrischen.
    Der Sommer war nun bald zu Ende; ich fühlte schon die düstern Regentage und das Pfeifen der Winde und Tosen der Wetterbäche zum voraus, und die Natur, die, wie ein schäumender Springquell, emporgedrungen war in allen Pflanzen und Bäumen, stand jezt schon da vor meinem verdüsterten Sinne, schwindend und verschlossen und in sich gekehrt, wie ich selber.
    Ich wollte noch mit mir nehmen, was ich konnte, von all' dem fliehenden Leben, alles, was ich draußen liebgewonnen hatte, wollt' ich noch hereinretten in mich, denn ich wußte wohl, daß mich das wiederkehrende Jahr nicht wieder finden würde unter diesen Bäumen und Bergen, und so gieng und ritt ich jezt mehr, als gewöhnlich, herum im ganzen Bezirke.
    Was aber mich besonders hinaustrieb, war das geheime Verlangen, einen Menschen zu sehn, der seit einiger Zeit vor dem Thore unter den Bäumen, wo ich vorbei kam, mir alle Tage begegnet war.
    Wie ein junger Titan, schritt der herrliche Fremdling unter dem Zwergengeschlechte daher, das mit freudiger Scheue an seiner Schöne sich waidete, seine Höhe maß und seine Stärke, und an dem glühenden verbrannten Römerkopfe, wie an verbotner Frucht mit verstohlnem Blike sich labte, und es war jedesmal ein herrlicher Moment, wann das Auge dieses Menschen, für dessen Blik der freie Aether zu enge schien, so mit abgelegtem Stolze sucht' und strebte, bis es sich in meinem Auge fühlte und wir erröthend uns einander nachsahn und vorüber giengen.
    Einst war ich tief in die Wälder des Mimas hineingeritten und kehrt' erst spät Abends zurük. Ich war abgestiegen, und führte mein Pferd einen steilen wüsten Pfad über Baumwurzeln und Steine hinunter, und, wie ich so durch die Sträuche mich wand, in die Höhle hinunter, die nun vor mir sich öffnete, fielen plözlich ein paar Karabornische Räuber über mich her, und ich hatte Mühe, für den ersten Moment die zwei gezükten Säbel abzuhalten; aber sie waren schon von anderer Arbeit müde, und so half ich doch mir durch. Ich sezte mich ruhig wieder aufs Pferd und ritt hinab.
    Am Fuße des Berges that mitten unter den Wäldern und aufgehäuften Felsen sich eine kleine Wiese vor mir auf. Es wurde hell. Der Mond war eben aufgegangen über den finstern Bäumen. In einiger Entfernung sah ich Rosse auf dem Boden ausgestrekt und Männer neben ihnen im Grase.
    Wer seyd ihr? rief ich.
    Das ist Hyperion! rief eine Heldenstimme, freudig überrascht. Du kennst mich, fuhr die Stimme fort; ich begegne dir alle Tage unter den Bäumen am Thore.
    Mein Roß flog, wie ein Pfeil, ihm zu. Das Mondlicht schien ihm hell in's Gesicht. Ich kannt' ihn; ich sprang herab.
    Guten Abend! rief der liebe Rüstige, sah mit zärtlich wildem Blike mich an und drükte mit seiner nervigen Faust die meine, daß mein Innerstes den Sinn davon empfand.
    O nun war mein unbedeutend Leben am Ende!
    Alabanda, so hieß der Fremde, sagte mir nun, daß er mit seinem Diener von Räubern wäre überfallen worden, daß die beiden, auf die ich stieß, wären fortgeschikt worden von ihm, daß er den Weg aus dem Walde verloren gehabt und darum wäre genöthigt gewesen, auf der Stelle zu bleiben, bis ich gekommen. Ich habe einen Freund dabei verloren, sezt' er hinzu, und wies sein todtes Roß mir.
    Ich gab das meine seinem Diener, und wir giengen zu Fuße weiter.
    Es geschah uns recht, begann ich, indeß wir Arm in Arm zusammen aus dem Walde giengen; warum zögerten wir auch so lange und giengen uns vorüber, bis der Unfall uns zusammenbrachte.
    Ich muß denn doch dir sagen, erwiedert' Alabanda, daß du der Schuldigere, der Kältere bist. Ich bin dir heute nachgeritten.
    Herrlicher! rief ich, siehe nur zu! an Liebe sollst du doch mich nimmer übertreffen.
    Wir wurden immer inniger und freudiger zusammen.
    Wir kamen nahe bei der Stadt an einem wohlgebauten Khan vorbei, das unter plätschernden Brunnen ruhte und unter Fruchtbäumen und duftenden Wiesen.
    Wir beschlossen, da zu übernachten. Wir saßen noch lange zusammen bei offnen Fenstern. Hohe geistige Stille umfieng uns. Erd' und Meer war seelig verstummt, wie die Sterne, die über uns hiengen. Kaum, daß ein Lüftchen von der See her uns in's Zimmer flog und zart mit unserm Lichte spielte, oder daß von ferner Musik die gewaltigern Töne zu uns drangen, indeß die Donnerwolke sich wiegt' im Bette des Aethers, und hin und wieder durch die Stille fernher tönte, wie ein schlafender Riese, wenn er stärker athmet in seinen furchtbaren Träumen.
    Unsre Seelen mußten um so stärker sich nähern, weil sie wider Willen waren verschlossen gewesen. Wir begegneten einander, wie zwei Bäche, die vom Berge rollen, und die Last von Erde und Stein und faulem Holz und das ganze träge Chaos, das sie aufhält, von sich schleudern, um den Weg sich zu einander zu bahnen, und durchzubrechen bis dahin, wo sie nun ergreiffend und ergriffen mit gleicher Kraft, vereint in Einen majestätischen Strom, die Wanderung in's weite Meer beginnen.
    Er, vom Schiksaal und der Barbarei der Menschen heraus, vom eignen Hause unter Fremden hin und her gejagt, von früher Jugend an erbittert und verwildert, und doch auch das innere Herz voll Liebe, voll Verlangens, aus der rauhen Hülse durchzudringen in ein freundlich Element; ich, von allem schon so innigst abgeschieden, so mit ganzer Seele fremd und einsam unter den Menschen, so lächerlich begleitet von dem Schellenklange der Welt in meines Herzens liebsten Melodien; ich, die Antipathie aller Blinden und Lahmen, und doch mir selbst zu blind und lahm, doch mir selbst so herzlich überlästig in allem, was von ferne verwandt war mit den Klugen und Vernünftlern, den Barbaren und den Wizlingen - und so voll Hoffnung, so voll einziger Erwartung eines schönern Lebens –
    Mußten so in freudig stürmischer Eile nicht die beiden Jünglinge sich umfassen?
    O du, mein Freund und Kampfgenosse, mein Alabanda, wo bist du? Ich glaube fast, du bist in's unbekannte Land hinübergegangen, zur Ruhe, bist wieder geworden, wie einst, da wir noch Kinder waren.
    Zuweilen, wenn ein Gewitter über mir hinzieht, und seine göttlichen Kräfte unter die Wälder austheilt und die Saaten, oder wenn die Woogen der Meersfluth unter sich spielen, oder ein Chor von Adlern um die Berggipfel, wo ich wandre, sich schwingt, kann mein Herz sich regen, als wäre mein Alabanda nicht fern; aber sichtbarer, gegenwärtiger, unverkennbarer lebt er in mir, ganz, wie er einst dastand, ein feurig strenger furchtbarer Kläger, wenn er die Sünden des Jahrhunderts nannte. Wie erwachte da in seinen Tiefen mein Geist, wie rollten mir die Donnerworte der unerbittlichen Gerechtigkeit über die Zunge! Wie Boten der Nemesis, durchwanderten unsre Gedanken die Erde, und reinigten sie, bis keine Spur von allem Fluche da war.
    Auch die Vergangenheit riefen wir vor unsern Richterstuhl, das stolze Rom erschrökte uns nicht mit seiner Herrlichkeit, Athen bestach uns nicht mit seiner jugendlichen Blüthe.
    Wie Stürme, wenn sie frohlokend, unaufhörlich fort durch Wälder über Berge fahren, so drangen unsre Seelen in kolossalischen Entwürfen hinaus; nicht, als hätten wir, unmännlich, unsre Welt, wie durch ein Zauberwort, geschaffen, und kindisch unerfahren keinen Widerstand berechnet, dazu war Alabanda zu verständig und zu tapfer. Aber oft ist auch die mühelose Begeisterung kriegerisch und klug.
    Ein Tag ist mir besonders gegenwärtig.
    Wir waren zusammen auf's Feld gegangen, saßen vertraulich umschlungen im Dunkel des immergrünen Lorbeers, und sahn zusammen in unsern Plato, wo er so wunderbar erhaben vom Altern und Verjüngen spricht, und ruhten hin und wieder aus auf der stummen entblätterten Landschaft, wo der Himmel schöner, als je, mit Wolken und Sonnenschein um die herbstlich schlafenden Bäume spielte.
    Wir sprachen darauf manches vom jezigen Griechenland, beede mit blutendem Herzen, denn der entwürdigte Boden war auch Alabanda's Vaterland.
    Alabanda war wirklich ungewöhnlich bewegt.
    Wenn ich ein Kind ansehe, rief dieser Mensch, und denke, wie schmählich und verderbend das Joch ist, das es tragen wird, und daß es darben wird, wie wir, daß es Menschen suchen wird, wie wir, fragen wird, wie wir, nach Schönem und Wahrem, daß es unfruchtbar vergehen wird, weil es allein seyn wird, wie wir, daß es - o nehmt doch eure Söhne aus der Wiege, und werft sie in den Strom, um wenigstens vor eurer Schande sie zu retten!
    Gewiß, Alabanda! sagt' ich, gewiß es wird anders.
    Wodurch? erwidert' er; die Helden haben ihren Ruhm, die Weisen ihre Lehrlinge verloren. Große Thaten, wenn sie nicht ein edel Volk vernimmt, sind mehr nicht als ein gewaltiger Schlag vor eine dumpfe Stirne, und hohe Worte, wenn sie nicht in hohen Herzen wiedertönen, sind, wie ein sterbend Blatt, das in den Koth herunterrauscht. Was willst du nun?
    Ich will, sagt' ich, die Schaufel nehmen und den Koth in eine Grube werfen. Ein Volk, wo Geist und Größe keinen Geist und keine Größe mehr erzeugt, hat nichts mehr gemein, mit andern, die noch Menschen sind, hat keine Rechte mehr, und es ist ein leeres Possenspiel, ein Aberglauben, wenn man solche willenlose Leichname noch ehren will, als wär' ein Römerherz in ihnen. Weg mit ihnen! Er darf nicht stehen, wo er steht, der dürre faule Baum, er stiehlt ja Licht und Luft dem jungen Leben, das für eine neue Welt heranreift.
    Alabanda flog auf mich zu, umschlang mich, und seine Küsse giengen mir in die Seele. Waffenbruder! rief er, lieber Waffenbruder! o nun hab' ich hundert Arme!
    Das ist endlich einmal meine Melodie, fuhr er fort, mit einer Stimme, die, wie ein Schlachtruf, mir das Herz bewegte, mehr braucht's nicht! Du hast ein herrlich Wort gesprochen, Hyperion! Was? vom Wurme soll der Gott abhängen? Der Gott in uns, dem die Unendlichkeit zur Bahn sich öffnet, soll stehn und harren, bis der Wurm ihm aus dem Wege geht? Nein! nein! Man frägt nicht, ob ihr wollt! Ihr wollt ja nie, ihr Knechte und Barbaren! Euch will man auch nicht bessern, denn es ist umsonst! man will nur dafür sorgen, daß ihr dem Siegeslauf der Menschheit aus dem Wege geht. O! zünde mir einer die Fakel an, daß ich das Unkraut von der Haide brenne! die Mine bereite mir einer, daß ich die trägen Klöze aus der Erde sprenge!
    Wo möglich, lehnt man sanft sie auf die Seite, fiel ich ein.
    Alabanda schwieg eine Weile.
    Ich habe meine Lust an der Zukunft, begann er endlich wieder, und faßte feurig meine beeden Hände. Gott sey Dank! ich werde kein gemeines Ende nehmen. Glüklich seyn, heißt schläfrig seyn im Munde der Knechte. Glüklich seyn! mir ist, als hätt' ich Brei und laues Wasser auf der Zunge, wenn ihr mir sprecht von glüklich seyn. So albern und so heillos ist das alles, wofür ihr hingebt eure Lorbeerkronen, eure Unsterblichkeit.
    O heiliges Licht, das ruhelos, in seinem ungeheuren Reiche wirksam, dort oben über uns wandelt, und seine Seele auch mir mittheilt, in den Stralen, die ich trinke, dein Glük sey meines!
    Von ihren Thaten nähren die Söhne der Sonne sich; sie leben vom Sieg; mit eignem Geist ermuntern sie sich, und ihre Kraft ist ihre Freude. -
    Der Geist dieses Menschen faßte einen oft an, daß man sich hätte schämen mögen, so federleicht hinweggerissen fühlte man sich.
    O Himmel und Erde! rief ich, das ist Freude! - Das sind andre Zeiten, das ist kein Ton aus meinem kindischen Jahrhundert, das ist nicht der Boden, wo das Herz des Menschen unter seines Treibers Peitsche keucht. - Ja! ja! bei deiner herrlichen Seele, Mensch! Du wirst mit mir das Vaterland erretten.
    Das will ich, rief er, oder untergehn.
    Von diesem Tag an wurden wir uns immer heiliger und lieber. Tiefer unbeschreiblicher Ernst war unter uns gekommen. Aber wir waren nur um so seeliger zusammen. Nur in den ewigen Grundtönen seines Wesens lebte jeder, und schmuklos schritten wir fort von einer großen Harmonie zur andern. Voll herrlicher Strenge und Kühnheit war unser gemeinsames Leben.
    Wie bist du denn so wortarm geworden? fragte mich einmal Alabanda mit Lächeln. In den heißen Zonen, sagt' ich, näher der Sonne, singen ja auch die Vögel nicht.
    Aber es geht alles auf und unter in der Welt, und es hält der Mensch mit aller seiner Riesenkraft nichts fest. Ich sah' einmal ein Kind die Hand ausstreken, um das Mondlicht zu haschen; aber das Licht gieng ruhig weiter seine Bahn. So stehn wir da, und ringen, das wandelnde Schiksaal anzuhalten.
    O wer ihm nur so still und sinnend, wie dem Gange der Sterne, zusehn könnte!
    Je glüklicher du bist, um so weniger kostet es, dich zu Grunde zu richten, und die seeligen Tage, wie Alabanda und ich sie lebten, sind wie eine jähe Felsenspize, wo dein Reisegefährte nur dich anzurühren braucht, um unabsehlich, über die schneidenden Zaken hinab, dich in die dämmernde Tiefe zu stürzen.
    Wir hatten eine herrliche Fahrt nach Chios gemacht, hatten tausend Freude an uns gehabt. Wie Lüftchen über die Meeresfläche, walteten über uns die freundlichen Zauber der Natur. Mit freudigem Staunen sah einer den andern, ohne ein Wort zu sprechen, aber das Auge sagte, so hab' ich dich nie gesehen! So verherrlicht waren wir von den Kräften der Erde und des Himmels.
    Wir hatten dann auch mit heitrem Feuer uns über manches gestritten, während der Fahrt; ich hatte, wie sonst, auch dißmal wieder meines Herzens Freude daran gehabt, diesem Geist auf seiner kühnen Irrbahn zuzusehn, wo er so regellos, so in ungebundner Fröhlichkeit, und doch meist so sicher seinen Weg verfolgte.
    Wir eilten, wie wir ausgestiegen waren, allein zu seyn.
    Du kannst niemand überzeugen, sagt' ich jezt mit inniger Liebe, du überredest, du bestichst die Menschen, ehe du anfängst; man kann nicht zweifeln, wenn du sprichst, und wer nicht zweifelt, wird nicht überzeugt.
    Stolzer Schmeichler, rief er dafür, du lügst! aber gerade recht, daß du mich mahnst! nur zu oft hast du schon mich unvernünftig gemacht! Um alle Kronen möcht' ich von dir mich nicht befreien, aber es ängstiget denn doch mich oft, daß du mir so unentbehrlich seyn sollst, daß ich so gefesselt bin an dich; und sieh, fuhr er fort, daß du ganz mich hast, sollst du auch alles von mir wissen! wir dachten bisher unter all' der Herrlichkeit und Freude nicht daran, uns nach Vergangenem umzusehen.
    Er erzählte mir nun sein Schiksaal; mir war dabei, als säh' ich einen jungen Herkules mit der Megära im Kampfe.
    Wirst du mir jezt verzeihen, schloß er die Erzählung seines Ungemachs, wirst du jezt ruhiger seyn, wenn ich oft rauh bin und anstößig und unverträglich!
    O stille, stille! rief ich innigst bewegt; aber daß du noch da bist, daß du dich erhieltest für mich!
    Ja wohl! für dich! rief er, und es freut mich herzlich, daß ich dir denn doch genießbare Kost bin. Und schmek' ich auch, wie ein Holzapfel, dir zuweilen, so keltre mich so lange, bis ich trinkbar bin.
    Laß mich! laß mich! rief ich; ich sträubte mich umsonst; der Mensch machte mich zum Kinde; ich verbarg's ihm auch nicht; er sah meine Thränen, und weh ihm, wenn er sie nicht sehen durfte!
    Wir schwelgen, begann nun Alabanda wieder, wir tödten im Rausche die Zeit.
    Wir haben unsre Bräutigamstage zusammen, rief ich erheitert, da darf es wohl noch lauten, als wäre man in Arkadien. - Aber auf unser vorig Gespräch zu kommen!
    Du räumst dem Staate denn doch zu viel Gewalt ein. Er darf nicht fordern, was er nicht erzwingen kann. Was aber die Liebe giebt und der Geist, das läßt sich nicht erzwingen. Das lass' er unangetastet, oder man nehme sein Gesez und schlag' es an den Pranger! Beim Himmel! der weiß nicht, was er sündigt, der den Staat zur Sittenschule machen will. Immerhin hat das den Staat zur Hölle gemacht, daß ihn der Mensch zu seinem Himmel machen wollte.
    Die rauhe Hülse um den Kern des Lebens und nichts weiter ist der Staat. Er ist die Mauer um den Garten menschlicher Früchte und Blumen.
    Aber was hilft die Mauer um den Garten, wo der Boden dürre liegt? Da hilft der Regen vom Himmel allein.
    O Regen vom Himmel! o Begeisterung! Du wirst den Frühling der Völker uns wiederbringen. Dich kann der Staat nicht hergebieten. Aber er störe dich nicht, so wirst du kommen, kommen wirst du, mit deinen allmächtigen Wonnen, in goldne Wolken wirst du uns hüllen und empor uns tragen über die Sterblichkeit, und wir werden staunen und fragen, ob wir es noch seyen, wir, die Dürftigen, die wir die Sterne fragten, ob dort uns ein Frühling blühe - frägst du mich, wann diß seyn wird? Dann, wann die Lieblingin der Zeit, die jüngste, schönste Tochter der Zeit, die neue Kirche, hervorgehn wird aus diesen beflekten veralteten Formen, wann das erwachte Gefühl des Göttlichen dem Menschen seine Gottheit, und seiner Brust die schöne Jugend wiederbringen wird, wann - ich kann sie nicht verkünden, denn ich ahne sie kaum, aber sie kömmt gewiß, gewiß. Der Tod ist ein Bote des Lebens, und daß wir jezt schlafen in unsern Krankenhäusern, diß zeugt vom nahen gesunden Erwachen. Dann, dann erst sind wir, dann ist das Element der Geister gefunden!
    Alabanda schwieg, und sah eine Weile erstaunt mich an. Ich war hingerissen von unendlichen Hoffnungen; Götterkräfte trugen, wie ein Wölkchen, mich fort -
    Komm! rief ich, und faßt' Alabanda beim Gewande, komm, wer hält es länger aus im Kerker, der uns umnachtet?
    Wohin, mein Schwärmer, erwiedert' Alabanda troken, und ein Schatte von Spott schien über sein Gesicht zu gleiten.
    Ich war, wie aus den Wolken gefallen. Geh! sagt' ich, du bist ein kleiner Mensch!
    In demselben Augenblike traten etliche Fremden in's Zimmer, auffallende Gestalten, meist hager und blaß, so viel ich im Mondlicht sehen konnte, ruhig, aber in ihren Mienen war etwas, das in die Seele gieng, wie ein Schwert, und es war, als stünde man vor der Allwissenheit; man hätte gezweifelt, ob diß die Außenseite wäre von bedürftigen Naturen, hätte nicht hie und da der getödtete Affekt seine Spuren zurükgelassen.
    Besonders einer fiel mir auf. Die Stille seiner Züge war die Stille eines Schlachtfelds. Grimm und Liebe hatt' in diesem Menschen gerast, und der Verstand leuchtete über den Trümmern des Gemüths, wie das Auge eines Habichts, der auf zerstörten Pallästen sizt. Tiefe Verachtung war auf seinen Lippen. Man ahnete, daß dieser Mensch mit keiner unbedeutenden Absicht sich befasse.
    Ein andrer mochte seine Ruhe mehr einer natürlichen Herzenshärte danken. Man fand an ihm fast keine Spur einer Gewaltsamkeit, von Selbstmacht oder Schiksaal verübt.
    Ein dritter mochte seine Kälte mehr mit der Kraft der überzeugung dem Leben abgedrungen haben, und wohl noch oft im Kampfe mit sich stehen, denn es war ein geheimer Widerspruch in seinem Wesen, und es schien mir, als müßt' er sich bewachen. Er sprach am wenigsten.
    Alabanda sprang auf, wie gebogner Stahl, bei ihrem Eintritt.
    Wir suchten dich, rief einer von ihnen.
    Ihr würdet mich finden, sagt' er lachend, wenn ich in den Mittelpunkt der Erde mich verbärge. Sie sind meine Freunde, sezt' er hinzu, indeß er zu mir sich wandte.
    Sie schienen mich ziemlich scharf in's Auge zu fassen.
    Das ist auch einer von denen, die es gerne besser haben möchten in der Welt, rief Alabanda nach einer Weile, und wies auf mich.
    Das ist dein Ernst? fragt' einer mich von den Dreien.
    Es ist kein Scherz, die Welt zu bessern, sagt' ich.
    Du hast viel mit einem Worte gesagt! rief wieder einer von ihnen. Du bist unser Mann! ein andrer.
    Ihr denkt auch so? fragt' ich.
    Frage, was wir thun! war die Antwort.
    Und wenn ich fragte?
    So würden wir dir sagen, daß wir da sind, aufzuräumen auf Erden, daß wir die Steine vom Aker lesen, und die harten Erdenklöse mit dem Karst zerschlagen, und Furchen graben mit dem Pflug, und das Unkraut an der Wurzel fassen, an der Wurzel es durchschneiden, samt der Wurzel es ausreißen, daß es verdorre im Sonnenbrande.
    Nicht, daß wir erndten möchten, fiel ein andrer ein; uns kömmt der Lohn zu spät; uns reift die Erndte nicht mehr.
    Wir sind am Abend unsrer Tage. Wir irrten oft, wir hofften viel und thaten wenig. Wir wagten lieber, als wir uns besannen. Wir waren gerne bald am Ende und trauten auf das Glük. Wir sprachen viel von Freude und Schmerz, und liebten, haßten beide. Wir spielten mit dem Schiksaal und es that mit uns ein Gleiches. Vom Bettelstabe bis zur Krone warf es uns auf und ab. Es schwang uns, wie man ein glühend Rauchfaß schwingt, und wir glühten, bis die Kohle zu Asche ward. Wir haben aufgehört von Glük und Misgeschik zu sprechen. Wir sind emporgewachsen über die Mitte des Lebens, wo es grünt und warm ist. Aber es ist nicht das Schlimmste, was die Jugend überlebt. Aus heißem Metalle wird das kalte Schwert geschmiedet. Auch sagt man, auf verbrannten abgestorbenen Vulkanen gedeihe kein schlechter Most.
    Wir sagen das nicht um unsertwillen, rief ein anderer jezt etwas rascher, wir sagen es um euertwillen! Wir betteln um das Herz des Menschen nicht. Denn wir bedürfen seines Herzens, seines Willens nicht. Denn er ist in keinem Falle wider uns, denn es ist alles für uns, und die Thoren und die Klugen und die Einfältigen und die Weisen und alle Laster und alle Tugenden der Rohheit und der Bildung stehen, ohne gedungen zu seyn, in unsrem Dienst, und helfen blindlings mit zu unsrem Ziel - nur wünschten wir, es hätte jemand den Genuß davon, drum suchen wir unter den tausend blinden Gehülfen die besten uns aus, um sie zu sehenden Gehülfen zu machen - will aber niemand wohnen, wo wir bauten, unsre Schuld und unser Schaden ist es nicht. Wir thaten, was das unsre war. Will niemand sammeln, wo wir pflügten, wer verargt es uns? Wer flucht dem Baume, wenn sein Apfel in den Sumpf fällt? Ich hab's mir oft gesagt, du opferst der Verwesung, und ich endete mein Tagwerk doch.
    Das sind Betrüger! riefen alle Wände meinem empfindlichen Sinne zu. Mir war, wie einem, der im Rauch erstiken will, und Thüren und Fenster einstößt, um sich hinauszuhelfen, so dürstet' ich nach Luft und Freiheit.
    Sie sahn auch bald, wie unheimlich mir zu Muthe war, und brachen ab. Der Tag graute schon, da ich aus dem Khan trat, wo wir waren beisammen gewesen. Ich fühlte das Wehen der Morgenluft, wie Balsam an einer brennenden Wunde.
    Ich war durch Alabanda's Spott schon zu sehr gereizt, um nicht durch seine räthselhafte Bekanntschaft vollends irre zu werden an ihm.
    Er ist schlecht, rief ich, ja, er ist schlecht. Er heuchelt gränzenlos Vertrauen und lebt mit solchen - und verbirgt es dir.
    Mir war, wie einer Braut, wenn sie erfährt, daß ihr Geliebter insgeheim mit einer Dirne lebe.
    O es war der Schmerz nicht, den man hegen mag, den man am Herzen trägt, wie ein Kind, und in Schlummer singt mit Tönen der Nachtigall!
    Wie eine ergrimmte Schlange, wenn sie unerbittlich herauffährt an den Knieen und Lenden, und alle Glieder umklammert, und nun in die Brust die giftigen Zähne schlägt und nun in den Naken, so war mein Schmerz, so faßt' er mich in seine fürchterliche Umarmung. Ich nahm mein höchstes Herz zu Hülfe, und rang nach großen Gedanken, um noch stille zu halten, es gelang mir auch auf wenige Augenblike, aber nun war ich auch zum Zorne gestärkt, nun tödtet' ich auch, wie eingelegtes Feuer, jeden Funken der Liebe in mir.
    Er muß ja, dacht' ich, das sind ja seine Menschen, er muß verschworen seyn mit diesen, gegen dich! Was wollt er auch von dir? Was konnt' er suchen bei dir, dem Schwärmer? O wär' er seiner Wege gegangen! Aber sie haben ihren eigenen Gelust, sich an ihr Gegentheil zu machen! so ein fremdes Thier im Stalle zu haben, läßt ihnen gar gut! -
    Und doch war ich unaussprechlich glüklich gewesen mit ihm, war so oft untergegangen in seinen Umarmungen, um aus ihnen zu erwachen mit Unüberwindlichkeit in der Brust, wurde so oft gehärtet und geläutert in seinem Feuer, wie Stahl!
    Da ich einst in heitrer Mitternacht die Dioskuren ihm wies, und Alabanda die Hand auf's Herz mir legt' und sagte: Das sind nur Sterne, Hyperion, nur Buchstaben, womit der Nahme der Heldenbrüder am Himmel geschrieben ist; in uns sind sie! lebendig und wahr, mit ihrem Muth und ihrer göttlichen Liebe, und du, du bist der Göttersohn, und theilst mit deinem sterblichen Kastor deine Unsterblichkeit! -
    Da ich die Wälder des Ida mit ihm durchstreifte, und wir herunterkamen in's Thal, um da die schweigenden Grabhügel nach ihren Todten zu fragen, und ich zu Alabanda sagte, daß unter den Grabhügeln einer vieleicht dem Geist Achills und seines Geliebten angehöre, und Alabanda mir vertraute, wie er oft ein Kind sey und sich denke, daß wir einst in Einem Schlachtthal fallen und zusammen ruhen werden unter Einem Baum - wer hätte damals das gedacht?
    Ich sann mit aller Kraft des Geistes, die mir übrig war, ich klagt' ihn an, verteidigt' ihn, und klagt' ihn wieder um so bittrer an; ich widerstrebte meinem Sinne, wollte mich erheitern, und verfinsterte mich nur ganz dadurch.
    Ach! mein Auge war ja von so manchem Faustschlag wund gewesen, fieng ja kaum zu heilen an, wie sollt' es jezt gesundere Blike tun?
    Alabanda besuchte mich den andern Tag. Mein Herz kochte, wie er hereintrat, aber ich hielt mich, so sehr sein Stolz und seine Ruhe mich aufregt' und erhizte.
    Die Luft ist herrlich, sagt' er endlich, und der Abend wird sehr schön seyn, laß uns zusammen auf die Akropolis gehn!
    Ich nahm es an. Wir sprachen lange kein Wort. Was willst du? fragt' ich endlich.
    Das kannst du fragen? erwiederte der wilde Mensch mit einer Wehmuth, die mir durch die Seele gieng. Ich war betroffen, verwirrt.
    Was soll ich von dir denken? fieng ich endlich wieder an.
    Das, was ich bin! erwiedert' er gelassen.
    Du brauchst Entschuldigung, sagt' ich mit veränderter Stimme, und sah mit Stolz ihn an, entschuldige dich! reinige dich!
    Das war zuviel für ihn.
    Wie kommt es denn, rief er entrüstet, daß dieser Mensch mich beugen soll, wie's ihm gefällt? - Es ist auch wahr, ich war zu früh entlassen aus der Schule, ich hatte alle Ketten geschleift und alle zerrissen, nur Eine fehlte noch, nur eine war noch zu zerbrechen, ich war noch nicht gezüchtiget von einem Grillenfänger - murre nur! ich habe lange genug geschwiegen!
    O Alabanda! Alabanda! rief ich.
    Schweig, erwiedert' er, und brauche meinen Nahmen nicht zum Dolche gegen mich!
    Nun brach auch mir der Unmuth vollends los. Wir ruhten nicht, bis eine Rükkehr fast unmöglich war. Wir zerstörten mit Gewalt den Garten unsrer Liebe. Wir standen oft und schwiegen, und wären uns so gerne, so mit tausend Freuden um den Hals gefallen, aber der unseelige Stolz erstikte jeden Laut der Liebe, der vom Herzen aufstieg.
    Leb wohl! rief ich endlich, und stürzte fort. Unwillkührlich mußt' ich mich umsehn, unwillkührlich war mir Alabanda gefolgt.
    Nicht wahr, Alabanda, rief ich ihm zu, das ist ein sonderbarer Bettler? seinen lezten Pfenning wirft er in den Sumpf!
    Wenn's das ist, mag er auch verhungern, rief er, und gieng.
    Ich wankte sinnlos weiter, stand nun am Meer' und sahe die Wellen an - ach! da hinunter strebte mein Herz, da hinunter, und meine Arme flogen der freien Fluth entgegen; aber bald kam, wie vom Himmel, ein sanfterer Geist über mich, und ordnete mein unbändig leidend Gemüth mit seinem ruhigen Stabe; ich überdachte stiller mein Schiksaal, meinen Glauben an die Welt, meine trostlosen Erfahrungen, ich betrachtete den Menschen, wie ich ihn empfunden und erkannt von früher Jugend an, in mannigfaltigen Erziehungen, fand überall dumpfen oder schreienden Mislaut, nur in kindlicher einfältiger Beschränkung fand ich noch die reinen Melodien - es ist besser, sagt' ich mir, zur Biene zu werden und sein Haus zu bauen in Unschuld, als zu herrschen mit den Herren der Welt, und wie mit Wölfen, zu heulen mit ihnen, als Völker zu meistern, und an dem unreinen Stoffe sich die Hände zu befleken; ich wollte nach Tina zurük, um meinen Gärten und Feldern zu leben.
    Lächle nur! Mir war es sehr Ernst. Bestehet ja das Leben der Welt im Wechsel des Entfaltens und Verschließens, in Ausflug und in Rükkehr zu sich selbst, warum nicht auch das Herz des Menschen?
    Freilich gieng die neue Lehre mir hart ein, freilich schied ich ungern von dem stolzen Irrtum meiner Jugend - wer reißt auch gerne die Flügel sich aus? - aber es mußte ja so seyn!
    Ich sezt' es durch. Ich war nun wirklich eingeschifft. Ein frischer Bergwind trieb mich aus dem Hafen von Smyrna. Mit einer wunderbaren Ruhe, recht, wie ein Kind, das nichts vom nächsten Augenblike weiß, lag ich so da auf meinem Schiffe, und sah die Bäume und Moskeen dieser Stadt an, meine grünen Gänge an dem Ufer, meinen Fußsteig zur Akropolis hinauf, das sah ich an, und ließ es weiter gehn und immer weiter; wie ich aber nun auf's hohe Meer hinauskam, und alles nach und nach hinabsank, wie ein Sarg in's Grab, da mit einmal war es auch, als wäre mein Herz gebrochen - o Himmel! schrie ich, und alles Leben in mir erwacht' und rang, die fliehende Gegenwart zu halten, aber sie war dahin, dahin!
    Wie ein Nebel, lag das himmlische Land vor mir, wo ich, wie ein Reh auf freier Waide, weit und breit die Thäler und die Höhen hatte durchstreift, und das Echo meines Herzens zu den Quellen und Strömen, in die Fernen und die Tiefen der Erde gebracht.
    Dort hinein auf den Tmolus war ich gegangen in einsamer Unschuld; dort hinab, wo Ephesus einst stand in seiner glüklichen Jugend und Teos und Milet, dort hinauf in's heilige trauernde Troas war ich mit Alabanda gewandert, mit Alabanda, und, wie ein Gott, hatt' ich geherrscht über ihn, und, wie ein Kind, zärtlich und glaubig, hatt' ich seinem Auge gedient, mit Seelenfreude, mit innigem frohlokendem Genusse seines Wesens, immer glüklich, wenn ich seinem Rosse den Zaum hielt, oder wenn ich, über mich selbst erhoben, in herrlichen Entschlüssen, in kühnen Gedanken, im Feuer der Rede seiner Seele begegnete!
    Und nun war es dahin gekommen, nun war ich nichts mehr, war so heillos um alles gebracht, war zum ärmsten unter den Menschen geworden, und wußte selbst nicht, wie.
    O ewiges Irrsaal! dacht' ich bei mir, wann reißt der Mensch aus deinen Ketten sich los?
    Wir sprechen von unsrem Herzen, unsern Planen, als wären sie unser, und es ist doch eine fremde Gewalt, die uns herumwirft und in's Grab legt, wie es ihr gefällt, und von der wir nicht wissen, von wannen sie kommt, noch wohin sie geht.
    Wir wollen wachsen dahinauf, und dorthinaus die Äste und die Zweige breiten, und Boden und Wetter bringt uns doch, wohin es geht, und wenn der Bliz auf deine Krone fällt, und bis zur Wurzel dich hinunterspaltet, armer Baum! was geht es dich an?
    So dacht' ich. Ärgerst du dich daran, mein Bellarmin! Du wirst noch andere Dinge hören.
    Das eben, Lieber! ist das Traurige, daß unser Geist so gerne die Gestalt des irren Herzens annimmt, so gerne die vorüberfliehende Trauer festhält, daß der Gedanke, der die Schmerzen heilen sollte, selber krank wird, daß der Gärtner an den Rosensträuchen, die er pflanzen sollte, sich die Hand so oft zerreißt, o! das hat manchen zum Thoren gemacht vor andern, die er sonst, wie ein Orpheus, hätte beherrscht, das hat so oft die edelste Natur zum Spott gemacht vor Menschen, wie man sie auf jeder Straße findet, das ist die Klippe für die Lieblinge des Himmels, daß ihre Liebe mächtig ist und zart, wie ihr Geist, daß ihres Herzens Woogen stärker oft und schneller sich regen, wie der Trident, womit der Meergott sie beherrscht, und darum, Lieber! überhebe ja sich keiner.
StA, Band 3, Seite 24-39.

 

Hyperion an Bellarmin VIII

Kannst du es hören, wirst du es begreifen, wenn ich dir von meiner langen kranken Trauer sage?
    Nimm mich, wie ich mich gebe, und denke, daß es besser ist zu sterben, weil man lebte, als zu leben, weil man nie gelebt! Neide die Leidensfreien nicht, die Gözen von Holz, denen nichts mangelt, weil ihre Seele so arm ist, die nichts fragen nach Regen und Sonnenschein, weil sie nichts haben, was der Pflege bedürfte.
    Ja! ja! es ist recht sehr leicht, glüklich, ruhig zu seyn mit seichtem Herzen und eingeschränktem Geiste. Gönnen kann man's euch; wer ereifert sich denn, daß die bretterne Scheibe nicht wehklagt, wenn der Pfeil sie trift, und daß der hohle Topf so dumpf klingt, wenn ihn einer an die Wand wirft?
    Nur müßt ihr euch bescheiden, lieben Leute, müßt ja in aller Stille euch wundern, wenn ihr nicht begreift, daß andre nicht auch so glüklich, auch so selbstgenügsam sind, müßt ja euch hüten, eure Weisheit zum Gesez zu machen, denn das wäre der Welt Ende, wenn man euch gehorchte.
    Ich lebte nun sehr still, sehr anspruchslos in Tina. Ich ließ auch wirklich die Erscheinungen der Welt vorüberziehn, wie Nebel im Herbste, lachte manchmal auch mit nassen Augen über mein Herz, wenn es hinzuflog, um zu naschen, wie der Vogel nach der gemalten Traube, und blieb still und freundlich dabei.
    Ich ließ nun jedem gerne seine Meinung, seine Unart. Ich war bekehrt, ich wollte niemand mehr bekehren, nur war mir traurig, wenn ich sah, daß die Menschen glaubten, ich lasse darum ihr Possenspiel unangetastet, weil ich es so hoch und theuer achte, wie sie. Ich mochte nicht gerade ihrer Albernheit mich unterwerfen, doch sucht' ich sie zu schonen, wo ich konnte. Das ist ja ihre Freude, dacht' ich, davon leben sie ja!
    Oft ließ ich sogar mir gefallen, mitzumachen, und wenn ich noch so seelenlos, so ohne eignen Trieb dabei war, das merkte keiner, da vermißte keiner nichts, und hätt' ich gesagt, sie möchten mir's verzeihen, so wären sie dagestanden und hätten sich verwundert und gefragt: was hast du denn uns gethan? Die Nachsichtigen!
    Oft, wenn ich des Morgens dastand unter meinem Fenster und der geschäftige Tag mir entgegenkam, konnt' auch ich mich augenbliklich vergessen, konnte mich umsehn, als möcht' ich etwas vornehmen, woran mein Wesen seine Lust noch hätte, wie ehmals, aber da schalt ich mich, da besann ich mich, wie einer, dem ein Laut aus seiner Muttersprache entfährt, in einem Lande, wo sie nicht verstanden wird - wohin, mein Herz? sagt' ich verständig zu mir selber und gehorchte mir.
    Was ist's denn, daß der Mensch so viel will? fragt' ich oft; was soll denn die Unendlichkeit in seiner Brust? Unendlichkeit? wo ist sie denn? wer hat sie denn vernommen? Mehr will er, als er kann! das möchte wahr seyn! O! das hast du oft genug erfahren. Das ist auch nötig, wie es ist. Das giebt das süße, schwärmerische Gefühl der Kraft, daß sie nicht ausströmt, wie sie will, das eben macht die schönen Träume von Unsterblichkeit und all' die holden und die kolossalischen Phantome, die den Menschen tausendfach entzüken, das schafft dem Menschen sein Elysium und seine Götter, daß seines Lebens Linie nicht gerad ausgeht, daß er nicht hinfährt, wie ein Pfeil, und eine fremde Macht dem Fliehenden in den Weg sich wirft.
    Des Herzens Wooge schäumte nicht so schön empor, und würde Geist, wenn nicht der alte stumme Fels, das Schiksaal, ihr entgegenstände.
    Aber dennoch stirbt der Trieb in unserer Brust, und mit ihm unsre Götter und ihr Himmel.
    Das Feuer geht empor in freudigen Gestalten, aus der dunkeln Wiege, wo es schlief, und seine Flamme steigt und fällt, und bricht sich und umschlingt sich freudig wieder, bis ihr Stoff verzehrt ist, nun raucht und ringt sie und erlischt; was übrig ist, ist Asche.
    So geht's mit uns. Das ist der Inbegriff von allem, was in schrökendreizenden Mysterien die Weisen uns erzählen.
    Und du? was frägst du dich? Daß so zuweilen etwas in dir auffährt, und, wie der Mund des Sterbenden, dein Herz in Einem Augenblike so gewaltsam dir sich öffnet und verschließt, das gerade ist das böse Zeichen.
    Sey nur still, und laß es seinen Gang gehn! künstle nicht! versuche kindisch nicht, um eine Ehle länger dich zu machen! - Es ist, als wolltest du noch eine Sonne schaffen, und neue Zöglinge für sie, ein Erdenrund und einen Mond erzeugen.
    So träumt' ich hin. Geduldig nahm ich nach und nach von allem Abschied. - O ihr Genossen meiner Zeit! fragt eure Ärzte nicht und nicht die Priester, wenn ihr innerlich vergeht!
    Ihr habt den Glauben an alles Große verloren; so müßt, so müßt ihr hin, wenn dieser Glaube nicht wiederkehrt, wie ein Komet aus fremden Himmeln.
StA, Band 3, Seite 39-42.

 

Hyperion an Bellarmin IX

Es giebt ein Vergessen alles Daseyns, ein Verstummen unsers Wesens, wo uns ist, als hätten wir alles gefunden.
    Es giebt ein Verstummen, ein Vergessen alles Daseyns, wo uns ist, als hätten wir alles verloren, eine Nacht unsrer Seele, wo kein Schimmer eines Sterns, wo nicht einmal ein faules Holz uns leuchtet.
    Ich war nun ruhig geworden. Nun trieb mich nichts mehr auf um Mitternacht. Nun sengt' ich mich in meiner eignen Flamme nicht mehr.
    Ich sah nun still und einsam vor mich hin, und schweift' in die Vergangenheit und in die Zukunft mit dem Auge nicht. Nun drängte Fernes und Nahes sich in meinem Sinne nicht mehr; die Menschen, wenn sie mich nicht zwangen, sie zu sehen, sah ich nicht.
    Sonst lag oft, wie das ewigleere Faß der Danaiden, vor meinem Sinne diß Jahrhundert, und mit verschwenderischer Liebe goß meine Seele sich aus, die Lüken auszufüllen; nun sah ich keine Lüke mehr, nun drükte mich des Lebens Langeweile nicht mehr.
    Nun sprach ich nimmer zu der Blume, du bist meine Schwester! und zu den Quellen, wir sind Eines Geschlechts! ich gab nun treulich, wie ein Echo, jedem Dinge seinen Nahmen.
    Wie ein Strom an dürren Ufern, wo kein Weidenblatt im Wasser sich spiegelt, lief unverschönert vorüber an mir die Welt.
StA, Band 3, Seite 42.

 

Hyperion an Bellarmin X

Es kann nichts wachsen und nichts so tief vergehen, wie der Mensch. Mit der Nacht des Abgrunds vergleicht er oft sein Leiden und mit dem Aether seine Seeligkeit, und wie wenig ist dadurch gesagt?
    Aber schöner ist nichts, als wenn es so nach langem Tode wieder in ihm dämmert, und der Schmerz, wie ein Bruder, der fernher dämmernden Freude entgegengeht.
    O es war ein himmlisch Ahnen, womit ich jezt den kommenden Frühling wieder begrüßte! Wie fernher in schweigender Luft, wenn alles schläft, das Saitenspiel der Geliebten, so umtönten seine leisen Melodien mir die Brust, wie von Elysium herüber, vernahm ich seine Zukunft, wenn die todten Zweige sich regten und ein lindes Wehen meine Wange berührte.
    Holder Himmel Ioniens! so war ich nie an dir gehangen, aber so ähnlich war dir auch nie mein Herz gewesen, wie damals, in seinen heitern zärtlichen Spielen. Wer sehnt sich nicht nach Freuden der Liebe und großen Thaten, wenn im Auge des Himmels und im Busen der Erde der Frühling wiederkehrt?
    Ich erhob mich, wie vom Krankenbette, leise und langsam, aber von geheimen Hoffnungen zitterte mir die Brust so seelig, daß ich drüber vergaß, zu fragen, was diß zu bedeuten habe.
    Schönere Träume umfiengen mich jezt im Schlafe, und wenn ich erwachte, waren sie mir im Herzen, wie die Spur eines Kusses auf der Wange der Geliebten. O das Morgenlicht und ich, wir giengen nun uns entgegen, wie versöhnte Freunde, wenn sie noch etwas fremde thun, und doch den nahen unendlichen Augenblik des Umarmens schon in der Seele tragen.
    Es that nun wirklich einmal wieder mein Auge sich auf, freilich, nicht mehr, wie sonst, gerüstet und erfüllt mit eigner Kraft, es war bittender geworden, es fleht' um Leben, aber es war mir im Innersten doch, als könnt' es wieder werden mit mir, wie sonst, und besser.
    Ich sahe die Menschen wieder an, als sollt' auch ich wirken und mich freuen unter ihnen. Ich schloß mich wirklich herzlich überall an.
    Himmel! wie war das eine Schadenfreude, daß der stolze Sonderling nun Einmal war, wie ihrer einer, geworden! wie hatten sie ihren Scherz daran, daß den Hirsch des Waldes der Hunger trieb, in ihren Hühnerhof zu laufen! -
    Ach! meinen Adamas sucht' ich, meinen Alabanda, aber es erschien mir keiner.
    Endlich schrieb ich auch nach Smyrna, und es war, als sammelt' alle Zärtlichkeit und alle Macht des Menschen in Einen Moment sich, da ich schrieb; so schrieb ich dreimal, aber keine Antwort, ich flehte, drohte, mahnt' an alle Stunden der Liebe und der Kühnheit, aber keine Antwort von dem Unvergeßlichen, bis in den Tod geliebten - Alabanda! rief ich, o mein Alabanda! du hast den Stab gebrochen über mich. Du hieltest mich noch aufrecht, warst die lezte Hoffnung meiner Jugend! Nun will ich nichts mehr! nun ist's heilig und gewiß!
    Wir bedauern die Todten, als fühlten sie den Tod, und die Todten haben doch Frieden. Aber das, das ist der Schmerz, dem keiner gleichkömmt, das ist unaufhörliches Gefühl der gänzlichen Zernichtung, wenn unser Leben seine Bedeutung so verliert, wenn so das Herz sich sagt, du mußt hinunter und nichts bleibt übrig von dir; keine Blume hast du gepflanzt, keine Hütte gebaut, nur daß du sagen könntest: ich lasse eine Spur zurük auf Erden. Ach! und die Seele kann immer so voll Sehnens seyn, bei dem, daß sie so muthlos ist!
    Ich suchte immer etwas, aber ich wagte das Auge nicht aufzuschlagen vor den Menschen. Ich hatte Stunden, wo ich das Lachen eines Kindes fürchtete.
    Dabei war ich meist sehr still und geduldig, hatte oft auch einen wunderbaren Aberglauben an die Heilkraft mancher Dinge; von einer Taube, die ich kaufte, von einer Kahnfahrt, von einem Thale, das die Berge mir verbargen, konnt' ich Trost erwarten.
    Genug! genug! wär' ich mit Themistocles aufgewachsen, hätt' ich unter den Scipionen gelebt, meine Seele hätte sich wahrlich nie von dieser Seite kennen gelernt.
StA, Band 3, Seite 43-44.

 

Hyperion an Bellarmin XI

Zuweilen regte noch sich eine Geisteskraft in mir. Aber freilich nur zerstörend!
    Was ist der Mensch? konnt' ich beginnen; wie kommt es, daß so etwas in der Welt ist, das, wie ein Chaos, gährt, oder modert, wie ein fauler Baum, und nie zu einer Reife gedeiht? Wie duldet diesen Heerling die Natur bei ihren süßen Trauben?
    Zu den Pflanzen spricht er, ich war auch einmal, wie ihr! und zu den reinen Sternen, ich will werden, wie ihr, in einer andren Welt! inzwischen bricht er auseinander und treibt hin und wieder seine Künste mit sich selbst, als könnt' er, wenn es einmal sich aufgelöst, Lebendiges zusammensezen, wie ein Mauerwerk; aber es macht ihn auch nicht irre, wenn nichts gebessert wird durch all sein Thun; es bleibt doch immerhin ein Kunststük, was er treibt.
    O ihr Armen, die ihr das fühlt, die ihr auch nicht sprechen mögt von menschlicher Bestimmung, die ihr auch so durch und durch ergriffen seyd vom Nichts, das über uns waltet, so gründlich einseht, daß wir geboren werden für Nichts, daß wir lieben ein Nichts, glauben an's Nichts, uns abarbeiten für Nichts, um mälig überzugehen in's Nichts - was kann ich dafür, daß euch die Knie brechen, wenn ihr's ernstlich bedenkt? Bin ich doch auch schon manchmal hingesunken in diesen Gedanken, und habe gerufen, was legst du die Axt mir an die Wurzel, grausamer Geist? und bin noch da.
    O einst, ihr finstern Brüder! war es anders. Da war es über uns so schön, so schön und froh vor uns; auch diese Herzen wallten über vor den fernen seeligen Phantomen, und kühn frohlokend drangen auch unsere Geister aufwärts und durchbrachen die Schranke, und wie sie sich umsahn, wehe, da war es eine unendliche Leere.
    O! auf die Knie kann ich mich werfen und meine Hände ringen und flehen, ich weiß nicht wen? um andre Gedanken. Aber ich überwältige sie nicht, die schreiende Wahrheit. Hab' ich mich nicht zwiefach überzeugt? Wenn ich hinsehe in's Leben, was ist das lezte von allem? Nichts. Wenn ich aufsteige im Geiste, was ist das Höchste von allem? Nichts.
    Aber stille, mein Herz! Es ist ja deine lezte Kraft, die du verschwendest! deine lezte Kraft? und du, du willst den Himmel stürmen? wo sind denn deine hundert Arme, Titan, wo dein Pelion und Ossa, deine Treppe zu des Göttervaters Burg hinauf, damit du hinaufsteigst und den Gott und seinen Göttertisch und all' die unsterblichen Gipfel des Olymps herabwirfst und den Sterblichen predigest: bleibt unten, Kinder des Augenbliks! strebt nicht in diese Höhen herauf, denn es ist nichts hier oben.
    Das kannst du lassen, zu sehn, was über andere waltet. Dir gilt deine neue Lehre. Über dir und vor dir ist es freilich leer und öde, weil es in dir leer und öd' ist.
    Freilich, wenn ihr reicher seyd, als ich, ihr andern, könntet ihr doch wohl auch ein wenig helfen.
    Wenn euer Garten so voll Blumen ist, warum erfreut ihr Othem mich nicht auch? - Wenn ihr so voll der Gottheit seyd, so reicht sie mir zu trinken. An Festen darbt ja niemand, auch der ärmste nicht. Aber Einer nur hat seine Feste unter euch; das ist der Tod.
    Noth und Angst und Nacht sind eure Herren. Die sondern euch, die treiben euch mit Schlägen an einander. Den Hunger nennt ihr Liebe, und wo ihr nichts mehr seht, da wohnen eure Götter. Götter und Liebe?
    O die Poëten haben recht, es ist nichts so klein und wenig, woran man sich nicht begeistern könnte.
    So dacht' ich. Wie das alles in mich kam, begreif ich noch nicht.
StA, Band 3, Seite 45-46.

 

Hyperion an Bellarmin XII

Ich lebe jezt auf der Insel des Ajax, der theuern Salamis.
    Ich liebe diß Griechenland überall. Es trägt die Farbe meines Herzens. Wohin man siehet, liegt eine Freude begraben.
    Und doch ist so viel Liebliches und Großes auch um einen.
    Auf dem Vorgebirge hab' ich mir eine Hütte gebaut von Mastixzweigen, und Moos und Bäume herumgepflanzt und Thymian und allerlei Sträuche.
    Da hab' ich meine liebsten Stunden, da siz' ich Abende lang und sehe nach Attika hinüber, bis endlich mein Herz zu hoch mir klopft; dann nehm' ich mein Werkzeug, gehe hinab an die Bucht und fange mir Fische.
    Oder les' ich auch auf meiner Höhe droben vom alten herrlichen Seekrieg, der an Salamis einst im wilden klugbeherrschten Getümmel vertobte, und freue des Geistes mich, der das wütende Chaos von Freunden und Feinden lenken konnte und zähmen, wie ein Reuter das Roß, und schäme mich innigst meiner eigenen Kriegsgeschichte.
    Oder schau' ich auf's Meer hinaus und überdenke mein Leben, sein Steigen und Sinken, seine Seeligkeit und seine Trauer und meine Vergangenheit lautet mir oft, wie ein Saitenspiel, wo der Meister alle Töne durchläuft, und Streit und Einklang mit verborgener Ordnung untereinanderwirft.
    Heut ist's dreifach schön hier oben. Zwei freundliche Regentage haben die Luft und die lebensmüde Erde gekühlt.
    Der Boden ist grüner geworden, offner das Feld. Unendlich steht, mit der freudigen Kornblume gemischt, der goldene Waizen da, und licht und heiter steigen tausend hoffnungsvolle Gipfel aus der Tiefe des Hains. Zart und groß durchirret den Raum jede Linie der Fernen; wie Stuffen gehn die Berge bis zur Sonne unaufhörlich hinter einander hinauf. Der ganze Himmel ist rein. Das weiße Licht ist nur über den Aether gehaucht, und, wie ein silbern Wölkchen, wallt der schüchterne Mond am hellen Tage vorüber.
StA, Band 3, Seite 47-48.

 

Hyperion an Bellarmin XIII

Mir ist lange nicht gewesen, wie jezt.
    Wie Jupiters Adler dem Gesange der Musen, lausch' ich dem wunderbaren unendlichen Wohllaut in mir. Unangefochten an Sinn' und Seele, stark und fröhlich, mit lächelndem Ernste, spiel' ich im Geiste mit dem Schiksaal und den drei Schwestern, den heiligen Parzen. Voll göttlicher Jugend frohlokt mein ganzes Wesen über sich selbst, über Alles. Wie der Sternenhimmel, bin ich still und bewegt.
    Ich habe lange gewartet auf solche Festzeit, um dir einmal wieder zu schreiben. Nun bin ich stark genug; nun laß mich dir erzählen.
    Mitten in meinen finstern Tagen lud ein Bekannter von Kalaurea herüber mich ein. Ich sollt' in seine Gebirge kommen, schrieb er mir; man lebe hier freier als sonstwo, und auch da blüheten, mitten unter den Fichtenwäldern und reißenden Wassern, Limonienhaine und Palmen und liebliche Kräuter und Myrthen und die heilige Rebe. Einen Garten hab' er hoch am Gebirge gebaut und ein Haus; dem beschatteten dichte Bäume den Rüken, und külende Lüfte umspielten es leise in den brennenden Sommertagen; wie ein Vogel vom Gipfel der Ceder, blikte man in die Tiefen hinab, zu den Dörfern und grünen Hügeln, und zufriedenen Heerden der Insel, die alle, wie Kinder, umherlägen um den herrlichen Berg und sich nährten von seinen schäumenden Bächen.
    Das wekte mich denn doch ein wenig. Es war ein heiterer blauer Apriltag, an dem ich hinüberschiffte. Das Meer war ungewöhnlich schön und rein, und leicht die Luft, wie in höheren Regionen. Man ließ im schwebenden Schiffe die Erde hinter sich liegen, wie eine köstliche Speise, wenn der heilige Wein gereicht wird.
    Dem Einflusse des Meers und der Luft widerstrebt der finstere Sinn umsonst. Ich gab mich hin, fragte nichts nach mir und andern, suchte nichts, sann auf nichts, ließ vom Boote mich halb in Schlummer wiegen, und bildete mir ein, ich liege in Charons Nachen. O es ist süß, so aus der Schaale der Vergessenheit zu trinken.
    Mein fröhlicher Schiffer hätte gerne mit mir gesprochen, aber ich war sehr einsylbig.
    Er deutete mit dem Finger und wies mir rechts und links das blaue Eiland, aber ich sah nicht lange hin, und war im nächsten Augenblike wieder in meinen eignen lieben Träumen.
    Endlich, da er mir die stillen Gipfel in der Ferne wies und sagte, daß wir bald in Kalaurea wären, merkt' ich mehr auf, und mein ganzes Wesen öffnete sich der wunderbaren Gewalt, die auf Einmal süß und still und unerklärlich mit mir spielte. Mit großem Auge, staunend und freudig sah' ich hinaus in die Geheimnisse der Ferne, leicht zitterte mein Herz, und die Hand entwischte mir und faßte freundlichhastig meinen Schiffer an – so? rief ich, das ist Kalaurea? Und wie er mich drum ansah, wußt' ich selbst nicht, was ich aus mir machen sollte. Ich grüßte meinen Freund mit wunderbarer Zärtlichkeit. Voll süßer Unruhe war all mein Wesen.
    Den Nachmittag wollt' ich gleich einen Theil der Insel durchstreifen. Die Wälder und geheimen Thale reizten mich unbeschreiblich, und der freundliche Tag lokte alles hinaus.
    Es war so sichtbar, wie alles Lebendige mehr, denn tägliche Speise, begehrt, wie auch der Vogel sein Fest hat und das Thier.
    Es war entzükend anzusehn! Wie, wenn die Mutter schmeichelnd frägt, wo um sie her ihr Liebstes sey, und alle Kinder in den Schoos ihr stürzen, und das Kleinste noch die Arme aus der Wiege strekt, so flog und sprang und strebte jedes Leben in die göttliche Luft hinaus, und Käfer und Schwalben und Tauben und Störche tummelten sich in frohlokender Verwirrung unter einander in den Tiefen und Höhn, und was die Erde festhielt, dem ward zum Fluge der Schritt, über die Gräben braußte das Roß und über die Zäune das Reh, und aus dem Meergrund kamen die Fische herauf und hüpften über die Fläche. Allen drang die mütterliche Luft an's Herz, und hob sie und zog sie zu sich.
    Und die Menschen giengen aus ihren Thüren heraus, und fühlten wunderbar das geistige Wehen, wie es leise die zarten Haare über der Stirne bewegte, wie es den Lichtstral kühlte, und lösten freundlich ihre Gewänder, um es aufzunehmen an ihre Brust, athmeten süßer, berührten zärtlicher das leichte klare schmeichelnde Meer, in dem sie lebten und webten.
    O Schwester des Geistes, der feurigmächtig in uns waltet und lebt, heilige Luft! wie schön ist's, daß du, wohin ich wandre, mich geleitest, Allgegenwärtige, Unsterbliche!
    Mit den Kindern spielte das hohe Element am schönsten.
    Das summte friedlich vor sich hin, dem schlüpft' ein taktlos Liedchen aus den Lippen, dem ein Frohloken aus offner Kehle; das strekte sich, das sprang in die Höhe; ein andres schlenderte vertieft umher.
    Und all diß war die Sprache Eines Wohlseyns, alles Eine Antwort auf die Liebkosungen der entzükenden Lüfte.
    Ich war voll unbeschreiblichen Sehnens und Friedens. Eine fremde Macht beherrschte mich. Freundlicher Geist, sagt' ich bei mir selber, wohin rufest du mich? nach Elysium oder wohin?
    Ich gieng in einem Walde, am rieselnden Wasser hinauf, wo es über Felsen heruntertröpfelte, wo es harmlos über die Kieseln glitt, und mälig verengte sich und ward zum Bogengange das Thal, und einsam spielte das Mittagslicht im schweigenden Dunkel -
    Hier – ich möchte sprechen können, mein Bellarmin! möchte gerne mit Ruhe dir schreiben!
    Sprechen? o ich bin ein Laie in der Freude, ich will sprechen!
    Wohnt doch die Stille im Lande der Seeligen, und über den Sternen vergißt das Herz seine Noth und seine Sprache.
    Ich hab' es heilig bewahrt! wie ein Palladium, hab' ich es in mir getragen, das Göttliche, das mir erschien! und wenn hinfort mich das Schiksaal ergreift und von einem Abgrund in den andern mich wirft, und alle Kräfte ertränkt in mir und alle Gedanken, so soll diß Einzige doch mich selber überleben in mir, und leuchten in mir und herrschen, in ewiger, unzerstörbarer Klarheit! -
    So lagst du hingegossen, süßes Leben, so bliktest du auf, erhubst dich, standst nun da, in schlanker Fülle, göttlich ruhig, und das himmlische Gesicht noch voll des heitern Entzükens, worinn ich dich störte!
    O wer in die Stille dieses Auges gesehn, wem diese süßen Lippen sich aufgeschlossen, wovon mag der noch sprechen?
    Friede der Schönheit! göttlicher Friede! wer einmal an dir das tobende Leben und den zweifelnden Geist besänftigt, wie kann dem anderes helfen?
    Ich kann nicht sprechen von ihr, aber es giebt ja Stunden, wo das Beste und Schönste, wie in Wolken, erscheint, und der Himmel der Vollendung vor der ahnenden Liebe sich öffnet, da, Bellarmin! da denke ihres Wesens, da beuge die Knie mit mir, und denke meiner Seeligkeit! aber vergiß nicht, daß ich hatte, was du ahnest, daß ich mit diesen Augen sah, was nur, wie in Wolken, dir erscheint.
    Daß die Menschen manchmal sagen möchten: sie freueten sich! O glaubt, ihr habt von Freude noch nichts geahnet! Euch ist der Schatten ihres Schattens noch nicht erschienen! O geht, und sprecht vom blauen Aether nicht, ihr Blinden!
    Daß man werden kann, wie die Kinder, daß noch die goldne Zeit der Unschuld wiederkehrt, die Zeit des Friedens und der Freiheit, daß doch Eine Freude ist, Eine Ruhestätte auf Erden!
    Ist der Mensch nicht veraltert, verwelkt, ist er nicht, wie ein abgefallen Blatt, das seinen Stamm nicht wieder findet und nun umhergescheucht wird von den Winden, bis es der Sand begräbt?
    Und dennoch kehrt sein Frühling wieder!
    Weint nicht, wenn das Treflichste verblüht! bald wird es sich verjüngen! Trauert nicht, wenn eures Herzens Melodie verstummt! bald findet eine Hand sich wieder, es zu stimmen!
    Wie war denn ich? war ich nicht wie ein zerrissen Saitenspiel? Ein wenig tönt' ich noch, aber es waren Todestöne. Ich hatte mir ein düster Schwanenlied gesungen! Einen Sterbekranz hätt' ich gern mir gewunden, aber ich hatte nur Winterblumen.
    Und wo war sie denn nun, die Todtenstille, die Nacht und Öde meines Lebens? die ganze dürftige Sterblichkeit?
    Freilich ist das Leben arm und einsam. Wir wohnen hier unten, wie der Diamant im Schacht. Wir fragen umsonst, wie wir herabgekommen, um wieder den Weg hinauf zu finden.
    Wir sind, wie Feuer, das im dürren Aste oder im Kiesel schläft; und ringen und suchen in jedem Moment das Ende der engen Gefangenschaft. Aber sie kommen, sie wägen Aeonen des Kampfes auf, die Augenblike der Befreiung, wo das Göttliche den Kerker sprengt, wo die Flamme vom Holze sich löst und siegend emporwallt über der Asche, ha! wo uns ist, als kehrte der entfesselte Geist, vergessen der Leiden, der Knechtsgestalt, im Triumphe zurük in die Hallen der Sonne.
StA, Band 3, Seite 48-52.

 

Hyperion an Bellarmin XIV

Ich war einst glüklich, Bellarmin! Bin ich es nicht noch? Wär' ich es nicht, wenn auch der heilige Moment, wo ich zum erstenmale sie sah, der lezte wäre gewesen?
    Ich hab' es Einmal gesehn, das Einzige, das meine Seele suchte, und die Vollendung, die wir über die Sterne hinauf entfernen, die wir hinausschieben bis an's Ende der Zeit, die hab' ich gegenwärtig gefühlt. Es war da, das Höchste, in diesem Kreise der Menschennatur und der Dinge war es da!
    Ich frage nicht mehr, wo es sey; es war in der Welt, es kann wiederkehren in ihr, es ist jezt nur verborgner in ihr. Ich frage nicht mehr, was es sey; ich hab' es gesehn, ich hab' es kennen gelernt.
    O ihr, die ihr das Höchste und Beste sucht, in der Tiefe des Wissens, im Getümmel des Handelns, im Dunkel der Vergangenheit, im Labyrinthe der Zukunft, in den Gräbern oder über den Sternen! wißt ihr seinen Nahmen? den Nahmen deß, das Eins ist und Alles?
    Sein Nahme ist Schönheit.
    Wußtet ihr, was ihr wolltet? Noch weiß ich es nicht, doch ahn' ich es, der neuen Gottheit neues Reich, und eil' ihm zu und ergreiffe die andern und führe sie mit mir, wie der Strom die Ströme in den Ocean.
    Und du, du hast mir den Weg gewiesen! Mit dir begann ich. Sie sind der Worte nicht werth, die Tage, da ich noch dich nicht kannte –
    O Diotima, Diotima, himmlisches Wesen!
StA, Band 3, Seite 52-53.

 

Hyperion an Bellarmin XV

Laß uns vergessen, daß es eine Zeit giebt und zähle die Lebenstage nicht!
    Was sind Jahrhunderte gegen den Augenblik, wo zwei Wesen so sich ahnen und nahn?
    Noch seh' ich den Abend, an dem Notara zum erstenmale zu ihr in's Haus mich brachte.
    Sie wohnte nur einige hundert Schritte von uns am Fuße des Bergs.
    Ihre Mutter war ein denkend zärtlich Wesen, ein schlichter fröhlicher Junge der Bruder, und beede gestanden herzlich in allem Thun und Lassen, daß Diotima die Königin des Hauses war.
    Ach! es war alles geheiliget, verschönert durch ihre Gegenwart. Wohin ich sah, was ich berührte, ihr Fußteppich, ihr Polster, ihr Tischchen, alles war in geheimem Bunde mit ihr. Und da sie zum erstenmale mit Nahmen mich rief, da sie selbst so nahe mir kam, daß ihr unschuldiger Othem mein lauschend Wesen berührte! –
    Wir sprachen sehr wenig zusammen. Man schämt sich seiner Sprache. Zum Tone möchte man werden und sich vereinen in Einen Himmelsgesang.
    Wovon auch sollten wir sprechen? Wir sahn nur uns. Von uns zu sprechen, scheuten wir uns.
    Vom Leben der Erde sprachen wir endlich.
    So feurig und kindlich ist ihr noch keine Hymne gesungen worden.
    Es that uns wohl, den Überfluß unsers Herzens der guten Mutter in den Schoos zu streuen. Wir fühlten uns dadurch erleichtert, wie die Bäume, wenn ihnen der Sommerwind die fruchtbaren Äste schüttelt, und ihre süßen Äpfel in das Gras gießt.
    Wir nannten die Erde eine der Blumen des Himmels, und den Himmel nannten wir den unendlichen Garten des Lebens. Wie die Rosen sich mit goldnen Stäubchen erfreuen, sagten wir, so erfreue das heldenmüthige Sonnenlicht mit seinen Strahlen die Erde; sie sey ein herrlich lebend Wesen, sagten wir, gleich göttlich, wenn ihr zürnend Feuer oder mildes klares Wasser aus dem Herzen quille, immer glüklich, wenn sie von Thautropfen sich nähre, oder von Gewitterwolken, die sie sich zum Genusse bereite mit Hülfe des Himmels, die immer treuer liebende Hälfte des Sonnengotts, ursprünglich vieleicht inniger mit ihm vereint, dann aber durch ein allwaltend Schiksaal geschieden von ihm, damit sie ihn suche, sich nähere, sich entferne und unter Lust und Trauer zur höchsten Schönheit reife.
    So sprachen wir. Ich gebe dir den Innhalt, den Geist davon. Aber was ist er ohne das Leben?
    Es dämmerte, und wir mußten gehen. Gute Nacht, ihr Engelsaugen! dacht' ich im Herzen, und erscheine du bald mir wieder, schöner göttlicher Geist, mit deiner Ruhe und Fülle!
StA, Band 3, Seite 53-54.

 

Hyperion an Bellarmin XVI

Ein paar Tage drauf kamen sie herauf zu uns. Wir giengen zusammen im Garten herum. Diotima und ich geriethen voraus, vertieft, mir traten oft Thränen der Wonne in's Auge, über das Heilige, das so anspruchlos zur Seite mir gieng.
    Vorn am Rande des Berggipfels standen wir nun, und sahn hinaus, in den unendlichen Osten.
    Diotima's Auge öffnete sich weit, und leise, wie eine Knospe sich aufschließt, schloß das liebe Gesichtchen vor den Lüften des Himmels sich auf, ward lauter Sprache und Seele, und, als begänne sie den Flug in die Wolken, stand sanft empor gestrekt die ganze Gestalt, in leichter Majestät, und berührte kaum mit den Füßen die Erde.
    O unter den Armen hätt' ich sie fassen mögen, wie der Adler seinen Ganymed, und hinfliegen mit ihr über das Meer und seine Inseln.
    Nun trat sie weiter vor, und sah die schroffe Felsenwand hinab. Sie hatte ihre Lust daran, die schrökende Tiefe zu messen, und sich hinab zu verlieren in die Nacht der Wälder, die unten aus Felsenstüken und schäumenden Wetterbächen herauf die lichten Gipfel strekten.
    Das Geländer, worauf sie sich stüzte, war etwas niedrig. So durft' ich es ein wenig halten, das Reizende, indeß es so sich vorwärts beugte. Ach! heiße zitternde Wonne durchlief mein Wesen und Taumel und Toben war in allen Sinnen, und die Hände brannten mir, wie Kohlen, da ich sie berührte.
    Und dann die Herzenslust, so traulich neben ihr zu stehn, und die zärtlich kindische Sorge, daß sie fallen möchte, und die Freude an der Begeisterung des herrlichen Mädchens!
    Was ist alles, was in Jahrtausenden die Menschen thaten und dachten, gegen Einen Augenblik der Liebe? Es ist aber auch das Gelungenste, Göttlichschönste in der Natur! dahin führen alle Stuffen auf der Schwelle des Lebens. Daher kommen wir, dahin gehn wir.
StA, Band 3, Seite 54-55.

 

Hyperion an Bellarmin XVII

Nur ihren Gesang sollt' ich vergessen, nur diese Seelentöne sollten nimmer wiederkehren in meinen unaufhörlichen Träumen.
    Man kennt den stolzhinschiffenden Schwan nicht, wenn er schlummernd am Ufer sizt.
    Nur, wenn sie sang, erkannte man die liebende Schweigende, die so ungern sich zur Sprache verstand.
    Da, da gieng erst die himmlische Ungefällige in ihrer Majestät und Lieblichkeit hervor; da weht' es oft so bittend und so schmeichelnd, oft, wie ein Göttergebot, von den zarten blühenden Lippen. Und wie das Herz sich regt' in dieser göttlichen Stimme, wie alle Größe und Demuth, alle Lust und alle Trauer des Lebens verschönert im Adel dieser Töne erschien!
    Wie im Fluge die Schwalbe die Bienen hascht, ergriff sie immer uns alle.
    Es kam nicht Lust und nicht Bewunderung, es kam der Friede des Himmels unter uns.
    Tausendmal hab' ich es ihr und mir gesagt: das Schönste ist auch das Heiligste. Und so war alles an ihr. Wie ihr Gesang, so auch ihr Leben.
StA, Band 3, Seite 55-56.

 

Hyperion an Bellarmin XVIII

Unter den Blumen war ihr Herz zu Hause, als wär' es eine von ihnen.
    Sie nannte sie alle mit Nahmen, schuff ihnen aus Liebe neue, schönere, und wußte genau die fröhlichste Lebenszeit von jeder.
    Wie eine Schwester, wenn aus jeder Eke ein Geliebtes ihr entgegenkömmt, und jedes gerne zuerst gegrüßt seyn möchte, so war das stille Wesen mit Aug und Hand beschäftigt, seelig zerstreut, wenn auf der Wiese wir giengen, oder im Walde.
    Und das war so ganz nicht angenommen, angebildet, das war so mit ihr aufgewachsen.
    Es ist doch ewig gewiß und zeigt sich überall; je unschuldiger, schöner eine Seele, desto vertrauter mit den andern glüklichen Leben, die man seelenlos nennt.
StA, Band 3, Seite 56.

 

Hyperion an Bellarmin XIX

Tausendmal hab' ich in meiner Herzensfreude gelacht über die Menschen, die sich einbilden, ein erhabner Geist könne unmöglich wissen, wie man ein Gemüße bereitet. Diotima konnte wohl zur rechten Zeit recht herzhaft von dem Feuerheerde sprechen, und es ist gewiß nichts edler, als ein edles Mädchen, das die allwohlthätige Flamme besorgt, und, ähnlich der Natur, die herzerfreuende Speise bereitet.
StA, Band 3, Seite 56-57.

 

Hyperion an Bellarmin XX

Was ist alles künstliche Wissen in der Welt, was ist die ganze stolze Mündigkeit der menschlichen Gedanken gegen die ungesuchten Töne dieses Geistes, der nicht wußte, was er wußte, was er war?
    Wer will die Traube nicht lieber voll und frisch, so wie sie aus der Wurzel quoll, als die getrokneten gepflükten Beere, die der Kaufmann in die Kiste preßt und in die Welt schikt? Was ist die Weisheit eines Buchs gegen die Weisheit eines Engels?
    Sie schien immer so wenig zu sagen, und sagte so viel.
    Ich geleitete sie einst in später Dämmerung nach Hause; wie Träume, beschlichen thauende Wölkchen die Wiese, wie lauschende Genien, sahn die seeligen Sterne durch die Zweige.
    Man hörte selten ein »wie schön!« aus ihrem Munde, wenn schon das fromme Herz kein lispelnd Blatt, kein Rieseln einer Quelle unbehorcht ließ.
    Dißmal sprach sie es denn doch mir aus – wie schön!
    Es ist wohl uns zuliebe so! sagt' ich, ungefähr, wie Kinder etwas sagen, weder im Scherze noch im Ernste.
    Ich kann mir denken, was du sagst, erwiederte sie; ich denke mir die Welt am liebsten, wie ein häuslich Leben, wo jedes, ohne gerade dran zu denken, sich in's andre schikt, und wo man sich einander zum Gefallen und zur Freude lebt, weil es eben so vom Herzen kömmt.
    Froher erhabner Glaube! rief ich.
    Sie schwieg eine Weile.
    Auch wir sind also Kinder des Hauses, begann ich endlich wieder, sind es und werden es seyn.
    Werden ewig es seyn, erwiederte sie.
    Werden wir das? fragt' ich. Ich vertraue, fuhr sie fort, hierinnen der Natur, so wie ich täglich ihr vertraue.
    O ich hätte mögen Diotima seyn, da sie diß sagte! Aber du weißt nicht, was sie sagte, mein Bellarmin! Du hast es nicht gesehn und nicht gehört.
    Du hast Recht, rief ich ihr zu; die ewige Schönheit, die Natur leidet keinen Verlust in sich, so wie sie keinen Zusaz leidet. Ihr Schmuk ist morgen anders, als er heute war; aber unser Bestes, uns, uns kann sie nicht entbehren und dich am wenigsten. Wir glauben, daß wir ewig sind, denn unsere Seele fühlt die Schönheit der Natur. Sie ist ein Stükwerk, ist die Göttliche, die Vollendete nicht, wenn jemals du in ihr vermißt wirst. Sie verdient dein Herz nicht, wenn sie erröthen muß vor deinen Hoffnungen.
StA, Band 3, Seite 57-58.

 

Hyperion an Bellarmin XXI

So bedürfnißlos, so göttlichgenügsam hab' ich nichts gekannt.
    Wie die Wooge des Oceans das Gestade seeliger Inseln, so umfluthete mein ruheloses Herz den Frieden des himmlischen Mädchens.
    Ich hatt' ihr nichts zu geben, als ein Gemüth voll wilder Widersprüche, voll blutender Erinnerungen, nichts hatt' ich ihr zu geben, als meine gränzenlose Liebe mit ihren tausend Sorgen, ihren tausend tobenden Hoffnungen; sie aber stand vor mir in wandelloser Schönheit, mühelos, in lächelnder Vollendung da, und alles Sehnen, alles Träumen der Sterblichkeit, ach! alles, was in goldnen Morgenstunden von höhern Regionen der Genius weissagt, es war alles in dieser Einen stillen Seele erfüllt.
    Man sagt sonst, über den Sternen verhalle der Kampf, und künftig erst, verspricht man uns, wenn unsre Hefe gesunken sey, verwandle sich in edeln Freudenwein das gährende Leben, die Herzensruhe der Seeligen sucht man sonst auf dieser Erde nirgends mehr. Ich weiß es anders. Ich bin den nähern Weg gekommen. Ich stand vor ihr, und hört' und sah den Frieden des Himmels, und mitten im seufzenden Chaos erschien mir Urania.
    Wie oft hab' ich meine Klagen vor diesem Bilde gestillt! wie oft hat sich das übermüthige Leben und der strebende Geist besänftigt, wenn ich, in seelige Betrachtungen versunken, ihr in's Herz sah, wie man in die Quelle siehet, wenn sie still erbebt von den Berührungen des Himmels, der in Silbertropfen auf sie niederträufelt!
    Sie war mein Lethe, diese Seele, mein heiliger Lethe, woraus ich die Vergessenheit des Daseyns trank, daß ich vor ihr stand, wie ein Unsterblicher, und freudig mich schalt, und wie nach schweren Träumen lächeln mußte über alle Ketten, die mich gedrükt.
    O ich wär' ein glüklicher, ein treflicher Mensch geworden mit ihr!
    Mit ihr! aber das ist mislungen, und nun irr' ich herum in dem, was vor und in mir ist, und drüber hinaus, und weiß nicht, was ich machen soll aus mir und andern Dingen.
    Meine Seele ist, wie ein Fisch aus ihrem Elemente auf den Ufersand geworfen, und windet sich und wirft sich umher, bis sie vertroknet in der Hizze des Tags.
    Ach! gäb' es nur noch etwas in der Welt für mich zu thun! gäb' es eine Arbeit, einen Krieg für mich, das sollte mich erquiken!
    Knäblein, die man von der Mutterbrust gerissen und in die Wüste geworfen, hat einst, so sagt man, eine Wölfin gesäugt.
    Mein Herz ist nicht so glüklich.
StA, Band 3, Seite 58-59.

 

Hyperion an Bellarmin XXII

Ich kann nur hie und da ein Wörtchen von ihr sprechen. Ich muß vergessen, was sie ganz ist, wenn ich von ihr sprechen soll. Ich muß mich täuschen, als hätte sie vor alten Zeiten gelebt, als wüßt' ich durch Erzählung einiges von ihr, wenn ihr lebendig Bild mich nicht ergreiffen soll, daß ich vergehe im Entzüken und im Schmerz, wenn ich den Tod der Freude über sie und den Tod der Trauer um sie nicht sterben soll.
StA, Band 3, Seite 59.

 

Hyperion an Bellarmin XXIII

Es ist umsonst; ich kann's mir nicht verbergen. Wohin ich auch entfliehe mit meinen Gedanken, in die Himmel hinauf und in den Abgrund, zum Anfang und an's Ende der Zeiten, selbst wenn ich ihm, der meine lezte Zuflucht war, der sonst noch jede Sorge in mir verzehrte, der alle Lust und allen Schmerz des Lebens sonst mit der Feuerflamme, worinn er sich offenbarte, in mir versengte, selbst wenn ich ihm mich in die Arme werfe, dem herrlichen geheimen Geiste der Welt, in seine Tiefe mich tauche, wie in den bodenlosen Ocean hinab, auch da, auch da finden die süßen Schreken mich aus, die süßen verwirrenden tödtenden Schreken, daß Diotima's Grab mir nah ist.
    Hörst du? hörst du? Diotima's Grab!
    Mein Herz war doch so stille geworden, und meine Liebe war begraben mit der Todten, die ich liebte.
    Du weißt, mein Bellarmin! ich schrieb dir lange nicht von ihr, und da ich schrieb, so schrieb ich dir gelassen, wie ich meine.
    Was ist's denn nun?
    Ich gehe ans Ufer hinaus und sehe nach Kalaurea, wo sie ruhet, hinüber, das ist's.
    O daß ja keiner den Kahn mir leihe, daß ja sich keiner erbarme und mir sein Ruder biete und mir hinüberhelfe zu ihr!
    Daß ja das gute Meer nicht ruhig bleibe, damit ich nicht ein Holz mir zimmre und hinüberschwimme zu ihr.
    Aber in die tobende See will ich mich werfen, und ihre Wooge bitten, daß sie an Diotima's Gestade mich wirft! –
    Lieber Bruder! ich tröste mein Herz mit allerlei Phantasien, ich reiche mir manchen Schlaftrank; und es wäre wohl größer, sich zu befreien auf immer, als sich zu behelfen mit Palliativen; aber wem geht's nicht so? Ich bin denn doch damit zufrieden.
    Zufrieden? ach das wäre gut! da wäre ja geholfen, wo kein Gott nicht helfen kann.
    Nun! nun! ich habe, was ich konnte, gethan! Ich fodre von dem Schiksaal meine Seele.
StA, Band 3, Seite 59-61.

 

Hyperion an Bellarmin XXIV

War sie nicht mein, ihr Schwestern des Schiksaals, war sie nicht mein? Die reinen Quellen fodr' ich auf zu Zeugen, und die unschuldigen Bäume, die uns belauschten, und das Tagslicht und den Aether! war sie nicht mein? vereint mit mir in allen Tönen des Lebens?
    Wo ist das Wesen, das, wie meines, sie erkannte? in welchem Spiegel sammelten sich, so wie in mir, die Stralen dieses Lichts? erschrak sie freudig nicht vor ihrer eignen Herrlichkeit, da sie zuerst in meiner Freude sich gewahr ward? Ach! wo ist das Herz, das so, wie meines, überall ihr nah war, so, wie meines, sie erfüllte und von ihr erfüllt war, das so einzig da war, ihres zu umfangen, wie die Wimper für das Auge da ist.
    Wir waren Eine Blume nur, und unsre Seelen lebten in einander, wie die Blume, wenn sie liebt, und ihre zarten Freuden im verschloßnen Kelche verbirgt.
    Und doch, doch wurde sie, wie eine angemaaste Krone, von mir gerissen und in den Staub gelegt?
StA, Band 3, Seite 61.

 

Hyperion an Bellarmin XXV

Eh' es eines von uns beeden wußte, gehörten wir uns an.
    Wenn ich so, mit allen Huldigungen des Herzens, seelig überwunden, vor ihr stand, und schwieg, und all' mein Leben sich hingab in den Stralen des Augs, das sie nur sah, nur sie umfaßte, und sie dann wieder zärtlich zweifelnd mich betrachtete, und nicht wußte, wo ich war mit meinen Gedanken, wenn ich oft, begraben in Lust und Schönheit, bei einem reizenden Geschäfte sie belauschte, und um die leiseste Bewegung, wie die Biene um die schwanken Zweige, meine Seele schweift' und flog, und wenn sie dann in friedlichen Gedanken gegen mich sich wandt', und, überrascht von meiner Freude, meine Freude sich verbergen mußt, und bei der lieben Arbeit ihre Ruhe wieder sucht' und fand –
    Wenn sie, wunderbar allwissend, jeden Wohlklang, jeden Mislaut in der Tiefe meines Wesens, im Momente, da er begann, noch eh' ich selbst ihn wahrnahm, mir enthüllte, wenn sie jeden Schatten eines Wölkchens auf der Stirne, jeden Schatten einer Wehmuth, eines Stolzes auf der Lippe, jeden Funken mir im Auge sah, wenn sie die Ebb' und Fluth des Herzens mir behorcht' und sorgsam trübe Stunden ahnete, indeß mein Geist zu unenthaltsam, zu verschwenderisch im üppigen Gespräche sich verzehrte, wenn das liebe Wesen, treuer, wie ein Spiegel, jeden Wechsel meiner Wange mir verrieth, und oft in freundlichen Bekümmernissen über mein unstet Wesen mich ermahnt', und strafte, wie ein theures Kind –
    Ach! da du einst, Unschuldige, an den Fingern die Treppen zähltest, von unsrem Berge herab zu deinem Hause, da du deine Spaziergänge mir wiesest, die Pläze, wo du sonst gesessen, und mir erzähltest, wie die Zeit dir da vergangen, und mir am Ende sagtest, es sey dir jezt, als wär' ich auch von jeher dagewesen –
    Gehörten wir da nicht längst uns an?
StA, Band 3, Seite 61-62.

 

Hyperion an Bellarmin XXVI

Ich baue meinem Herzen ein Grab, damit es ruhen möge; ich spinne mich ein, weil überall es Winter ist; in seeligen Erinnerungen hüll' ich vor dem Sturme mich ein.
    Wir saßen einst mit Notara – so hieß der Freund, bei dem ich lebte – und einigen andern, die auch, wie wir, zu den Sonderlingen in Kalaurea gehörten, in Diotima's Garten, unter blühenden Mandelbäumen, und sprachen unter andrem über die Freundschaft.
    Ich hatte wenig mitgesprochen, ich hütete mich seit einiger Zeit, viel Worte zu machen von Dingen, die das Herz zunächst angehn, meine Diotima hatte mich so einsylbig gemacht –
    Da Harmodius und Aristogiton lebten, rief endlich einer, da war noch Freundschaft in der Welt. Das freute mich zu sehr, als daß ich hätte schweigen mögen.
    Man sollte dir eine Krone flechten um dieses Wortes willen! rief ich ihm zu; hast du denn wirklich eine Ahnung davon, hast du ein Gleichniß für die Freundschaft des Aristogiton und Harmodius? Verzeih mir! Aber beim Aether! man muß Aristogiton seyn, um nachzufühlen, wie Aristogiton liebte, und die Blize durfte wohl der Mann nicht fürchten, der geliebt seyn wollte mit Harmodius Liebe, denn es täuscht mich alles, wenn der furchtbare Jüngling nicht mit Minos Strenge liebte. Wenige sind in solcher Probe bestanden, und es ist nicht leichter, eines Halbgotts Freund zu seyn, als an der Götter Tische, wie Tantalus, zu sizen. Aber es ist auch nichts herrlicheres auf Erden, als wenn ein stolzes Paar, wie diese, so sich unterthan ist.
    Das ist auch meine Hoffnung, meine Lust in einsamen Stunden, daß solche große Töne und größere einst wiederkehren müssen in der Symphonie des Weltlaufs. Die Liebe gebahr Jahrtausende voll lebendiger Menschen; die Freundschaft wird sie wiedergebähren. Von Kinderharmonie sind einst die Völker ausgegangen, die Harmonie der Geister wird der Anfang einer neuen Weltgeschichte seyn. Von Pflanzenglük begannen die Menschen und wuchsen auf, und wuchsen, bis sie reiften; von nun an gährten sie unaufhörlich fort, von innen und außen, bis jezt das Menschengeschlecht, unendlich aufgelöst, wie ein Chaos daliegt, daß alle, die noch fühlen und sehen, Schwindel ergreift; aber die Schönheit flüchtet aus dem Leben der Menschen sich herauf in den Geist; Ideal wird, was Natur war, und wenn von unten gleich der Baum verdorrt ist und verwittert, ein frischer Gipfel ist noch hervorgegangen aus ihm, und grünt im Sonnenglanze, wie einst der Stamm in den Tagen der Jugend; Ideal ist, was Natur war. Daran, an diesem Ideale, dieser verjüngten Gottheit, erkennen die Wenigen sich und Eins sind sie, denn es ist Eines in ihnen, und von diesen, diesen beginnt das zweite Lebensalter der Welt – ich habe genug gesagt, um klar zu machen, was ich denke.
    Da hättest du Diotima sehen sollen, wie sie aufsprang und die beeden Hände mir reichte und rief: ich hab' es verstanden, Lieber, ganz verstanden, so viel es sagt.
    Die Liebe gebahr die Welt, die Freundschaft wird sie wieder gebähren.
    O dann, ihr künftigen, ihr neuen Dioskuren, dann weilt ein wenig, wenn ihr vorüberkömmt, da, wo Hyperion schläft, weilt ahnend über des vergeßnen Mannes Asche, und sprecht: er wäre, wie unser einer, wär' er jezt da.
    Das hab' ich gehört, mein Bellarmin! das hab' ich erfahren, und gehe nicht willig in den Tod?
    Ja! ja! ich bin vorausbezahlt, ich habe gelebt. Mehr Freude konnt' ein Gott ertragen, aber ich nicht.
StA, Band 3, Seite 62-64.

 

Hyperion an Bellarmin XXVII

Frägst du, wie mir gewesen sey um diese Zeit? Wie einem, der alles verloren hat, um alles zu gewinnen.
    Oft kam ich freilich von Diotima's Bäumen, wie ein Siegestrunkner, oft mußt' ich eilends weg von ihr, um keinen meiner Gedanken zu verrathen; so tobte die Freude in mir, und der Stolz, der allbegeisternde Glaube, von Diotima geliebt zu seyn.
    Dann sucht' ich die höchsten Berge mir auf und ihre Lüfte, und wie ein Adler, dem der blutende Fittig geheilt ist, regte mein Geist sich im Freien, und dehnt', als wäre sie sein, über die sichtbare Welt sich aus; wunderbar! es war mir oft, als läuterten sich und schmelzten die Dinge der Erde, wie Gold, in meinem Feuer zusammen, und ein Göttliches würde aus ihnen und mir, so tobte in mir die Freude; und wie ich die Kinder aufhub und an mein schlagendes Herz sie drükte, wie ich die Pflanzen grüßte und die Bäume! Einen Zauber hätt' ich mir wünschen mögen, die scheuen Hirsche und all' die wilden Vögel des Walds, wie ein häuslich Völkchen, um meine freigebigen Hände zu versammeln, so seelig thörigt liebt' ich alles!
    Aber nicht lange, so war das alles, wie ein Licht, in mir erloschen, und stumm und traurig, wie ein Schatte, saß ich da und suchte das entschwundne Leben. Klagen mocht' ich nicht und trösten mocht' ich mich auch nicht. Die Hoffnung warf ich weg, wie ein Lahmer, dem die Krüke verlaidet ist; des Weinens schämt' ich mich; ich schämte mich des Daseyns überhaupt. Aber endlich brach denn doch der Stolz in Thränen aus, und das Leiden, das ich gerne verläugnet hätte, wurde mir lieb, und ich legt' es, wie ein Kind, mir an die Brust.
    Nein, rief mein Herz, nein, meine Diotima! es schmerzt nicht. Bewahre du dir deinen Frieden und laß mich meinen Gang gehn. Laß dich in deiner Ruhe nicht stören, holder Stern! wenn unter dir es gährt und trüb ist.
    O laß dir deine Rose nicht blaichen, seelige Götterjugend! Laß in den Kümmernissen der Erde deine Schöne nicht altern. Das ist ja meine Freude, süßes Leben! daß du in dir den sorgenfreien Himmel trägst. Du sollst nicht dürftig werden, nein, nein! du sollst in dir die Armuth der Liebe nicht sehn.
    Und wenn ich dann wieder zu ihr hinabgieng – ich hätte das Lüftchen fragen mögen und dem Zuge der Wolken es ansehn, wie es mit mir seyn werde in einer Stunde! und wie es mich freute, wenn irgend ein freundlich Gesicht mir auf dem Wege begegnete, und nur nicht gar zu troken sein »schönen Tag!« mir zurief!
    Wenn ein kleines Mädchen aus dem Walde kam und einen Erdbeerstraus mir zum Verkauffe reichte, mit einer Miene, als wollte sie ihn schenken, oder wenn ein Bauer, wo ich vorübergieng, auf seinem Kirschbaum saß und pflükte, und aus den Zweigen herab mir rief, ob ich nicht eine Handvoll kosten möchte; das waren gute Zeichen für das abergläubische Herz!
    Stand vollends gegen den Weg her, wo ich herabkam, von Diotima's Fenstern eines offen, wie konnte das so wohlthun!
    Sie hatte vieleicht nicht lange zuvor herausgesehn.
    Und nun stand ich vor ihr, athemlos und wankend, und drükte die verschlungnen Arme gegen mein Herz, sein Zittern nicht zu fühlen, und, wie der Schwimmer aus reißenden Wassern hervor, rang und strebte mein Geist, nicht unterzugehn in der unendlichen Liebe.
    Wovon sprechen wir doch geschwind? konnt' ich rufen, man hat oft seine Mühe, man kann den Stoff nicht finden, die Gedanken daran festzuhalten.
    Reißen sie wieder aus in die Luft? erwiederte meine Diotima. Du mußt ihnen Blei an die Flügel binden, oder ich will sie an einen Faden knüpfen, wie der Knabe den fliegenden Drachen, daß sie uns nicht entgehn.
    Das liebe Mädchen suchte sich und mir durch einen Scherz zu helfen, aber es war wenig damit gethan.
    Ja, ja! rief ich, wie du willst, wie du es für gut hältst – soll ich vorlesen? Deine Laute ist wohl noch gestimmt von gestern – vorzulesen hab' ich auch gerade nichts –
    Du hast schon mehr, als einmal, sagte sie, versprochen, mir zu erzählen, wie du gelebt hast, ehe wir uns kannten, möchtest du jezt nicht?
    Das ist wahr, erwiedert' ich; mein Herz warf sich gerne auf das, und ich erzählt' ihr nun, wie dir, von Adamas und meinen einsamen Tagen in Smyrna, von Alabanda und wie ich getrennt wurde von ihm, und von der unbegreiflichen Krankheit meines Wesens, eh' ich nach Kalaurea herüberkam – nun weißt du alles, sagt' ich zu ihr gelassen, da ich zu Ende war, nun wirst du weniger dich an mir stoßen; nun wirst du sagen, sezt' ich lächelnd hinzu, spottet dieses Vulkans nicht, wenn er hinkt, denn ihn haben zweimal die Götter vom Himmel auf die Erde geworfen.
    Stille, rief sie mit erstikter Stimme, und verbarg ihre Thränen in's Tuch, o stille, und scherze über dein Schiksaal, über dein Herz nicht! denn ich versteh' es und besser, als du.
    Lieber – lieber Hyperion! Dir ist wohl schwer zu helfen.
    Weißt du denn, fuhr sie mit erhöhter Stimme fort, weißt du denn, woran du darbest, was dir einzig fehlt, was du, wie Alpheus seine Arethusa, suchst, um was du trauertest in aller deiner Trauer? Es ist nicht erst seit Jahren hingeschieden, man kann so genau nicht sagen, wenn es da war, wenn es weggieng, aber es war, es ist, in dir ist's! Es ist eine bessere Zeit, die suchst du, eine schönere Welt. Nur diese Welt umarmtest du in deinen Freunden, du warst mit ihnen diese Welt.
    In Adamas war sie dir aufgegangen; sie war auch hingegangen mit ihm. In Alabanda erschien dir ihr Licht zum zweitenmale, aber brennender und heißer, und darum war es auch, wie Mitternacht, vor deiner Seele, da er für dich dahin war.
    Siehest du nun auch, warum der kleinste Zweifel über Alabanda zur Verzweiflung werden mußt' in dir? warum du ihn verstießest, weil er nur nicht gar ein Gott war?
    Du wolltest keine Menschen, glaube mir, du wolltest eine Welt. Den Verlust von allen goldenen Jahrhunderten, so wie du sie, zusammengedrängt in Einen glüklichen Moment, empfandest, den Geist von allen Geistern beßrer Zeit, die Kraft von allen Kräften der Heroën, die sollte dir ein Einzelner, ein Mensch ersezen! – Siehest du nun, wie arm, wie reich du bist? warum du so stolz seyn mußt und auch so niedergeschlagen? warum so schröklich Freude und Laid dir wechselt?
    Darum, weil du alles hast und nichts, weil das Phantom der goldenen Tage, die da kommen sollen, dein gehört, und doch nicht da ist, weil du ein Bürger bist in den Regionen der Gerechtigkeit und Schönheit, ein Gott bist unter Göttern in den schönen Träumen, die am Tage dich beschleichen, und wenn du aufwachst, auf neugriechischem Boden stehst.
    Zweimal, sagtest du? o du wirst in Einem Tage siebzigmal vom Himmel auf die Erde geworfen. Soll ich dir es sagen? Ich fürchte für dich, du hältst das Schiksaal dieser Zeiten schwerlich aus. Du wirst noch mancherlei versuchen, wirst –
    O Gott! und deine lezte Zufluchtsstätte wird ein Grab seyn.
    Nein, Diotima, rief ich, nein, beim Himmel, nein! So lange noch Eine Melodie mir tönt, so scheu ich nicht die Todtenstille der Wildniß unter den Sternen; so lange die Sonne nur scheint und Diotima, so giebt es keine Nacht für mich.
    Laß allen Tugenden die Sterbegloke läuten! ich höre ja dich, dich, deines Herzens Lied, du Liebe! und finde unsterblich Leben, indessen alles verlischt und welkt.
    O Hyperion, rief sie, wie sprichst du?
    »Ich spreche, wie ich muß. Ich kann nicht, kann nicht länger all' die Seeligkeit und Furcht und Sorge bergen – Diotima! – Ja du weißt es, mußt es wissen, hast längst es gesehen, daß ich untergehe, wenn du nicht die Hand mir reichst.«
    Sie war betroffen, verwirrt.
    Und an mir, rief sie, an mir will sich Hyperion halten? ja, ich wünsch' es, jezt zum erstenmale wünsch' ich, mehr zu seyn, denn nur ein sterblich Mädchen. Aber ich bin dir, was ich seyn kann.
    O so bist du ja mir Alles, rief ich!
    »Alles? böser Heuchler! und die Menschheit, die du doch am Ende einzig liebst?«
    Die Menschheit? sagt' ich; ich wollte, die Menschheit machte Diotima zum Loosungswort und mahlt' in ihre Paniere dein Bild, und spräche: heute soll das Göttliche siegen! Engel des Himmels! das müßt' ein Tag seyn!
    Geh, rief sie, geh, und zeige dem Himmel deine Verklärung! mir darf sie nicht so nahe seyn.
    Nicht wahr, du gehest, lieber Hyperion?
    Ich gehorchte. Wer hätte da nicht gehorcht? Ich gieng. So war ich noch niemals von ihr gegangen. O Bellarmin! das war Freude, Stille des Lebens, Götterruhe, himmlische, wunderbare, unerkennbare Freude.
    Worte sind hier umsonst, und wer nach einem Gleichniß von ihr fragt, der hat sie nie erfahren. Das Einzige, was eine solche Freude auszudrüken vermochte, war Diotima's Gesang, wenn er, in goldner Mitte, zwischen Höhe und Tiefe schwebte.
    O ihr Uferweiden des Lethe! ihr abendröthlichen Pfade in Elysiums Wäldern! ihr Lilien an den Bächen des Thals! ihr Rosenkränze des Hügels! Ich glaub' an euch, in dieser freundlichen Stunde, und spreche zu meinem Herzen: dort findest du sie wieder, und alle Freude, die du verlorst.
StA, Band 3, Seite 64-68.

 

Hyperion an Bellarmin XXVIII

Ich will dir immer mehr von meiner Seeligkeit erzählen.
    Ich will die Brust an den Freuden der Vergangenheit versuchen, bis sie, wie Stahl, wird, ich will mich üben an ihnen, bis ich unüberwindlich bin.
    Ha! fallen sie doch, wie ein Schwerdtschlag, oft mir auf die Seele, aber ich spiele mit dem Schwerdte, bis ich es gewohnt bin, ich halte die Hand in's Feuer, bis ich es ertrage, wie Wasser.
    Ich will nicht zagen; ja! ich will stark seyn! ich will mir nichts verhehlen, will von allen Seeligkeiten mir die seeligste aus dem Grabe beschwören.
    Es ist unglaublich, daß der Mensch sich vor dem Schönsten fürchten soll; aber es ist so.
    O bin ich doch hundertmal vor diesen Augenbliken, dieser tödtenden Wonne meiner Erinnerungen geflohen und habe mein Auge hinweggewandt, wie ein Kind vor Blizen! und dennoch wächst im üppigen Garten der Welt nichts lieblichers, wie meine Freuden, dennoch gedeiht im Himmel und auf Erden nichts edleres, wie meine Freuden.
    Aber nur dir, mein Bellarmin, nur einer reinen freien Seele, wie die deine ist, erzähl' ich's. So freigebig, wie die Sonne mit ihren Strahlen, will ich nicht seyn; meine Perlen will ich vor die alberne Menge nicht werfen.
    Ich kannte, seit dem lezten Seelengespräche, mit jedem Tage mich weniger. Ich fühlt', es war ein heilig Geheimniß zwischen mir und Diotima.
    Ich staunte, träumte. Als wär' um Mitternacht ein seeliger Geist mir erschienen und hätte mich erkoren, mit ihm umzugehn, so war es mir in der Seele.
    O es ist ein seltsames Gemische von Seeligkeit und Schwermuth, wenn es so sich offenbart, daß wir auf immer heraus sind aus dem gewöhnlichen Daseyn.
    Es war mir seitdem nimmer gelungen, Diotima allein zu sehn. Immer mußt' ein Dritter uns stören, trennen, und die Welt lag zwischen ihr und mir, wie eine unendliche Leere. Sechs todesbange Tage giengen so vorüber, ohne daß ich etwas wußte von Diotima. Es war, als lähmten die andern, die um uns waren, mir die Sinne, als tödteten sie mein ganzes äußeres Leben, damit auf keinem Wege die verschlossene Seele sich hinüber helfen möchte zu ihr.
    Wollt' ich mit dem Auge sie suchen, so wurd' es Nacht vor mir, wollt' ich mich mit einem Wörtchen an sie wenden, so erstikt' es in der Kehle.
    Ach! mir wollte das heilige nahmenlose Verlangen oft die Brust zerreißen, und die mächtige Liebe zürnt' oft, wie ein gefangener Titan, in mir. So tief, so innigst unversöhnlich hatte mein Geist noch nie sich gegen die Ketten gesträubt, die das Schiksaal ihm schmiedet, gegen das eiserne unerbittliche Gesez, geschieden zu seyn, nicht Eine Seele zu seyn mit seiner liebenswürdigen Hälfte.
    Die sternenhelle Nacht war nun mein Element geworden. Dann, wann es stille war, wie in den Tiefen der Erde, wo geheimnißvoll das Gold wächst, dann hob das schönere Leben meiner Liebe sich an.
    Da übte das Herz sein Recht, zu dichten, aus. Da sagt' es mir, wie Hyperions Geist im Vorelysium mit seiner holden Diotima gespielt, eh' er herabgekommen zur Erde, in göttlicher Kindheit bei dem Wohlgetöne des Quells, und unter Zweigen, wie wir die Zweige der Erde sehn, wenn sie verschönert aus dem güldenen Strome blinken.
    Und, wie die Vergangenheit, öffnete sich die Pforte der Zukunft in mir.
    Da flogen wir, Diotima und ich, da wanderten wir, wie Schwalben, von einem Frühling der Welt zum andern, durch der Sonne weites Gebiet und drüber hinaus, zu den andern Inseln des Himmels, an des Sirius goldne Küsten, in die Geisterthale des Arcturs –
    O es ist doch wohl wünschenswerth, so aus Einem Kelche mit der Geliebten die Wonne der Welt zu trinken!
    Berauscht vom seeligen Wiegenliede, das ich mir sang, schlief ich ein, mitten unter den herrlichen Phantomen.
    Wie aber am Strahle des Morgenlichts das Leben der Erde sich wieder enzündete, sah ich empor und suchte die Träume der Nacht. Sie waren, wie die schönen Sterne, verschwunden, und nur die Wonne der Wehmuth zeugt' in meiner Seele von ihnen.
    Ich trauerte; aber ich glaube, daß man unter den Seeligen auch so trauert. Sie war die Botin der Freude, diese Trauer, sie war die grauende Dämmerung, woran die unzähligen Rosen des Morgenroths sprossen. –
    Der glühende Sommertag hatte jezt alles in die dunkeln Schatten gescheucht. Auch um Diotima's Haus war alles still und leer, und die neidischen Vorhänge standen mir an allen Fenstern im Wege.
    Ich lebt' in Gedanken an sie. Wo bist du, dacht' ich, wo findet mein einsamer Geist dich, süßes Mädchen? Siehest du vor dich hin und sinnest? Hast du die Arbeit auf die Seite gelegt und stüzest den Arm aufs Knie und auf das Händchen das Haupt und giebst den lieblichen Gedanken dich hin?
    Daß ja nichts meine Friedliche störe, wenn sie mit süßen Phantasien ihr Herz erfrischt, daß ja nichts diese Traube betaste und den erquikenden Thau von den zarten Beeren ihr streife!
    So träumt' ich. Aber indeß die Gedanken zwischen den Wänden des Hauses nach ihr spähten, suchten die Füße sie anderswo, und eh' ich es gewahr ward, gieng ich unter den Bogengängen des heiligen Walds, hinter Diotima's Garten, wo ich sie zum erstenmale hatte gesehn. Was war das? Ich war ja indessen so oft mit diesen Bäumen umgegangen, war vertrauter mit ihnen, ruhiger unter ihnen geworden; jezt ergriff mich eine Gewalt, als trät' ich in Dianens Schatten, um zu sterben vor der gegenwärtigen Gottheit.
    Indessen gieng ich weiter. Mit jedem Schritte wurd' es wunderbarer in mir. Ich hätte fliegen mögen, so trieb mein Herz mich vorwärts; aber es war, als hätt' ich Blei an den Sohlen. Die Seele war vorausgeeilt, und hatte die irrdischen Glieder verlassen. Ich hörte nicht mehr und vor dem Auge dämmerten und schwankten alle Gestalten. Der Geist war schon bei Diotima; im Morgenlichte spielte der Gipfel des Baums, indeß die untern Zweige noch die kalte Dämmerung fühlten.
    Ach! mein Hyperion! rief jezt mir eine Stimme entgegen; ich stürzt' hinzu; »meine Diotima! o meine Diotima!« weiter hatt' ich kein Wort und keinen Othem, kein Bewußtseyn.
    Schwinde, schwinde, sterbliches Leben, dürftig Geschäft, wo der einsame Geist die Pfennige, die er gesammelt, hin und her betrachtet und zählt! wir sind zur Freude der Gottheit alle berufen!
    Es ist hier eine Lüke in meinem Daseyn. Ich starb, und wie ich erwachte, lag ich am Herzen des himmlischen Mädchens.
    O Leben der Liebe! wie warst du an ihr aufgegangen in voller holdseeliger Blüthe! wie in leichten Schlummer gesungen von seeligen Genien, lag das reizende Köpfchen mir auf der Schulter, lächelte süßen Frieden, und schlug sein ätherisch Auge nach mir auf in fröhlichem unerfahrenem Staunen, als blikt' es eben jezt zum erstenmale in die Welt.
    Lange standen wir so in holder selbstvergessener Betrachtung, und keines wußte, wie ihm geschah, bis endlich der Freude zu viel in mir sich häufte und in Thränen und Lauten des Entzükens auch meine verlorne Sprache wieder begann, und meine stille Begeisterte vollends wieder in's Daseyn wekte.
    Endlich sahn wir uns auch wieder um.
    O meine alten freundlichen Bäume! rief Diotima, als hätte sie sie in langer Zeit nicht gesehn, und das Andenken an ihre vorigen einsamen Tage spielt' um ihre Freuden, lieblich, wie die Schatten um den jungfräulichen Schnee, wenn er erröthet und glüht im freudigen Abendglanze.
    Engel des Himmels! rief ich, wer kann dich fassen? wer kann sagen, er habe ganz dich begriffen?
    Wunderst du dich, erwiederte sie, daß ich so sehr dir gut bin? Lieber! stolzer Bescheidner! Bin ich denn auch von denen, die nicht glauben können an dich, hab' ich denn nicht dich ergründet, hab' ich den Genius nicht in seinen Wolken erkannt? Verhülle dich nur und siehe dich selbst nicht; ich will dich hervorbeschwören, ich will –
    Aber er ist ja da, er ist hervorgegangen, wie ein Stern; er hat die Hülse durchbrochen und steht, wie ein Frühling, da; wie ein Kristallquell aus der düstern Grotte, ist er hervorgegangen; das ist der finstre Hyperion nicht, das ist die wilde Trauer nicht mehr – o mein, mein herrlicher Junge!
    Das alles war mir, wie ein Traum. Konnt' ich glauben an diß Wunder der Liebe? konnt' ich? mich hätte die Freude getödtet.
    Göttliche! rief ich, sprichst du mit mir? kannst du so dich verläugnen, seelige Selbstgenügsame! kannst du so dich freuen an mir? O ich seh' es nun, ich weiß nun, was ich oft geahnet, der Mensch ist ein Gewand, das oft ein Gott sich umwirft, ein Kelch, in den der Himmel seinen Nektar gießt, um seinen Kindern vom Besten zu kosten zu geben. –
    Ja, ja! fiel sie schwärmerisch lächelnd mir ein, dein Nahmensbruder, der herrliche Hyperion des Himmels ist in dir.
    Laß mich, rief ich, laß mich dein seyn, laß mich mein vergessen, laß alles Leben in mir und allen Geist nur dir zufliegen; nur dir, in seeliger endeloser Betrachtung! O Diotima! so stand ich sonst auch vor dem dämmernden Götterbilde, das meine Liebe sich schuff, vor dem Idole meiner einsamen Träume; ich nährt' es traulich; mit meinem Leben belebt' ich es, mit den Hoffnungen meines Herzens erfrischt', erwärmt' ich es, aber es gab mir nichts, als was ich gegeben, und wenn ich verarmt war, ließ es mich arm, und nun! nun hab' ich im Arme dich, und fühle den Othem deiner Brust, und fühle dein Aug' in meinem Auge, die schöne Gegenwart rinnt mir in alle Sinnen herein, und ich halt' es aus, ich habe das Herrlichste so und bebe nicht mehr – ja! ich bin wirklich nicht der ich sonst war, Diotima! ich bin deines gleichen geworden, und Göttliches spielt mit Göttlichem jezt, wie Kinder unter sich spielen. –
    Aber etwas stiller mußt du mir werden, sagte sie.
    Du hast auch recht, du Liebenswürdige! rief ich freudig, sonst erscheinen mir ja die Grazien nicht; sonst seh' ich ja im Meere der Schönheit seine leisen lieblichen Bewegungen nicht. O ich will es noch lernen, nichts an dir zu übersehen. Gieb mir nur Zeit!
    Schmeichler! rief sie, aber für heute sind wir zu Ende, lieber Schmeichler! die goldne Abendwolke hat mich gemahnt. O traure nicht! Erhalte dir und mir die reine Freude! Laß sie nachtönen in dir, bis Morgen, und tödte sie nicht durch Mismuth! – die Blumen des Herzens wollen freundliche Pflege. Ihre Wurzel ist überall, aber sie selbst gedeihn in heitrer Witterung nur. Leb wohl, Hyperion!
    Sie machte sich los. Mein ganzes Wesen flammt' in mir auf, wie sie so vor mir hinwegschwand in ihrer glühenden Schönheit.
    O du! – rief ich und stürzt ihr nach, und gab meine Seele in ihre Hand in unendlichen Küssen.
    Gott! rief sie, wie wird das künftig werden!
    Das traf mich. Verzeih, Himmlische! sagt' ich; ich gehe. Gute Nacht, Diotima! denke noch mein ein wenig!
    Das will ich, rief sie, gute Nacht!
    Und nun kein Wort mehr, Bellarmin! Es wäre zuviel für mein geduldiges Herz. Ich bin erschüttert, wie ich fühle. Aber ich will hinausgehn unter die Pflanzen und Bäume, und unter sie hin mich legen und beten, daß die Natur zu solcher Ruhe mich bringe.
StA, Band 3, Seite 69-74.

 

Hyperion an Bellarmin XXIX

Unsere Seelen lebten nun immer freier und schöner zusammen, und alles in und um uns vereinigte sich zu goldenem Frieden. Es schien, als wäre die alte Welt gestorben und eine neue begönne mit uns, so geistig und kräftig und liebend und leicht war alles geworden, und wir und alle Wesen schwebten, seelig vereint, wie ein Chor von tausend unzertrennlichen Tönen, durch den unendlichen Aether.
    Unsre Gespräche gleiteten weg, wie ein himmelblau Gewässer, woraus der Goldsand hin und wieder blinkt, und unsre Stille war, wie die Stille der Berggipfel, wo in herrlich einsamer Höhe, hoch über dem Raume der Gewitter, nur die göttliche Luft noch in den Loken des kühnen Wanderers rauscht.
    Und die wunderbare heilige Trauer, wann die Stunde der Trennung in unsre Begeisterung tönte, wenn ich oft rief: nun sind wir wieder sterblich, Diotima! und sie mir sagte: Sterblichkeit ist Schein, ist, wie die Farben, die vor unsrem Auge zittern, wenn es lange in die Sonne sieht!
    Ach! und alle die holdseeligen Spiele der Liebe! die Schmeichelreden, die Besorgnisse, die Empfindlichkeiten, die Strenge und Nachsicht.
    Und die Allwissenheit, womit wir uns durchschauten, und der unendliche Glaube, womit wir uns verherrlichten!
    Ja! eine Sonne ist der Mensch, allsehend, allverklärend, wenn er liebt, und liebt er nicht, so ist er eine dunkle Wohnung, wo ein rauchend Lämpchen brennt.
    Ich sollte schweigen, sollte vergessen und schweigen.
    Aber die reizende Flamme versucht mich, bis ich mich ganz in sie stürze, und, wie die Fliege, vergehe.
    Mitten in all dem seeligen unverhaltnen Geben und Nehmen fühlt' ich einmal, daß Diotima stiller wurde und immer stiller.
    Ich fragt' und flehte; aber das schien nur mehr sie zu entfernen, endlich flehte sie, ich möchte nicht mehr fragen, möchte gehn, und wenn ich wiederkäme, von etwas anderm sprechen. Das gab auch mir ein schmerzliches Verstummen, worein ich selbst mich nicht zu finden wußte.
    Mir war, als hätt' ein unbegreiflich plözlich Schiksaal unsrer Liebe den Tod geschworen, und alles Leben war hin, außer mir und allem.
    Ich schämte mich freilich deß; ich wußte gewiß, das Ungefähr beherrsche Diotima's Herz nicht. Aber wunderbar blieb sie mir immer, und mein verwöhnter untröstlicher Sinn wollt' immer offenbare gegenwärtige Liebe; verschloßne Schäze waren verlorne Schäze für ihn. Ach! ich hatt' im Glüke die Hoffnung verlernt, ich war noch damals, wie die ungeduldigen Kinder, die um den Apfel am Baume weinen, als wär' er gar nicht da, wenn er ihnen den Mund nicht küßt. Ich hatte keine Ruhe, ich flehte wieder, mit Ungestümm und Demuth, zärtlich und zürnend, mit ihrer ganzen allmächtigen bescheidnen Beredsamkeit rüstete die Liebe mich aus und nun – o meine Diotima! nun hatt' ich es, das reizende Bekenntniß, nun hab' ich und halt' es, bis auch mich, mit allem, was an mir ist, in die alte Heimath, in den Schoos der Natur die Wooge der Liebe zurükbringt.
    Die Unschuldige! noch kannte sie die mächtige Fülle ihres Herzens nicht, und lieblich erschroken vor dem Reichtum in ihr, begrub sie ihn in die Tiefe der Brust – und wie sie nun bekannte, heilige Einfalt, wie sie mit Thränen bekannte, sie liebe zu sehr, und wie sie Abschied nahm von allem, was sie sonst am Herzen gewiegt, o wie sie rief: abtrünnig bin ich geworden von Mai und Sommer und Herbst, und achte des Tages und der Nacht nicht, wie sonst, gehöre dem Himmel und der Erde nicht mehr, gehöre nur Einem, Einem, aber die Blüthe des Mai's und die Flamme des Sommers und die Reife des Herbsts, die Klarheit des Tags und der Ernst der Nacht, und Erd' und Himmel ist mir in diesem Einen vereint! so lieb' ich! – und wie sie nun in voller Herzenslust mich betrachtete, wie sie, in kühner heiliger Freude, in ihre schönen Arme mich nahm und die Stirne mir küßte und den Mund, ha! wie das göttliche Haupt, sterbend in Wonne, mir am offnen Halse herabsank, und die süßen Lippen an der schlagenden Brust mir ruhten und der liebliche Othem an die Seele mir gieng – o Bellarmin! die Sinne vergehn mir und der Geist entflieht.
    Ich seh', ich sehe, wie das enden muß. Das Steuer ist in die Wooge gefallen und das Schiff wird, wie an den Füßen ein Kind, ergriffen und an die Felsen geschleudert.
StA, Band 3, Seite 74-76.

 

Hyperion an Bellarmin XXX

Es giebt große Stunden im Leben. Wir schauen an ihnen hinauf, wie an den kolossalischen Gestalten der Zukunft und des Altertums, wir kämpfen einen herrlichen Kampf mit ihnen, und bestehn wir vor ihnen, so werden sie, wie Schwestern, und verlassen uns nicht.
    Wir saßen einst zusammen auf unsrem Berge, auf einem Steine der alten Stadt dieser Insel und sprachen davon, wie hier der Löwe Demosthenes sein Ende gefunden, wie er hier mit heiligem selbsterwähltem Tode aus den Macedonischen Ketten und Dolchen sich zur Freiheit geholfen – Der herrliche Geist gieng scherzend aus der Welt, rief einer; warum nicht? sagt' ich; er hatte nichts mehr hier zu suchen; Athen war Alexanders Dirne geworden, und die Welt, wie ein Hirsch, von dem großen Jäger zu Tode gehezt.
    O Athen! rief Diotima; ich habe manchmal getrauert, wenn ich dahinaussah, und aus der blauen Dämmerung mir das Phantom des Olympion aufstieg!
    Wie weit ist's hinüber? fragt' ich.
    Eine Tagreise vieleicht, erwiederte Diotima.
    Eine Tagereise, rief ich, und ich war noch nicht drüben? Wir müssen gleich hinüber zusammen.
    Recht so! rief Diotima; wir haben morgen heitere See, und alles steht jezt noch in seiner Grüne und Reife.
    Man braucht die ewige Sonne und das Leben der unsterblichen Erde zu solcher Wallfahrt.
    Also morgen! sagt' ich, und unsre Freunde stimmten mit ein.
    Wir fuhren früh, unter dem Gesange des Hahns, aus der Rhede. In frischer Klarheit glänzten wir und die Welt. Goldne stille Jugend war in unsern Herzen. Das Leben in uns war, wie das Leben einer neugebornen Insel des Oceans, worauf der erste Frühling beginnt.
    Schon lange war unter Diotima's Einfluß mehr Gleichgewicht in meine Seele gekommen; heute fühlt' ich es dreifach rein, und die zerstreuten schwärmenden Kräfte waren all' in Eine goldne Mitte versammelt.
    Wir sprachen unter einander von der Treflichkeit des alten Athenervolks, woher sie komme, worinn sie bestehe.
    Einer sagte, das Klima hat es gemacht; der andere: die Kunst und Philosophie; der dritte: Religion und Staatsform.
    Athenische Kunst und Religion, und Philosophie und Staatsform, sagt' ich, sind Blüthen und Früchte des Baums, nicht Boden und Wurzel. Ihr nehmt die Wirkungen für die Ursache.
    Wer aber mir sagt, das Klima habe diß alles gebildet, der denke, daß auch wir darinn noch leben.
    Ungestörter in jedem Betracht, von gewaltsamem Einfluß freier, als irgend ein Volk der Erde, erwuchs das Volk der Athener. Kein Eroberer schwächt sie, kein Kriegsglük berauscht sie, kein fremder Götterdienst betäubt sie, keine eilfertige Weisheit treibt sie zu unzeitiger Reife. Sich selber überlassen, wie der werdende Diamant, ist ihre Kindheit. Man hört beinahe nichts von ihnen, bis in die Zeiten des Pisistratus und Hipparch. Nur wenig Antheil nahmen sie am trojanischen Kriege, der, wie im Treibhaus, die meisten griechischen Völker zu früh erhizt' und belebte. – Kein außerordentlich Schiksaal erzeugt den Menschen. Groß und kolossalisch sind die Söhne einer solchen Mutter, aber schöne Wesen, oder, was dasselbe ist, Menschen werden sie nie, oder spät erst, wenn die Kontraste sich zu hart bekämpfen, um nicht endlich Frieden zu machen.
    In üppiger Kraft eilt Lacedämon den Atheniensern voraus, und hätte sich eben deswegen auch früher zerstreut und aufgelöst, wäre Lycurg nicht gekommen, und hätte mit seiner Zucht die übermüthige Natur zusammengehalten. Von nun an war denn auch an dem Spartaner alles erbildet, alle Vortreflichkeit errungen und erkauft durch Fleiß und selbstbewußtes Streben, und soviel man in gewissem Sinne von der Einfalt der Spartaner sprechen kann, so war doch, wie natürlich, eigentliche Kindereinfalt ganz nicht unter ihnen. Die Lacedämonier durchbrachen zu frühe die Ordnung des Instinkts, sie schlugen zu früh aus der Art, und so mußte denn auch die Zucht zu früh mit ihnen beginnen; denn jede Zucht und Kunst beginnt zu früh, wo die Natur des Menschen noch nicht reif geworden ist. Vollendete Natur muß in dem Menschenkinde leben, eh' es in die Schule geht, damit das Bild der Kindheit ihm die Rükkehr zeige aus der Schule zu vollendeter Natur.
    Die Spartaner blieben ewig ein Fragment; denn wer nicht einmal ein vollkommenes Kind war, der wird schwerlich ein vollkommener Mann. –
    Freilich hat auch Himmel und Erde für die Athener, wie für alle Griechen, das ihre gethan, hat ihnen nicht Armuth und nicht Überfluß gereicht. Die Stralen des Himmels sind nicht, wie ein Feuerregen, auf sie gefallen. Die Erde verzärtelte, berauschte sie nicht mit Liebkosungen und übergütigen Gaben, wie sonst wohl hie und da die thörige Mutter thut.
    Hiezu kam die wundergroße That des Theseus, die freiwillige Beschränkung seiner eignen königlichen Gewalt.
    O! solch ein Saamenkorn in die Herzen des Volks geworfen, muß einen Ocean von goldnen Ähren erzeugen, und sichtbar wirkt und wuchert es spät noch unter den Athenern.
    Also noch einmal! daß die Athener so frei von gewaltsamem Einfluß aller Art, so recht bei mittelmäßiger Kost aufwuchsen, das hat sie so vortreflich gemacht, und diß nur konnt' es!
    Laßt von der Wiege an den Menschen ungestört! treibt aus der engvereinten Knospe seines Wesens, treibt aus dem Hüttchen seiner Kindheit ihn nicht heraus! thut nicht zu wenig, daß er euch nicht entbehre und so von ihm euch unterscheide, thut nicht zu viel, daß er eure oder seine Gewalt nicht fühle, und so von ihm euch unterscheide, kurz, laßt den Menschen spät erst wissen, daß es Menschen, daß es irgend etwas außer ihm giebt, denn so nur wird er Mensch. Der Mensch ist aber ein Gott, so bald er Mensch ist. Und ist er ein Gott, so ist er schön.
    Sonderbar! rief einer von den Freunden.
    Du hast noch nie so tief aus meiner Seele gesprochen, rief Diotima.
    Ich hab' es von dir, erwiedert' ich.
    So war der Athener ein Mensch, fuhr ich fort, so mußt' er es werden. Schön kam er aus den Händen der Natur, schön, an Leib und Seele, wie man zu sagen pflegt.
    Das erste Kind der menschlichen, der göttlichen Schönheit ist die Kunst. In ihr verjüngt und wiederholt der göttliche Mensch sich selbst. Er will sich selber fühlen, darum stellt er seine Schönheit gegenüber sich. So gab der Mensch sich seine Götter. Denn im Anfang war der Mensch und seine Götter Eins, da, sich selber unbekannt, die ewige Schönheit war. – Ich spreche Mysterien, aber sie sind. –
    Das erste Kind der göttlichen Schönheit ist die Kunst. So war es bei den Athenern.
    Der Schönheit zweite Tochter ist Religion. Religion ist Liebe der Schönheit. Der Weise liebt sie selbst, die Unendliche, die Allumfassende; das Volk liebt ihre Kinder, die Götter, die in mannigfaltigen Gestalten ihm erscheinen. Auch so war's bei den Athenern. Und ohne solche Liebe der Schönheit, ohne solche Religion ist jeder Staat ein dürr Gerippe ohne Leben und Geist, und alles Denken und Thun ein Baum ohne Gipfel, eine Säule, wovon die Krone herabgeschlagen ist.
    Daß aber wirklich diß der Fall war bei den Griechen und besonders den Athenern, daß ihre Kunst und ihre Religion die ächten Kinder ewiger Schönheit – vollendeter Menschennatur – sind, und nur hervorgehn konnten aus vollendeter Menschennatur, das zeigt sich deutlich, wenn man nur die Gegenstände ihrer heiligen Kunst, und die Religion mit unbefangenem Auge sehn will, womit sie jene Gegenstände liebten und ehrten.
    Mängel und Mißtritte giebt es überall und so auch hier. Aber das ist sicher, daß man in den Gegenständen ihrer Kunst doch meist den reifen Menschen findet. Da ist nicht das Kleinliche, nicht das Ungeheure der Aegyptier und Gothen, da ist Menschensinn und Menschengestalt. Sie schweifen weniger als andre, zu den Extremen des Übersinnlichen und des Sinnlichen aus. In der schönen Mitte der Menschheit bleiben ihre Götter mehr, denn andre.
    Und wie der Gegenstand, so auch die Liebe. Nicht zu knechtisch und nicht gar zu sehr vertraulich! –
    Aus der Geistesschönheit der Athener folgte denn auch der nöthige Sinn für Freiheit.
    Der Aegyptier trägt ohne Schmerz die Despotie der Willkühr, der Sohn des Nordens ohne Widerwillen die Gesezesdespotie, die Ungerechtigkeit in Rechtsform; denn der Aegyptier hat von Mutterleib an einen Huldigungs- und Vergötterungstrieb; im Norden glaubt man an das reine freie Leben der Natur zu wenig, um nicht mit Aberglauben am Gesezlichen zu hängen.
    Der Athener kann die Willkühr nicht ertragen, weil seine göttliche Natur nicht will gestört seyn, er kann Gesezlichkeit nicht überall ertragen, weil er ihrer nicht überall bedarf. Drako taugt für ihn nicht. Er will zart behandelt seyn, und thut auch recht daran.
    Gut! unterbrach mich einer, das begreif ich, aber, wie diß dichterische religiöse Volk nun auch ein philosophisch Volk seyn soll, das seh' ich nicht.
    Sie wären sogar, sagt' ich, ohne Dichtung nie ein philosophisch Volk gewesen!
    Was hat die Philosophie, erwiedert' er, was hat die kalte Erhabenheit dieser Wissenschaft mit Dichtung zu thun?
    Die Dichtung, sagt' ich, meiner Sache gewiß, ist der Anfang und das Ende dieser Wissenschaft. Wie Minerva aus Jupiters Haupt, entspringt sie aus der Dichtung eines unendlichen göttlichen Seyns. Und so läuft am End' auch wieder in ihr das Unvereinbare in der geheimnißvollen Quelle der Dichtung zusammen.
    Das ist ein paradoxer Mensch, rief Diotima, jedoch ich ahn' ihn. Aber ihr schweift mir aus. Von Athen ist die Rede.
    Der Mensch, begann ich wieder, der nicht wenigstens im Leben Einmal volle lautre Schönheit in sich fühlte, wenn in ihm die Kräfte seines Wesens, wie die Farben am Irisbogen, in einander spielten, der nie erfuhr, wie nur in Stunden der Begeisterung alles innigst übereinstimmt, der Mensch wird nicht einmal ein philosophischer Zweifler werden, sein Geist ist nicht einmal zum Niederreißen gemacht, geschweige zum Aufbaun. Denn glaubt es mir, der Zweifler findet darum nur in allem, was gedacht wird, Widerspruch und Mangel, weil er die Harmonie der mangellosen Schönheit kennt, die nie gedacht wird. Das trokne Brod, das menschliche Vernunft wohlmeinend ihm reicht, verschmähet er nur darum, weil er ingeheim am Göttertische schwelgt.
    Schwärmer! rief Diotima, darum warst auch du ein Zweifler. Aber die Athener!
    Ich bin ganz nah an ihnen, sagt' ich. Das große Wort, das en diajeron eantw (das Eine in sich selber unterschiedne) des Heraklit, das konnte nur ein Grieche finden, denn es ist das Wesen der Schönheit, und ehe das gefunden war, gabs keine Philosophie.
    Nun konnte man bestimmen, das ganze war da. Die Blume war gereift; man konnte nun zergliedern.
    Der Moment der Schönheit war nun kund geworden unter den Menschen, war da im Leben und Geiste, das Unendlicheinige war.
    Man konnt' es aus einander sezen, zertheilen im Geiste, konnte das Getheilte neu zusammendenken, konnte so das Wesen des Höchsten und Besten mehr und mehr erkennen und das Erkannte zum Geseze geben in des Geistes mannigfaltigen Gebieten.
    Seht ihr nun, warum besonders die Athener auch ein philosophisch Volk seyn mußten?
    Das konnte der Aegyptier nicht. Wer mit dem Himmel und der Erde nicht in gleicher Lieb' und Gegenliebe lebt, wer nicht in diesem Sinne einig lebt mit dem Elemente, worinn er sich regt, ist von Natur auch in sich selbst so einig nicht, und erfährt die ewige Schönheit wenigstens so leicht nicht wie ein Grieche.
    Wie ein prächtiger Despot, wirft seine Bewohner der orientalische Himmelsstrich mit seiner Macht und seinem Glanze zu Boden, und, ehe der Mensch noch gehen gelernt hat, muß er knieen, eh' er sprechen gelernt hat, muß er beten; ehe sein Herz ein Gleichgewicht hat, muß es sich neigen, und ehe der Geist noch stark genug ist, Blumen und Früchte zu tragen, ziehet Schiksaal und Natur mit brennender Hizze alle Kraft aus ihm. Der Aegyptier ist hingegeben, eh' er ein Ganzes ist, und darum weiß er nichts vom Ganzen, nichts von Schönheit, und das Höchste, was er nennt, ist eine verschleierte Macht, ein schauerhaft Räthsel; die stumme finstre Isis ist sein Erstes und Leztes, eine leere Unendlichkeit und da heraus ist nie Vernünftiges gekommen. Auch aus dem erhabensten Nichts wird Nichts geboren.
    Der Norden treibt hingegen seine Zöglinge zu früh in sich hinein, und wenn der Geist des feurigen Aegyptiers zu reiselustig in die Welt hinaus eilt, schikt im Norden sich der Geist zur Rükkehr in sich selbst an, ehe er nur reisefertig ist.
    Man muß im Norden schon verständig seyn, noch eh' ein reif Gefühl in einem ist, man mißt sich Schuld von allem bei, noch ehe die Unbefangenheit ihr schönes Ende erreicht hat; man muß vernünftig, muß zum selbstbewußten Geiste werden, ehe man Mensch, zum klugen Manne, ehe man Kind ist; die Einigkeit des ganzen Menschen, die Schönheit läßt man nicht in ihm gedeihn und reifen, eh' er sich bildet und entwikelt. Der blose Verstand, die blose Vernunft sind immer die Könige des Nordens.
    Aber aus blosem Verstand ist nie verständiges, aus bloser Vernunft ist nie vernünftiges gekommen.
    Verstand ist ohne Geistesschönheit, wie ein dienstbarer Geselle, der den Zaun aus grobem Holze zimmert, wie ihm vorgezeichnet ist, und die gezimmerten Pfähle an einander nagelt, für den Garten, den der Meister bauen will. Des Verstandes ganzes Geschäft ist Nothwerk. Vor dem Unsinn, vor dem Unrecht schüzt er uns, indem er ordnet; aber sicher zu seyn vor Unsinn und vor Unrecht ist doch nicht die höchste Stuffe menschlicher Vortreflichkeit.
    Vernunft ist ohne Geistes-, ohne Herzensschönheit, wie ein Treiber, den der Herr des Hauses über die Knechte gesezt hat; der weiß, so wenig, als die Knechte, was aus all' der unendlichen Arbeit werden soll, und ruft nur: tummelt euch, und siehet es fast ungern, wenn es vor sich geht, denn am Ende hätt' er ja nichts mehr zu treiben, und seine Rolle wäre gespielt.
    Aus blosem Verstande kömmt keine Philosophie, denn Philosophie ist mehr, denn nur die beschränkte Erkenntniß des Vorhandnen.
    Aus bloser Vernunft kömmt keine Philosophie, denn Philosophie ist mehr, denn blinde Forderung eines nie zu endigenden Fortschritts in Vereinigung und Unterscheidung eines möglichen Stoffs.
    Leuchtet aber das göttliche en diajeron eautw, das Ideal der Schönheit der strebenden Vernunft, so fodert sie nicht blind, und weiß, warum, wozu sie fodert.
    Scheint, wie der Maitag in des Künstlers Werkstatt, dem Verstande die Sonne des Schönen zu seinem Geschäfte, so schwärmt er zwar nicht hinaus und läßt sein Nothwerk stehn, doch denkt er gerne des Festtags, wo er wandeln wird im verjüngenden Frühlingslichte.
    So weit war ich, als wir landeten an der Küste von Attika. Das alte Athen lag jezt zu sehr uns im Sinne, als daß wir hätten viel in der Ordnung sprechen mögen, und ich wunderte mich jezt selber über die Art meiner Äußerungen. Wie bin ich doch, rief ich, auf die troknen Berggipfel gerathen, worauf ihr mich saht?
    Es ist immer so, erwiederte Diotima, wenn uns recht wohl ist. Die üppige Kraft sucht eine Arbeit. Die jungen Lämmer stoßen sich die Stirnen an einander, wenn sie von der Mutter Milch gesättiget sind.
    Wir giengen jezt am Lykabettus hinauf, und blieben, troz der Eile, zuweilen stehen, in Gedanken und wunderbaren Erwartungen.
    Es ist schön, daß es dem Menschen so schwer wird, sich vom Tode dessen, was er liebt, zu überzeugen, und es ist wohl keiner noch zu seines Freundes Grabe gegangen, ohne die leise Hofnung, da dem Freunde wirklich zu begegnen. Mich ergriff das schöne Phantom des alten Athens, wie einer Mutter Gestalt, die aus dem Todtenreiche zurükkehrt.
    O Parthenon! rief ich, Stolz der Welt! zu deinen Füßen liegt das Reich des Neptun, wie ein bezwungener Löwe, und wie Kinder, sind die andern Tempel um dich versammelt, und die beredte Agora und der Hain des Akademus –
    Kannst du so dich in die alte Zeit versezen, sagte Diotima.
    Mahne mich nicht an die Zeit! erwiedert' ich; es war ein göttlich Leben und der Mensch war da der Mittelpunkt der Natur. Der Frühling, als er um Athen her blühte, war er, wie eine bescheidne Blume an der Jungfrau Busen; die Sonne gieng schaamroth auf über den Herrlichkeiten der Erde.
    Die Marmorfelsen des Hymettus und Pentele sprangen hervor aus ihrer schlummernden Wiege, wie Kinder aus der Mutter Schoos, und gewannen Form und Leben unter den zärtlichen Athener-Händen.
    Honig reichte die Natur und die schönsten Veilchen und Myrten und Oliven.
    Die Natur war Priesterin und der Mensch ihr Gott, und alles Leben in ihr und jede Gestalt und jeder Ton von ihr nur Ein begeistertes Echo des Herrlichen, dem sie gehörte.
    Ihn feiert', ihm nur opferte sie.
    Er war es auch werth, er mochte liebend in der heiligen Werkstatt sizen und dem Götterbilde, das er gemacht, die Kniee umfassen, oder auf dem Vorgebirge, auf Suniums grüner Spize, unter den horchenden Schülern gelagert, sich die Zeit verkürzen mit hohen Gedanken, oder er mocht' im Stadium laufen, oder vom Rednerstuhle, wie der Gewittergott, Regen und Sonnenschein und Blize senden und goldene Wolken –
    O siehe! rief jezt Diotima mir plözlich zu.
    Ich sah, und hätte vergehen mögen vor dem allmächtigen Anblik.
    Wie ein unermeßlicher Schiffbruch, wenn die Orkane verstummt sind und die Schiffer entflohn, und der Leichnam der zerschmetterten Flotte unkenntlich auf der Sandbank liegt, so lag vor uns Athen, und die verwaisten Säulen standen vor uns, wie die nakten Stämme eines Walds, der am Abend noch grünte, und des Nachts darauf im Feuer aufging.
    Hier, sagte Diotima, lernt man stille seyn über sein eigen Schiksal, es seye gut oder böse.
    Hier lernt man stille seyn über Alles, fuhr ich fort. Hätten die Schnitter, die diß Kornfeld gemäht, ihre Scheunen mit seinen Halmen bereichert, so wäre nichts verloren gegangen, und ich wollte mich begnügen, hier als Ährenleser zu stehn; aber wer gewann denn?
    Ganz Europa, erwiedert' einer von den Freunden.
    O, ja! rief ich, sie haben die Säulen und Statuen weggeschleift und an einander verkauft, haben die edlen Gestalten nicht wenig geschäzt, der Seltenheit wegen, wie man Papagayen und Affen schäzt.
    Sage das nicht! erwiederte derselbe; und mangelt' auch wirklich ihnen der Geist von all' dem Schönen, so wär' es, weil der nicht weggetragen werden konnte und nicht gekauft.
    Ja wohl! rief ich. Dieser Geist war auch untergegangen noch ehe die Zerstörer über Attika kamen. Erst, wenn die Häuser und Tempel ausgestorben, wagen sich die wilden Thiere in die Thore und Gassen.
    Wer jenen Geist hat, sagte Diotima tröstend, dem stehet Athen noch, wie ein blühender Fruchtbaum. Der Künstler ergänzt den Torso sich leicht.
    Wir giengen des andern Tages früh aus, sahn die Ruinen des Parthenon, die Stelle des alten Bacchustheaters, den Theseustempel, die sechszehn Säulen, die noch übrig stehn vom göttlichen Olympion; am meisten aber ergriff mich das alte Thor, wodurch man ehmals aus der alten Stadt zur neuen herauskam, wo gewiß einst tausend schöne Menschen an Einem Tage sich grüßten. Jezt kömmt man weder in die alte noch in die neue Stadt durch dieses Thor, und stumm und öde stehet es da, wie ein vertrokneter Brunnen, aus dessen Röhren einst mit freundlichem Geplätscher das klare frische Wasser sprang.
    Ach! sagt' ich, indeß wir so herumgiengen, es ist wohl ein prächtig Spiel des Schiksaals, daß es hier die Tempel niederstürzt und ihre zertrümmerten Steine den Kindern herumzuwerfen giebt, daß es die zerstümmelten Götter zu Bänken vor der Bauernhütte und die Grabmäler hier zur Ruhestätte des waidenden Stiers macht, und eine solche Verschwendung ist königlicher, als der Muthwille der Kleopatra, da sie die geschmolzenen Perlen trank; aber es ist doch Schade um all die Größe und Schönheit!
    Guter Hyperion! rief Diotima, es ist Zeit, daß du weggehst; du bist blaß und dein Auge ist müde, und du suchst dir umsonst mit Einfällen zu helfen. Komm hinaus! in's Grüne! unter die Farben des Lebens! das wird dir wohlthun.
    Wir giengen hinaus in die nahegelegenen Gärten.
    Die andern waren auf dem Wege mit zwei brittischen Gelehrten, die unter den Altertümern in Athen ihre Erndte hielten, in's Gespräch gerathen und nicht von der Stelle zu bringen. Ich ließ sie gerne.
    Mein ganzes Wesen richtete sich auf, da ich einmal wieder mit Diotima allein mich sah; sie hatte einen herrlichen Kampf bestanden mit dem heiligen Chaos von Athen. Wie das Saitenspiel der himmlischen Muse über den uneinigen Elementen, herrschten Diotima's stille Gedanken über den Trümmern. Wie der Mond aus zartem Gewölke, hob sich ihr Geist aus schönem Leiden empor; das himmlische Mädchen stand in seiner Wehmuth da, wie die Blume, die in der Nacht am lieblichsten duftet.
    Wir giengen weiter und weiter, und waren am Ende nicht umsonst gegangen.
    O ihr Haine von Angele, wo der Ölbaum und die Zypresse, umeinander flüsternd, mit freundlichen Schatten sich kühlen, wo die goldne Frucht des Zitronenbaums aus dunklem Laube blinkt, wo die schwellende Traube muthwillig über den Zaun wächst, und die reife Pomeranze, wie ein lächelnder Fündling, im Wege liegt! ihr duftenden heimlichen Pfade! ihr friedlichen Size, wo das Bild des Myrtenstrauchs aus der Quelle lächelt! euch werd' ich nimmer vergessen.
    Diotima und ich giengen eine Weile unter den herrlichen Bäumen umher, bis eine große heitere Stelle sich uns darbot.
    Hier sezten wir uns. Es war eine seelige Stille unter uns. Mein Geist umschwebte die göttliche Gestalt des Mädchens, wie eine Blume der Schmetterling, und all' mein Wesen erleichterte, vereinte sich in der Freude der begeisternden Betrachtung.
    Bist du schon wieder getröstet, Leichtsinniger? sagte Diotima.
    Ja! ja! ich bins, erwiedert' ich. Was ich verloren wähnte, hab' ich, wonach ich schmachtete, als wär' es aus der Welt verschwunden, das ist vor mir. Nein, Diotima! noch ist die Quelle der ewigen Schönheit nicht versiegt.
    Ich habe dir's schon einmal gesagt, ich brauche die Götter und die Menschen nicht mehr. Ich weiß, der Himmel ist ausgestorben, entvölkert, und die Erde, die einst überfloß von schönem menschlichen Leben, ist fast, wie ein Ameisenhaufe, geworden. Aber noch giebt es eine Stelle, wo der alte Himmel und die alte Erde mir lacht. Denn alle Götter des Himmels und alle göttlichen Menschen der Erde vergess' ich in dir.
    Was kümmert mich der Schiffbruch der Welt, ich weiß von nichts, als meiner seeligen Insel.
    Es giebt eine Zeit der Liebe, sagte Diotima mit freundlichem Ernste, wie es eine Zeit giebt, in der glüklichen Wiege zu leben. Aber das Leben selber treibt uns heraus.
    Hyperion! – hier ergriff sie meine Hand mit Feuer, und ihre Stimme erhub mit Größe sich – Hyperion! mich deucht, du bist zu höhern Dingen geboren. Verkenne dich nicht! der Mangel am Stoffe hielt dich zurük. Es gieng nicht schnell genug. Das schlug dich nieder. Wie die jungen Fechter, fielst du zu rasch aus, ehe noch dein Ziel gewiß und deine Faust gewandt war, und weil du, wie natürlich, mehr getroffen wurdest, als du trafst, so wurdest du scheu und zweifeltest an dir und allem; denn du bist so empfindlich, als du heftig bist. Aber dadurch ist nichts verloren. Wäre dein Gemüth und deine Thätigkeit so frühe reif geworden, so wäre dein Geist nicht, was er ist; du wärst der denkende Mensch nicht, wärst du nicht der leidende, der gährende Mensch gewesen. Glaube mir, du hättest nie das Gleichgewicht der schönen Menschheit so rein erkannt, hättest du es nicht so sehr verloren gehabt. Dein Herz hat endlich Frieden gefunden. Ich will es glauben. Ich versteh es. Aber denkst du wirklich, daß du nun am Ende seyst? Willst du dich verschließen in den Himmel deiner Liebe, und die Welt, die deiner bedürfte, verdorren und erkalten lassen unter dir? Du mußt, wie der Lichtstral, herab, wie der allerfrischende Regen, mußt du nieder in's Land der Sterblichkeit, du mußt erleuchten, wie Apoll, erschüttern, beleben, wie Jupiter, sonst bist du deines Himmels nicht werth. Ich bitte dich, geh nach Athen hinein, noch Einmal, und siehe die Menschen auch an, die dort herumgehn unter den Trümmern, die rohen Albaner und die andern guten kindischen Griechen, die mit einem lustigen Tanze und einem heiligen Mährchen sich trösten über die schmähliche Gewalt, die über ihnen lastet – kannst du sagen, ich schäme mich dieses Stoffs? Ich meine, er wäre doch noch bildsam. Kannst du dein Herz abwenden von den Bedürftigen? Sie sind nicht schlimm, sie haben dir nichts zu laide gethan!
    Was kann ich für sie thun, rief ich.
    Gieb ihnen, was du in dir hast, erwiederte Diotima, gieb –
    Kein Wort, kein Wort mehr, große Seele! rief ich, du beugst mich sonst, es ist ja sonst, als hättest du mit Gewalt mich dazu gebracht –
    Sie werden nicht glüklicher seyn, aber edler, nein! sie werden auch glüklicher seyn. Sie müssen heraus, sie müssen hervorgehn, wie die jungen Berge aus der Meersfluth, wenn ihr unterirrdisches Feuer sie treibt.
    Zwar steh' ich allein und trete ruhmlos unter sie. Doch Einer, der ein Mensch ist, kann er nicht mehr, denn Hunderte, die nur Theile sind des Menschen?
    Heilige Natur! du bist dieselbe in und außer mir. Es muß so schwer nicht seyn, was außer mir ist, zu vereinen mit dem Göttlichen in mir. Gelingt der Biene doch ihr kleines Reich, warum sollte denn ich nicht pflanzen können und baun, was noth ist?
    Was? der arabische Kaufmann säete seinen Koran aus, und es wuchs ein Volk von Schülern, wie ein unendlicher Wald, ihm auf, und der Aker sollte nicht auch gedeihn, wo die alte Wahrheit wiederkehrt in neu lebendiger Jugend?
    Es werde von Grund aus anders! Aus der Wurzel der Menschheit sprosse die neue Welt! Eine neue Gottheit walte über ihnen, eine neue Zukunft kläre vor ihnen sich auf.
    In der Werkstatt, in den Häusern, in den Versammlungen, in den Tempeln, überall werd' es anders!
    Aber ich muß noch ausgehn, zu lernen. Ich bin ein Künstler, aber ich bin nicht geschikt. Ich bilde im Geiste, aber ich weiß noch die Hand nicht zu führen –
    Du gehest nach Italien, sagte Diotima, nach Deutschland, Frankreich – wie viel Jahre brauchst du? drei – vier – ich denke drei sind genug; du bist ja keiner von den Langsamen, und suchst das Größte und das Schönste nur –
    »Und dann?«
    Du wirst Erzieher unsers Volks, du wirst ein großer Mensch seyn, hoff' ich. Und wenn ich dann dich so umfasse, da werd' ich träumen, als wär' ich ein Theil des herrlichen Manns, da werd' ich frohloken, als hättst du mir die Hälfte deiner Unsterblichkeit, wie Pollux dem Kastor, geschenkt, o! ich werd' ein stolzes Mädchen werden, Hyperion!
    Ich schwieg eine Weile. Ich war voll unaussprechlicher Freude.
    Gibt's denn Zufriedenheit zwischen dem Entschluß und der That, begann ich endlich wieder, giebt's eine Ruhe vor dem Siege?
    Es ist die Ruhe des Helden, sagte Diotima, es giebt Entschlüsse, die, wie Götterworte, Gebot und Erfüllung zugleich sind, und so ist der deine. –
    Wir giengen zurük, wie nach der ersten Umarmung. Es war uns alles fremd und neu geworden.
    Ich stand nun über den Trümmern von Athen, wie der Akersmann auf dem Brachfeld. Liege nur ruhig, dacht' ich, da wir wieder zu Schiffe giengen, liege nur ruhig, schlummerndes Land! Bald grünt das junge Leben aus dir, und wächst den Seegnungen des Himmels entgegen. Bald regnen die Wolken nimmer umsonst, bald findet die Sonne die alten Zöglinge wieder.
    Du frägst nach Menschen, Natur? Du klagst, wie ein Saitenspiel, worauf des Zufalls Bruder, der Wind, nur spielt, weil der Künstler, der es ordnete, gestorben ist? Sie werden kommen, deine Menschen, Natur! Ein verjüngtes Volk wird dich auch wieder verjüngen, und du wirst werden, wie seine Braut und der alte Bund der Geister wird sich erneuen mit dir.
    Es wird nur Eine Schönheit seyn; und Menschheit und Natur wird sich vereinen in Eine allumfassende Gottheit.
StA, Band 3, Seite 76-90.

 

Hyperion an Bellarmin XXXI

Wir lebten in den lezten schönen Momenten des Jahrs, nach unserer Rükkunft aus dem Attischen Lande.
    Ein Bruder des Frühlings war uns der Herbst, voll milden Feuers, eine Festzeit für die Erinnerung an Leiden und vergangne Freuden der Liebe. Die welkenden Blätter trugen die Farbe des Abendroths, nur die Fichte und der Lorbeer stand in ewigem Grün. In den heitern Lüften zögerten wandernde Vögel, andere schwärmten im Weinberg, und im Garten und erndteten fröhlich, was die Menschen übrig gelassen. Und das himmlische Licht rann lauter vom offenen Himmel, durch alle Zweige lächelte die heilige Sonne, die gütige, die ich niemals nenne ohne Freude und Dank, die oft in tiefem Laide mit einem Blike mich geheilt, und von dem Unmuth und den Sorgen meine Seele gereinigt.
    Wir besuchten noch all' unsere liebsten Pfade, Diotima und ich, entschwundne seelige Stunden begegneten uns überall.
    Wir erinnerten uns des vergangenen Mais, wir hätten die Erde noch nie so gesehen, wie damals, meinten wir, sie wäre verwandelt gewesen, eine silberne Wolke von Blüthen, eine freudige Lebensflamme, entledigt alles gröberen Stoffs.
    Ach! es war alles so voll Lust und Hoffnung, rief Diotima, so voll unaufhörlichen Wachstums und doch auch so mühelos, so seeligruhig, wie ein Kind, das vor sich hin spielt, und nicht weiter denkt.
    Daran, rief ich, erkenn' ich sie, die Seele der Natur, an diesem stillen Feuer, an diesem Zögern in ihrer mächtigen Eile.
    Und es ist den Glüklichen so lieb, diß Zögern, rief Diotima; weist du? wir standen einmal des Abends zusammen auf der Brüke, nach starkem Gewitter, und das rothe Berggewässer schoß, wie ein Pfeil, unter uns weg, aber daneben grünt' in Ruhe der Wald, und die hellen Buchenblätter regten sich kaum. Da that es uns so wohl, daß uns das seelenvolle Grün nicht auch so wegflog, wie der Bach, und der schöne Frühling uns so still hielt, wie ein zahmer Vogel, aber nun ist er dennoch über die Berge.
    Wir lächelten über dem Worte, wiewol das Trauern uns näher war.
    So sollt' auch unsre eigne Seeligkeit dahingehn, und wir sahen's voraus.
    O Bellarmin! wer darf denn sagen, er stehe vest, wenn auch das Schöne seinem Schiksaal so entgegenreift, wenn auch das Göttliche sich demüthigen muß, und die Sterblichkeit mit allem Sterblichen theilen!
StA, Band 3, Seite 93-94.

 

Hyperion an Bellarmin XXXII

Ich hatte mit dem holden Mädchen noch vor ihrem Hause gezögert, bis das Licht der Nacht in die ruhige Dämmerung schien, nun kam ich in Notaras Wohnung zurük, gedankenvoll, voll überwallenden heroischen Lebens, wie immer, wenn ich aus ihren Umarmungen gieng. Es war ein Brief von Alabanda gekommen.
    Es regt sich, Hyperion, schrieb er mir, Rußland hat der Pforte den Krieg erklärt; man kommt mit einer Flotte in den Archipelagus; die Griechen sollen frei seyn, wenn sie mit aufstehn, den Sultan an den Euphrat zu treiben. Die Griechen werden das Ihre thun, die Griechen werden frei seyn und mir ist herzlich wohl, daß es einmal wieder etwas zu thun giebt. Ich mochte den Tag nicht sehn, so lang es noch so weit nicht war.
    Bist du noch der Alte, so komm! Du findst mich in dem Dorfe vor Koron, wenn du den Weg von Misistra kömmst. Ich wohne am Hügel, in dem weißen Landhause am Walde.
    Die Menschen, die du in Smyrna bei mir kennen lerntest, hab' ich verlassen. Du hattest recht mit deinem feinern Sinne, daß du in ihre Sphäre nicht tratest.
    Mich verlangt, uns Beede in dem neuen Leben wiederzusehn. Dir war bis izt die Welt zu schlecht, um ihr dich zu erkennen zu geben. Weil du nicht Knechtsdienste thun mochtest, thatest du nichts, und das Nichtsthun machte dich grämlich und träumerisch.
    Du mochtest im Sumpfe nicht schwimmen. Komm nun, komm, und laß uns baden in offener See!
    Das soll uns wohl thun, einzig Geliebter!
    So schrieb er. Ich war betroffen im ersten Moment. Mir brannte das Gesicht vor Schaam, mir kochte das Herz, wie heiße Quellen, und ich konnt' auf keiner Stelle bleiben, so schmerzt' es mich, überflogen zu seyn von Alabanda, überwunden auf immer. Doch nahm ich nun auch um so begieriger die künftige Arbeit an's Herz. –
    Ich bin zu müßig geworden, rief ich, zu friedenslustig, zu himmlisch, zu träg! – Alabanda sieht in die Welt, wie ein edler Pilot, Alabanda ist fleißig und sucht in der Wooge nach Beute; und dir schlafen die Hände im Schoos'? und mit Worten möchtest du ausreichen, und mit Zauberformeln beschwörst du die Welt? Aber deine Worte sind, wie Schneefloken, unnüz, und machen die Luft nur trüber und deine Zaubersprüche sind für die Frommen, aber die Unglaubigen hören dich nicht. – Ja! sanft zu seyn, zu rechter Zeit, das ist wohl schön, doch sanft zu seyn, zur Unzeit, das ist häßlich, denn es ist feig! – Aber Harmodius! deiner Myrthe will ich gleichen, deiner Myrthe, worinn das Schwerd sich verbarg. Ich will umsonst nicht müßig gegangen seyn, und mein Schlaf soll werden, wie Öl, wenn die Flamme darein kömmt. Ich will nicht zusehn, wo es gilt, will nicht umhergehn und die Neuigkeit erfragen, wann Alabanda den Lorbeer nimmt.
StA, Band 3, Seite 94-95.

 

Hyperion an Bellarmin XXXIII

Diotimas Erblassen, da sie Alabandas Brief las, gieng mir durch die Seele. Drauf fieng sie an, gelassen und ernst, den Schritt mir abzurathen und wir sprachen manches hin und wieder. O ihr Gewaltsamen! rief sie endlich, die ihr so schnell zum Äußersten seyd, denkt an die Nemesis!
    Wer Äußerstes leidet, sagt' ich, dem ist das Äußerste recht.
    Wenns auch recht ist, sagte sie, du bist dazu nicht geboren.
    So scheint es, sagt' ich; ich hab' auch lange genug gesäumt. O ich möchte einen Atlas auf mich laden, um die Schulden meiner Jugend abzutragen. Hab' ich ein Bewustseyn? hab' ich ein Bleiben in mir? O laß mich, Diotima! Hier, gerad in solcher Arbeit muß ich es erbeuten.
    Das ist eitel Übermuth! rief Diotima; neulich warst du bescheidner, neulich, da du sagtest, ich muß noch ausgehn, zu lernen.
    Liebe Sophistin! rief ich, damals war ja auch von ganz was anderem die Rede. In den Olymp des Göttlichschönen, wo aus ewigjungen Quellen das Wahre mit allem Guten entspringt, dahin mein Volk zu führen, bin ich noch jezt nicht geschikt. Aber ein Schwerd zu brauchen, hab' ich gelernt und mehr bedarf es für jezt nicht. Der neue Geisterbund kann in der Luft nicht leben, die heilige Theokratie des Schönen muß in einem Freistaat wohnen, und der will Plaz auf Erden haben und diesen Plaz erobern wir gewiß.
    Du wirst erobern, rief Diotima, und vergessen, wofür? wirst, wenn es hoch kommt, einen Freistaat dir erzwingen und dann sagen, wofür hab' ich gebaut? ach! es wird verzehrt seyn, all' das schöne Leben, das daselbst sich regen sollte, wird verbraucht seyn selbst in dir! Der wilde Kampf wird dich zerreißen, schöne Seele, du wirst altern, seeliger Geist! und lebensmüd am Ende fragen, wo seyd ihr nun, ihr Ideale der Jugend?
    Das ist grausam, Diotima, rief ich, so ins Herz zu greifen, so an meiner eignen Todesfurcht, an meiner höchsten Lebenslust mich vestzuhalten, aber nein! nein! nein! der Knechtsdienst tödtet, aber gerechter Krieg macht jede Seele lebendig. Das giebt dem Golde die Farbe der Sonne, daß man ins Feuer es wirft! Das, das giebt erst dem Menschen seine ganze Jugend, daß er Fesseln zerreißt! Das rettet ihn allein, daß er sich aufmacht und die Natter zertritt, das kriechende Jahrhundert, das alle schöne Natur im Keime vergiftet! – Altern sollt ich, Diotima! wenn ich Griechenland befreie? altern, ärmlich werden, ein gemeiner Mensch? O so war er wohl recht schaal und leer und gottverlassen, der Athenerjüngling, da er als Siegesbothe von Marathon über den Gipfel des Pentele kam und hinabsah in die Thäler von Attika!
    Lieber! Lieber! rief Diotima, sei doch still! ich sage dir kein Wort mehr. Du sollst gehn, sollst gehen, stolzer Mensch! Ach! wenn du so bist, hab' ich keine Macht, kein Recht auf dich.
    Sie weinte bitter und ich stand, wie ein Verbrecher, vor ihr. Vergieb mir, göttliches Mädchen! rief ich, vor ihr niedergesunken, o vergieb mir, wo ich muß! Ich wähle nicht, ich sinne nicht. Eine Macht ist in mir und ich weiß nicht, ob ich es selbst bin, was zu dem Schritte mich treibt. Deine volle Seele gebietet dirs, antwortete sie. Ihr nicht zu folgen, führt oft zum Untergange, doch, ihr zu folgen, wohl auch. Das beste ist, du gehst, denn es ist größer. Handle du; ich will es tragen.
StA, Band 3, Seite 96-97.

 

Hyperion an Bellarmin XXXIV

Diotima war von nun an wunderbar verändert.
    Mit Freude hatt' ich gesehn, wie seit unserer Liebe das verschwiegne Leben aufgegangen war in Bliken und lieblichen Worten und ihre genialische Ruhe war mir oft in glänzender Begeisterung entgegengekommen.
    Aber wie so fremd wird uns die schöne Seele, wenn sie nach dem ersten Aufblühn, nach dem Morgen ihres Laufs hinauf zur Mittagshöhe muß! Man kannte fast das seelige Kind nicht mehr, so erhaben und so leidend war sie geworden.
    O wie manchmal lag ich vor dem traurenden Götterbilde, und wähnte die Seele hinwegzuweinen im Schmerz um sie, und stand bewundernd auf und selber voll von allmächtigen Kräften! Eine Flamme war ihr ins Auge gestiegen aus der gepreßten Brust. Es war ihr zu enge geworden im Busen voll Wünschen und Leiden; darum waren die Gedanken des Mädchens so herrlich und kühn. Eine neue Größe, eine sichtbare Gewalt über alles, was fühlen konnte, herrscht' in ihr. Sie war ein höheres Wesen. Sie gehörte zu den sterblichen Menschen nicht mehr.
    O meine Diotima, hätte ich damals gedacht, wohin das kommen sollte?
StA, Band 3, Seite 97-98.

 

Hyperion an Bellarmin XXXV

Auch der kluge Notara wurde bezaubert von den neuen Entwürfen, versprach mir eine starke Parthei, hoffte bald den Korinthischen Isthmus zu besezen und Griechenland hier, wie an der Handhabe, zu fassen. Aber das Schiksaal wollt' es anders und machte seine Arbeit unnüz, ehe sie ans Ziel kam.
    Er rieth mir, nicht nach Tina zu gehn, gerade den Pelopones hinab zu reisen, und durchaus so unbemerkt, als möglich. Meinem Vater sollt' ich unterweges schreiben, meint' er, der bedächtige Alte würde leichter einen geschehenen Schritt verzeihn, als einen ungeschehenen erlauben. Das war mir nicht recht nach meinem Sinne, aber wir opfern die eignen Gefühle so gern, wenn uns ein großes Ziel vor Augen steht.
    Ich zweifle, fuhr Notara fort, ob du wirst auf deines Vaters Hülfe in solchem Falle rechnen können. Darum geb' ich dir, was nebenbei doch nöthig ist für dich, um einige Zeit in allen Fällen zu leben und zu wirken. Kannst du einst, so zahlst du mir es zurük, wo nicht, so war das meine auch dein. Schäme des Gelds dich nicht, sezt' er lächelnd hinzu; auch die Rosse des Phöbus leben von der Luft nicht allein, wie uns die Dichter erzählen.
StA, Band 3, Seite 98.

 

Hyperion an Bellarmin XXXVI

Nun kam der Tag des Abschieds.
    Den Morgen über war ich oben in Notaras Garten geblieben, in der frischen Winterluft, unter den immergrünen Cypressen und Cedern. Ich war gefaßt. Die großen Kräfte der Jugend hielten mich aufrecht und das Leiden, das ich ahnete, trug, wie eine Wolke, mich höher.
    Diotimas Mutter hatte Notara und die andern Freunde und mich gebeten, daß wir noch den lezten Tag bei ihr zusammen leben möchten. Die Guten hatten sich alle meiner und Diotimas gefreut und das Göttliche in unserer Liebe war an ihnen nicht verloren geblieben. Sie sollten nun mein Scheiden auch mir seegnen.
    Ich gieng hinab. Ich fand das theure Mädchen am Heerde. Es schien ihr ein heilig priesterlich Geschäft, an diesem Tage das Haus zu besorgen. Sie hatte alles zu recht gemacht, alles im Hauße verschönert und es durft' ihr niemand dabei helfen. Alle Blumen, die noch übrig waren im Garten, hatte sie eingesammelt, Rosen und frische Trauben hatte sie in der späten Jahrszeit noch zusammengebracht.
    Sie kannte meinen Fußtritt, da ich heraufkam, trat mir leis' entgegen; die blaichen Wangen glühten von der Flamme des Heerds und die ernsten großgewordnen Augen glänzten von Thränen. Sie sahe, wie michs überfiel. Gehe hinein, mein lieber, sagte sie; die Mutter ist drinnen und ich folge gleich.
    Ich gieng hinein. Da saß die edle Frau und strekte mir die schöne Hand entgegen – kommst du, rief sie, kommst du, mein Sohn! Ich sollte dir zürnen, du hast mein Kind mir genommen, hast alle Vernunft mir ausgeredet, und thust, was dich gelüstet und gehest davon; aber vergebt es ihm, ihr himmlischen Mächte! wenn er Unrecht vorhat, und hat er Recht, o so zögert nicht mit eurer Hülfe dem Lieben! Ich wollte reden, aber eben kam Notara mit den übrigen Freunden herein und hinter ihnen Diotima.
    Wir schwiegen eine Weile. Wir ehrten die traurende Liebe, die in uns allen war, wir fürchteten uns, sich ihrer zu überheben in Reden und stolzen Gedanken. Endlich nach wenigen flüchtigen Worten bat mich Diotima, einiges von Agis und Kleomenes zu erzählen; ich hätte die großen Seelen oft mit feuriger Achtung genannt und gesagt, sie wären Halbgötter, so gewiß, wie Prometheus, und ihr Kampf mit dem Schiksaal von Sparta sei heroischer, als irgend einer in den glänzenden Mythen. Der Genius dieser Menschen sei das Abendroth des griechischen Tages, wie Theseus und Homer die Aurore desselben.
    Ich erzählte und am Ende fühlten wir uns alle stärker und höher.
    Glüklich, rief einer von den Freunden, wem sein Leben wechselt zwischen Herzensfreude und frischem Kampf.
    Ja! rief ein anderer, das ist ewige Jugend, daß immer Kräfte genug im Spiele sind und wir uns ganz erhalten in Lust und Arbeit.
    O ich möchte mit dir, rief Diotima mir zu.
    Es ist auch gut, daß du bleibst, Diotima! sagt' ich. Die Priesterin darf aus dem Tempel nicht gehen. Du bewahrst die heilige Flamme, du bewahrst im Stillen das Schöne, daß ich es wiederfinde bei dir.
    Du hast auch Recht, mein Lieber, das ist besser, sagte sie, und ihre Stimme zitterte und das Aetherauge verbarg sich ins Tuch, um seine Thränen, seine Verwirrung nicht sehen zu lassen.
    O Bellarmin! es wollte mir die Brust zerreißen, daß ich sie so schaamroth gemacht. Freunde! rief ich, erhaltet diesen Engel mir. Ich weiß von nichts mehr, wenn ich sie nicht weiß. O Himmel! ich darf nicht denken, wozu ich fähig wäre, wenn ich sie vermißte.
    Sei ruhig, Hyperion! fiel Notara mir ein.
    Ruhig? rief ich; o ihr guten Leute! ihr könnt oft sorgen, wie der Garten blühn und wie die Erndte werden wird, ihr könnt für euren Weinstok beten und ich soll ohne Wünsche scheiden von dem Einzigen, dem meine Seele dient?
    Nein, o du Guter! rief Notara bewegt, nein! ohne Wünsche sollst du mir von ihr nicht scheiden! nein, bei der Götterunschuld eurer Liebe! meinen Seegen habt ihr gewiß.
    Du mahnst mich, rief ich schnell. Sie soll uns seegnen, diese theure Mutter, soll mit euch uns zeugen – komm Diotima! unsern Bund soll deine Mutter heiligen, bis die schöne Gemeinde, die wir hoffen, uns vermählt.
    So fiel ich auf ein Knie; mit großem Blik, erröthend, festlichlächelnd sank auch sie an meiner Seite nieder.
    Längst, rief ich, o Natur! ist unser Leben Eines mit dir und himmlischjugendlich, wie du und deine Götter all', ist unsre eigne Welt durch Liebe.
    In deinen Hainen wandelten wir, fuhr Diotima fort, und waren, wie du, an deinen Quellen saßen wir und waren, wie du, dort über die Berge giengen wir, mit deinen Kindern, den Sternen, wie du.
    Da wir uns ferne waren, rief ich, da, wie Harfengelispel, unser kommend Entzüken uns erst tönte, da wir uns fanden, da kein Schlaf mehr war und alle Töne in uns erwachten zu des Lebens vollen Akkorden, göttliche Natur! da waren wir immer, wie du, und nun auch da wir scheiden und die Freude stirbt, sind wir, wie du, voll Leidens und doch gut, drum soll ein reiner Mund uns zeugen, daß unsre Liebe heilig ist und ewig, so wie du.
    Ich zeug es, sprach die Mutter.
    Wir zeugen es, riefen die andern.
    Nun war kein Wort mehr für uns übrig. Ich fühlte mein höchstes Herz; ich fühlte mich reif zum Abschied. Jezt will ich fort, ihr Lieben! sagt' ich, und das Leben schwand von allen Gesichtern. Diotima stand, wie ein Marmorbild und ihre Hand starb fühlbar in meiner. Alles hatt' ich um mich her getödtet, ich war einsam und mir schwindelte vor der gränzenlosen Stille, wo mein überwallend Leben keinen Halt mehr fand.
    Ach! rief ich, mir ists brennendheiß im Herzen, und ihr steht alle so kalt, ihr Lieben! und nur die Götter des Hauses neigen ihr Ohr? – Diotima! – du bist stille, du siehst nicht! – o wohl dir, daß du nicht siehst!
    So geh nur, seufzte sie, es muß ja seyn; geh nur, du theures Herz!
    O süßer Ton aus diesen Wonnelippen! rief ich, und stand wie ein Betender, vor der holden Statue – süßer Ton! noch Einmal wehe mich an, noch Einmal tage, liebes Augenlicht!
    Rede so nicht, Lieber! rief sie, rede mir ernster, rede mit größerem Herzen mir zu!
    Ich wollte mich halten, aber ich war wie im Traume.
    Wehe! rief ich, das ist kein Abschied, wo man wiederkehrt.
    Du wirst sie tödten, rief Notara. Siehe, wie sanft sie ist, und du bist so außer dir.
    Ich sahe sie an und Thränen stürzten mir aus brennendem Auge.
    So lebe denn wohl, Diotima! rief ich, Himmel meiner Liebe, lebe wohl! – Lasset uns stark seyn, theure Freunde! theure Mutter! ich gab dir Freude und Laid. Lebt wohl! lebt wohl!
    Ich wankte fort. Diotima folgte mir allein.
    Es war Abend geworden und die Sterne giengen herauf am Himmel. Wir standen still unter dem Hause. Ewiges war in uns, über uns. Zart, wie der Aether, umwand mich Diotima. Thörichter, was ist denn Trennung? flüsterte sie geheimnißvoll mir zu, mit dem Lächeln einer Unsterblichen.
    Es ist mir auch jezt anders, sagt' ich, und ich weiß nicht, was von beiden ein Traum ist, mein Leiden oder meine Freudigkeit.
    Beides ist, erwiederte sie, und beides ist gut.
    Vollendete! rief ich, ich spreche wie du. Am Sternenhimmel wollen wir uns erkennen. Er sei das Zeichen zwischen mir und dir, so lange die Lippen verstummen.
    Das sei er! sprach sie mit einem langsamen niegehörten Tone – es war ihr lezter. Im Dämmerlichte entschwand mir ihr Bild und ich weiß nicht, ob sie es wirklich war, da ich zum leztenmale mich umwandt' und die erlöschende Gestalt noch einen Augenblik vor meinem Auge zükte und dann in die Nacht verschied.
StA, Band 3, Seite 99-102.

 

Hyperion an Bellarmin XXXVII

Warum erzähl' ich dir und wiederhole mein Leiden und rege die ruhelose Jugend wieder auf in mir? Ists nicht genug, Einmal das Sterbliche durchwandert zu haben? warum bleib' ich im Frieden meines Geistes nicht stille?
    Darum, mein Bellarmin! weil jeder Athemzug des Lebens unserm Herzen werth bleibt, weil alle Verwandlungen der reinen Natur auch mit zu ihrer Schöne gehören. Unsre Seele, wenn sie die sterblichen Erfahrungen ablegt und allein nur lebt in heiliger Ruhe, ist sie nicht, wie ein unbelaubter Baum? wie ein Haupt ohne Loken? Lieber Bellarmin! ich habe eine Weile geruht; wie ein Kind, hab' ich unter den stillen Hügeln von Salamis gelebt, vergessen des Schiksaals und des Strebens der Menschen. Seitdem ist manches anders in meinem Auge geworden, und ich habe nun so viel Frieden in mir, um ruhig zu bleiben, bei jedem Blik ins menschliche Leben. O Freund! am Ende söhnet der Geist mit allem uns aus. Du wirsts nicht glauben, wenigstens von mir nicht. Aber ich meine, du solltest sogar meinen Briefen es ansehn, wie meine Seele täglich stiller wird und stiller. Und ich will künftig noch so viel davon sagen, bis du es glaubst.
    Hier sind Briefe von Diotima und mir, die wir uns nach meinem Abschied von Kalaurea geschrieben. Sie sind das liebste, was ich dir vertraue. Sie sind das wärmste Bild aus jenen Tagen meines Lebens. Vom Kriegslärm sagen sie dir wenig. Desto mehr von meinem eigneren Leben und das ists ja, was du willst. Ach und du must auch sehen, wie geliebt ich war. Das konnt' ich nie dir sagen, das sagt Diotima nur.
StA, Band 3, Seite 102-103.

 

Hyperion an Diotima XXXVIII

Ich bin erwacht aus dem Tode des Abschieds, meine Diotima! gestärkt, wie aus dem Schlafe, richtet mein Geist sich auf.
    Ich schreibe dir von einer Spize der Epidaurischen Berge. Da dämmert fern in der Tiefe deine Insel, Diotima! und dorthinaus mein Stadium, wo ich siegen oder fallen muß O Pelopones! o ihr Quellen des Eurotas und Alpheus! Da wird es gelten! Aus den spartanischen Wäldern, da wird, wie ein Adler, der alte Landesgenius stürzen mit unsrem Heere, wie mit rauschenden Fittigen.
    Meine Seele ist voll von Thatenlust und voll von Liebe, Diotima, und in die griechischen Thäler blikt mein Auge hinaus, als sollt' es magisch gebieten: steigt wieder empor, ihr Städte der Götter!
    Ein Gott muß in mir seyn, denn ich fühl' auch unsere Trennung kaum. Wie die seeligen Schatten am Lethe, lebt jezt meine Seele mit deiner in himmlischer Freiheit und das Schiksaal waltet über unsre Liebe nicht mehr.
StA, Band 3, Seite 103-104.

 

Hyperion an Diotima XXXIX

Ich bin jezt mitten im Pelopones. In derselben Hütte, worinn ich heute übernachte, übernachtete ich einst, da ich, beinahe noch Knabe, mit Adamas diese Gegenden durchzog. Wie saß ich da so glüklich auf der Bank vor dem Hause und lauschte dem Geläute der fernher kommenden Karawane und dem Geplätscher des nahen Brunnens, der unter blühenden Akatien sein silbern Gewässer ins Beken goß.
    Jezt bin ich wieder glüklich. Ich wandere durch diß Land, wie durch Dodonas Hain, wo die Eichen tönten von ruhmweissagenden Sprüchen. Ich sehe nur Thaten, vergangene, künftige, wenn ich auch vom Morgen bis zum Abend unter freiem Himmel wandre. Glaube mir, wer dieses Land durchreist, und noch ein Joch auf seinem Halse duldet, kein Pelopidas wird, der ist herzleer, oder ihm fehlt es am Verstande.
    So lange schliefs – so lange schlich die Zeit, wie der Höllenfluß, trüb und stumm, in ödem Müßiggange vorüber?
    Und doch liegt alles bereit. Voll rächerischer Kräfte ist das Bergvolk hieherum, liegt da, wie eine schweigende Wetterwolke, die nur des Sturmwinds wartet, der sie treibt. Diotima! laß mich den Othem Gottes unter sie hauchen, laß mich ein Wort von Herzen an sie reden, Diotima. Fürchte nichts! Sie werden so wild nicht seyn. Ich kenne die rohe Natur. Sie höhnt der Vernunft, sie stehet aber im Bunde mit der Begeisterung. Wer nur mit ganzer Seele wirkt, irrt nie. Er bedarf des Klügelns nicht, denn keine Macht ist wider ihn.
StA, Band 3, Seite 104.

 

Hyperion an Diotima XL

Morgen bin ich bei Alabanda. Es ist mir eine Lust, den Weg nach Koron zu erfragen, und ich frage öfter, als nötig ist. Ich möchte die Flügel der Sonne nehmen und hin zu ihm und doch zaudr' ich auch so gerne und frage: wie wird er seyn?
    Der königliche Jüngling! warum bin ich später geboren? warum sprang ich nicht aus Einer Wiege mit ihm? Ich kann den Unterschied nicht leiden, der zwischen uns ist. O warum lebt' ich, wie ein müßiger Hirtenknabe, zu Tina, und träumte nur von seinesgleichen noch erst, da er schon in lebendiger Arbeit die Natur erprüfte und mit Meer und Luft und allen Elementen schon rang? triebs denn in mir nach Thatenwonne nicht auch?
    Aber ich will ihn einhohlen, ich will schnell seyn. Beim Himmel! ich bin überreif zur Arbeit. Meine Seele tobt nur gegen sich selbst, wenn ich nicht bald durch ein lebendig Geschäft mich befreie.
    Hohes Mädchen! wie konnt' ich bestehen vor dir? Wie war dirs möglich, so ein thatlos Wesen zu lieben?
StA, Band 3, Seite 105.

 

Hyperion an Diotima XLI

Ich hab' ihn, theure Diotima!
    Leicht ist mir die Brust und schnell sind meine Sehnen, ha! und die Zukunft reizt mich, wie eine klare Wassertiefe uns reizt, hinein zu springen und das übermüthige Blut im frischen Bade zu kühlen. Aber das ist Geschwäz. Wir sind uns lieber, als je, mein Alabanda und ich. Wir sind freier umeinander und doch ists alle die Fülle und Tiefe des Lebens, wie sonst.
    O wie hatten die alten Tyrannen so recht, Freundschaften, wie die unsere, zu verbieten! Da ist man stark, wie ein Halbgott, und duldet nichts Unverschämtes in seinem Bezirke! –
    Es war des Abends, da ich in sein Zimmer trat. Er hatte eben die Arbeit bei Seite gelegt, saß in einer mondhellen Eke am Fenster und pflegte seiner Gedanken. Ich stand im Dunkeln, er erkannte mich nicht, sah unbekümmert gegen mich her. Der Himmel weis, für wen er mich halten mochte. Nun, wie geht es? rief er. So ziemlich! sagt' ich. Aber das Heucheln war umsonst. Meine Stimme war voll geheimen Frohlokens. Was ist das? fuhr er auf; bist du's? Ja wohl, du Blinder! rief ich, und flog ihm in die Arme. O nun! rief Alabanda endlich, nun soll es anders werden, Hyperion!
    Das denk' ich, sagt' ich und schüttelte freudig seine Hand.
    Kennst du mich denn noch, fuhr Alabanda fort nach einer Weile, hast du den alten frommen Glauben noch an Alabanda? Grosmüthiger! mir ist es nimmer indeß so wohl gegangen, als da ich im Lichte deiner Liebe mich fühlte.
    Wie? rief ich, fragt diß Alabanda? Das war nicht stolz gesprochen, Alabanda. Aber es ist das Zeichen dieser Zeit, daß die alte Heroënnatur um Ehre betteln geht, und das lebendige Menschenherz, wie eine Waise, um einen Tropfen Liebe sich kümmert.
    Lieber Junge! rief er; ich bin eben alt geworden. Das schlaffe Leben überall und die Geschichte mit den Alten, zu denen ich in Smyrna dich in die Schule bringen wollte –
    O es ist bitter, rief ich; auch an diesen wagte sich die Todesgöttin, die Nahmenlose, die man Schiksaal nennt.
    Es wurde Licht gebracht und wir sahn von neuem mit leisem liebendem Forschen uns an. Die Gestalt des Theuren war sehr anders geworden seit den Tagen der Hoffnung. Wie die Mittagssonne vom blaichen Himmel, funkelte sein großes ewiglebendes Auge vom abgeblühten Gesichte mich an.
    Guter! rief Alabanda mit freundlichem Unwillen, da ich ihn so ansah, laß die Wehmutsblike, guter Junge! Ich weiß es wohl, ich bin herabgekommen. O mein Hyperion! ich sehne mich sehr nach etwas Großem und Wahrem und ich hoff' es zu finden mit dir. Du bist mir über den Kopf gewachsen, du bist freier und stärker, wie ehmals und siehe! das freut mich herzlich. Ich bin das dürre Land und du komst, wie ein glüklich Gewitter – o es ist herrlich, daß du da bist!
    Stille! sagt' ich, du nimmst mir die Sinnen, und wir sollten gar nicht von uns sprechen, bis wir im Leben, unter den Thaten sind.
    Ja wohl! rief Alabanda freudig, erst, wenn das Jagdhorn schallt, da fühlen sich die Jäger.
    Wirds denn bald angehn? sagt' ich.
    Es wird, rief Alabanda, und ich sage dir, Herz! es soll ein ziemlich Feuer werden. Ha! mags doch reichen bis an die Spize des Thurms und seine Fahne schmelzen und um ihn wüten und woogen, bis er berstet und stürzt! – und stoße dich nur an unsern Bundsgenossen nicht. Ich weiß es wohl, die guten Russen möchten uns gerne, wie Schießgewehre, brauchen. Aber laß das gut seyn! haben nur erst unsere kräftigen Spartaner bei Gelegenheit erfahren, wer sie sind und was sie können, und haben wir so den Pelopones erobert, so lachen wir dem Nordpol ins Angesicht und bilden uns ein eigenes Leben.
    Ein eignes Leben, rief ich, ein neu, ein ehrsames Leben. Sind wir denn, wie ein Irrlicht aus dem Sumpfe geboren oder stammen wir von den Siegern bei Salamis ab? Wie ists denn nun? wie bist du denn zur Magd geworden, griechische freie Natur? wie bist du so herabgekommen, väterlich Geschlecht, von dem das Götterbild des Jupiter und des Apoll einst nur die Kopie war? – Aber höre mich, Joniens Himmel! höre mich, Vaterlandserde, die du dich halbnakt, wie eine Bettlerin, mit den Lappen deiner alten Herrlichkeit umkleidest, ich will es länger nicht dulden!
    O Sonne, die uns erzog! rief Alabanda, zusehn sollst du, wenn unter der Arbeit uns der Muth wächst, wenn unter den Schlägen des Schiksaals unser Entwurf, wie das Eisen unter dem Hammer sich bildet.
    Es entzündete einer den andern.
    Und daß nur kein Fleken hängen bleibe, rief ich, kein Posse, womit uns das Jahrhundert, wie der Pöbel die Wände, bemahlt! O, rief Alabanda, darum ist der Krieg auch so gut –
    Recht, Alabanda, rief ich, so wie alle große Arbeit, wo des Menschen Kraft und Geist und keine Krüke und kein wächserner Flügel hilft. Da legen wir die Sclavenkleider ab, worauf das Schiksaal uns sein Wappen gedrükt –
    Da gilt nichts eitles und anerzwungenes mehr, rief Alabanda, da gehn wir schmuklos, fessellos, nakt, wie im Wettlauf zu Nemea, zum Ziele.
    Zum Ziele, rief ich, wo der junge Freistaat dämmert und das Pantheon alles Schönen aus griechischer Erde sich hebt.
    Alabanda schwieg eine Weile. Eine neue Röthe stieg auf in seinem Gesichte, und seine Gestalt wuchs, wie die erfrischte Pflanze, in die Höhe.
    O Jugend! Jugend! rief er, dann will ich trinken aus deinem Quell, dann will ich leben und lieben. Ich bin sehr freudig, Himmel der Nacht, fuhr er, wie trunken, fort, indem er unter das Fenster trat, wie eine Rebenlaube, überwölbest du mich, und deine Sterne hängen, wie Trauben, herunter.
StA, Band 3, Seite 105-108.

 

Hyperion an Diotima XLII

Es ist mein Glük, daß ich in voller Arbeit lebe. Ich müßt' in eine Thorheit um die andere fallen, so voll ist meine Seele, so berauscht der Mensch mich, der wunderbare, der stolze, der nichts liebt, als mich und alle Demuth, die in ihm ist, nur auf mich häuft. O Diotima! dieser Alabanda hat geweint vor mir, hat, wie ein Kind, mirs abgebeten, was er mir in Smyrna gethan.
    Wer bin ich dann, ihr Lieben, daß ich mein euch nenne, daß ich sagen darf, sie sind mein eigen, daß ich, wie ein Eroberer, zwischen euch steh' und euch, wie meine Beute, umfasse.
    O Diotima! o Alabanda! edle, ruhiggroße Wesen! wie muß ich vollenden, wenn ich nicht fliehn will vor meinem Glüke, vor euch?
    Eben, während ich schrieb, erhielt ich deinen Brief, du liebe.
    Traure nicht, holdes Wesen, traure nicht! Spare dich, unversehrt von Gram, den künftigen Vaterlandsfesten! Diotima! dem glühenden Festtag der Natur, dem spare dich auf und all den heitern Ehrentagen der Götter!
    Siehest du Griechenland nicht schon?
    O siehest du nicht, wie, froh der neuen Nachbarschaft, die ewigen Sterne lächeln über unsern Städten und Hainen, wie das alte Meer, wenn es unser Volk lustwandelnd am Ufer sieht, der schönen Athener wieder gedenkt und wieder Glük uns bringt, wie damals seinen Lieblingen, auf fröhlicher Wooge?
    Seelenvolles Mädchen! du bist so schön schon izt! wie wirst du dann erst, wenn das ächte Klima dich nährt, in entzükender Glorie blühn!
StA, Band 3, Seite 108-109.

 

Diotima an Hyperion XLIII

Ich hatte die meiste Zeit mich eingeschlossen seit du fort bist, lieber Hyperion! Heute war ich wieder einmal draußen.
    In holder Februarluft hab' ich Leben gesammelt und bringe das gesammelte dir. Es hat auch mir noch wohlgethan, das frische Erwarmen des Himmels, noch hab' ich sie mitgefühlt, die neue Wonne der Pflanzenwelt, der reinen, immergleichen, wo alles trauert und sich wieder freut zu seiner Zeit.
    Hyperion! o mein Hyperion! warum gehn wir denn die stillen Lebenswege nicht auch? Es sind heilige Nahmen, Winter und Frühling und Sommer und Herbst! wir aber kennen sie nicht. Ist es nicht Sünde, zu trauern im Frühling? warum thun wir es dennoch?
    Vergieb mir! die Kinder der Erde leben durch die Sonne allein; ich lebe durch dich, ich habe andre Freuden, ist es denn ein Wunder, wenn ich andre Trauer habe? und muß ich trauern? muß ich denn?
    Muthiger! lieber! sollt' ich welken, wenn du glänzest? sollte mir das Herz ermatten, wenn die Siegslust dir in allen Sehnen erwacht? Hätt' ich eh'mals gehört, ein griechischer Jüngling mache sich auf, das gute Volk aus seiner Schmach zu ziehn, es der mütterlichen Schönheit, der es entstammte, wieder zu bringen, wie hätt' ich aufgestaunt aus dem Traume der Kindheit und gedürstet nach dem Bilde des Theuren? und nun er da ist, nun er mein ist, kann ich noch weinen? o des albernen Mädchens! ist es denn nicht wirklich? ist er der Herrliche nicht, und ist er nicht mein! o ihr Schatten seeliger Zeit! ihr meine trauten Erinnerungen!
    Ist mir doch, als wär' er kaum von gestern, jener Zauberabend, da der heil'ge Fremdling mir zum erstenmale begegnete, da er, wie ein trauernder Genius, hereinglänzt' in die Schatten des Walds, wo im Jugendtraume das unbekümmerte Mädchen saß – in der Mailuft kam er, in Joniens zaubrischer Mailuft und sie macht' ihn blühender mir, sie lokt' ihm das Haar, entfaltet' ihm, wie Blumen, die Lippen, löst' in Lächeln die Wehmuth auf und o ihr Stralen des Himmels! wie leuchtetet ihr aus diesen Augen mich an, aus diesen berauschenden Quellen, wo im Schatten umschirmender Bogen ewig Leben schimmert und wallt! –
    Gute Götter! wie er schön ward mit dem Blik' auf mich! wie der ganze Jüngling, eine Spanne größer geworden, in leichter Nerve dastand, nur daß ihm die lieben Arme, die bescheidnen, niedersanken, als wären sie nichts! und wie er drauf emporsah im Entzüken, als wär' ich gen Himmel entflogen und nicht mehr da, ach! wie er nun in aller Herzensanmuth lächelt' und erröthete, da er wieder mich gewahr ward und unter den dämmernden Thränen sein Phöbusauge durchstralt', um zu fragen, bist dus? bist du es wirklich?
    Und warum begegnet' er so frommen Sinnes, so voll lieben Aberglaubens mir? warum hatt' er erst sein Haupt gesenkt, warum war der Götterjüngling so voll Sehnens und Trauerns? Sein Genius war zu seelig, um allein zu bleiben, und zu arm die Welt, um ihn zu fassen. O es war ein liebes Bild, gewebt von Größe und Leiden! Aber nun ists anders! mit dem Leiden ists aus! Er hat zu thun bekommen, er ist der Kranke nicht mehr! –
    Ich war voll Seufzens, da ich anfieng dir zu schreiben, mein Geliebter! Jezt bin ich lauter Freude. So spricht man über dir sich glüklich. Und siehe! so solls auch bleiben. Lebe wohl!
StA, Band 3, Seite 109-110.

 

Hyperion an Diotima XLIV

Wir haben noch zu gutem Ende dein Fest gefeiert, schönes Leben! ehe der Lärm beginnt. Es war ein himmlischer Tag. Das holde Frühjahr weht' und glänzte vom Orient her, entlokt' uns deinen Nahmen, wie es den Bäumen die Blüthen entlokt' und alle seeligen Geheimnisse der Liebe entathmeten mir. Eine Liebe, wie die unsre, war dem Freunde nie erschienen, und es war entzükend, wie der stolze Mensch aufmerkte und Auge und Geist ihm glühte, dein Bild, dein Wesen zu fassen.
    O, rief er endlich, da ists wohl der Mühe werth, für unser Griechenland zu streiten, wenn es solche Gewächse noch trägt!
    Ja wohl, mein Alabanda, sagt' ich; da gehn wir heiter in den Kampf, da treibt uns himmlisch Feuer zu Thaten, wenn unser Geist vom Bilde solcher Naturen verjüngt ist, und da läuft man auch nach einem kleinen Ziele nicht, da sorgt man nicht für diß und das und künstelt, den Geist nicht achtend, von außen und trinkt um des Kelchs willen den Wein; da ruhn wir dann erst, Alabanda, wenn des Genius Wonne kein Geheimniß mehr ist, dann erst, wenn die Augen all in Triumphbogen sich wandeln, wo der Menschengeist, der langabwesende, hervorglänzt aus den Irren und Leiden und siegesfroh den väterlichen Aether grüßt. – Ha! an der Fahne allein soll niemand unser künftig Volk erkennen; es muß sich alles verjüngen, es muß von Grund aus anders seyn; voll Ernsts die Lust und heiter alle Arbeit! nichts, auch das kleinste, das alltäglichste nicht ohne den Geist und die Götter! Lieb' und Haß und jeder Laut von uns muß die gemeinere Welt befremden und auch kein Augenblik darf Einmal noch uns mahnen an die platte Vergangenheit!
StA, Band 3, Seite 110-111.

 

Hyperion an Diotima XLV

Der Vulkan bricht los. In Koron und Modon werden die Türken belagert und wir rüken mit unserem Bergvolk gegen den Pelopones hinauf.
    Nun hat die Schwermuth all' ein Ende, Diotima, und mein Geist ist vester und schneller, seit ich in lebendiger Arbeit bin und sieh! ich habe nun auch eine Tagesordnung. Mit der Sonne beginn' ich. Da geh' ich hinaus, wo im Schatten des Walds mein Kriegsvolk liegt und grüße die tausend hellen Augen, die jezt vor mir mit wilder Freundlichkeit sich aufthun. Ein erwachendes Heer! ich kenne nichts gleiches und alles Leben in Städten und Dörfern ist, wie ein Bienenschwarm, dagegen.
    Der Mensch kans nicht verläugnen, daß er einst glüklich war, wie die Hirsche des Forsts und nach unzähligen Jahren klimmt noch in uns ein Sehnen nach den Tagen der Urwelt, wo jeder die Erde durchstreifte, wie ein Gott, eh, ich weiß nicht was? den Menschen zahm gemacht, und noch, statt Mauern und todtem Holz, die Seele der Welt, die heilige Luft allgegenwärtig ihn umfieng.
    Diotima! mir geschieht oft wunderbar, wenn ich mein unbekümmert Volk durchgehe und, wie aus der Erde gewachsen, einer um den andern aufsteht und dem Morgenlicht' entgegen sich dehnt, und unter den Haufen der Männer die knatternde Flamme emporsteigt, wo die Mutter sizt mit dem frierenden Kindlein, wo die erquikende Speise kocht, indeß die Rosse, den Tag witternd, schnauben und schrein, und der Wald ertönt von allerschütternder Kriegsmusik, und rings von Waffen schimmert und rauscht – aber das sind Worte und die eigne Lust von solchem Leben erzählt sich nicht.
    Dann sammelt mein Hauffe sich um mich her, mit Lust, und es ist wunderbar, wie auch die Ältesten und Trozigsten in aller meiner Jugend mich ehren. Wir werden vertrauter und mancher erzählt wies ihm ergieng im Leben und mein Herz schwillt oft von mancherlei Schiksaal. Dann fang' ich an, von besseren Tagen zu reden, und glänzend gehn die Augen ihnen auf, wenn sie des Bundes gedenken, der uns einigen soll, und das stolze Bild des werdenden Freistaats dämmert vor ihnen.
    Alles für jeden und jeder für alle! Es ist ein freudiger Geist in den Worten und er ergreift auch immer meine Menschen, wie Göttergebot. O Diotima! so zu sehn, wie von Hoffnungen da die starre Natur erwaicht und all' ihre Pulse mächtiger schlagen und von Entwürfen die verdüsterte Stirne sich entfaltet und glänzt, so da zu stehn in einer Sphäre von Menschen, umrungen von Glauben und Lust, das ist doch mehr, als Erd' und Himmel und Meer in aller ihrer Glorie zu schaun.
    Dann üb' ich sie in Waffen und Märschen bis um Mittag. Der frohe Muth macht sie gelehrig, wie er zum Meister mich macht. Bald stehn sie dichtgedrängt in macedonischer Reih' und regen den Arm nur, bald fliegen sie, wie Stralen, auseinander zum gewagteren Streit in einzelnen Hauffen, wo die geschmeidige Kraft in jeder Stelle sich ändert und jeder selbst sein Feldherr ist, und sammeln sich wieder in sicherem Punkt – und immer, wo sie gehen und stehn in solchem Waffentanze, schwebt ihnen und mir das Bild der Tyrannenknechte und der ernstere Wahlplaz vor Augen.
    Drauf, wenn die Sonne heißer scheint, wird Rath gehalten im Innern des Walds und es ist Freude, so mit stillen Sinnen über der großen Zukunft zu walten. Wir nehmen dem Zufall die Kraft, wir meistern das Schiksaal. Wir lassen Widerstand nach unserem Willen entstehn, wir reizen den Gegner zu dem, worauf wir gerüstet sind. Oder sehen wir zu und scheinen furchtsam und lassen ihn näher kommen, bis er das Haupt zum Schlag uns reicht, auch nehmen wir ihm mit Schnelle die Fassung und das ist meine Panacee. Doch halten die erfahrneren Ärzte nichts auf solche allesheilende Mittel.
    Wie wohl ist dann des Abends mir bei meinem Alabanda, wenn wir zur Lust auf muntern Rossen die sonnenrothen Hügel umschweifen, und auf den Gipfeln, wo wir weilen, die Luft in den Mähnen unserer Thiere spielt, und das freundliche Säuseln in unsere Gespräche sich mischt, indeß wir hinaussehn in die Fernen von Sparta, die unser Kampfpreis sind! und wenn wir nun zurük sind und zusammensizen in lieblicher Kühle der Nacht, wo uns der Becher duftet und das Mondlicht unser spärlich Mahl bescheint und mitten in unsrer lächelnden Stille die Geschichte der Alten, wie eine Wolke aufsteigt aus dem heiligen Boden, der uns trägt, wie seelig ists da, in solchem Momente sich die Hände zu reichen!
    Dann spricht wohl Alabanda noch von manchem, den die Langeweile des Jahrhunderts peinigt, von so mancher wunderbaren krummen Bahn, die sich das Leben bricht, seitdem sein grader Gang gehemmt ist, dann fällt mir auch mein Adamas ein, mit seinen Reisen, seiner eignen Sehnsucht in das innere Asien hinein – das sind nur Nothbehelfe, guter Alter! möcht' ich dann ihm rufen, komm! und baue deine Welt! mit uns! denn unsre Welt ist auch die deine.
    Auch die deine, Diotima, denn sie ist die Kopie von dir. O du, mit deiner Elysiumsstille, könnten wir das schaffen, was du bist!
StA, Band 3, Seite 111-114.

 

Hyperion an Diotima XLVI

Wir haben jezt dreimal in Einem fort gesiegt in kleinen Gefechten, wo aber die Kämpfer sich durchkreuzten, wie Blize, und alles Eine verzehrende Flamme war. Navarin ist unser und wir stehen jezt vor der Veste Misistra, dem Überreste des alten Sparta. Ich hab' auch die Fahne, die ich einer Albanischen Horde entriß, auf eine Ruine gepflanzt, die vor der Stadt liegt, habe vor Freude meinen türkischen Kopfbund in den Eurotas geworfen und trage seitdem den griechischen Helm.
    Und nun möcht' ich dich sehen, o Mädchen! sehen möcht' ich dich und deine Hände nehmen und an mein Herz sie drüken, dem die Freude nun bald vieleicht zu groß ist! bald! in einer Woche vieleicht ist er befreit, der alte, edle, heilige Pelopones.
    O dann, du Theure! lehre mich fromm seyn! dann lehre mein überwallend Herz ein Gebet! Ich sollte schweigen, denn was hab' ich gethan? und hätt' ich etwas gethan, wovon ich sprechen möchte, wieviel ist dennoch übrig? Aber was kann ich dafür, daß mein Gedanke schneller ist, wie die Zeit? Ich wollte so gern, es wäre umgekehrt und die Zeit und die That überflöge den Gedanken und der geflügelte Sieg übereilte die Hoffnung selbst.
    Mein Alabanda blüht, wie ein Bräutigam. Aus jedem seiner Blike lacht die kommende Welt mich an, und daran still' ich noch die Ungedult so ziemlich.
    Diotima! ich möchte dieses werdende Glük nicht um die schönste Lebenszeit des alten Griechenlands vertauschen, und der kleinste unsrer Siege ist mir lieber, als Marathon und Thermopylä und Platea. Ists nicht wahr? Ist nicht dem Herzen das genesende Leben mehr werth, als das reine, das die Krankheit noch nicht kennt? Erst wenn die Jugend hin ist, lieben wir sie, und dann erst, wenn die verlorne wiederkehrt, beglükt sie alle Tiefen der Seele.
    Am Eurotas stehet mein Zelt, und wenn ich nach Mitternacht erwache, rauscht der alte Flußgott mahnend mir vorüber, und lächelnd nehm' ich die Blumen des Ufers, und streue sie in seine glänzende Welle und sag' ihm: Nimm es zum Zeichen, du Einsamer! Bald umblüht das alte Leben dich wieder.
StA, Band 3, Seite 114-115.

 

Diotima an Hyperion XLVII

Ich habe die Briefe erhalten, mein Hyperion, die du unterwegens mir schriebst. Du ergreifst mich gewaltig mit allem, was du mir sagst, und mitten in meiner Liebe schaudert mich oft, den sanften Jüngling, der zu meinen Füßen geweint, in dieses rüstige Wesen verwandelt zu sehn.
    Wirst du denn nicht die Liebe verlernen?
    Aber wandle nur zu! Ich folge dir. Ich glaube, wenn du mich hassen könntest, würd' ich auch da sogar dir nachempfinden, würde mir Mühe geben, dich zu hassen und so blieben unsre Seelen sich gleich und das ist kein eitelübertrieben Wort, Hyperion.
    Ich bin auch selbst ganz anders, wie sonst. Mir mangelt der heitre Blik in die Welt und die freie Lust an allem Lebendigen. Nur das Feld der Sterne zieht mein Auge noch an. Dagegen denk' ich um so lieber an die großen Geister der Vorwelt und wie sie geendet haben auf Erden, und die hohen Spartanischen Frauen haben mein Herz gewonnen. Dabei vergess' ich nicht die neuen Kämpfer, die kräftigen, deren Stunde gekommen ist, oft hör' ich ihren Siegslärm durch den Pelopones herauf mir näher brausen und näher, oft seh' ich sie, wie eine Kataracte, dort herunterwoogen durch die Epidaurischen Wälder und ihre Waffen fernher glänzen im Sonnenlichte, das, wie ein Herold, sie geleitet, o mein Hyperion! und du kömmst geschwinde nach Kalaurea herüber und grüßest die stillen Wälder unserer Liebe, grüßest mich, und fliegst nun wieder zu deiner Arbeit zurük; – und denkst du, ich fürchte den Ausgang? Liebster! manchmal wills mich überfallen, aber meine größern Gedanken halten, wie Flammen, den Frost ab. –
    Lebe wohl! vollende, wie es der Geist dir gebeut! und laß den Krieg zu lange nicht dauern, um des Friedens willen, Hyperion, um des schönen, neuen, goldenen Friedens willen, wo, wie du sagtest, einst in unser Rechtsbuch eingeschrieben werden die Geseze der Natur, und wo das Leben selbst, wo sie, die göttliche Natur, die in kein Buch geschrieben werden kann, im Herzen der Gemeinde seyn wird. Lebe wohl.
StA, Band 3, Seite 115-116.

 

Hyperion an Diotima XLVIII

Du hättest mich besänftigen sollen, meine Diotima! hättest sagen sollen, ich möchte mich nicht übereilen, möchte dem Schiksaal nach und nach den Sieg abnöthigen, wie kargen Schuldnern die Summe. O Mädchen! stille zu stehn, ist schlimmer, wie alles. Mir troknet das Blut in den Adern, so dürst' ich, weiterzukommen und muß hier müßig stehn, muß belagern und belagern, den einen Tag, wie den andern. Unser Volk will stürmen, aber das würde die aufgeregten Gemüther zum Rausch erhizen und wehe dann unsern Hoffnungen, wenn das wilde Wesen aufgährt und die Zucht und die Liebe zerreißt.
    Ich weiß nicht, es kann nur noch einige Tage dauern, so muß Misistra sich ergeben, aber ich wollte, wir wären weiter. Im Lager hier ists mir, wie in gewitterhafter Luft. Ich bin ungeduldig, auch meine Leute gefallen mir nicht. Es ist ein furchtbarer Muthwill unter ihnen.
    Aber ich bin nicht klug, daß ich so viel aus meiner Laune mache. Und das alte Lacedämon ists ja doch wohl werth, daß man ein wenig Sorge leidet, eh man es hat.
StA, Band 3, Seite 116.

 

Hyperion an Diotima IL

Es ist aus, Diotima! unsre Leute haben geplündert, gemordet, ohne Unterschied, auch unsre Brüder sind erschlagen, die Griechen in Misistra, die Unschuldigen, oder irren sie hülflos herum und ihre todte Jammermiene ruft Himmel und Erde zur Rache gegen die Barbaren, an deren Spize ich war.
    Nun kann ich hingehn und von meiner guten Sache predigen. O nun fliegen alle Herzen mir zu!
    Aber ich habs auch klug gemacht. Ich habe meine Leute gekannt. In der That! es war ein außerordentlich Project, durch eine Räuberbande mein Elysium zu pflanzen.
    Nein! bei der heiligen Nemesis! mir ist recht geschehn und ich wills auch dulden, dulden will ich, bis der Schmerz mein lezt Bewußtseyn mir zerreißt.
    Denkst du, ich tobe? Ich habe eine ehrsame Wunde, die einer meiner Getreuen mir schlug, indem ich den Greuel abwehrte. Wenn ich tobte, so riss' ich die Binde von ihr, und so ränne mein Blut, wohin es gehört, in diese trauernde Erde.
    Diese trauernde Erde! die nakte! so ich kleiden wollte mit heiligen Hainen, so ich schmüken wollte mit allen Blumen des griechischen Lebens!
    O es wäre schön gewesen, meine Diotima.
    Nennst du mich muthlos? Liebes Mädchen! es ist des Unheils zu viel. An allen Enden brechen wütende Hauffen herein; wie eine Seuche, tobt die Raubgier in Morea und wer nicht auch das Schwert ergreift, wird verjagt, geschlachtet und dabei sagen die Rasenden, sie fechten für unsre Freiheit. Andre des rohen Volks sind von dem Sultan bestellt und treibens, wie jene.
    Eben hör' ich, unser ehrlos Heer sei nun zerstreut. Die Feigen begegneten bei Tripolissa einem Albanischen Hauffen, der um die Hälfte geringer an Zahl war. Weils aber nichts zu plündern gab, so liefen die Elenden alle davon. Die Russen, die mit uns den Feldzug wagten, vierzig brave Männer, hielten allein aus, fanden auch alle den Tod.
    Und so bin ich nun mit meinem Alabanda wieder einsam, wie zuvor. Seitdem der Treue mich fallen und bluten sah in Misistra, hat er alles andre vergessen, seine Hoffnungen, seine Siegslust, seine Verzweiflung. Der Ergrimmte, der unter die Plünderer stürzte, wie ein strafender Gott, der führte nun so sanft mich aus dem Getümmel, und seine Thränen nezten mein Kleid. Er blieb auch bei mir in der Hütte, wo ich seitdem lag und ich freue mich nun erst recht darüber. Denn wär' er mit fortgezogen, so läg' er jezt bei Tripolissa im Staub.
    Wie es weiter werden soll, das weiß ich nicht. Das Schiksaal stößt mich ins Ungewisse hinaus und ich hab' es verdient; von dir verbannt mich meine eigene Schaam und wer weiß, wie lange?
    Ach! ich habe dir ein Griechenland versprochen und du bekommst ein Klaglied nun dafür. Sei selbst dein Trost!
StA, Band 3, Seite 117-118.

 

Hyperion an Diotima L

Ich bringe mich mit Mühe zu Worten.
    Man spricht wohl gerne, man plaudert, wie die Vögel, solange die Welt, wie Mailuft, einen anweht; aber zwischen Mittag und Abend kann es anders werden, und was ist verloren am Ende?
    Glaube mir und denk, ich sags aus tiefer Seele dir: die Sprache ist ein großer Überfluß. Das Beste bleibt doch immer für sich und ruht in seiner Tiefe, wie die Perle im Grunde des Meers. – Doch was ich eigentlich dir schreiben wollte, weil doch einmal das Gemälde seinen Rahmen und der Mann sein Tagwerk haben muß, so will ich noch auf eine Zeitlang Dienste nehmen bei der Russischen Flotte; denn mit den Griechen hab' ich weiter nichts zu thun.
    O theures Mädchen! es ist sehr finster um mich geworden!
StA, Band 3, Seite 118.

 

Hyperion an Diotima LI

Ich habe gezaudert, gekämpft. Doch endlich muß es seyn.
    Ich sehe, was nothwendig ist, und weil ich es sehe, so soll es auch werden. Misdeute mich nicht! verdamme mich nicht! ich muß dir rathen, daß du mich verlässest, meine Diotima.
    Ich bin für dich nichts mehr, du holdes Wesen! Diß Herz ist dir versiegt, und meine Augen sehen das Lebendige nicht mehr. O meine Lippen sind verdorrt; der Liebe süßer Hauch quillt mir im Busen nicht mehr.
    Ein Tag hat alle Jugend mir genommen; am Eurotas hat mein Leben sich müde geweint, ach! am Eurotas, der in rettungsloser Schmach an Lacedämons Schutt vorüberklagt, mit allen seinen Wellen. Da, da hat mich das Schiksaal abgeerndtet. – Soll ich deine Liebe, wie ein Allmosen, besizen? – Ich bin so gar nichts, bin so ruhmlos, wie der ärmste Knecht. Ich bin verbannt, verflucht, wie ein gemeiner Rebell und mancher Grieche in Morea wird von unsern Heldenthaten, wie von einer Diebsgeschichte, seinen Kindeskindern künftighin erzählen.
    Ach! und Eines hab' ich lange dir verschwiegen. Feierlich versties mein Vater mich, verwies mich ohne Rükkehr aus dem Hause meiner Jugend, will mich nimmer wieder sehen, nicht in diesem, noch im andern Leben, wie er sagt. So lautet die Antwort auf den Brief, worin ich mein Beginnen ihm geschrieben.
    Nun laß dich nur das Mitleid nimmer irre führen. Glaube mir, es bleibt uns überall noch eine Freude. Der ächte Schmerz begeistert. Wer auf sein Elend tritt, steht höher. Und das ist herrlich, daß wir erst im Leiden recht der Seele Freiheit fühlen. Freiheit! wer das Wort versteht – es ist ein tiefes Wort, Diotima. Ich bin so innigst angefochten, bin so unerhört gekränkt, bin ohne Hoffnung, ohne Ziel, bin gänzlich ehrlos, und doch ist eine Macht in mir, ein Unbezwingliches, das mein Gebein mit süßen Schauern durchdringt, so oft es rege wird in mir.
    Auch hab' ich meinen Alabanda noch. Der hat so wenig zu gewinnen, als ich selbst. Den kann ich ohne Schaden mir behalten! Ach! der königliche Jüngling hätt' ein besser Los verdient. Er ist so sanft geworden und so still. Das will mir oft das Herz zerreißen. Aber einer erhält den andern. Wir sagen uns nichts; was sollten wir uns sagen? aber es ist denn doch ein Seegen in manchem kleinen Liebesdienste, den wir uns leisten.
    Da schläft er und lächelt genügsam, mitten in unsrem Schiksaal. Der Gute! er weiß nicht, was ich thue. Er würd' es nicht dulden. Du must an Diotima schreiben, gebot er mir, und must ihr sagen, daß sie bald mit dir sich aufmacht, in ein leidlicher Land zu fliehn. Aber er weiß nicht, daß ein Herz, das so verzweifeln lernte, wie seines und wie meines, der Geliebten nichts mehr ist. Nein! nein! du fändest ewig keinen Frieden bei Hyperion, du müßtest untreu werden und das will ich dir ersparen.
    Und so lebe denn wohl, du süßes Mädchen! lebe wohl! Ich möchte dir sagen, gehe dahin, gehe dorthin; da rauschen die Quellen des Lebens. Ich möcht' ein freier Land, ein Land voll Schönheit und voll Seele dir zeigen und sagen: dahin rette dich! Aber o Himmel! könnt' ich diß, so wär' ich auch ein andrer und so müßt' ich auch nicht Abschied nehmen – Abschied nehmen? Ach! ich weiß nicht, was ich thue. Ich wähnte mich so gefaßt, so besonnen. Jezt schwindelt mir und mein Herz wirft sich umher, wie ein ungeduldiger Kranker. Weh über mich! ich richte meine lezte Freude zu Grunde. Aber es muß seyn und das Ach! der Natur ist hier umsonst. Ich bin's dir schuldig, und ich bin ja ohnediß dazu geboren, heimathlos und ohne Ruhestätte zu seyn. O Erde! o ihr Sterne! werde ich nirgends wohnen am Ende?
    Noch Einmal möcht' ich wiederkehren an deinen Busen, wo es auch wäre! Aetheraugen! Einmal noch mir wieder begegnen in euch! an deinen Lippen hängen, du Liebliche! du Unaussprechliche! und in mich trinken dein entzükend heiligsüßes Leben – aber höre das nicht! ich bitte dich, achte das nicht! Ich würde sagen, ich sei ein Verführer, wenn du es hörtest. Du kennst mich, du verstehst mich. Du weist, wie tief du mich achtest, wenn du mich nicht bedauerst, mich nicht hörst.
    Ich kann, ich darf nicht mehr – wie mag der Priester leben, wo sein Gott nicht mehr ist? O Genius meines Volks! o Seele Griechenlands! ich muß hinab, ich muß im Todtenreiche dich suchen.
StA, Band 3, Seite 119-121.

 

Hyperion an Diotima LII

Ich habe lange gewartet, ich will es dir gestehn, ich habe sehnlich auf ein Abschiedswort aus deinem Herzen gehoft, aber du schweigst. Auch das ist eine Sprache deiner schönen Seele, Diotima.
    Nicht wahr, die heiligern Akkorde hören darum denn doch nicht auf? nicht wahr, Diotima, wenn auch der Liebe sanftes Mondlicht untergeht, die höhern Sterne ihres Himmels leuchten noch immer? O das ist ja meine lezte Freude, daß wir unzertrennlich sind, wenn auch kein Laut von dir zu mir, kein Schatte unsrer holden Jugendtage mehr zurükkehrt!
    Ich schaue hinaus in die abendröthliche See, ich streke meine Arme aus nach der Gegend, wo du ferne lebst und meine Seele erwarmt noch einmal an allen Freuden der Liebe und Jugend.
    O Erde! meine Wiege! alle Wonne und aller Schmerz ist in dem Abschied, den wir von dir nehmen.
    Ihr lieben Jonischen Inseln! und du, mein Kalaurea, und du, mein Tina, ihr seid mir all' im Auge, so fern ihr seid und mein Geist fliegt mit den Lüftchen über die regen Gewässer; und die ihr dort zur Seite mir dämmert, ihr Ufer von Teos und Ephesus, wo ich einst mit Alabanda gieng in den Tagen der Hoffnung, ihr scheint mir wieder, wie damals, und ich möcht' hinüberschiffen ans Land und den Boden küssen und den Boden erwärmen an meinem Busen, und alle süßen Abschiedsworte stammeln vor der schweigenden Erde, eh' ich auffliege ins Freie.
    Schade, Schade, daß es jezt nicht besser zugeht unter den Menschen, sonst blieb' ich gern auf diesem guten Stern. Aber ich kann diß Erdenrund entbehren, das ist mehr, denn alles, was es geben kann.
    Laß uns im Sonnenlicht, o Kind! die Knechtschaft dulden, sagte zu Polyxena die Mutter, und ihre Lebensliebe konnte nicht schöner sprechen. Aber das Sonnenlicht, das eben widerräth die Knechtschaft mir, das läßt mich auf der entwürdigten Erde nicht bleiben und die heiligen Strahlen ziehn, wie Pfade, die zur Heimat führen, mich an.
    Seit langer Zeit ist mir die Majestät der schiksaallosen Seele gegenwärtiger, als alles andre gewesen; in herrlicher Einsamkeit hab' ich manchmal in mir selber gelebt; ich bins gewohnt geworden, die Außendinge abzuschütteln, wie Floken von Schnee; wie sollt' ich dann mich scheun, den sogenannten Tod zu suchen? hab' ich nicht tausendmal mich in Gedanken befreit, wie sollt' ich denn anstehn, es Einmal wirklich zu thun? Sind wir denn, wie leibeigene Knechte, an den Boden gefesselt, den wir pflügen? sind wir, wie zahmes Geflügel, das aus dem Hofe nicht laufen darf, weils da gefüttert wird?
    Wir sind, wie die jungen Adler, die der Vater aus dem Neste jagt, daß sie im hohen Aether nach Beute suchen.
    Morgen schlägt sich unsre Flotte und der Kampf wird heiß genug seyn. Ich betrachte diese Schlacht, wie ein Bad, den Staub mir abzuwaschen; und ich werde wohl finden, was ich wünsche; Wünsche, wie meiner, gewähren an Ort und Stelle sich leicht. Und so hätt' ich doch am Ende durch meinen Feldzug etwas erreicht und sehe, daß unter Menschen keine Mühe vergebens ist.
    Fromme Seele! ich möchte sagen, denke meiner, wenn du an mein Grab kömst. Aber sie werden mich wohl in die Meersfluth werfen, und ich seh' es gerne, wenn der Rest von mir da untersinkt, wo die Quellen all' und die Ströme, die ich liebte, sich versammeln, und wo die Wetterwolke aufsteigt, und die Berge tränkt und die Thale, die ich liebte. Und wir? o Diotima! Diotima! wann sehn wir uns wieder?
    Es ist unmöglich, und mein innerstes Leben empört sich, wenn ich denken will, als verlören wir uns. Ich würde Jahrtausende lang die Sterne durchwandern, in alle Formen mich kleiden, in alle Sprachen des Lebens, um dir Einmal wieder zu begegnen. Aber ich denke, was sich gleich ist, findet sich bald.
    Große Seele! du wirst dich finden können in diesen Abschied und so laß mich wandern! Grüße deine Mutter! Grüße Notara und die andern Freunde!
    Auch die Bäume grüße, wo ich dir zum erstenmale begegnete und die fröhlichen Bäche, wo wir giengen und die schönen Gärten von Angele, und laß, du Liebe! dir mein Bild dabei begegnen. Lebe wohl.
StA, Band 3, Seite 121-123.

 

Hyperion an Bellarmin LIII

Ich war in einem holden Traume, da ich die Briefe, die ich einst gewechselt, für dich abschrieb. Nun schreib' ich wieder dir, mein Bellarmin! und führe weiter dich hinab, hinab bis in die tiefste Tiefe meiner Laiden, und dann, du lezter meiner Lieben! komm mit mir heraus zur Stelle, wo ein neuer Tag uns anglänzt.
    Die Schlacht, wovon ich an Diotima geschrieben, begann. Die Schiffe der Türken hatten sich in den Canal, zwischen die Insel Chios und die Asiatische Küste hinein, geflüchtet, und standen am vesten Lande hinauf bei Tschesme. Mein Admiral verließ mit seinem Schiffe, worauf ich war, die Reihe, und hub das Vorspiel an mit dem ersten Schiffe der Türken. Das grimmige Paar war gleich beim ersten Angriff bis zum Taumel erhizt, es war ein rachetrunknes schrekliches Getümmel. Die Schiffe hiengen bald mit ihrem Tauwerk aneinander vest; das wütende Gefecht ward immer enger und enger.
    Ein tiefes Lebensgefühl durchdrang mich noch. Es war mir warm und wohl in allen Gliedern. Wie ein zärtlichscheidender, fühlte zum leztenmale sich in allen seinen Sinnen mein Geist. Und nun, voll heißen Unmuths, daß ich Besseres nicht wußte, denn mich schlachten zu lassen in einem Gedränge von Barbaren, mit zürnenden Thränen im Auge, stürmt' ich hin, wo mir der Tod gewiß war.
    Ich traf die Feinde nahe genug und von den Russen, die an meiner Seite fochten, war in wenig Augenbliken auch nicht Einer übrig. Ich stand allein da, voll Stolzes, und warf mein Leben, wie einen Bettlerpfenning, vor die Barbaren, aber sie wollten mich nicht. Sie sahen mich an, wie einen, an dem man sich zu versündigen fürchtet, und das Schiksaal schien mich zu achten in meiner Verzweiflung.
    Aus höchster Nothwehr hieb denn endlich einer auf mich ein, und traf mich, daß ich stürzte. Mir wurde von da an nichts mehr bewußt, bis ich auf Paros, wohin ich übergeschifft war, wieder erwachte.
    Von dem Diener, der mich aus der Schlacht trug, hört' ich nachher, die beiden Schiffe, die den Kampf begonnen, seien in die Luft geflogen, den Augenblik darauf, nachdem er mit dem Wundarzt mich in einem Boote weggebracht. Die Russen hatten Feuer in das Türkische Schiff geworfen, und weil ihr eignes an dem andern festhieng, brannt' es mit auf.
    Wie diese fürchterliche Schlacht ein Ende nahm, ist dir bekannt. So straft ein Gift das andre, rief ich, da ich erfuhr, die Russen hätten die ganze Türkische Flotte verbrannt – so rotten die Tyrannen sich selbst aus.
StA, Band 3, Seite 124-125.

 

Hyperion an Bellarmin LIV

Sechs Tage nach der Schlacht lag ich in einem peinlichen todähnlichen Schlaf. Mein Leben war, wie eine Nacht, von Schmerzen, wie von zükenden Blizen, unterbrochen. Das Erste, was ich wieder erkannte, war Alabanda. Er war, wie ich erfuhr, nicht einen Augenblik von mir gewichen, hatte fast allein mich bedient, mit unbegreiflicher Geschäftigkeit, mit tausend zärtlichen häuslichen Sorgen, woran er sonst im Leben nie gedacht, und man hatt' ihn auf den Knien vor meinem Bette rufen gehört: o lebe, mein Lieber! daß ich lebe!
    Es war ein glüklich Erwachen, Bellarmin! da mein Auge nun wieder dem Lichte sich öffnete, und mit den Thränen des Wiedersehens der Herrliche vor mir stand.
    Ich reicht' ihm die Hand hin, und der Stolze küßte sie mit allen Entzüken der Liebe. Er lebt, rief er, o Retterin! o Natur! du gute, alles heilende! dein armes Paar, das vaterlandslose, das irre, verlässest doch du nicht! O ich will es nie vergessen, Hyperion! wie dein Schiff vor meinen Augen im Feuer aufgieng, und donnernd, in die rasende Flamme die Schiffer mit sich hinaufriß, und unter den wenigen geretteten kein Hyperion war. Ich war von Sinnen und der grimmige Schlachtlärm stillte mich nicht. Doch hört' ich bald von dir und flog dir nach, so bald wir mit dem Feinde vollends fertig waren. –
    Und wie er nun mich hütete! wie er mit liebender Vorsicht mich gefangen hielt in dem Zauberkreise seiner Gefälligkeiten! wie er, ohne ein Wort, mit seiner großen Ruhe mich lehrte, den freien Lauf der Welt neidlos und männlich zu verstehen!
    O ihr Söhne der Sonne! ihr freieren Seelen! es ist viel verloren gegangen in diesem Alabanda. Ich suchte umsonst und flehte das Leben an, seit er fort ist; solch eine Römernatur hab' ich nimmer gefunden. Der Sorgenfreie, der Tiefverständige, der Tapfre, der Edle! Wo ist ein Mann, wenn ers nicht war? Und wenn er freundlich war und fromm, da wars, wie wenn das Abendlicht im Dunkel der majestätischen Eiche spielt und ihre Blätter träufeln vom Gewitter des Tags.
StA, Band 3, Seite 125-126.

 

Hyperion an Bellarmin LV

Es war in den schönen Tagen des Herbsts, da ich von meiner Wunde halbgenesen zum erstenmale wieder ans Fenster trat. Ich kam mit stilleren Sinnen wieder ins Leben und meine Seele war aufmerksamer geworden. Mit seinem leisesten Zauber wehte der Himmel mich an, und mild, wie ein Blüthenregen, flossen die heitern Sonnenstrahlen herab. Es war ein großer, stiller, zärtlicher Geist in dieser Jahrszeit, und die Vollendungsruhe, die Wonne der Zeitigung in den säuselnden Zweigen umfieng mich, wie die erneuerte Jugend, so die Alten in ihrem Elysium hofften.
    Ich hatt' es lange nicht mit reiner Seele genossen, das kindliche Leben der Welt, nun that mein Auge sich auf mit aller Freude des Wiedersehens und die seelige Natur war wandellos in ihrer Schöne geblieben. Meine Thränen flossen, wie ein Sühnopfer, vor ihr, und schaudernd stieg ein frisches Herz mir aus dem alten Unmuth auf. O heilige Pflanzenwelt! rief ich, wir streben und sinnen und haben doch dich! wir ringen mit sterblichen Kräften Schönes zu baun, und es wächst doch sorglos neben uns auf! nicht wahr, Alabanda? für die Noth zu sorgen, sind die Menschen gemacht, das übrige giebt sich selber. Und doch – ich kann es nicht vergessen, wie viel mehr ich gewollt.
    Laß dir genug seyn, Lieber! daß du bist, rief Alabanda, und störe dein stilles Wirken durch die Trauer nicht mehr.
    Ich will auch ruhen, sagt' ich. O ich will die Entwürfe, die Fodrungen alle, wie Schuldbriefe, zerreißen. Ich will mich rein erhalten, wie ein Künstler sich hält, dich will ich lieben, harmlos Leben, Leben des Hains und des Quells! dich will ich ehren, o Sonnenlicht! an dir mich stillen, schöner Aether, der die Sterne beseelt, und hier auch diese Bäume umathmet und hier im Innern der Brust uns berührt! o Eigensinn der Menschen! wie ein Bettler, hab ich den Naken gesenkt und es sahen die schweigenden Götter der Natur mit allen ihren Gaaben mich an! – Du lächelst, Alabanda? o wie oft, in unsern ersten Zeiten, hast du so gelächelt, wann dein Knabe vor dir plauderte, im trunknen Jugendmuth, indeß du da, wie eine stille Tempelsäule, standst, im Schutt der Welt, und leiden mußtest, daß die wilden Ranken meiner Liebe dich umwuchsen – sieh! wie eine Binde fällts von meinen Augen und die alten goldenen Tage sind lebendig wieder da.
    Ach! rief er, dieser Ernst, in dem wir lebten und diese Lebenslust!
    Wenn wir jagten im Forst, rief ich, wenn in der Meersfluth wir uns badeten, wenn wir sangen und tranken, wo durch den Lorbeerschatten die Sonn' und der Wein und Augen und Lippen uns glänzten – es war ein einzig Leben und unser Geist umleuchtete, wie ein glänzender Himmel, unser jugendlich Glük. Drum läßt auch keiner von dem andern, sagte Alabanda.
    O ich habe dir ein schwer Bekenntniß abzulegen, sagt' ich. Wirst du mir es glauben, daß ich fort gewollt? von dir! daß ich gewaltsam meinen Tod gesucht! war das nicht herzlos? rasend? ach und meine Diotima! sie soll mich lassen, schrieb ich ihr, und drauf noch einen Brief, den Abend vor der Schlacht – und da schriebst du, rief er, daß du in der Schlacht dein Ende finden wolltest? o Hyperion! Doch hat sie wohl den lezten Brief noch nicht. Du must nur eilen, ihr zu schreiben, daß du lebst.
    Bester Alabanda! rief ich, das ist Trost! Ich schreibe gleich und schike meinen Diener fort damit. O ich will ihm alles, was ich habe, bieten, daß er eilt und noch zu rechter Zeit nach Kalaurea kömmt. –
    Und den andern Brief, wo vom Entsagen die Rede war, versteht, vergiebt die gute Seele dir leicht, sezt' er hinzu.
    Vergiebt sie? rief ich; o ihr Hoffnungen alle! ja! wenn ich noch glüklich mit dem Engel würde!
    Noch wirst du glüklich seyn, rief Alabanda; noch ist die schönste Lebenszeit dir übrig. Ein Held ist der Jüngling, der Mann ein Gott, wenn ers erleben kann.
    Es dämmerte mir wunderbar in der Seele bei seiner Rede.
    Der Bäume Gipfel schauerten leise; wie Blumen aus der dunklen Erde, sproßten Sterne aus dem Schoose der Nacht und des Himmels Frühling glänzt' in heiliger Freude mich an.
StA, Band 3, Seite 126-128.

 

Hyperion an Bellarmin LVI

Einige Augenblike darauf, da ich eben an Diotima schreiben wollte, trat Alabanda freudig wieder ins Zimmer. Ein Brief, Hyperion! rief er; ich schrak zusammen und flog hinzu.
    Wie lange, schrieb Diotima, mußt' ich leben ohne ein Zeichen von dir! Du schriebst mir von dem Schiksaalstage in Misistra und ich antwortete schnell; doch allem nach erhieltst du meinen Brief nicht. Du schriebst mir bald darauf wieder, kurz und düster, und sagtest mir, du seiest gesonnen, auf die Russische Flotte zu gehn; ich antwortete wieder; doch auch diesen Brief erhieltst du nicht; nun harrt' auch ich vergebens, vom Mai bis jezt zum Ende des Sommers, bis vor einigen Tagen der Brief kömmt, der mir sagt, ich möchte dir entsagen, Lieber!
    Du hast auf mich gerechnet, hast mirs zugetraut, daß dieser Brief mich nicht belaidigen könne. Das freute mich herzlich, mitten in meiner Betrübniß.
    Unglüklicher, hoher Geist! ich habe nur zu sehr dich gefaßt. O es ist so ganz natürlich, daß du nimmer lieben willst, weil deine größern Wünsche verschmachten. Must du denn nicht die Speise verschmähn, wenn du daran bist, Durstes zu sterben?
    Ich wußte es bald; ich konnte dir nicht Alles seyn. Konnt' ich die Bande der Sterblichkeit dir lösen? konnt' ich die Flamme der Brust dir stillen, für die kein Quell fleußt und kein Weinstok wächst? konnt' ich die Freuden einer Welt in einer Schaale dir reichen?
    Das willst du. Das bedarfst du, und du kannst nicht anders. Die gränzenlose Unmacht deiner Zeitgenossen hat dich um dein Leben gebracht.
    Wem einmal, so, wie dir, die ganze Seele belaidiget war, der ruht nicht mehr in einzelner Freude, wer so, wie du, das fade Nichts gefühlt, erheitert in höchstem Geiste sich nur, wer so den Tod erfuhr, wie du, erhohlt allein sich unter den Göttern.
    Glüklich sind sie alle, die dich nicht verstehen! Wer dich versteht, muß deine Größe theilen und deine Verzweiflung.
    Ich fand dich, wie du bist. Des Lebens erste Neugier trieb mich an das wunderbare Wesen. Unaussprechlich zog die zarte Seele mich an und kindischfurchtlos spielt' ich um deine gefährliche Flamme. - Die schönen Freuden unserer Liebe sänftigten dich; böser Mann! nur, um dich wilder zu machen. Sie besänftigten, sie trösteten auch mich, sie machten mich vergessen, daß du im Grunde trostlos warst, und daß auch ich nicht fern war, es zu werden, seit ich dir in dein geliebtes Herz sah.
    In Athen, bei den Trümmern des Olympion ergriff es mich von neuem. Ich hatte sonst wohl noch in einer leichten Stunde gedacht, des Jünglings Trauer sei doch wohl so ernst und unerbittlich nicht. Es ist so selten, daß ein Mensch mit dem ersten Schritt ins Leben so mit Einmal, so im kleinsten Punct, so schnell, so tief das ganze Schiksaal seiner Zeit empfand, und daß es unaustilgbar in ihm haftet, diß Gefühl, weil er nicht rauh genug ist, um es auszustoßen, und nicht schwach genug, es auszuweinen, das, mein Theurer! ist so selten, daß es uns fast unnatürlich dünkt.
    Nun, im Schutt des heiteren Athens, nun gieng mirs selbst zu nah, wie sich das Blatt gewandt, daß jezt die Todten oben über der Erde gehn und die Lebendigen, die Göttermenschen drunten sind, nun sah' ichs auch zu wörtlich und zu wirklich dir aufs Angesicht geschrieben, nun gab ich dir auf ewig Recht. Aber zugleich erschienst du mir auch größer. Ein Wesen voll geheimer Gewalt, voll tiefer unentwikelter Bedeutung, ein einzig hoffnungsvoller Jüngling schienst du mir. Zu wem so laut das Schiksaal spricht, der darf auch lauter sprechen mit dem Schiksaal, sagt' ich mir; je unergründlicher er leidet, um so unergründlich mächtiger ist er. Von dir, von dir nur hofft' ich alle Genesung. Ich sah dich reisen. Ich sah dich wirken. O der Verwandlung! Von dir gestiftet, grünte wieder des Akademus Hain über den horchenden Schülern und heilige Gespräche hörte, wie einst, der Ahorn des Ilissus wieder.
    Den Ernst der Alten gewann in deiner Schule der Genius unserer Jünglinge bald, und seine vergänglichen Spiele wurden unsterblicher, denn er schämte sich, hielt für Gefangenschaft den Schmetterlingsflug. Dem hätt', ein Roß zu lenken, genügt; nun ist er ein Feldherr. Allzugenügsam hätte der ein eitel Liedchen gesungen; nun ist er ein Künstler. Denn die Kräfte der Helden, die Kräfte der Welt hattest du aufgethan vor ihnen in offenem Kampf; die Räthsel deines Herzens hattest du ihnen zu lösen gegeben; so lernten die Jünglinge Großes vereinen, lernten verstehn das Spiel der Natur, das seelenvolle, und vergaßen den Scherz. - Hyperion! Hyperion! hast du nicht mich, die Unmündige, zur Muse gemacht? So ergiengs auch den andern.
    Ach! nun verließen so leicht sich nicht die geselligen Menschen; wie der Sand im Sturme der Wildniß irrten sie untereinander nicht mehr, noch höhnte sich Jugend und Alter, noch fehlt' ein Gastfreund dem Fremden und die Vaterlandsgenossen sonderten nimmer sich ab und die Liebenden entlaideten alle sich nimmer; an deinen Quellen, Natur, erfrischten sie sich, ach! an den heiligen Freuden, die geheimnißvoll aus deiner Tiefe quillen und den Geist erneun; und die Götter erheiterten wieder die verwelkliche Seele der Menschen; es bewahrten die herzerhaltenden Götter jedes freundliche Bündniß unter ihnen. Denn du, Hyperion! hattest deinen Griechen das Auge geheilt, daß sie das Lebendige sahn, und die in ihnen, wie Feuer im Holze schlief, die Begeisterung hattest du entzündet, daß sie fühlten die stille stete Begeisterung der Natur und ihrer reinen Kinder. Ach! nun nahmen die Menschen die schöne Welt nicht mehr, wie Laien des Künstlers Gedicht, wenn sie die Worte loben und den Nuzen drin ersehn. Ein zauberisch Beispiel wurdest du, lebendige Natur! den Griechen, und entzündet von der ewigjungen Götter Glük war alles Menschenthun, wie einst, ein Fest; und zu Thaten geleitete, schöner als Kriegsmusik, die jungen Helden Helios Licht.
    Stille! stille! Es war mein schönster Traum, mein erster und mein lezter. Du bist zu stolz, dich mit dem bübischen Geschlechte länger zu befassen. Du thust auch Recht daran. Du führtest sie zur Freiheit und sie dachten an Raub. Du führst sie siegend in ihr altes Lacedämon ein und diese Ungeheuer plündern und verflucht bist du von deinem Vater, großer Sohn! und keine Wildniß, keine Höhle ist sicher genug für dich auf dieser griechischen Erde, die du, wie ein Heiligtum, geachtet, die du mehr, wie mich, geliebt.
    O mein Hyperion! ich bin das sanfte Mädchen nicht mehr, seit ich das alles weiß. Die Entrüstung treibt mich aufwärts, daß ich kaum zur Erde sehen mag und unablässig zittert mein belaidigtes Herz.
    Wir wollen uns trennen. Du hast Recht. Ich will auch keine Kinder; denn ich gönne sie der Sklavenwelt nicht, und die armen Pflanzen welkten mir ja doch in dieser Dürre vor den Augen weg.
    Lebe wohl! du theurer Jüngling! geh du dahin, wo es dir der Mühe werth scheint, deine Seele hinzugeben. Die Welt hat doch wohl Einen Wahlplaz, eine Opferstätte, wo du dich entledigen magst. Es wäre Schade, wenn die guten Kräfte alle, wie ein Traumbild, so vergiengen. Doch wie du auch ein Ende nimmst, du kehrest zu den Göttern, kehrst ins heilge, freie, jugendliche Leben der Natur, wovon du ausgiengst, und das ist ja dein Verlangen nur und auch das meine.
    So schrieb sie mir. Ich war erschüttert bis ins Mark, voll Schreken und Lust, doch sucht' ich mich zu fassen, um Worte zur Antwort zu finden.
    Du willigest ein, Diotima? schrieb ich, du billigest mein Entsagen? konntest es begreiffen? - Treue Seele! darein konntest du dich schiken? Auch in meine finstern Irren konntest du dich schiken, himmlische Gedult! und gabst dich hin, verdüstertest dich aus Liebe, glüklich Schooskind der Natur! und wardst mir gleich und heiligtest durch deinen Beitritt meine Trauer? Schöne Heldin! welche Krone verdientest du?
    Aber nun sei es auch des Trauerns genug, du Liebe! Du bist mir nachgefolgt in meine Nacht, nun komm! und laß mich dir zu deinem Lichte folgen, zu deiner Anmuth laß uns wiederkehren, schönes Herz! o deine Ruhe laß mich wiedersehen, seelige Natur! vor deinem Friedensbilde meinen Übermuth auf immer mir entschlummern.
    Nicht wahr, du Theure! noch ist meine Rükkehr nicht zu spät, und du nimmst mich wieder auf und kannst mich wieder lieben, wie sonst? nicht wahr, noch ist das Glük vergangner Tage nicht für uns verloren?
    Ich hab' es bis aufs Äußerste getrieben. Ich habe sehr undankbar an der mütterlichen Erde gehandelt, habe mein Blut und alle Liebesgaaben, die sie mir gegeben, wie einen Knechtlohn, weggeworfen und ach! wie tausendmal undankbarer an dir, du heilig Mädchen! das mich einst in seinen Frieden aufnahm, mich, ein scheu zerrißnes Wesen, dem aus tiefgepreßter Brust sich kaum ein Jugendschimmer stahl, wie hie und da ein Grashalm auf zertretnen Wegen. Hattest du mich nicht ins Leben gerufen? war ich nicht dein? wie konnt' ich denn - o du weist es, wie ich hoffe, noch nicht, hast noch den Unglüksbrief nicht in den Händen, den ich vor der lezten Schlacht dir schrieb? Da wollt' ich sterben, Diotima, und ich glaubt', ein heilig Werk zu thun. Aber wie kann das heilig seyn, was Liebende trennt? wie kann das heilig seyn, was unsers Lebens frommes Glük zerrüttet? - Diotima! schöngebornes Leben! ich bin dir jezt dafür in deinem Eigensten um so ähnlicher geworden, ich hab' es endlich achten gelernt, ich hab' es bewahren gelernt, was gut und innig ist auf Erden. O wenn ich auch dort oben landen könnte an den glänzenden Inseln des Himmels, fänd' ich mehr, als ich bei Diotima finde?
    Höre mich nun, Geliebte!
    In Griechenland ist meines Bleibens nicht mehr. Das weist du. Bei seinem Abschied hat mein Vater mir so viel von seinem Überflusse geschikt, als hinreicht, in ein heilig Thal der Alpen oder Pyrenäen uns zu flüchten, und da ein freundlich Haus und auch von grüner Erde so viel zu kauffen, als des Lebens goldene Mittelmäßigkeit bedarf.
    Willst du, so komm' ich gleich und führ' an treuem Arme dich und deine Mutter und wir küssen Kalaureas Ufer und troknen die Thränen uns ab, und eilen über den Isthmus hinein ans Adriatische Meer, von wo ein sicher Schiff uns weiter bringt.
    O komm! in den Tiefen der Gebirgswelt wird das Geheimniß unsers Herzens ruhn, wie das Edelgestein im Schacht, im Schoose der himmelragenden Wälder, da wird uns seyn, wie unter den Säulen des innersten Tempels, wo die Götterlosen nicht nahn, und wir werden sizen am Quell, in seinem Spiegel unsre Welt betrachten, den Himmel und Haus und Garten und uns. Oft werden wir in heiterer Nacht im Schatten unsers Obstwalds wandeln und den Gott in uns, den liebenden, belauschen, indeß die Pflanze aus dem Mittagsschlummer ihr gesunken Haupt erhebt und deiner Blumen stilles Leben sich erfrischt, wenn sie im Thau die zarten Arme baden, und die Nachtluft kühlend sie umathmet und durchdringt, und über uns blüht die Wiese des Himmels mit all' ihren funkelnden Blumen und seitwärts ahmt das Mondlicht hinter westlichem Gewölk den Niedergang des Sonnenjünglings, wie aus Liebe schüchtern nach - und dann des Morgens, wenn sich, wie ein Flußbett unser Thal mit warmem Lichte füllt, und still die goldne Fluth durch unsre Bäume rinnt, und unser Haus umwallt und die lieblichen Zimmer, deine Schöpfung dir verschönt, und du in ihrem Sonnenglanze gehst und mir den Tag in deiner Grazie seegnest, Liebel! wenn sich dann, indeß wir so die Morgenwonne feiern, der Erde geschäfftig Leben, wie ein Opferbrand, vor unsern Augen entzündet, und wir nun hingehn, um auch unser Tagwerk, um von uns auch einen Theil in die steigende Flamme zu werfen, wirst du da nicht sagen, wir sind glüklich, wir sind wieder, wie die alten Priester der Natur, die heiligen und frohen, die schon fromm gewesen, eh' ein Tempel stand.
    Hab' ich genug gesagt? entscheide nun mein Schiksaal, theures Mädchen, und bald! - Es ist ein Glük, daß ich noch halb ein Kranker bin, von der lezten Schlacht her, und daß ich noch aus meinem Dienste nicht entlassen bin; ich könnte sonst nicht bleiben, ich müßte selbst fort, müßte fragen, und das wäre nicht gut, das hieße dich bestürmen. Ach Diotima! bange thörichte Gedanken fallen mir aufs Herz und doch - ich kann es nicht denken, daß auch diese Hoffnung scheitern soll.
    Bist du denn nicht zu groß geworden, um noch wiederzukehren zu dem Glük der Erde? verzehrt die heftige Geistesflamme, die an deinem Leiden sich entzündete, verzehrt sie nicht alles Sterbliche dir?
    Ich weiß es wohl, wer leicht sich mit der Welt entzweit, versöhnt auch leichter sich mit ihr. Aber du, mit deiner Kinderstille, du, so glüklich einst in deiner hohen Demuth, Diotima! wer will dich versöhnen, wenn das Schiksaal dich empört?
    Liebes Leben! ist denn keine Heilkraft mehr für dich in mir? von allen Herzenslauten ruft dich keiner mehr zurük, ins menschliche Leben, wo du einst so lieblich mit gesenktem Fluge dich verweilt? o komm, o bleib in dieser Dämmerung! Diß Schattenland ist ja das Element der Liebe und hier nur rinnt der Wehmut stiller Thau vom Himmel deiner Augen.
    Und denkst du unsrer goldenen Tage nicht mehr? der holdseeligen, göttlichmelodischen? säuseln sie nicht aus allen Hainen von Kalaurea dich an?
    Und sieh! es ist so manches in mir untergegangen, und ich habe der Hoffnungen nicht viele mehr. Dein Bild mit seinem Himmelssinne, hab' ich noch, wie einen Hausgott, aus dem Brande gerettet. Unser Leben, unsers ist noch unverlezt in mir. Sollt' ich nun hingehn und auch diß begraben? Soll ich ruhelos und ohne Ziel hinaus, von einer Fremde in die andre? Hab' ich darum lieben gelernt?
    O nein! du Erste und du Lezte! Mein warst du, du wirst die Meine bleiben.
StA, Band 3, Seite 128-135.

 

Der Tod des Empedokles



	        ERSTER ACT

           ERSTER AUFTRITT

              PANTHEA. DELIA



		PANTHEA
Diß ist sein Garten! Dort im geheimen
Dunkel, wo die Quelle springt, dort stand er
jüngst, als ich vorübergieng - du
hast ihn nie gesehn?

		DELIA
O Panthea! Bin ich doch erst seit gestern mit dem
Vater in Sicilien. Doch ehmals, da
ich noch ein Kind war, sah ich
ihn auf einem Kämpfer-
wagen bei den Spielen in Olympia.
Sie sprachen damals viel von ihm, und immer
ist sein Nahme mir geblieben.

		PANTHEA
Du must ihn jezt sehn! jezt!
Man sagt, die Pflanzen merkten auf
ihn, wo er wandre, und die Wasser unter der Erde
strebten herauf da, wo sein Stab den Boden berühre!
Das all mag wahr seyn!
und wenn er bei Gewittern in den Himmel blike,
theile die Wolke sich und hervorschimmre der
heitere Tag. -
Doch was sagts? du must ihn selbst sehn! einen
Augenblik! und dann hinweg! ich meid' ihn selbst -
ein furchtbar allverwandelnd Wesen ist in ihm.
- - 

		DELIA
Wie lebt er mit andern? Ich begreife nichts von diesem Manne,
Hat er wie wir auch seine leeren Tage,
Wo man sich alt und unbedeutend dünkt?
Und giebt es auch ein menschlich Laid für ihn?

		PANTHEA
Ach! da ich ihn zum leztenmale dort
Im Schatten seiner Bäume sah, da hatt er wohl
Sein eigen tiefes Laid - der Göttliche.
Mit wunderbarem Sehnen, traurigforschend
Wie wenn er viel verloren, blikt er bald
Zur Erd' hinab, bald durch die Dämmerung
Des Hains hinauf, als wär' ins ferne Blau
Das Leben ihm entflogen, und die Demuth
Des königlichen Angesichts ergriff
Mein ringend Herz - auch du must untergehn,
Du schöner Stern! und lange währets nicht mehr.
Das ahnte mir-
		DELIA
                Hast du mit ihm auch schon
Gesprochen, Panthea?

		PANTHEA
O daß du daran mich erinnerst! Es ist nicht lange,
daß ich todeskrank daniederlag. Schon dämmerte
der klare Tag vor mir und um die Sonne
wankte, wie ein seellos Schattenbild, die Welt.
Da rief mein Vater, wenn er schon
ein arger Feind des hohen Mannes ist, am hof-
nunglosen Tage den Vertrauten der Natur,
und als der Herrliche den Heiltrank mir
gereicht, da schmolz in zaubrischer Versöhnung
mir mein kämpfend Leben ineinander, und wie
zurükgekehrt in süße sinnenfreie
Kindheit schlief ich wachend viele Tage fort,
Und kaum bedurft ich eines Othemzugs - wie
nun in frischer Lust mein Wesen sich zum erstenmale
wieder der langentbehrten Welt entfaltete, mein
Auge sich in jugendlicher Neugier dem Tag er-
schloß, da stand er, Empedokles! o wie göttlich
und wie gegenwärtig mir! am Lächeln seiner Augen
blühte mir das Leben wieder auf! ach
wie ein Morgenwölkchen floß mein Herz dem
hohen süßen Licht entgegen und ich war der zarte
Wiederschein von ihm.

		DELIA
O Panthea!

		PANTHEA
Der Ton aus seiner Brust! in jede Sylbe
klangen alle Melodien! und der
Geist in seinem Wort! - zu seinen Füßen
möcht' ich sizen, stundenlang, als seine Schülerin,
sein Kind, in seinen Aether schaun, und
zu ihm auf frohlokken, bis in seines Himmels
Höhe sich mein Sinn verirrte.

		DELIA
Was würd' er sagen, Liebe, wenn ers wüßte!

		PANTHEA
Er weiß es nicht. Der Unbedürftge wandelt
In seiner eignen Welt; in leiser Götterruhe geht
Er unter seinen Blumen, und es scheun
Die Lüfte sich, den Glüklichen zu stören,
                   und aus sich selber wächst
In steigendem Vergnügen die Begeisterung
Ihm auf, bis aus der Nacht des schöpfrischen
Entzükens, wie ein Funke, der Gedanke springt,
Und heiter sich die Geister künftger Thaten
In seiner Seele drängen, und die Welt,
Der Menschen gährend Leben und die größre
Natur um ihn erscheint - hier fühlt er, wie ein Gott
In seinen Elementen sich, und seine Lust
Ist himmlischer Gesang, dann tritt er auch
Heraus ins Volk, an Tagen, wo die Menge
Sich überbraust und eines Mächtigern
Der unentschlossene Tumult bedarf,
Da herrscht er dann, der herrliche Pilot
Und hilft hinaus und wenn sie dann erst recht
Genug ihn sehn, des immerfremden Manns sich
Gewöhnen möchten, ehe sie's gewahren,
Ist er hinweg, - ihn zieht in seine Schatten
Die stille Pflanzenwelt, wo er sich schöner findet,
Und ihr geheimnißvolles Leben, das vor ihm
In seinen Kräften allen gegenwärtig ist.

		DELIA
O Sprecherin! wie weist du denn das alles?

		PANTHEA
Ich sinn ihm nach - wie viel ist über ihn
Mir noch zu sinnen? ach! und hab ich ihn
Gefaßt; was ists? Er selbst zu seyn, das ist
Das Leben und wir andern sind der Traum davon. -
Sein Freund Pausanias hat auch von ihm
Schon manches mir erzählt - der Jüngling sieht
Ihn Tag vor Tag, und Jovis Adler ist wohl
Nicht stolzer, denn Pausanias - ich glaub' es!

		DELIA
Ich kann nicht tadeln, Liebe, was du sagst,
Doch trauert meine Seele wunderbar
Darüber und ich möchte seyn, wie du,
Und möcht' es wieder nicht. Seid ihr denn all
Auf dieser Insel so? Wir haben auch
An großen Männern unsre Lust, und Einer
Ist izt die Sonne der Athenerinnen,
Sophokles! dem von allen Sterblichen
Zuerst der Jungfraun herrlichste Natur
Erschien und sich zu reinem Angedenken
In seine Seele gab - 
            jede wünscht sich, ein Gedanke
Des Herrlichen zu seyn, und möchte gern
Die immerschöne Jugend, eh sie welkt
Hinüber in des Dichters Seele retten
Und frägt und sinnet, welche von den Jungfraun
Der Stadt die zärtlichernste Heroide sei,
Die er Antigonä genannt; und helle wirds
Um unsre Stirne, wenn der Götterfreund
Am heitern Festtag ins Theater tritt,
Doch kummerlos ist unser Wohlgefallen,
Und nie verliert das liebe Herz sich so
In schmerzlich fortgerißner Huldigung -
Du opferst dich - ich glaub es wohl, er ist
Zu übergroß, um ruhig dich zu lassen,
Den unbegränzten liebst du unbegränzt,
Was hilft es ihm? dir selbst, dir ahndete
Sein Untergang, du gutes Kind und du
Sollst untergehn mit ihm?


		PANTHEA
                O mache mich
Nicht stolz, und fürchte wie für ihn, für mich nicht!
Ich bin nicht er, und wenn er untergeht,
So kann sein Untergang der meinige
Nicht seyn, denn groß ist auch der Tod der Großen
         was diesem Manne widerfährt,
Das, glaube mir, das widerfährt nur ihm,
Und hätt' er gegen alle Götter sich
Versündiget und ihren Zorn auf sich
Geladen, und ich wollte sündigen,
Wie er, um gleiches Loos mit ihm zu leiden,
So wärs, wie wenn ein Fremder in den Streit
Der Liebenden sich mischt, - was willst du? sprächen
Die Götter nur, du Thörin kannst uns nicht
Belaidigen, wie er.

		DELIA
          Du bist vieleicht
Ihm gleicher als du denkst, wie fändst du sonst
An ihm ein Wohlgefallen?

		PANTHEA
                          Liebes Herz!
Ich weiß es selber nicht, warum ich ihm
Gehöre - sähst du ihn! - Ich dacht', er käme
Vieleicht heraus,



    du hättest dann im Weggehn ihn
Gesehn - es war ein Wunsch! nicht wahr? ich sollte
Der Wünsche mich entwöhnen, denn es scheint
Als liebten unser ungeduldiges
Gebet die Götter nicht, sie haben recht!
Ich will auch nimmer - aber hoffen muß
Ich doch, ihr guten Götter, und ich weiß
Nicht anderes, denn ihn -
Ich bäte gleich den übrigen, von euch
Nur Sonnenlicht und Reegen, könnt' ich nur!
O ewiges Geheimniß, was wir sind
Und suchen, können wir nicht finden; was
Wir finden, sind wir nicht - wie viel ist wohl
Die Stunde, Delia?

		DELIA
                    Dort kommt dein Vater.
Ich weiß nicht, bleiben oder gehen wir -

		PANTHEA
Wie sagtest du? mein Vater? kommt! hinweg!


 

Der Tod des Empedokles



	        ERSTER ACT

             ZWEITER AUFTRITT

            KRITIAS. HERMOKRATES
	     Archon    Priester


		HERMOKRATES
Wer geht dort?

		KRITIAS
               Meine Tochter, wie mir dünkt,
Und Delia, des Gastfreunds Tochter, der
In meinem Hauße gestern eingekehrt ist.

		HERMOKRATES
Ists Zufall? oder suchen sie ihn auch
Und glauben, wie das VoLk, er sei entschwunden?

		KRITIAS
Die wunderbare Sage kam bis izt wohl nicht
Vor meiner Tochter Ohren. Doch sie hängt
An ihm wie alle: wär er nur hinweg
In Wälder oder Wüsten, übers Meer
Hinüber oder in die Erd hinab - wohin
Ihn treiben mag der unbeschränkte Sinn.

		HERMOKRATES
Mit nichten! Denn sie müßten noch ihn sehn,
Damit der wilde Wahn von ihnen weicht.

		KRITIAS
Wo ist er wohl?

		HERMOKRATES
               Nicht fern von hier. Da sizt
Er seelenlos im Dunkel. Denn es haben
Die Götter seine Kraft von ihm genommen,
Seit jenem Tage, da der trunkne Mann
Vor allem Volk sich einen Gott genannt.

		KRITIAS
Das Volk ist trunken, wie er selber ist.
Sie hören kein Gesez, und keine Noth
Und keinen Richter; die Gebräuche sind
Von unverständlichem Gebrause gleich
Den friedlichen Gestaden überschwemmt.
Ein wildes Fest sind alle Tage worden,
Ein Fest für alle Feste und der Götter
Bescheidne Feiertage haben sich
In eins verloren, allverdunkelnd hüllt
Der Zauberer den Himmel und die Erd'
Ins Ungewitter, das er uns gemacht,
Und siehet zu und freut sich seines Geists
In seiner stillen Halle.

		HERMOKRATES
                     Mächtig war
Die Seele dieses Mannes unter euch.

		KRITIAS
Ich sage dir: sie wissen nichts denn ihn
Und wünschen alles nur von ihm zu haben,
Er soll ihr Gott, er soll ihr König seyn.
Ich selber stand in tiefer Schaam vor ihm
Da er vom Tode mir mein Kind gerettet.
Wofür erkennst du ihn, Hermokrates?


		HERMOKRATES
Es haben ihn die Götter sehr geliebt.
Doch nicht ist er der Erste, den sie drauf
Hinab in sinnenlose Nacht verstoßen,
Vom Gipfel ihres gütigen Vertrauns
Weil er des Unterschieds zu sehr vergaß
Im übergroßen Glük, und sich allein
Nur fühlte; so ergieng es ihm, er ist
Mit gränzenloser Oede nun gestraft -
Doch ist die lezte Stunde noch für ihn
Nicht da; denn noch erträgt der Langverwöhnte
Die Schmach in seiner Seele nicht, sorg' ich
Und sein entschlafner Geist entzündet
Nun neu an seiner Rache sich
Und, halberwacht, ein fürchterlicher Träumer spricht
Er gleich den alten übermüthigen,
Die mit dem Schilfrohr Asien durchwandern,
Durch sein Wort sein die Götter einst geworden.
Dann steht die weite lebensreiche Welt
Wie sein verlornes Eigentum vor ihm,
Und ungeheure Wünsche regen sich
In seiner Brust und wo sie hin sich wirft
Die Flamme, macht sie eine freie Bahn.
Gesez und Kunst und Sitt und heilge Sage
Und was vor ihm in guter Zeit gereift
Das stört er auf und Lust und Frieden kann
Er nimmer dulden bei den Lebenden.
Er wird der Friedliche nun nimmer seyn.
Wie alles sich verlor so nimmt
Er Alles wieder, und den Wilden hält
Kein Sterblicher in seinem Toben auf.

		KRITIAS
O Greis! du siehest nahmenlose Dinge.
Dein Wort ist wahr und wenn es sich erfüllt,
Dann wehe dir, Sicilien, so schön
Du bist mit deinen Hainen, deinen Tempeln.

		HERMOKRATES
Der Spruch der Götter trift ihn, eh sein Werk
Beginnt. Versammle nur das Volk, damit ich
Das Angesicht des Mannes ihnen zeige,
Von dem sie sagen, daß er aufgeflohn
Zum Aether sei. Sie sollen Zeugen seyn
Des Fluches, den ich ihm verkündige,
Und ihn verstoßen in die öde Wildniß,
Damit er nimmerwiederkehrend dort
Die böse Stunde büße, da er sich
Zum Gott gemacht.

		KRITIAS
                   Doch wenn des schwachen Volks
Der Kühne sich bemeistert, fürchtest du
Für mich und dich und deine Götter nicht?

		HERMOKRATES
Das Wort des Priesters bricht den kühnen Sinn.

		KRITIAS
Und werden sie den Langgeliebten dann
Wenn schmählich er vom heilgen Fluche leidet,
Aus seinen Gärten, wo er gerne lebt,
Und aus der heimatlichen Stadt vertreiben?

		HERMOKRATES
Wer darf den Sterblichen im Lande dulden,
Den so der wohlverdiente Fluch gezeichnet?

		KRITIAS
Doch wenn du wie ein Lästerer erscheinst
Vor denen, die als einen Gott ihn achten?

		HERMOKRATES
Der Taumel wird sich ändern, wenn sie erst
Mit Augen wieder sehen den sie jezt schon
Entschwunden in die Götterhöhe wähnen!
Sie haben schon zum Bessern sich gewandt.
Denn trauernd irrten gestern sie hinaus
Und giengen hier umher und sprachen viel
Von ihm, da ich desselben Weges kam.
Drauf sagt' ich ihnen, daß ich heute sie
Zu ihm geleiten wollt'; indessen soll
In seinem Hauße jeder ruhig weilen.
Und darum bat ich dich, mit mir heraus
Zu kommen, daß wir sähen, ob sie mir
Gehorcht. Du findest keinen hier. Nun komm.

		KRITIAS
Hermokrates!

		HERMOKRATES
          Was ists?

		KRITIAS
              Dort seh ich ihn
Wahrhaftig.

		HERMOKRATES
Laß uns gehen, Kritias!
Daß er in seine Rede nicht uns zieht.

 

Der Tod des Empedokles



	        ERSTER ACT

             DRITTER AUFTRITT  

               EMPEDOKLES



		EMPEDOKLES
In meine Stille kamst du leise wandelnd,
Fandst drunten in der Grotte Dunkel mich aus,
Du Freundlicher! du kamst nicht unverhoft
Und fernher, oben über der Erde, vernahm
Ich wohl dein Wiederkehren, schöner Tag
Und meine Vertrauten euch, ihr schnellgeschäftgen
Kräfte der Höh'! und nahe seid ihr
Mir wieder, seid, wie sonst, ihr Glüklichen,
Ihr irrelosen Bäume meines Hains!
Ihr wuchst indessen fort und täglich tränkte
Des Himmels Quelle die Bescheidenen
Mit Licht und Lebensfunken säte
Befruchtend auf die Blühenden der Aether. -
O innige Natur! ich habe dich
Vor Augen, kennest du den Freund noch
Den Hochgeliebten kennest du mich nimmer?
Den Priester, der lebendigen Gesang,
Wie frohvergoßnes Opferblut, dir brachte?


O bei den heilgen Brunnen, wo sich still
Die Wasser sammeln, und die Dürstenden
Am heißen Tage sich verjüngen! in mir
In mir, ihr Quellen des Lebens, strömtet ihr einst
Aus Tiefen der Welt zusammen und es kamen
Die Dürstenden zu mir - vertroknet bin
Ich nun, und nimmer freun die Sterblichen
Sich meiner - bin ich ganz allein? und ist
Es Nacht hier oben auch am Tage? weh!
Der höhers, denn ein sterblich Auge, sah
Der Blindgeschlagne tastet nun umher-


Wo seid ihr, meine Götter? weh ihr laBt
Wie einen Bettler mich und diese Brust
Die liebend euch geahndet, stießt ihr mir
Hinab und schloßt in schmählichenge Bande
Die Freigeborne, die aus sich allein
Und keines andern ist? Und dulden sollt ichs
Wie die Schwächlinge, die im scheuen Tartarus
Geschmiedet sind ans alte Tagewerk?
Ich habe mich erkannt; ich will es! Luft will ich
Mir schaffen, ha! und tagen solls! hinweg!
Bei meinem Stolz! ich werde nicht den Staub
Von diesem Pfade küssen, wo ich einst
In einem schönen Traume gieng - es ist vorbei!
Ich war geliebt, geliebt von euch ihr Götter
Ich erfuhr euch, ich kannt euch, ich wirkte mit euch wie ihr
Die Seele mir bewegt, so kannt ich euch
So lebtet ihr in mir - o nein! es war
Kein Traum, an diesem Herzen fühlt' ich dich
Du stiller Aether! wenn der Sterblichen Irrsaal
Mir an die Seele gieng und heilend du
Die liebeswunde Brust umathmetest
Du Allversöhner! und dieses Auge sah
Dein göttlich Wirken, allentfaltend Licht!
Und euch, ihr andern Ewigmächtigen -
O Schattenbild! Es ist vorbei
Und du, verbirg dirs nicht! du hast
Es selbst verschuldet, armer Tantalus
Das Heiligtum hast du geschändet, hast
Mit frechem Stolz den schönen Bund entzweit
Elender! als die Genien der Welt
Voll Liebe sich in dir vergaßen, dachtst du
An dich und wähntest karger Thor, an dich
Die Gütigen verkauft, daß sie dir
Die Himmlischen, wie blöde Knechte dienten!
Ist nirgends ein Rächer
Und muß ich denn allein den Hohn und Fluch
In meine Seele rufen? Und es reißt
Die delphische Krone mir kein Beßrer
Denn ich vom Haupt, und nimmt die Loken hinweg
Wie es dem kahlen Seher gebührt -

 

Brief an Susette Gontard


Täglich muß ich die verschwundene Gottheit wieder rufen.
Wenn ich an große Männer denke, in großen Zeiten, 
wie sie, ein heilig Feuer, um sich griffen, und alles Tote, 
Hölzerne, das Stroh der Welt in Flamme verwandelten, die mit 
ihnen aufflog zum Himmel, und dann an mich, wie ich oft, ein 
glimmend Lämpchen, umhergehe, und betteln möchte um einen
Tropfen Öl, um eine Weile noch die Nacht hindurch zu 
scheinen - siehe! da geht ein wunderbarer Schauer mir durch alle 
Glieder, und leise ruf ich mir das Schreckenswort zu: lebendiger 
Toter!

Weißt Du, woran es liegt, die Menschen fürchten sich 
voreinander, daß der Genius des einen den andern verzehre, und
darum gönnen sie sich wohl Speise und Trank, aber nichts, was
die Seele nährt, und können es nicht leiden, wenn etwas,
was sie sagen und tun, im andern einmal geistig aufgefaßt, in
Flamme verwandelt wird. Die Törigen! Wie wenn irgend etwas, was
die Menschen einander sagen könnten, mehr wäre als 
Brennholz, das erst, wenn es vom geistigen Feuer ergriffen wird, 
wieder zu Feuer wird, so wie es aus Leben und Feuer hervorging. Und 
gönnen sie die Nahrung nur gegenseitig einander, so leben  und 
leuchten ja beide, und keiner verzehrt den andern.

Erinnerst Du Dich unserer ungestörten Stunden, wo wir und wir
nur umeinander waren? Das war Triumpf! beede so frei und stolz
und wach und blühend und glänzend an Seel und Herz und Aug
und Angesicht, und beede so in himmlischem Frieden nebeneinander! 
Ich hab es damals schon geahndet und gesagt: man könnte wohl die
Welt durchwandern und fände es schwerlich wieder so. Und 
täglich fühl ich das ernster.

Gestern nachmittag kam Muhrbeck zu mir aufs Zimmer. Die Franzosen
sind schon wieder in Italien geschlagen, sagt' er. Wenns nur gut mit 
uns steht, sagt ich ihm, so steht es schon gut in der Welt, und er
fiel mir um den Hals, und wir küßten uns die tiefbewegte
freudige Seele auf die Lippen, und unsre weinenden Augen begegneten 
sich. Dann ging er. Solche Augenblicke hab ich doch noch. Aber kann
das eine Welt ersetzen? Und  das ists, was meine Treue ewig macht.
In dem und jenem sind viele vortrefflich. Aber eine Natur, wie Deine, 
wo so alles in innigem unzerstörbarem lebendigem Bunde vereint 
ist, diese ist die Perle der Zeit, und wer sie erkannt hat, und wie
ihr himmlisch angeboren eigen Glück dann auch ihr tiefes 
Unglück ist, der ist auch ewig glücklich und ewig 
unglücklich.

StA, Band 6, Seite ?.

 

Hochehrwürdiger, Hochgelehrter Insonders Hochzuverehrender Herr Helffer!

Ihre immerwährende große Gewogenheit und Liebe gegen mich, und noch etwas, das auch nicht wenig dazu beigetragen haben mag, Ihr weißer Christen-Wandel, erwekten in mir eine solche Ehrfurcht und Liebe zu Ihnen, daß ich, es aufrichtig zu sagen, Sie nicht anders, als wie meinen Vater betrachten kan. Sie werden also mir diese Bitte nicht übel nehmen. Etliche Betrachtungen, insonderheit seit ich wie- der von Nürtingen hier bin, brachten mich auf den Gedanken, wie man doch Klugheit in seinem Betragen, Gefälligkeit und Religion verbinden könne. Es wollte mir nie recht gelingen; immer wankte ich hin und her. Bald hatte ich viele gute Rührungen, die vermuth- lich von meiner natürlichen Empfindsamkeit herrührten, und also nur desto unbeständiger waren. Es ist wahr, ich glaubte, jezt wäre ich der rechte Christ, alles war in mir Vergnügen, und insonderheit die Natur machte in solchen Augenbliken, (dann viel länger dauerte die- ses Vergnügen selten) einen auserordentlich lebhafften Eindruk auf mein Herz; aber ich konnte niemand um mich leiden, wollte nur immer einsam seyn, und schien gleichsam die Menschheit zu verach- ten; und der kleinste Umstand jagte mein Herz aus sich selbst her- aus, und dann wurde ich nur desto leichtsinniger. Wollte ich klug seyn, so wurde mein Herz tükkisch, und die kleinste Beleidigung schien es zu überzeugen, wie die Menschen so sehr böse, so teuflisch seyen, und wie man sich vor ihnen vorsehen, wie man die geringste Vertraulichkeit mit ihnen meiden müsse; wollte ich hingegen diesem menschenfeindlichen Wesen entgegenarbeiten, so bestrebte ich mich vor den Menschen zu gefallen, aber nicht vor Gott. Sehen Sie, Theuer- ster HE.Helffer, so wankte ich immer hin und her, und was ich that, überstieg das Ziel der Mäßigung. Und heute insonderheit (am Sonn- tag) sahe ich auf mein bißheriges Betragen gegen Gott und Men- schen zurük, und faßte den festen Entschluß, ein Christ und nicht ein wankelmüthiger Schwärmer, klug, ohne falsch und menschen- feindlich zu werden, gefällig gegen den Menschen, ohne mich nach ihren wahrhafftig sündlichen Gewohnheiten zu richten; Ich weiß ge- wiß Gott wird durch seinen h. Geist mein Herz leiten; und nun bitte ich Sie gehorsamst, Theuerster HE. Helffer, seyn Sie mein Führer, mein Vater, mein Freund, (doch das waren Sie schon lange!) erlau- ben Sie mir, daß ich Ihnen von jedem Umstand, der etwas zu meinem Herzen beiträgt, von jeder Erweiterung meiner Kentnisse, Nachricht geben darf; Ihre Lehren, Ihr Rath, und die Mittheilung Ihrer Kent- nisse, diese werden alle meine Wünsche, die sich aufs Zeitliche rich- ten, befriedigen. Ich weiß gewiß, daß Ihnen diß aufrichtige Schrei- ben nicht beschwerlich ist, und daß Sie diß Vertrauen als ein Zeichen meiner Ehrfurcht und Liebe gegen Sie ansehen werden. Finden Sie an diesen meinen Gesinnungen etwas fehlerhaffts, so bitte ich Sie, mir solches zu entdeken. Ich schließe also und verbleibe mit aller Hochachtung Dero gehorsamster Diener Hölderlin.

StA, Band 6, Seite ?.

 

Liebste Mamma!

Wann dißmal mein Brief etwas verworrener ist als sonst, so müs- sen Sie eben denken, mein Kopf sei auch von Weinachtsgeschäfften eingenommen, wie der Ihrige - doch differiren sie ein wenig: meine sind, ohne das heutige Laxier, Plane auf die Rede, die ich am Johan- nistage bei der Vesper halte, Tausend Entwürffe zu Gedichten, die ich in denen Cessationen, (vier Wochen, wo man bloß für sich schafft) machen will, und machen muß, (NB. auch lateinische) ganze Paquete von Briefen, die ich, ob schon das N.Jahr wenig dazu beiträgt, schrei- ben muß, z.E. HE.Helffer, HE. Klemm, HE. Bilfinger, nach Altona, und was die Sachen als sind, und die Ihrige sind, - was sie eben sind. Was die Besuche in den Weinachten betrifft, so bin ich eher so frei, Sie hieher einzuladen, weil mich das Geschäfft am Johannistage, wie gesagt, nicht leicht abkommen läßt. Die 1. Geschwisterige werden sich wieder recht freuen; aber, im Vertrauen gesagt, mir ists halb und halb bange, wie sie von mir beschenkt werden sollen. Ich überlasse es Ihnen, liebste Mamma, wanns ja so ein wenig unter uns beim alten bleiben soll, so ziehen Sies mir ab, und schenkens ihnen in meinem Nahmen. Der 1. Frau Grosmamma mein Compliment, und ich wolle Ihr auch ein WeinachtsGeschenk machen --- ich wolle dem 1. Gott mit rechter Christtags-Freude danken, daß er Sie mir auch dieses beynahe vollendte Jahr wieder so gesund erhalten habe. Onerachtet meines Laxiers bin ich doch im übrigen recht wohl. Bei mir ists zwar nicht zu spät, wie bei Ihnen, doch weiß ich eben nichts mehr zu schrei- ben, als daß ich bin meiner liebsten Mamma gehorsamster Sohn Hölderlin. Hier schike ich etwas, die Weinachtsgeschäffte zu zerstreuen: wann Sies ja nicht selbst lesen wollen, so lassen Sie sichs nur wenigstens von dem 1.Geschw. vorlesen, es wird Ihnen recht wohl gefallen. Schiken Sies nur, so bald als möglich zurük. Die andern Theile sollen auch folgen. Auch die Bouteille bitte ich mir zu schiken, sie war entlehnt. HE. Harpprecht von Nellingen hat mich gestern besucht und mich um den 4ten Theil vom brittischen Museo gebetten.

StA, Band 6, Seite ?.

 

Bester!

Ich schied ganz ruhig von Dir - es war mir so wohl bei den weh- mütigen Empfindungen des Abschieds - und noch, wann ich zurük- denke, wie wir so in den ersten Augenbliken Freunde waren - wie wir so traulich, so vergnügt mit einander lebten, so bin ich zufrieden - daß ich Dich nur diese etlich Tage hatte; - O mein Theurer, es waren Zeiten, ich hätte um einen Freund, wie Du, einen Finger hin- gegeben, u. wann auch mein Erinnern an ihn sich bis aufs Kap hätte erstreken müssen - Ich habe Dir, glaub ich, schon einmal davon vor- geschwazt - Das Ding ärgert mich, daß mir meine alte trübe Stünd- chen so oft in Kopf kommen - und freue Dich nur, wann ich Dir nicht oft schreiben sollte - Du würdest mir vielleicht manche Klage entwischen sehen, so sehr ichs vermeide. Und es ist doch uns Men- schen so gut, wenns was zu leiden giebt. - Ich war schon manchsmal in meinem Leben ein Thor, aber nie weniger, als wan mir meines Herzens Wünsche nicht erfüllt wurden -- wann ich unverdienter- weise böse Gesichter sehen mußte - Aber da kan ich jezt in allem Ernst sagen - verzeih, ich bin Dir beschwerlich gewesen! - Das war wieder einmal ein unartiges Ge- sudel! Nicht wahr, Lieber? Ich wünschte ich könnte Dir die Musik über Brutus und Cäsar jezt schiken, aber wenn man was von den Stutgarder HE.Academiciens will, gehts gar mit Schnekeneil, so gut auch immer ihr Wille ist. Zu Schillers Ehre will ichs auch auf dem Clavier lernen, so hart es gehen wird mit meinem Geklemper. Ach! wie manchmal hab ich ihm schon in Gedanken die Hand gedrükt, wenn er so seine Amalia von ihrem Carl schwärmen läßt. - ! Du wirst denken, ich sei ein Narr; aber ich weiß nicht, machts Eigenliebe oder -- oder - mir ists wohl bei dergleichen Gedanken. Jezt gute Nacht, lieber Bruder! Noch eins! Hesler läßt sich Dir empfehlen. Du würdest noch manches Complimentchen bekommen, wenn ich ausruffen ließ - Heut schreib ich meinem Nast - ihr Leute. Lebe jezt wohl. Liebe Deinen Hölderlin.

StA, Band 6, Seite ?.

 

Bester!

Ich schied ganz ruhig von Dir - es war mir so wohl bei den weh- mütigen Empfindungen des Abschieds - und noch, wann ich zurük- denke, wie wir so in den ersten Augenbliken Freunde waren - wie wir so traulich, so vergnügt mit einander lebten, so bin ich zufrieden - daß ich Dich nur diese etlich Tage hatte; - O mein Theurer, es waren Zeiten, ich hätte um einen Freund, wie Du, einen Finger hin- gegeben, u. wann auch mein Erinnern an ihn sich bis aufs Kap hätte erstreken müssen - Ich habe Dir, glaub ich, schon einmal davon vor- geschwazt - Das Ding ärgert mich, daß mir meine alte trübe Stünd- chen so oft in Kopf kommen - und freue Dich nur, wann ich Dir nicht oft schreiben sollte - Du würdest mir vielleicht manche Klage entwischen sehen, so sehr ichs vermeide. Und es ist doch uns Men- schen so gut, wenns was zu leiden giebt. - Ich war schon manchsmal in meinem Leben ein Thor, aber nie weniger, als wan mir meines Herzens Wünsche nicht erfüllt wurden -- wann ich unverdienter- weise böse Gesichter sehen mußte - Aber da kan ich jezt in allem Ernst sagen - verzeih, ich bin Dir beschwerlich gewesen! - Das war wieder einmal ein unartiges Ge- sudel! Nicht wahr, Lieber? Ich wünschte ich könnte Dir die Musik über Brutus und Cäsar jezt schiken, aber wenn man was von den Stutgarder HE.Academiciens will, gehts gar mit Schnekeneil, so gut auch immer ihr Wille ist. Zu Schillers Ehre will ichs auch auf dem Clavier lernen, so hart es gehen wird mit meinem Geklemper. Ach! wie manchmal hab ich ihm schon in Gedanken die Hand gedrükt, wenn er so seine Amalia von ihrem Carl schwärmen läßt. - ! Du wirst denken, ich sei ein Narr; aber ich weiß nicht, machts Eigenliebe oder -- oder - mir ists wohl bei dergleichen Gedanken. Jezt gute Nacht, lieber Bruder! Noch eins! Hesler läßt sich Dir empfehlen. Du würdest noch manches Complimentchen bekommen, wenn ich ausruffen ließ - Heut schreib ich meinem Nast - ihr Leute. Lebe jezt wohl. Liebe Deinen Hölderlin.

StA, Band 6, Seite ?.

 

An Hegel

                                                                      Jena. d. 26 Jenn. 95.

    Dein Brief war mir ein frölicher Willkomm bei meinem zweiten 
Eintritt in Jena. Ich war zu Ende des Dez. mit der Majorin von Kalb 
und meinem Zögling, mit dem ich zwei Monathe allein hier zuge-
bracht hatte, nach Weimar abgereist, ohne so eine schnelle Rükkehr 
selbst zu vermuthen. Das mannigfaltige Elend, das ich durch die be- 
sondern Umstände, die bei meinem Subjecte stattfanden, im Er-
ziehungswesen erfahren mußte, meine geschwächte Gesundheit, 
und das Bedürfnis, mir wenigstens einige Zeit selbst zu leben, das 
durch meinen hiesigen Aufenthalt nur vermehrt wurde, bestimmte 
mich noch vor meiner Abreise von Jena, den Wunsch, mein Verhält-
nis zu verlassen, der Majorin vorzutragen. Ich lies mich durch sie und 
Schillern überreden, den Versuch noch einmal zu machen, konnte 
aber den Spaß nicht länger als 14 Tage ertragen, weil es unter 
anderem auch mich beinahe ganz die nächtliche Ruhe kostete, und 
kehrte nun in vollem Frieden nach Jena zurük, in eine Unabhängig-
keit, die ich im Grunde jezt im Leben zum erstenmale genieße, und 
die hoffentlich nicht unfruchtbar seyn soll. Meine productive Tä-
tigkeit ist izt beinahe ganz auf die Umbildung der Materialien von 
meinem Romane gerichtet. Das Fragment in der Thalia ist eine 
dieser rohen Massen. Ich denke bis Ostern damit fertig zu seyn, 
laß mich indeß von ihm schweigen. Den Genius der Künheit, 
dessen Du Dich vieleicht noch erinnerst, hab' ich, umgearbeitet,  
mit einigen andern Gedichten in die Thalia gegeben. Schiller nimmt 
sich meiner ser an, und hat mich aufgemuntert, Beiträge in sein 
neues Journal, die Horen, auch in seinen künftigen Musenalmanach 
zu geben. 
    Göthen hab' ich gesprochen, Bruder! Es ist der schönste Genuß un- 
sers Lebens, so viel Menschlichkeit zu finden bei so viel Größe. Er un- 
terhielt mich so sanft und freundlich, daß mir recht eigentlich das Herz 
lachte, u. noch lacht, wenn ich daran denke. Herder war auch herz- 
lich, ergriff die Hand, zeigte aber schon mer den Weltman; sprach 
oft ganz so allegorisch, wie auch Du ihn kennst; ich werde wohl noch 
manchmal zu ihnen kommen; Majors von Kalb werden wahrschein- 
lich in Weimar bleiben, (weswegen meiner auch der Junge nicht mer 
bedurfte, und mein Abschied beschleuniget werden konnte) und die 
Freundschaft worinn ich besonders mit der Majorin stehe, macht mir 
öftere Besuche in diesem Hauße möglich. 
    Fichtens spekulative Blätter - Grundlage der gesammten Wissen-
schaftslehre - auch seine gedrukten Vorlesungen über die Bestim-
mung des Gelehrten werden Dich ser interessiren. Anfangs hatt' ich 
ihn ser im Verdacht des Dogmatismus; er scheint, wenn ich mut-
maßen darf auch wirklich auf dem Scheidewege gestanden zu seyn, 
oder noch zu stehn - er möchte über das Factum des Bewußtseins in 
der Theorie hinaus, das zeigen ser viele seiner Äußerungen, und das 
ist eben so gewis, und noch auffallender transcendent, als wenn die 
bisherigen Metaphysiker über das Daseyn der Welt hinaus wollten - 
sein absolutes Ich ( = Spinozas Substanz) enthält alle Realität; es ist 
alles, u. außer ihm ist nichts; es giebt also für dieses abs. Ich kein Ob-
ject, denn sonst wäre nicht alle Realität in ihm; ein Bewußtsein ohne 
Object ist aber nicht denkbar, und wenn ich selbst dieses Object bin, 
so bin ich als solches notwendig beschränkt, sollte es auch nur in der 
Zeit seyn, also nicht absolut; also ist in dem absoluten Ich kein Be-
wußtsein denkbar, als absolutes Ich hab ich kein Bewußtsein, und 
insofern ich kein Bewußtsein habe, insofern bin ich (für mich) nichts, 
also das absolute Ich ist (für mich) Nichts. 
    So schrieb ich noch in Waltershausen, als ich seine ersten Blätter 
las, unmittelbar nach der Lectüre des Spinoza, meine Gedanken nie-
der; Fichte bestätiget mir 






Seine Auseinandersezung der Wechselbestimmung des Ich und Nicht- 
ich (nach s. Sprache) ist gewis merkwürdig; auch die Idee des Stre-
bens p.p. Ich muß abbrechen, und muß Dich bitten, all' das so gut 
als nicht geschrieben anzusehen. Daß Du Dich an die Religionsbe-
griffe machst, ist gewis in mancher Rüksicht gut und wichtig. Den 
Begriff der Vorsehung behandelst Du wohl ganz parallel mit Kants 
Teleologie; die Art, wie er den Mechanismus der Natur (also auch 
des Schiksaals) mit ihrer Zwekmäsigkeit vereiniget, scheint mir 
eigentlich den ganzen Geist seines Systems zu enthalten; es ist frei-
lich dieselbe, womit er alle Antinomien schlichtet. Fichte hat in An-
sehung der Antinomien einen ser merkwürdigen Gedanken, über 
den ich aber lieber Dir ein andermal schreibe. Ich gehe schon lange 
mit dem Ideal einer Volkserziehung um, u. weil Du Dich gerade mit 
einem Teile derselben der Religion beschäftigest, so wähl ich mir 
vieleicht Dein Bild und Deine Freundschaft zum conductor der Ge-
danken in die äußere Sinnenwelt, und schreibe, was ich vieleicht 
später geschrieben hätte, bei guter Zeit in Briefen an Dich, die Du 
beurteilen und berichtigen sollst. 
StA, Band 6, Seite 154-156.

 

Liebster Neuffer!

Ich habe meine Lage verändert, seit ich Dir das leztemal schrieb und habe im Sinne, einige Zeit hier in Homburg zu privatisiren. Es ist etwas über einen Monath, daß ich hier bin, und ich habe indessen ruhig, bei meinem Trauerspiel, im Umgang mit Sinklair, und im Genuß der schönen Herbsttage gelebt. Ich war durch mancherlei Leiden so zerrissen, daß ich das Glük der Ruhe wohl den guten Göttern danken darf. Ich bin sehr begierig auf Nachrichten von Dir und auf Deinen Allmanach; ich werde aber wohl noch warten müssen, wenn ich ihn nicht selbst bei Dir hohle, nicht, weil ich Dich für nachlässig halte, sondern, weil Deine Briefe erst in 4 Wochen mich hier wieder treffen werden. Mein Freund Sinklair reißt nemlich in Angelegenheiten seines Hofes nach Rastadt, und macht mir, unter sehr vortheilhaften Anerbietungen, den Vorschlag, ihm dahin Gesellschaft zu leisten. Ich kan diß, durch Sinklairs Generosität, beinahe ganz ohne einen Verlust in meiner kleinen Ökonomie, auch ohne meine Beschäftigungen sehr zu unterbrechen, ins Werk stellen und es wäre demnach sonderbar gewesen, wenn ich nicht darein gewilliget hätte. Heute noch oder morgen reisen wir ab. Vieleicht, daß ich von Rastadt aus einen Gang ins Wirtembergische mache. Sollte diß nicht möglich werden, so würd' ich Dich in einem Briefe von Rastadt aus bitten, wenn Dich die Umstände nicht hindern, auf einen bestimmten Tag in Neuenbürg einzutreffen, wo ich dann hinkäme, um Dich einmal wieder von Angesicht zu Angesicht zu haben. Es sollte mir unendlich lieb seyn über alles, was uns gemeinschaftlich interessirt, einmal wieder mit Dir sprechen zu können. - Das Lebendige in der Poësie ist jezt dasjenige, was am meisten meine Gedanken und Sinne beschäfftiget. Ich fühle so tief, wie weit ich noch davon bin, es zu treffen, und dennoch ringt meine ganze Seele danach und es ergreift mich oft, daß ich weinen muß, wie ein Kind, wenn ich um und um fühle, wie es meinen Darstellungen an einem und dem andern fehlt, und ich doch aus den poëtischen Irren, in denen ich herumwandele, mich nicht herauswinden kan. Ach! die Welt hat meinen Geist von früher Jugend an in sich zurükgescheucht, und daran leid' ich noch immer. Es giebt zwar einen Hospital, wohin sich jeder auf meine Art verunglükte Poët mit Ehren flüchten kann - die Philosophie. Aber ich kann von meiner ersten Liebe, von den Hofnungen meiner Jugend nicht lassen, und ich will lieber verdienstlos untergehen, als mich trennen von der süßen Heimath der Musen, aus der mich blos der Zufall verschlagen hat. Weist Du mir einen guten Rath, der mich so schnell wie möglich auf das Wahre bringt so gieb mir ihn. Es fehlt mir weniger an Kraft, als an Leichtigkeit, weniger an Ideen, als an Nüancen, weniger an einem Hauptton, als an mannigfaltig geordneten Tönen, weniger an Licht, wie an Schatten, und das alles aus Einem Grunde; ich scheue das Gemeine und Gewöhnliche im wirklichen Leben zu sehr. Ich bin ein rechter Pedant, wenn Du willst. Und doch sind, wenn ich nicht irre, die Pedanten sonst so kalt und lieblos, und mein Herz ist doch so voreilig, mit den Menschen und den Dingen unter dem Monde sich zu verschwistern. Ich glaube fast, ich bin aus lauter Liebe pedantisch, ich bin nicht scheu, weil ich mich fürchte, von der Wirklichkeit in meiner Eigensucht gestört zu werden, aber ich bin es, weil ich mich fürchte, von der Wirklichkeit in der innigen Theilnahme gestört zu werden, mit der ich mich gern an etwas anderes schließe; ich fürchte, das warme Leben in mir zu erkälten an der eiskalten Geschichte des Tags und diese Furcht kommt daher, weil ich alles, was von Jugend auf zerstörendes mich traf, empfindlicher als andre aufnahm, und diese Empfindlichkeit scheint darinn ihren Grund zu haben, daß ich im Verhältniß mit den Erfahrungen, die ich machen mußte, nicht fest und unzerstörbar genug organisirt war. Das sehe ich. Kann es mir helfen, daß ich es sehe? Ich glaube, so viel. Weil ich zerstörbarer bin, als mancher andre, so muß ich um so mehr den Dingen, die auf mich zerstörend wirken, einen Vortheil abzugewinnen suchen, ich muß sie nicht an sich, ich muß sie nur insofern nehmen, als sie meinem wahrsten Leben dienlich sind. Ich muß sie wo ich sie finde, schon zum voraus als unentbehrlichen Stoff nehmen, ohne den mein Innigstes sich niemals völlig darstellen wird. Ich muß sie in mich aufnehmen, um sie gelegenheitlich (als Künstler, wenn ich einmal Künstler seyn will und seyn soll) als Schatten zu meinem Lichte aufzustellen, um sie als untergeordnete Töne wiederzugeben, unter denen der Ton meiner Seele um so lebendiger hervorspringt. Das Reine kan sich nur darstellen im Unreinen und versuchst Du, das Edle zu geben ohne Gemeines, so wird es als das Allerunnatürlichste, Ungereimteste dastehn, und zwar darum, weil das Edle selber, so wie es zur Äußerung kömmt, die Farbe des Schiksaals trägt, unter dem es entstand, weil das Schöne, so wie es sich in der Wirklichkeit darstellt, von den Umständen unter denen es hervorgeht, nothwendig eine Form annimmt, die ihm nicht natürlich ist, und die nur dadurch zur natürlichen Form wird, daß man eben die Umstände, die ihm nothwendig diese Form gaben, hinzunimmt. So ist z. B. der Karakter des Brutus ein höchstunnatürlicher, widersinniger Karakter, wenn man ihn nicht mitten unter den Umständen sieht, die seinem sanften Geiste diese strenge Form aufnöthigten. Also ohne Gemeines kann nichts Edles dargestellt werden; und so will ich mir immer sagen, wenn mir Gemeines in der Welt aufstößt: Du brauchst es ja so nothwendig, wie der Töpfer den Leimen, und darum nehm es immer auf und stoß es nicht von dir und scheue nicht dran. Das wäre das Resultat. Indem ich mir von Dir einen Rath erbitten und deßwegen meine Fehler, die Dir freilich in gewissem Grade schon bekannt sind, recht bestimmt darstellen, auch mir selber zum Bewußtseyn bringen wollte, bin ich weiter hineingerathen, als ich dachte, und daß Du meine Grübeleien ganz begreifst, so will ich Dir gestehen, daß ich seit einigen Tagen mit meiner Arbeit ins Stoken gerathen bin, wo ich dann immer aufs Räsonniren verfalle. Vieleicht veranlassen Dich meine flüchtigen Gedanken, zu weiterem Nachdenken über Künstler und Kunst, besonders auch über meine poëtischen Hauptmängel und wie ihnen abzuhelfen ist, und Du bist so gut und theilst es mir bei Gelegenheit mit. - Lebe wohl, liebster Neuffer! ich schreibe Dir sogleich von Rastadt aus wieder. Dein Hölderlin.

StA, Band 6, Seite ?.

 

  PROOEMIUM HABENDUM D.27.DEC.1785.
      DIE IOANNIS, IN CAPUT PRIMUM
          EPISTOLAE AD EBRAEOS

  Nachdem vorzeiten Gott manchmal und mancherley Weise geredt
hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er am lezten in diesen
Tagen zu uns geredt durch den Sohn, welchen er gesezt hat zum
Erben über alles, durch welchen er auch die Welt gemacht hat. Diese
zwey Verse des ersten Capitels an die Ebräer, das wir heute betrach-
ten, enthalten für uns schon unendlich viel seeliges. Lange lehrte
Gott die Menschen durch unmittelbare Offenbahrung und Erschei-
nungen; lange lehrte Gott sein Volk durch Propheten, denen er sei-
nen göttlichen Willen durch seinen Geist, durch Gesichte und Träume
anzeigte; denn er sahe wohl, daß der bereits gefallene Mensch immer
tieffer in Blindheit und Sünde verfallen würde, wann nicht immer
wieder seine Lehre dessen verderbtes Herz zurükruffen würde. Allein
endlich sandte der Gott voll Liebe, seinen Feinden, dem halsstarrigen
Menschengeschlecht, dessen Natur immer gerade wider seinen Befehl
handelte, seinen Sohn; den Sohn, Geliebteste, der von Ewigkeit in 
gleicher Göttlichkeit mit ihm war, der die ganze Welt, Himmel und 
Erde, als allmächtiger Gott, erschuf, den sandte er ihnen. Ihm gleicht
kein Engel, ob dieser schon eines der herrlichsten Geschöpfe Gottes
ist, sondern dieser bettet den Sohn Gottes, indem er gar wohl seiner
Niedrigkeit gegen demselben bewußt ist, in tiefster Ehrfurcht an.
Der Sohn Gottes regiert eben so weise, so gerecht, als der Vater; er
erhält und trägt eben so alle Dinge, wie der Vater. Zu ihm hat der
Vater gesagt; das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefal-
len habe: Lucä am 3ten im 22ten Vers. Ihm sind alle Creaturen
im Himmel, auf Erden, und unter der Erde eben so Dank und Ver-
ehrung schuldig, dann er nimmt sich mit eben der allmächtigen Güte
eines jeden seiner Geschöpfe an, als sein Vater; Er ist die zweyte Per-
son der h. Dreyeinigkeit, welche für unsre kurzsichtige Vernunfft ein
so heiliges Räthsel ist; Er ist mit dem Vater gleiches Wesens, Macht,
und Herrlichkeit. Und dieser eingebohrne Sohn Gottes hat sich auf
die Erde, in die schwache Hülle der Sünder, seiner Feinde, aber ohne
Sünde, begeben, um durch seine göttliche Lehre ihre blinde Herzen
zu erleuchten, und durch seinen Todt und Leiden ihre ganze Sünden-
last zu tilgen, und also ihr Mittler zu werden.
  O! unausdenkliches Geheimniß der Liebe und Barmherzigkeit
Gottes! Der Erlöser sahe wohl voraus, wie ihn eben diese, um deren
willen er vorzüglich sich auf die Erde begab, wie ihn das Volk Gottes,
ja selbst ihre Vorgesezte mit der schnödesten Verachtung von sich
stoßen würden; wie diese elende Menschen seine Majestät so offt, so
boshafft, so niederträchtig beleidigen würden: allein seine ewige
Liebe war noch viel größer, als eine solche Widerspenstigkeit! O!
Theuerste Zuhörer! sollte wohl jemand unter uns so tief im Schlamm
der Sünde versunken seyn, daß nicht ein tieffes Gefühl des Dankes
und der Freude in ihm erwachte? besonders zu der wirklichen Zeit,
wo vor mehr als 17hundert Jahren dieser große Tag erschienen ist,
der dem Menschengeschlecht ihren Heiland brachte. Nein! wir wol-
len das irrdische fahren lassen, und die Freude über die heilreiche
Geburt Jesu Christi ganz genießen.
  Jede Stunde soll ihm gewiedmet, jede soll des frölichsten Dankes
und Lobes voll seyn, und auch diese soll dir, ewiger Gottmensch, ge-
heiligt seyn; Laßt uns aber den Herrn zuvor um seinen Seegen an-
rufen, und also betten:
StA, Band 4, Seite 171.

 

Über das Gesez der Freiheit

  Es giebt einen Naturzustand der Einbildungskraft, der mit jener
Anarchie der Vorstellungen, die der Verstand organisirte, zwar die
Gesezlosigkeit gemein hat, aber in Rüksicht auf das Gesez, durch
das er geordnet werden soll, von jenem wol unterschieden werden
muß.
  Ich meine unter diesem Naturzustande der Einbildungskraft, unter
dieser Gesezlosigkeit die moralische, unter diesem Geseze, das Gesez
der Freiheit.
  Dort wird die Einbildungskraft an und für sich, hier in Verbin-
dung mit dem Begehrungsvermögen betrachtet.
  In jener Anarchie der Vorstellungen wo die Einbildungskraft theo-
retisch betrachtet wird, war zwar eine Einheit des Mannigfaltigen,
Ordnung der Warnemungen möglich, aber zufällig.
  In diesem Naturzustande der Phantasie, wo sie in Verbindung mit
dem Begehrungsvermögen betrachtet wird, ist zwar moralische Ge-
sezmäsigkeit möglich, aber zufällig.
  Es giebt eine Seite des empirischen Begehrungsvermögens, die
Analogie dessen, was Natur heißt, die am auffallendsten ist, wo das
notwendige mit der Freiheit, das Bedingte mit dem Unbedingten, das
Sinnliche mit dem Heiligen sich zu verbrüdern scheint, eine natür-
liche Unschuld, man möchte sagen eine Moralität des Instinkts, und
die ihm gleichgestimmte Phantasie ist himmlisch.
  Aber dieser Naturzustand hängt als ein solcher auch von Natur-
ursachen ab.
  Es ist ein bloses Glük, so gestimmt zu sein.
  Wäre das Gesez der Freiheit nicht, unter welchem das Begehrungs-
vermögen zusamt der Phantasie stände, so würde es niemals einen
vesten Zustand geben, der demjenigen gliche, der so eben angedeutet
worden ist, wenigstens würde es nicht von uns abhängen, ihn vest-
zuhalten. Sein Gegenteil würde eben so stattfinden, ohne daß wir es
hindern könnten.
  Das Gesez der Freiheit aber gebietet, one alle Rüksicht auf die
Hülfe der Natur. Die Natur mag zu Ausübung desselben förderlich
sein, oder nicht, es gebietet. Vielmer sezt es einen Widerstand in der
Natur voraus, sonst würde es nicht gebieten. Das erstemal, daß das
Gesez der Freiheit sich an uns äußert, erscheint es strafend. Der An-
fang all' unsrer Tugend geschieht vom Bösen. Die Moralität kann also
niemals der Natur anvertraut werden. Denn wenn die Moralität
auch nicht aufhörte Moralität zu sein, so bald die Bestimmungsgründe
in der Natur und nicht in der Freiheit liegen, so wäre doch die Legali-
tät, die durch blose Natur hervorgebracht werden könnte, ein ser
unsicheres, nach Zeit und Umständen wandelbares Ding. So wie die
Naturursachen anders bestimmt würden, würde diese Legalität
StA, Band 4, Seite 211.

 

Urtheil und Seyn

Urtheil. ist im höchsten und strengsten Sinne die ursprüngliche
Trennung des in der intellectualen Anschauung innigst vereinigten
Objects und Subjects, diejenige Trennung, wodurch erst Object und
Subject möglich wird, die Ur=Theilung. Im Begriffe der Theilung
liegt schon der Begriff der gegenseitigen Beziehung des Objects und
Subjects aufeinander, und die nothwendige Voraussezung eines Gan-
zen wovon Object und Subject die Theile sind. »Ich bin Ich« ist das
passendste Beispiel zu diesem Begriffe der Urtheilung, als Theore-
tischer Urtheilung, denn in der praktischen Urtheilung sezt es sich
dem Nichtich, nicht sich selbst entgegen.
  Wirklichkeit und Möglichkeit ist unterschieden, wie mittelbares
und unmittelbares Bewußtsein. Wenn ich einen Gegenstand als mög-
lich denke, so wiederhohl' ich nur das vorhergegangene Bewußtseyn,
kraft dessen er wirklich ist. Es giebt für uns keine denkbare Möglich-
keit, die nicht Wirklichkeit war. Deswegen gilt der Begriff der Mög-
lichkeit auch gar nicht von den Gegenständen der Vernunft, weil sie
niemals als das, was sie seyn sollen, im Bewußtseyn vorkommen, son-
dern nur der Begriff der Nothwendigkeit. Der Begriff der Möglich-
keit gilt von den Gegenständen des Verstandes, der der Wirklichkeit
von den Gegenständen der Wahrnemung und Anschauung.

Seyn - drükt die Verbindung des Subjects und Objects aus.
  Wo Subject und Object schlechthin, nicht nur zum Theil vereiniget
ist, mithin so vereiniget, daß gar keine Theilung vorgenommen wer-
den kan, ohne das Wesen desjenigen, was getrennt werden soll, zu
verlezen, da und sonst nirgends kann von einem Seyn schlechthin
die Rede seyn, wie es bei der intellectualen Anschauung der Fall ist.
  Aber dieses Seyn muß nicht mit der Identität verwechselt werden.
Wenn ich sage: Ich bin Ich, so ist das Subject (Ich) und das Object
(Ich) nicht so vereiniget, daß gar keine Trennung vorgenommen
werden kann, ohne, das Wesen desjenigen, was getrennt werden soll,
zu verlezen; im Gegenteil das Ich ist nur durch diese Trennung des
Ichs vom Ich möglich. Wie kann ich sagen: Ich! ohne Selbstbewußt-
seyn? Wie ist aber Selbstbewußtseyn möglich? Dadurch daß ich
mich mir selbst entgegenseze, mich von mir selbst trenne, aber unge-
achtet dieser Trennung mich im entgegengesezten als dasselbe er-
kenne. Aber in wieferne als dasselbe? Ich kann, ich muß so fragen;
denn in einer andern Rüksicht ist es sich entgegengesezt. Also ist die
Identität keine Vereinigung des Objects und Subjects, die schlechthin
stattfände, also ist die Identität nicht = dem absoluten Seyn.
StA, Band 4, Seite 216.

 

Aus dem Entwurf zu dem Programm der Iduna

als Naturproduct seine Ehre widerfahren. Gelehrte Kritiken und
Biographien, so wie alle Spekulation, die nur in den Streit gehört,
liegen außerhalb unseres Zweks.
  Bonhommie nicht kalte Frivolität, leichte klare Ordnung, Kürze
  des Ganzen - nicht affectirt muthwillige Sprünge und Sonderbar-
  keiten.
StA, Band 4, Seite 220.

 

Bemerkung über Homer

NB. In den Briefen über Homer erst Karactere, dann Situationen,
       dann die Handlung, die im Karakterstük um des Karakters und
       des Hauptkarakters willen da ist, da von dem Wechsel der
       Töne
StA, Band 4, Seite 223.

 

Die Weisen aber...

   Die Weisen aber, die nur mit dem Geiste, nur allgemein unterschei-
den, eilen schnell wieder ins reine Seyn zurük, und fallen in eine um 
so größere Indifferenz, weil sie hinlänglich unterschieden zu haben 
glauben, und die Nichtentgegensezung, auf die sie zurükgekommen
sind, für eine ewige nehmen. Sie haben ihre Natur mit dem unter-
sten Grade der Wirklichkeit, mit dem Schatten der Wirklichkeit, der
idealen Entgegensezung und Unterscheidung getäuscht, und sie rächt 
sich dadurch
StA, Band 4, Seite 237.

 

Über die Parthien des Gedichts

  Der Ausdruk, das sinnliche gewöhnliche individuelle des Gedichts, 
bleibt sich immer gleich, und wenn jede der verschiedenen Parthien 
in sich selbst verschieden ist, so ist das erste in jeder Parthie gleich 
dem ersten der andern, das zweite jeder Parthie gleich dem zweiten 
der andern, das dritte jeder Parthie gleich dem dritten der andern. 
Der Styl, das
StA, Band 4, Seite 273.

 

Mischung der Dichtarten

  Der tragische Dichter thut wohl, den lyrischen, der lyrische den 
epischen, der epische den tragischen zu studiren. Denn im tragischen 
liegt die Vollendung des epischen, im lyrischen die Vollendung des 
tragischen, im epischen die Vollendung des lyrischen. Denn wenn 
schon die Vollendung von allen ein vermischter Ausdruk von allen 
ist, so ist doch eine der drei Seiten in jedem die hervorstechendste.
StA, Band 4, Seite 273.

 

Die Bedeutung der Tragödien

  Die Bedeutung der Tragödien ist am leichtesten aus dem Paradoxon 
zu begreifen. Denn alles Ursprüngliche, weil alles Vermögen gerecht 
und gleich getheilt ist, erscheint zwar nicht in ursprünglicher Stärke 
sondern eigentlich in seiner Schwäche, so daß recht eigentlich das 
Lebenslicht und die Erscheinung der Schwäche jedes Ganzen ange-
hört. Im Tragischen nun ist das Zeichen an sich selbst unbedeutend, 
wirkungslos, aber das Ursprüngliche ist gerade heraus. Eigentlich 
nemlich kann das Ursprüngliche nur in seiner Schwäche erscheinen, 
insofern aber das Zeichen an sich selbst als unbedeutend = 0 gesezt 
wird, kann auch das Ursprüngliche, der verborgene Grund jeder Na-
tur sich darstellen. Stellt die Natur in ihrer schwächsten Gaabe sich 
eigentlich dar, so ist das Zeichen wenn sie sich in ihrer stärksten 
Gaabe darstellt = 0.
StA, Band 4, Seite 274.

 

Von der Fabel der Alten

Von der Fabel der Alten.

Ihre Prinzipien
Gestalt derselben
System
Beziehung. Bewegbarkeit.

Verschiedene Formen, die diese, troz der Nothwendigkeit ihrer Bildung, 
als Prinzipien leiden.

Sinn und Inhalt derselben.

Mythologischer Innhalt.
Heroischer
Reinmenschlicher.

Sinn solcher Fabeln überhaupt.

Höhere Moral.

Unendlichkeit der Weisheit.

Zusammenhang der Menschen und Geister.
Natur, in der Einwirkung Geschichte.
StA, Band 4, Seite 292.

 

Dass der Mensch in der Welt...

Daß der Mensch in der Welt eine höhere moralische Geltenheit 
hat, ist durch Behauptenheiten der Moralität anerkennbar und aus 
vielem sichtbar.
StA, Band 4, Seite 293.