«...Und
als die herzzerreißende Stimme widerhallte, mit geschwollenem
Pathos und, verzehrt von Verlangen, von der Nostalgie verborgener Erinnerungen
und grenzenloser Liebe, unfähig, zu sagen, wonach es ihr verlangte
als diese Stimme plötzlich inmitten des Orchestergeraunes
widerhallte, was es so, als könnte ich, plötzlich, inmitten
der Geräuschkulisse einer Großstadt, die wunderbare Stimme
eines ungezähmten Esels vernehmen...»
Alberto Savinio, Die Stimme des Cellos in: Scatola
sonora, Einaudi Verlag.
In der Altstadt von Genua gibt es einen Ort, eine Straße, eng
und steil zwischen den antiken Mauern, nahe des alten Theaters von SantAgostino.
Nur wenige Schritte entfernt von einem riesigen Komplex moderner Bauten,
die erst vor ein paar Jahrzehnten errichtet worden sind, und für
die die historischen Häuser abgerissen wurden, von denen in einem
das Geburtshaus von Nicolò Paganini sich befunden hatte. In dieser
Straße lebt und arbeitet der Gaccetta, der alte Tischler, und
seine Werkstatt befindet sich unterhalb der Schlossmauern.
Der Gaccetta entstammt noch einer anderen Zeit; zierlich ist er, klein,
mit dünnem, schlohweißem Haar, das an den Schläfen sich
zu einem Schopf vereint; er trägt es wie unsere Großeltern
im vorvergangenen Jahrhundert; er kleidet sich mit Gewändern, die
nach einer alten daguerrotypischen Aufnahme gefertigt zu sein scheinen;
und seine Sprechweise ist so scharf und lebendig wie die der wie in
der volkstümlichen Genueser Komödie.
In seiner Jugend hatte der Gaccetta dem Holz seine Stimme gegeben; dem
Holz, dem er sein ganzes Leben gewidmet hatte. Denn als kleiner Bub
schon war er verzaubert gewesen von einem Straßenmusikanten, einem
Mandolinespieler; bat seine Eltern, die Violine erlernen zu dürfen.
Ein Naturtalent war er, ein Wunderkind. Doch das Leben spielte ihm übel
mit, und er musste seine Studien abbrechen; und er träumte weiter
vom Ruhm, sich schicksalsergeben stummem Holz widmend: Türen, Fenstern,
Tischen und Schränken.
Doch weder die Musik noch die Violine hatte er ganz aufgegeben, und
er, Giuseppe, oder Joseph mit Vornamen, wie jeder Tischler heißen
muss, der in einer Geschichte wie dieser eine Rolle spielen möchte,
liebt beides wie eine Mutter, eine Schwester, eine Gefährtin. Der
alte Gaccetta hört Musik, wie kein anderer sie noch hören
vermag: ihr Klang scheint ihn zu nähren, zu wiegen, ihn in ein
Paradies zu führen, von dem uns Normalsterblichen nur eine schwache
Erinnerung geblieben ist. Sein musikalisches Gehör ist auf einer
bestimmten geistigen Ebene, wo alle Dinge ihr Gewicht verlieren und
heiter fließen, in absoluter Bereitschaft, endlos; eine Ebene,
auf der keine andere Richtung existiert, als um das Zentrum der unsagbaren
musikalischen Freuden zu kreisen. Für Giuseppe ist die Schönheit
der Musik wie der letzte Zauber des Paradoxon, und sein Lohn ist, sie
zu genießen, vom Oben kommend, vom Jenseitigen.
Und so traf ich ihn: am Abend des achten Januar, im Hause seiner Freunde,
nicht weit entfernt von seiner Werkstatt; durch Zufall oder Schicksal;
am Todestag des großen romantischen Cellisten Alfredo Piatti,
der Paganini des Violoncellos. Ich hielt mich in Genua auf,
um drei seiner dem Vergessen überlassenen Sonaten einzuspielen,
nachdem sie fast ein Jahrhundert lang verschollen gewesen waren. Ich
spielte, an jenem Abend, lediglich für ein paar Freunde in einem
privaten Salon. In einen Sessel gekuschelt, der viel zu groß für
ihn war, lauschte der Gaccetta mit seinem ganzen Körper, mit seiner
ganzen Seele zugleich, und schien mich auf seltsame Weise anzusehen,
als könne er mit seinen Augen den Klang des Violoncellos berühren
und jeden einzelnen meiner musikalischen Atemzüge. Dann floh sein
Blick oder fing etwas Unsichtbares, doch wunderschönes, ein. Ich
jedoch begann unerwartet zu sehen, vielleicht die Musik selbst, vielleicht
mein tiefstes Verlangen nach ihr, gemeinsam mit ihm.
Und beobachtete, nahm wahr: die außerordentliche Leichtigkeit
seiner Gestalt, seiner geheimnisvollen Transparenz; so als bestünde
er nur aus feinstem Hauch, aus schwingendem Wind, hauchdünner Materie;
trotzdem seine Körperspannung so straff war wie eine Violinsaite.
Eine Violinsaite, bereit, jeder Stimulation des Bogens zu entsprechen,
der Harmonie, der Seele. Während des Adagio lento richtete
sich Giuseppes Blick auf jede Note, folgte er ihr in der Konzentration
auf den Fluss der Melodie, rollte er seine Augen in alle Richtungen.
Es war, als ob er sich von den Spiralen der Resonanz verschlucken ließe,
wie in den uralten Geschichten sich die gefesselten Seeleute vorstellten,
die kurvenreichen Leiber der Sirenen fortzutragen, wollüstig und
gleichzeitig feierlich in den Arm zu nehmen. Unvermittelt machte er
sich der Musik scheints untertan, dann wiederum barst er vor Glück:
einer, der den Segen der ultimativen Zärtlichkeit empfängt.
Es war in diesem Moment, als mir bewusst wurde, dass ich nicht weiter
in der Lage war zu erkennen, was ich spielte einstudierte Sachen,
oft geübt, vertraut, doch plötzlich waren sie neue, noch nie
gespielte Stücke für mich. In einem Augenblick wusste ich
mit Bestimmtheit, dass ich mit den Augen des Gaccetta sah: meine Töne
berührten endlose Weiten, streiften das Ende aller Dinge, erreichten
äußerste Gefühle; ich sah sie in der Zärtlichkeit
der Vereinigung, im Schmerz der Trennung. Sie waren wie bewegte Seelen
zwischen dichten Erinnerungen, durch Raum und Zeit rutschend, wo jede
einzelne Ton wieder aufzutauchen schien und erneut versank, in immer
weitere Ferne, ohne dass ich zu begreifen wusste, ob in einer Zukunft
oder einer Vergangenheit. Ich war mir sicher, an den Visionen des Gaccetta
teilzuhaben sein Blick, wenngleich in weite Ferne gerückt,
bestätigte mir diese mit einer gewissen dankbaren Komplizenschaft
und ich fand mich wieder an seiner Seite, um jene weiten Fernen
zu besuchen. Ich sah ihn in der Luft schweben, während er mir mit
seinen Gesten aufzeigte, die Harmonie der Sphären sei tatsächlich
eine fühlbare, sichtbare, tastbare Sache; sie hielt unsere beiden
Körper fest und bewahrte in ihnen ihre Dichte, ihre Sinne; dann,
inmitten des Rauschgefühls, dirigierte er sie mit freundlichen
Gesten, kaum wahrnehmbar, mit einer leichten Bewegung der Augen, ein
klein wenig schiebend, Wesen ohne Eigengewicht, Körper ohne erhabene
Materie. Splitter der Erkenntnis durchbohrten uns, gleißende Blitze
der Intuition, unendlich hohe Bedeutungen musikalischer Schönheit.
Der Gaccetta sah mich an, lächelte mir zu, zwinkerte: er wusste
gut, dass ich nicht mehr in der Lage war, in unsere Zeit zurückzukehren.
Er kam zu mir, schließlich, um mich zu umarmen und tief in meine
Augen zu blicken. Und schenkte mir ein Geheimnis. Er hielt meine Hände
fest, sah mich lange an, begann zu mir zu sprechen: «Du musst
einen Ort aufsuchen, hier in Genua, in der Altstadt... ein besonderer,
magischer Platz! ... Du findest ihn in der Straße unterhalb der
Schlossmauer, bei Paganinis Haus ... auch wenn es dieses Haus nicht
mehr gibt, sie haben es zerstört ... Aber, glaub mir, dort kannst
Du immer noch die Stimme seiner Violine hören ... sie ist noch
immer dort: sie wartet nur auf einen Zuhörer. Sie liegt in der
Luft, und man hört sie gut, mit den Ohren, nicht nur mit dem Kopf!
Hör auf mich: genau in der Nachbarschaft befindet sich das Theater,
in dem Nicolò das erste Konzert seines Lebens gab, und es spielte
dort auch Camillo Sivori, sein einziger Schüler. Es ist exakt an
diesem Ort, wo er ihn alle Geheimnisse der Violinkunst lehrte ... und
Du kannst Dir nicht vorstellen, wie viele Male auch ich sie gehört
habe! Als ich ein Kind war, stieg ich nachts heimlich aus dem Bett,
um zu meiner Verabredung zu gehen ... auch, wenn niemand
dort mich erwartete ... manchmal bist Du dort, hoffst, flehst ... und
die Geister lassen nichts von sich hören. Du musst warten können
oder sie vielleicht zu rufen wissen ... ich habe das nie so genau gewusst.
Doch bin ich sicher, dass Du die Stimmen sofort hören kannst, und
Du musst gut hinhören, Du muss sie immer in Dir tragen, immer lebendig,
stark, klangvoll in Deiner Erinnerung ...»
Ich begab mich dorthin. Sogleich, nachdem ich seine Worte an jenem achten
Januar gehört hatte; seltsame Nacht, feuchtwarm wie im Orient.
Ich ging wie zu einem Treffen mit meiner Liebsten; oder wie zu meinem
ersten Schultag; oder als würde ich einen Tempel aufsuchen, um
eine Erleuchtung, eine Vision zu finden, eine Erfahrung, die ich die
ich um jeden Preis wollte, eine einzigartige, unwiederholbare. Ich schlenderte
in meiner Einsamkeit, in tiefem Schweigen, ein paar Mal auf der antiken
Mauer entlanggehend, die unregelmäßigen Steine betrachtend,
die Risse, die seltsam geformten Schatten. Und hörte ich es schließlich.
Es traf mich mit Wucht: ein Sopran, ganz kurz, doch schmelzend. Ich
wartete auf eine Fortsetzung, auf irgendetwas, etwas, dem ich aufmerksam
zuhören konnte ... ich blieb reglos, in angespanntem Schweigen,
mit angehaltenem Atem. Um mich herum, doch in weiter Ferne, der Klangnebel,
die unaufhörlichen Geräusche der Stadt, denen ich fieberhaft
versuchte, zu entkommen, mich über ihre Kompaktheit zu erheben,
nur noch mich selbst zu hören: nur, um weit mehr zu hören.
Da erreichte es mich erneut. Panischer Ton, besessen, den klebrigen
Teppich des nächtlichen Großstadtlärms jäh unterbrechend,
die Stimmen weit entfernter Fernsehapparate, die Nichtigkeit der modernen
Welt. Erst schien ich die Herkunft der Töne bestimmen zu können,
dann wiederum wanden sie sich, unfassbar, von Neuem flohen sie mir.
Klang des Windes, meines Blutkreislaufs; diabolisch, wässerig vielleicht,
dann engelgleich; erst Schrei, dann Gesang; Ton der Leidenschaft für
das Leben zuerst, dann Sprache des glühenden Feuers, drängend,
flüchtig, verrückt machend: nur dies konnte ich in meiner
Erinnerung behalten. Und schließlich wieder Schweigen; und ich
in mir das Verlangen zu hören, auch, wenn es ein letztes Mal sein
sollte.
Doch, nach dem Verstummen, kam das Nichts. Und dieser schwere, brechreizerregende
Ekel vor der Wirklichkeit ... Mein persönliches Nichts, vielleicht,
oder nur das, was meinem unzureichenden Erinnerungsvermögen bleibt.
Ich marterte meinen Kopf mit der Banalität dieses einen Gedankens:
Er war nur der Wind... sagte ich mir, Ja, der Wind:
er schlich durch die Risse der mittelalterlichen Mauer; er pfeift, wie
eine gigantische Schalmei aus Stein, eine zyklopische Panflöte...
Sicherlich war es lediglich das Pfeifen des Süd-Ost-Winds gewesen.
Kalt-feuchter Wind, träge, doch aufdringlich, penetrant. Ein Wind,
der die Darmsaiten meiner Instrumente weich werden lässt. Sie werden
gefügig, aber unzuverlässig. Und jene gespannten Darmsaiten
weich, sensibel sind jederzeit bereit, mich pfeifend im
Stich zu lassen, dem Diktat meiner Finger zu fliehen, dem Winkel meines
Bogens; dies ist die Art und Weise, in der sie, seit jeher, meine Bemühungen
verlachen, sie singen zu machen ...
Doch nein: so verhielt es sich nicht. Das glaubte ich nicht und glaube
es auch heute noch nicht. Ich habe die Musik Paganinis gefühlt
und gehört. Es waren die durchdringenden Resonanzen einer Virtuosengeige,
die mit allen Stimmen der Erde und des Himmels zu singen wusste. Es
war das Instrument von Apoll persönlich, nicht das von Marsias
Hirtenschalmei! Und diese Töne wurden zu einem schmerzensreichen
Verließ, aus dem man sich nur befreien konnte, wenn man seine
Finger wie von der Tarantel gestochen spielen ließ, rennen oder
auf den Saiten tanzen; und die Schwingung des Holzes, der Luft, des
Bluts und des Fleisches war heilsam, für kurz, bis die Musik erklang...
keine Noten: Musik! Musik, die atmet, sich träge bewegt oder leicht,
oder schmerzhaft, oder liebenswürdig; die sich bewegt durch die
Zeit und die Geschichte, gehört wird und bedeutet: Geist, der über
den Noten flattert.
Alberto Savinio vergleicht die Stimme des Violoncellos mit der des Esels.
Besser gesagt, er spricht, präzise ausgedrückt, von der Stimme
«des Onagers, dem Vorfahren des Esels. Dieser sagt er,
ist ein Säugetier, in dessen Laut eine gewisse Panik vorherrscht,
ein Sakrament der Natur, und wir Heutigen, die diese Schreie nicht mehr
gewöhnt sind, von ferne, unerwartet, überraschend...».
Ich verstand sehr gut, damals, was diese Laute meinten. Und dachte an
den heiligen Ritus von uns Musikern, unser tägliches Opfer auf
dem Altar des Juval, des David, des Apoll oder des Dionysos: die Schwielen
auf unseren Fingern, die Anpassung unseres Körpers an das Instrument,
die langwierige Metamorphose, die uns zu Virtuosen machte, die uns
uns Bestechliche, Zerbrechliche, für kurze Zeit Gottähnliche
nichts anderes war als unser Bestreben, ein Kunstwerk zu werden.
Dies, sicherlich, hatte ich gefühlt; hatte es mit meinem Körper
und zugleich meiner Seele wahrgenommen.
In jener Nacht in der Altstadt von Genf, gegen die grobe Arroganz des
kriegerischen Zements gedrückt, wünschte ich mir die Leichtigkeit
des Seins. Und fühlte meine Leichtigkeit, die Leichtigkeit meines
Ichs, die Leichtigkeit selbst meines Namens. Würde ich in der Lage
sein, ich, die Lust wieder zu finden, in mein Leben zurückzukehren,
zu meinem Cello zurückzukehren? Meine Schallplatte aufzunehmen?
Ans Mikrophon zurückzukehren, das meine Töne frisst, verdaut,
übersetzt; zur Aufnahme, die mich erkennen lässt, oder mich
davon überzeugt, eine Illusion zu besitzen, ein Surrogat für
meine Existenz, für meinen Widerstand womöglich. Heilige Höflichkeit
des Musikers! Zurückzukehren, um Musik zu geben, doch nur für
die elektrifizierte Arbeit des Aufnahmeleiters; wie ein vitaler Impuls,
wie eine rennende Göttin, die dich einholt, dich entflammt, die
Flamme löscht, dich beschenkt und daraufhin dich deiner Existenz
beraubt? Zurückkehren, ja, doch nur um ein bleibendes Zeichen meines
Daseins zu setzen; es zu gravieren, tief; um das bleibende Zeichen meines
Daseins in eine glänzend Aufnahme einem Steinmetz gleich meißeln;
von der runden Oberfläche der Schallplatte ein Stück Materie
entreißen, um es mit der Leichtigkeit des Virtuosen zu bekleiden,
um ihr den geheimen Sinn meiner Erkenntnis zu bewahren.
Doch wie würde ich dies tun können, wenn ich doch nur zu gut
wusste, das weder die Klänge Paganinis, noch die Piattis noch meine
eigenen sich in den Nummerncodes und ihrer Sinuswellen wiederfinden,
in den vielfachen Elektronen meines Klangkörpers? Doch, ich musste
zurückkehren, spielen, meine Schallplatte aufnehmen. Und vielleicht
würde ich einen neuen Virtuosen mitbringen, einen Paganini, einen
Piatti...
Die Lektion des Virtuosen war schließlich einfach diese: sich
nicht um die Welt scheren, um ihre Werke, sich lediglich seinem Mythos
widmen, in dem er eins wird mit dem Kunstwerk, jedes Mal; sich dann
davon abtrennt, sich auflöst in seiner Vollendung. Schließlich
verfliegt, verklingt, sich mit allem vermengend, Erde zu Erde, Staub
zu Staub, Molekül unter Molekülen, Atome versprengt im Nichts,
alle wieder zusammen gerufen, von Zeit zu Zeit, durch die Musik. Bis
dahin hatte ich die Illusion gehabt, die Visionen und die Erscheinungen
wiederholen zu können, indem ich daran glaubte, Noten wie Kleider
anziehen zu können, die Musik meines Schöpfers wie eine Maske
aufsetzen zu können, mich mit der Rolle des Hohepriesters zu identifizieren;
der Hohepriester, dessen Ritus ich repräsentierte. In jener Nacht
war ich leer, entblößt. Ich sah alles wie das Gegenteil jener
Einkleidung: alles war ein langsames, allmähliches, feierliches
Entkleiden von der Musik, so wie Marsia von Apoll gehäutet wurde
und zu einem Strom sich wandelte, sich in Lichtstrahlen auflöste
und Musik zu wurde: Instrumentum Musicae.
Mir wurde in diesem Moment bewusst, dass ich zum Cello zurückgekehrt
war allein wegen meinem ununterdrückbaren Bedürfnis nach seiner
Stimme. Meine zerbrechliche, verderbliche Materie vergessend, durchdrungen
von Bedeutungssplittern, von jedem möglichen Sinn, in dem Wunder,
dem tiefen Staunen der unauslöschlichen Erscheinung, die ich gehabt
hatte, fing ich schließlich an zu improvisieren, wie eine wiederentdeckte
Fähigkeit; fing an zu spielen ohne die Metallspitze des Cellos,
seinem Stachel, ohne den Halt des Metalls auf der Erde, ohne die beruhigende
Beständigkeit im Zentrum der Schwerkraft; nützliches und sichtbares
Mittel, die Bewegungen des Cellisten einzuschränken und den Überschuss
an Schwingungen an den Erdboden abzugeben. Ohne Stachel, wie die Alten
Meister des Violoncello, wie Alfredo Piatti der letzte in der
Reihe der Alten wurden ich und mein Cello zu zwei gleichwertigen
und symmetrischen Körpern, und dieser unser Körper erschien
mir wie die ultimative Form, die für unsere Musik vorgesehen
war. So boten wir uns den Mikrofonen dar. So wurde sie aufgenommen;
in den Nummerncodes einer flüchtigen digitalen Aufnahme. Doch die
Stimme von Piattis Violoncello lässt sich in diesen Noten nicht
finden. Sie ist, und so muss es sicherlich sein, allein, immer noch,
für immer, in den erhabenen Fernen des Irgendwo.
C.
Ronco, Venedig, Mai 1998
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